Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek

Geschichte

Die Bibliothek für Zeitgeschichte verdankt ihre Existenz dem Ersten Weltkrieg. Als private Sammlung 1915 von dem schwäbischen Industriellen Richard Franck in Berlin gegründet, gehörte die Weltkriegsbücherei - wie sie bis 1948 genannt wurde - zu der Vielzahl von Kriegssammlungen und Museen, die in dieser Zeit in nahezu allen Krieg führenden Ländern entstanden.

1921 übersiedelte die Weltkriegsbücherei in das von der württembergischen Regierung zur Verfügung gestellte Schloss Rosenstein in Stuttgart. Mit der konsequenten Erschließung der Bestände, durch ihre bald periodisch erscheinenden Bibliographien und aufgrund ihrer privaten Trägerschaft, die selbst in den Jahren der Weltwirtschaftskrise finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte, gewann die Weltkriegsbücherei an Bedeutung: Sie wurde vor allem zu einem Zentrum der Erforschung von Ursachen und Folgen des Ersten Weltkriegs. 1928 sicherte Richard Franck die weitere Existenz der Bibliothek durch die Gründung einer eigenen Stiftung.

Von Anfang an hatten Pläne bestanden, neben der Bibliothek auch ein Museum aufzubauen. Das am 13. Mai 1933 eröffnete Museum sollte - ganz im Sinne der nationalsozialistischen Machthaber - auch der historischen Legitimation eines künftigen Krieges dienen. Die Weltkriegsbücherei gliederte sich fortan in vier Abteilungen: Bibliothek, Archiv, Museum und Forschungsinstitut. Der Zweite Weltkrieg, der den Sammlungen eine Fülle neuen Dokumentationsmaterials bescherte, bedeutete auch das vorläufige Ende der Weltkriegsbücherei. Im September 1944 wurde Schloss Rosenstein bei einem Luftangriff nahezu völlig zerstört und mit ihm ein großer Teil der Bestände, vor allem aus Archiv und Museum.

Die 1948 in Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) umbenannte Weltkriegsbücherei fand ihre neuen Arbeits- und Magazinräume im Gebäude der Württembergischen Landesbibliothek. Dies führte zu einer engen Zusammenarbeit zwischen der BfZ als Spezialbibliothek und der Württembergischen Landesbibliothek als Universalbibliothek. Ab Mitte der 1970er Jahre ging man Schritt für Schritt dazu über, die Kataloge der beiden Bibliotheken zusammenzuführen. Schließlich wurde auch sukzessiv die Literaturerwerbung aufeinander abgestimmt.

Heute ist die BfZ eine international angesehene historische Forschungseinrichtung und eine der größten Spezialbibliotheken für Zeitgeschichte in Europa. Die Bestände der Bibliothek werden ergänzt durch die beiden Sondersammlungen Archivalische Sammlungen und Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur. Die BfZ verfügt über eigene Publikationsreihen (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte - N.F. und Stuttgarter Vorträge zur Zeitgeschichte); sie organisiert regelmäßige Vortrags- und Tagungsveranstaltungen und ist durch die Person des Leiters der BfZ eng mit dem Historischen Institut der Universität Stuttgart verbunden.

Trägerin der BfZ war bis Ende 1999 die privatrechtliche "Stiftung Bibliothek für Zeitgeschichte". Seit Beginn des Jahres 2000 ist die Bibliothek für Zeitgeschichte in die Württembergische Landesbibliothek integriert.

Beständeübersicht

Bibliothek

Die Bibliothek der BfZ umfasst derzeit ca. 310.000 Bände und ca. 650 laufende Zeitschriften. Schwerpunkte der Erwerbung sind:

Die Bibliothek der BfZ sammelt die Literatur dieser Gebiete möglichst umfassend, wobei die Erwerbungen stark international ausgerichtet sind.

Archivalische Sammlungen der BfZ

Die Archivalischen Sammlungen enthalten zeitgeschichtliche Dokumente vorrangig aus den Jahren 1914 bis 1949. Thematische Schwerpunkte bilden die beiden Weltkriege, Parteien und Verbände der Weimarer Republik und die Marine von 1850 bis 1990.

Marinearchiv

Im Marinearchiv befindet sich eine in ihrem Umfang einmalige Bilddokumentation zur Kriegs- und Handelsschifffahrt aller Seemächte von 1850 bis zum Ende des Kalten Krieges (ca. 500.000 Fotografien). Darüber hinaus verfügt das Archiv über eine Fülle marinegeschichtlicher Dokumente und Materialien, die sich vor allem auf den Zweiten Weltkrieg beziehen. Das Marinearchiv erstellt außerdem Dokumentationen zur Marine- und Seekriegsgeschichte.

Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur

Auf Anregung und mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wurde 1972 eine weitere bedeutende Sondersammlung der BfZ eingerichtet: die Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur, deren Erwerbungsetat für das Sondersammelgebiet "Beschaffung nichtkonventioneller Literatur zur Zeitgeschichte" bis heute von der DFG getragen wird.

Die Dokumentationsstelle sammelt die in der Bundesrepublik (hauptsächlich alte Bundesländer) erschienene "graue Literatur", d.h. wissenschaftlich relevante Materialien, die zumeist nicht über den konventionellen Literaturvertrieb verbreitet werden. Schwerpunkte der Sammlung sind politische Stellungnahmen von Bürgerinitiativen, Friedensgruppen, Dritte-Welt-Gruppen, Ausländer-/Exilgruppen, politische Gruppierungen und kleine Parteien sowie Einzelpersonen zu internationalen und innerstaatlichen Konflikten sowie zu zwischenstaatlichen Beziehungen.

Die wichtigsten Themenbereiche sind:

Die Sammlung umfasst inzwischen ca. 16.000 Broschüren, etwa 340 laufende Zeitschriften sowie Einzelnummern von über 5.000 Zeitschriften und Zeitungen, ferner 120.000 Flugblätter, 25.000 Plakate sowie zahlreiche Aufkleber, Anstecknadeln, etc., die dem Sammelschwerpunkt zugeordnet sind. Die Flugblätter sind nach dem Provenienzprinzip geordnet, seit 1989 erfolgt die retrospektive Erfassung und Verschlagwortung in einer Datenbank. Außerdem wurde der gesamte Flugblattbestand mit Unterstützung der DFG sicherheitsverfilmt, wobei zugleich eine verbesserte Nutzung und Zugänglichkeit erreicht wurde.

Perspektiven

Forschung

Gemeinsam mit dem Historischen Seminar der Universität Düsseldorf hat die BfZ eine international ausgerichtete Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs erstellt, die im Sommer 2003 zeitgleich in den Verlagen Schöningh (Paderborn) und Neue Züricher Zeitung (Zürich) erscheint. Mit ca. 1000 S. Text (650 Lemmata, 23 Aufsätzen), ca. 100 Abbildungen und 20 Karten und Schaubildern ist die gemeinsam mit 125 Wissenschaftlern aus 12 Ländern erarbeitete Enzyklopädie das umfangreichste und zugleich historiographisch umfassendste Werk seiner Art zu dieser zentralen Epoche in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

In Kooperation mit der Fa. medialesson präsentiert die BfZ seit Februar 2003 eine multimediale CD-ROM für Unterricht, Studium und Erwachsenenbildung zum Thema "Nationalsozialismus". Nähere Informationen unter www.media-lesson.de.

Bibliothek

Auch nach der Integration der BfZ in die Württembergische Landesbibliothek entwickelt die Bibliothek ihre Dienstleistungen kontinuierlich weiter. Sowohl die Absicherung des Erwerbungsetats durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg als auch die Förderung der wissenschaftlichen Spezialbibliothek durch die DFG sind Grundlage einer umfassenden Bestandserweiterung für die Wissenschaftsfächer Zeitgeschichte und Politik. Die Integration bewirkte insbesondere eine Beschleunigung der Geschäftsgänge und eine ständige Betreuung durch die EDV-Abteilung. Ebenso sei auf die Serviceerweiterungen des Schnelllieferdienstes Subito, an dem die Württembergische Landesbibliothek als Lieferbibliothek beteiligt ist, sowie die Neuerwerbungslisten, die über die Homepage angeboten werden, hingewiesen. Als Projekt des Saur-Verlags wurde 2002 der konventionelle Systematische Katalog der BfZ verfilmt. In Kombination mit einem Begleitband bietet die Mikrofiche-Edition des Katalogs erweiterte Möglichkeiten der überregionalen Literaturinformation. Zudem ist beabsichtigt, dass sich die BfZ mit ihren Daten und Materialien am Ausbau einer Virtuellen Fachbibliothek Geschichte beteiligt. Geplant ist zunächst die Teilnahme an Clio-online zur Entwicklung eines Fachportals zum Ersten Weltkrieg.

Archivalische Sammlungen

Im Zuge umfassender Restaurierungsvorhaben (Bestandserhaltungsmaßnahmen der Landesarchivdirektion) werden derzeit Plakate aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik, ferner Flugblätter Weimarer Republik, Fliegerabwurfblätter aus beiden Weltkriegen sowie Fotoalben und Einzelfotos konservatorisch bearbeitet. Schwerpunkte der Maßnahmen bilden die Schriftdrucke und Plakate (darunter Objekte bedeutender Künstler), die, ebenso wie die Fliegerabwurfblätter, bereits in einer Datenbank erfasst sind.

Gemeinsam mit dem Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität Berlin und dem Berliner Feldpost-Archiv (Museum für Kommunikation) bereitet die BfZ derzeit ein Pilot-Projekt zur Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung vor. Beabsichtigt ist die Schaffung eines dezentralen, EDV-gestützten Zugangs auf diese Lebensdokumente aus dem Zweiten Weltkrieg mit Hilfe des Verbundinformationssystems Kalliope. Es handelt sich um ein DFG-Projekt im Programm "Überregionale Vorhaben von Archiven".

Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur

Die Dokumentationsstelle als Sondersammelgebiet der DFG katalogisiert ihre Broschüren ab dem Jahr 2000 in den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund und bietet damit ihre Erschließungsdaten in OPACs auch über das WWW zur Recherche an. Beabsichtigt ist darüber hinaus eine Katalogisierung der Zeitschriften in der ZDB. Durch regelmäßige Ausstellungen und Informationen über ihre Bestände ist die Dokumentationsstelle bestrebt, die Öffentlichkeit auf ihre umfangreichen und teilweise einzigartigen Sammlungen hinzuweisen.

Bibliothek für Zeitgeschichte
Konrad-Adenauer-Straße 8
D-70173 Stuttgart
Postfach 10 54 41
D-70047 Stuttgart

Telefon: (0) 711 / 212 - 45 16
Telefax: (0) 711 / 212 - 45 17
E-Mail: bfz@wlb-stuttgart.de
Homepage: www.wlb-stuttgart.de/bfz

Direktor: Professor Dr. Gerhard Hirschfeld
Stellv. Leiterin: Dr. Angelika Schütt-Hohenstein
Archivalische Sammlungen: Irina Renz
Marinearchiv: Thomas Weis
Dokumentationsstelle für unkonventionelle Literatur: Michael Rost