Das Bibliothekswesen in Deutschland und der Weltkongress der Bibliothekare in Berlin (IFLA 2003)

von Georg Ruppelt

IFLA 2003
Vom 1. bis zum 9. August 2003 findet in Berlin die 69. Generalkonferenz des Weltverbandes der Bibliothekare, IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions), statt. Zum Kongress erscheint bei Olms in Hildesheim ein von der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BDB) herausgegebener Band "Portale zu Vergangenheit und Zukunft. Bibliotheken in Deutschland", Verfasser sind Jürgen Seefeldt und Ludger Syré. Es erscheint sinnvoll, am Vorabend des IFLA-Kongresses einmal die Situation des Bibliothekswesens in Deutschland zu reflektieren. Der Verfasser stützt sich im folgenden Beitrag auf einen am 31. Januar 2003 in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin gehaltenen Vortrag und auf seinen einführenden Essay ("Krise und Aufbruch") zu dem o.e. Band.

Die Beziehungen der IFLA zu Deutschland existieren seit der Gründung der IFLA 1927. IFLA-Kongresse fanden aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland statt. Martin Hollender hat allerdings in einem Beitrag im - leider wirklich - letzten Heft der "Buchhandelsgeschichte" vom Dezember 2002 darauf aufmerksam gemacht, dass bereits für das Jahr 1940 ein internationaler Kongress für Bibliothekswesen und Bibliographie in Berlin und Leipzig geplant war: "’Auf Wiedersehen 1940 in Berlin.’ Die gescheiterten Planungen für den Dritten Internationalen Kongress für Bibliothekswesen und Bibliographie." Der Kongress fand aus Kriegsgründen nicht statt, aber es ist immerhin erstaunlich, dass sich die Appeasementpolitik so stark auch im internationalen Bibliothekswesen etabliert hatte und dass man ernsthaft in Erwägung zog, im nationalsozialistischen Deutschland zu tagen. Nun ja, die internationalen Organisatoren der Olympischen Spiele von 1936 hatten nichts anderes getan.

Nach dem Krieg waren die Beziehungen der IFLA zu Deutschland immer doppelte, denn es hieß nun entweder IFLA und Deutschland/West oder IFLA und Deutschland/Ost. Vier IFLA-Konferenzen fanden auf deutschem Boden statt, nämlich 1956 in München, 1968 in Frankfurt am Main, 1981 in Leipzig und 1983 nochmals in München. Das gedoppelte deutsche Engagement in der IFLA war in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bedeutend. Immerhin sind nach dem Krieg zwei Deutsche zu IFLA-Präsidenten gewählt worden, nämlich Gustav Hofmann (1958-1963) und Hans-Peter Geh (1985-1991). Die Verdienste Gehs um die IFLA wurden darüber hinaus dergestalt gewürdigt, dass er zum Ehrenpräsidenten der IFLA ernannt wurde. Viele andere deutsche Bibliothekarinnen und Bibliothekare haben sich seitdem in der IFLA engagiert.

Die Beziehungen der IFLA zu Deutschland sind seit Mitte der neunziger Jahre ganz besonders Beziehungen zur Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände gewesen. Seit 1997 ist die BDB Mitglied der IFLA, und ihrer damaligen Sprecherin, Birgit Dankert, dem damaligen Mitglied des Executive Boards, Klaus-Dieter Lehmann, und Claudia Lux ist es vor allem zu danken, dass die Bemühungen der BDB im August 1998 erfolgreich waren, die IFLA-Konferenz 2003 nach Berlin zu holen.

Der Berliner Kongress 2003 steht unter dem Motto " Access Point Library - Bibliothek als Portal". Dies ist ein wunderbares Bild, das eine Fülle von Assoziationen hervorruft: Zugang zum Wissen, zur Information, zu Wissenschaft, Kultur und Bildung kann das Bild vom Portal meinen. Wenn Hafenstädte sich als Tore zur Welt bezeichnen, so hieß dies schon immer Globalität. Bibliotheken stehen heute im Prinzip weltweit jedem zur Verfügung, so denn die nötigen Mittel und Kenntnisse vorhanden sind. Sie sind Tore zur Welt der unbegrenzten Information.

An Türen, Toren und Durchgängen war im antiken Rom häufig der Gott des Eingangs zu finden: der doppelgesichtige Janus, jeweils mit einem freundlichen und einem unfreundlichen Gesicht dargestellt. Janus symbolisierte den örtlichen und auch den zeitlichen Durchgang, nämlich den von der Vergangenheit in die Zukunft. Die Vergangenheit wie die Gegenwart des deutschen Bibliothekswesens werden die Miene eines Betrachters im Jahre 2003 abwechselnd freundlich erhellen oder in Betrübnis verdunkeln. Wir wollen dies einmal im Dekadenrhythmus rückblickend an einigen Ereignissen verdeutlichen und diese auch nach ihren Beziehungen zu unserer Gegenwart befragen.

Wir begegnen im 20. Jahrhundert erst 1913 einem für unsere Zwecke brauchbaren Geschehen, nämlich der Inbetriebnahme der Deutschen Bücherei in Leipzig, die im Jahr zuvor gegründet worden war - gegründet, wohl gemerkt, auf Initiative des Börsenvereins für den deutschen Buchhandel, nicht des deutschen Staates! Während in anderen europäischen Staaten schon seit Jahrzehnten oder gar seit Jahrhunderten Nationalbibliotheken im Zentrum des Bibliothekswesens standen, wurde in Deutschland erst im 20. Jahrhundert ein zentrales Institut gegründet, das sämtliche Druckerzeugnisse des Landes sammelte. Zieht man also in Betracht, dass die Deutsche Bücherei erst über 40 Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches ihre Sammeltätigkeit aufnahm, so wird man sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass die Förderung zentraler Bibliotheksaufgaben nicht im Mittelpunkt der Wissenschafts- und Bildungspolitik der deutschen Zentralregierungen stand. Man mag hier eine Kontinuität in der deutschen Geschichte trotz der gewaltigen Umbrüche der letzten 100 Jahre sehen.

Die traditionelle Eigenständigkeit der deutschen Länder im Kultur- und Bildungsbereich hat freilich auch eine Vielfalt kultureller Monumente, zu denen Bibliotheken unbedingt gehören, hervorgebracht, wie sie in zentral regierten Staaten kaum bekannt ist. Thomas Mann hat 1947 in seinem Roman "Dr. Faustus" die deutsche Betonung und Wertschätzung regionaler, ja lokaler Kultur in seiner Beschreibung der fiktiven Stadt Kaisersaschern festgehalten: "aber Kaisersaschern, ein Bahnknotenpunkt, ist mit seinen 27 000 Einwohnern durchaus sich selbst genug und fühlt sich, wie jede deutsche Stadt, als ein Kulturzentrum von geschichtlicher Eigenwürde. Es nährt sich von verschiedenen Industrien [...] und besitzt zu seinem kulturhistorischen Museum, das eine Kammer mit krassen Folter-Instrumenten aufweist, noch eine sehr schätzenswerte Bibliothek von 25000 Bänden und 5000 Handschriften."

So sehr man die durch die kulturelle Eigenständigkeit der Regionen bzw. die Kulturhoheit der heutigen Bundesländer bedingte Vielfalt schätzen und bewundern wird, so zeigt sich andererseits in finanziellen Krisenzeiten, wie schwer es ist, notwendige zentrale Einrichtungen für das Bibliothekswesen zu entwickeln oder zu etablieren. Gesellt sich zu dieser strukturellen Problematik noch politische Unvernunft, so kommt es zu Entscheidungen wie jener Ende des 20. Jahrhunderts, mit der das Anfang der 70er Jahre gegründete Deutsche Bibliotheksinstitut in Berlin (DBI) zur Abwicklung freigegeben wurde. Auseinandersetzungen um die Kulturhoheit der Länder in einer sogenannten Entflechtungsdebatte und wiederum politische Unvernunft führten in unserer unmittelbaren Gegenwart dazu, dass ein schon im Detail geplantes kleines, aber hocheffektives Nachfolge-Institut (Innovationszentrum für Bibliotheken - IZB), nicht etabliert werden konnte. Damit ist eine bundesweite Bibliotheksplanung und -betreuung am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr möglich, und es bleibt den in der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände zusammengefassten Vereinigungen, die sich lautstark, aber erfolglos gegen die genannte Abwicklung bzw. Abtreibung der zentralen Institute gewehrt hatten, die mühselige Aufgabe, wenigstens marginale Reste dieses Scherbenhaufens einer zentralen Bibliotheksbetreuung zu retten bzw. neu zu etablieren.

Zehn Jahre nach Inbetriebnahme der Deutschen Bücherei in Leipzig und einem verlorenen Weltkrieg, sahen sich 1923 die wissenschaftlichen Bibliotheken einer existenzbedrohenden Krise durch die exorbitante Inflation in Deutschland gegenüber. Reguläre Mittel für den Ankauf, vor allem auch ausländischer Literatur, standen nicht zur Verfügung, und viele wissenschaftliche Bibliotheken waren froh, dass sie Dubletten gegen Bares oder auch im Tausch aus ihren Beständen abgeben mussten bzw. konnten. Diese waren laut Versailler Vertrag von Deutschland zur Wiederherstellung der Universitätsbibliothek Löwen abzuliefern, die durch deutschen Artilleriebeschuss zerstört worden war.

In diese Inflationsjahre fällt die Gründung der "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft", die sich später "Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung", kurz Forschungsgemeinschaft nannte. Der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" (DFG), wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg hieß, haben die deutschen Bibliotheken bis in die Gegenwart eine quantitativ wie qualitativ hochwertige und umfangreiche Förderung zu verdanken, so unter anderem auch das landesweite Sondersammelgebietsprogramm.

Dieses Programm wurde nur möglich durch die enge Kooperation der Bibliotheken über Landesgrenzen hinweg. Es ist als positive Folge der föderalistischen Struktur in Deutschland zu werten, dass Bibliotheken wie bibliothekarische Gremien einen entschiedenen Willen zu Zusammenarbeit und Vernetzung zeigen. Man denke beispielsweise an das Erfolgsmodell - nehmt alles nur in allem - des Auswärtigen Leihverkehrs, an die Konstituierung der EDV-Verbünde oder auch an die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, die seit Anfang des 21. Jahrhunderts neben den bibliothekarischen Gremien auch das Goethe Institut Inter Nationes, die Bertelsmann Stiftung und die ekz-bibliotheksservice GmbH unter ihrem Dach vereint. Gerade im deutschen Bibliothekswesen hat sich angesichts der föderalen Struktur (nicht-demokratische Zeiten einmal ausgeklammert) gezeigt, wie erfolgreich Bibliotheken im Interesse ihrer Klientel arbeiten und vor allen zusammenarbeiten können.

In diesem Zusammenhang ist auf das von BDB und Bertelsmann Stiftung initiierte Projekt Bibliotheken 2007 hinzuweisen, das eine Empfehlung für die zukünftige Gestaltung des Bibliothekswesens in Deutschland erarbeiten will, die fachliche und politische Diskussion über Optimierungschancen der Strukturen und Leistungsfähigkeit der Bibliotheken anregen soll und einen übergreifenden Strategieprozess auf den Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen initiieren wird.

Während also das freundliche Janusgesicht auf die Kooperation zwischen deutschen Bibliotheken und Gremien schaut, so möchte sich der rückschauende Betrachter wohl am liebsten abwenden von den entsetzlichen Ereignissen jener zwölf Jahre nach 1933. Freilich dürfen wir gerade dies nicht tun, sondern haben uns unserer Geschichte zu stellen. Der 10. Mai 1933, der Tag, an dem Bücher aus deutschen Öffentlichen Bibliotheken verbrannt wurden, wird für immer zu den schmachvollsten Daten des deutschen Bibliothekswesens gehören. Die historische Forschung hat jene Vorgänge der "Säuberung" und "Gleichschaltung" der Bibliotheken detailliert aufgearbeitet. Allerdings ist ein Kapitel dabei bisher wenig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, auch der bibliothekarischen Öffentlichkeit, gelangt. Die Rede ist von Bibliotheksgut, das in Folge von Beschlagnahmung oder Raub aus dem Besitz jüdischer Bürger oder politisch Verfolgter in die Magazine unserer Bibliotheken gelangt ist. Abgesehen vom Beispiel weniger Bibliotheken und Einzelnachforschungen fehlt es am Anfang des 21. Jahrhunderts immer noch an flächendeckenden Untersuchungen und demzufolge auch an entsprechenden Restitutionen.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Niedersächsische Landesbibliothek gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landtag im November 2002 in Hannover ein Symposium zum Thema "Jüdischer Buchbesitz als Beutegut" [die korrekte Bezeichnung ist "Raubgut"], das internationale Beachtung fand. Als Ergebnis der Tagung forderte der "Hannoversche Appell" dazu auf, in deutschen Bibliotheken systematisch nach Raubgut zu suchen, die Erfahrungen und Erkenntnisse öffentlich zu machen und die identifizierten Bestände den rechtmäßigen Erben der Beraubten, d.h. in der Regel auch der Ermordeten, zurückzugeben. Außerdem empfahl der Hannoversche Appell den bibliothekarischen Ausbildungsstätten, das Fach Bibliotheksgeschichte, insbesondere auch die Zeit des Nationalsozialismus, wieder in ihre Curricula aufzunehmen.

Der Hinweis im Hannoverschen Appell auf dieses Desiderat in der bibliothekarischen Ausbildung hängt mittelbar mit einer Diskussion zusammen, die seit einigen Jahren heftig in Deutschland geführt wird. Diskutiert wird die Frage, ob es sinnvoll ist, Bibliotheken weiterhin auch mit konventionellen Medien, also Büchern und Zeitschriften, auszustatten oder gänzlich auf elektronische Medien zu setzen. Die Diskussion berührt in gewisser Weise auch ein Phänomen, das Ray Bradbury vor 50 Jahren in seinem Roman "Fahrenheit 451" visionär beschrieben hat. Bradbury schilderte 1953 eine Gesellschaft, in der Bücher verboten und verbrannt, Bücherbesitzer und Bücherleser verfolgt werden. (Fahrenheit 451, das sind 223 Grad Celsius, bei dieser Hitze entzündet sich Papier.) Die Menschen in diesem Staat werden ausschließlich vom Fernsehen und elektronischen Medien informiert und unterhalten. Auf diese Weise hat sich bei Bradbury ohne politischen Zwang eine Massengesellschaft entwickelt, in der das Wort Individualismus zum Schimpfwort geworden ist.

Nun sieht die deutsche Demokratie Anfang des 21. Jahrhunderts keinesfalls so aus wie der von Ray Bradbury beschriebene Staat. Doch deutet manches darauf hin, dass Faszination wie Notwendigkeit der elektronischen Kommunikation dazu geführt haben, dass Bibliotheken und ihre Gremien in Gefahr stehen, ihre eigene Vergangenheit und damit die ungeheuren Geistesschätze, für die sie verantwortlich sind, zu vernachlässigen. Eine gewisse Verachtung oder doch ein erhebliches Desinteresse gegenüber den Beständen des vordigitalen Zeitalters scheint sich vieler Orts breit gemacht zu haben. Dies aber könnte dazu führen, dass in Deutschland nicht mehr genügend Medienspezialisten ausgebildet werden, die in der Lage sind, diese historischen Geistesschätze zu heben.

50 Jahre nach dem Erscheinen von "Fahrenheit 451" zeigen sich zudem eklatante Schwächen des deutschen Bildungs- und Ausbildungssystems. Internationale wie nationale Untersuchungen haben der Jugend unserer großen Industrienation einem in weiten Teilen mangelhaften Bildungsstand bescheinigt; so sind etwa die Daten über die Lesekompetenz erschreckend. Die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, die Stiftung Lesen und viele andere politische, kulturelle und gesellschaftliche Gruppierungen dringen daher auf umfassende Bildungsreformen. Dazu gehört, dass die Bibliotheken trotz oder gerade wegen der finanziellen Krise der öffentlichen Hände in stärkerem Maße gefördert werden müssen als bisher. Leseförderung bleibt eine wesentliche Aufgabe unserer Bibliotheken, gerade auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Medienkompetenz nur auf der Grundlage der Kulturtechnik des Lesens erlangt werden kann.

Vor 30 Jahren war die Situation im westlichen Teil Deutschlands noch geprägt von großer Hoffnung und Aufbruchstimmung. Im Bibliotheksplan ’73 wurden zukunftsträchtige Standards für die Ausstattung von Öffentlichen wie wissenschaftlichen Bibliotheken fixiert und eine stärkere Kooperation zwischen den verschiedenen Sparten des Bibliothekswesens angemahnt. Wenn auch die geforderten Standards beispielsweise in den Kommunen in den folgenden Jahren nur selten erreicht wurden, so konnten die Öffentlichen Bibliotheken doch erheblich ausgebaut werden. Im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken kam es zu zahlreichen Neugründungen an den Hochschulen.

Auf zwei Leistungen in den vergangenen 30 Jahren können die deutschen Bibliotheken wie die sie vertretenden Gremien mit Genugtuung und Stolz zurückblicken. Die deutsche Wiedervereinigung Anfang der 90er Jahre wurde im Bereich der Bibliotheken höchst effektiv, rasch und angenehm geräuschlos vollzogen. Dazu mag beigetragen haben, dass die deutschen Bibliothekarinnen und Bibliothekare beider Teilstaaten trotz politischer und gegenständlicher Barrieren den Kontakt untereinander auf einer sachlichen, auch kollegialen Ebene in den Jahrzehnten zuvor nie ganz verloren hatten. Wesentlichen Anteil an diesem Zusammenwachsen hatten dabei die unter dem Dach der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände zusammengefassten Vereine.

Eine erste und insgesamt gesehen sehr positive Bestandsaufnahme des Bibliothekswesen im vereinten Deutschland konnte die BDB vor 10 Jahren mit dem nach wie vor unverzichtbaren Band "Bibliotheken ’93. Strukturen, Aufgaben, Positionen" vorlegen. In diesem Band wird der Stand des deutschen Bibliothekswesens am Vorabend der Jahrhundertwende en gros und en detail beschrieben. Ein Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung und eine internationale Vernetzung werden darin nicht nur für die wissenschaftlichen, sondern auch für die Öffentlichen Bibliotheken angemahnt. Und damit ist der zweite Bereich benannt, in dem deutsche Bibliotheken in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte zu verzeichnen haben.

Wissenschaftliche wie Öffentliche Bibliotheken in Deutschland sind heute Bestandteil der globalen digitalen Informationsgemeinde und können im internationalen Vergleich bestehen. Während also der Forderung von "Bibliotheken ’93", dass Deutschland bei der Produktion und Nutzung von elektronischen Medien und Netzen eine führende Rolle gewinnen solle, im wesentlichen entsprochen wurde - wenn auch diese Forderung permanent bestehen bleibt - so betrachtet man die Erfüllung der übrigen Punkte des Forderungskataloges von 1993 mit erheblichen Bedenken; sie sind bisher leider nicht gegenstandslos geworden:

"Die Öffentlichen Bibliotheken gehören nicht zu den kommunalen Pflichtaufgaben - deshalb wird in Zeiten knapper Kassen zuerst bei ihnen gekürzt. In den Universitäten vergrößern sich bei stagnierenden Mitteln aber steigenden Buch- und vor allem Zeitschriftenpreisen sowie dem zusätzlichen Bedarf an elektronischen Medien die Defizite im Literaturangebot in erschreckendem Maße. Dabei waren Bibliotheken und ihre Dienstleistungen noch nie so dringend erforderlich wie heute; denn es wird entscheidend für unsere Zukunft sein,

Dass an vielen Orten offen die Schwierigkeiten der deutschen Bibliotheken in der Gegenwart benannt werden, zeigt, dass die Probleme erkannt sind, was ja immer die Voraussetzung zu ihrer Behebung ist. Dabei ist es unzweifelhaft, dass Deutschland mit einem höchst effektiven und gut funktionierenden Bibliotheksnetz gesegnet ist. Die in seinen Bibliotheken vorhandenen historischen wie aktuellen Geistesschätze sind es wert, erschlossen und der Welt präsentiert zu werden. Mit seinen Öffentlichen Bibliotheken kann Deutschland einen Beitrag zur Bildung und zum Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen leisten. Dies dürfte auch einer der Gründe sein, warum die IFLA ihren Kongress 2003 in Berlin veranstaltet. Für das wiedervereinigte Deutschland ist das eine große Ehre und Freude. Es ist zu hoffen, dass von diesem Kongress Impulse ausgehen, die die internationale bibliothekarische Zusammenarbeit und die kulturelle Verständigung in Frieden, Kollegialität und vielleicht sogar Freundschaft stärken.

Zum Autor

Dr. Georg Ruppelt ist Sprecher der

BDB (Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände)

und Direktor der

Niedersächsischen Landesbibliothek

Waterloostraße 8
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E-Mail: georg.ruppelt@zb.nlb-hannover.de