Wiederaufbau und Erweiterung der Bibliotheca Albertina in Leipzig

Feierliche Übergabe und Einweihung zum Abschluss des Wiederaufbaus

von Robert Klaus Jopp

Nun ist mit der Fertigstellung des Wiederaufbaus des Westflügels, der repräsentativen Treppenhalle und des großen Lesesaals die Universitätsbibliothek Bibliotheca Albertina in Leipzig nach den erheblichen Kriegsschäden und der fast fünfzig Jahre dauernden baulichen Vernachlässigung nicht nur wieder aufgebaut, sondern auch erweitert worden. Die festliche Einweihung fand am 24. Oktober 2002 statt. Damit ist eine der bedeutendsten und ältesten akademischen Bibliotheken Deutschlands nicht nur wieder voll funktionsfähig, sondern auch räumlich und technisch auf einen modernen Stand gebracht. Die Albertina verfügt nun über eine Hauptnutzfläche von 19.886 m². Die Speicherkapazität in den Magazinen beläuft sich auf 3.200.000 Bände, dazu kommen 400.000 Bände in den Freihandbereichen. Den Benutzern stehen 758 Lese- und Arbeitsplätze zur Verfügung; 130 Arbeitsplätze sind für die Mitarbeiter der Bibliothek vorgesehen (Abb. 1).

Zu diesem Anlass wurden von der Universitätsbibliothek Leipzig und vom Staatshochbauamt Leipzig zwei vorzügliche Schriften vorgelegt:

Zunächst zur Festschrift: Nach einem Grußwort des Ministerpräsidenten und einem Vorwort des Rektors gibt diese Festschrift einen guten Überblick über die - vor allem bauliche - Geschichte der Universitätsbibliothek Leipzig. Eingeleitet wird sie von einem Beitrag von Ekkehard Henschke zur Weiterentwicklung einer Forschungsbibliothek zu einer modernen Universitätsbibliothek. Dieser Aufgabe hat sich der Autor seit 1992 als Direktor der Albertina mit großem Erfolg gewidmet. Die große Herausforderung bestand darin, dass die bis dahin eher hierarchisch bestimmte Organisation der Bibliothek in eine team-orientierte Struktur weiterentwickelt werden musste. Ekkehard Henschke wurde dabei sehr weitgehend von den Mitarbeitern unterstützt. Zwei weitere Beiträge widmen sich der Vorgeschichte des Bibliotheksbaues von Arwed Roßbach sowie dem Neubau der Albertina im späten 19. Jahrhundert. Claudia-Leonore Täschner schildert die bauliche Entwicklung der Bibliothek seit ihrer Zerstörung bis zum Wiederaufbau nach der Wende - ein eindrucksvolles Dokument für die Initiative, die alle Beteiligten beim Wiederaufbau gezeigt haben, zumal die sehr umfangreichen Wiederaufbauarbeiten bei laufendem Bibliotheksbetrieb erfolgen mussten, was immer wieder sowohl organisatorische Provisorien als auch häufige Umzüge innerhalb des Hauses erforderte. Sorgfältig, systematisch und bis ins Detail gehend ist der Textbeitrag der mit dem Projekt befassten Architekten Herwig, Jaenisch, Liebscher und Börner aus dem Planungsbüro HJW + Partner, Hannover, zum Wiederaufbau und zur Erweiterung des Gebäudes. Bemerkenswert die Umsicht, mit der die historische Substanz mit den technischen und organisatorischen Anforderungen einer modernen Bibliothek in Einklang gebracht werden konnte.

Der Band wird ergänzt durch eine interessante Übersicht über die Entwicklung der Zahl der Leseplätze, der Kapazität und der Flächen, durch eine Literaturübersicht sowie eine Anzahl von vorzüglichen Abbildungen und die Wiedergabe von Plänen.

Zur Informationsschrift des Staatshochbauamtes: Die Veröffentlichung stellt eine vorbildliche Dokumentation der Wiederaufbauarbeiten dar. Diese Arbeiten werden zu den drei Bauabschnitten bis ins technische Detail ausführlich von Vertretern des Staatshochbauamtes und der Architektengruppe beschrieben. Zahlreiche Abbildungen und Grundrisse erläutern die Texte und hervorragende Fotografien von Werner Drescher, Leipzig, visualisieren diese.

Der Gunst der Stunde war es zu verdanken, dass sehr schnell nach der Wende nicht nur die Planung sondern auch die Arbeiten für den Wiederaufbau durch das Architektenbüro HJW + Partner in Hannover, zusammen mit dem Staatshochbauamt Leipzig, in Angriff genommen werden konnten. Der Berichterstatter hatte bereits in dieser Zeitschrift (B.I.T.online Heft 1/99, S.73-80) über die bis Ende 1998 geleisteten Wiederaufbauarbeiten berichtet.

Der damalige Bericht bezog sich auf die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts, der vor allem den Wiederaufbau des im zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörten und während der DDR-Zeit noch nicht einmal ausreichend gesicherten Ostflügels umfasste. Im Rahmen dieses Wiederaufbaus wurde vermittels einer Stahlbeton-Rahmenkonstruktion sowohl ein zusätzliches Untergeschoss für die Aufnahme von Kompaktregalanlagen als auch mehrere zusätzliche Zwischengeschosse für den Benutzungsbereich gewonnen; dazu wurde der östliche Innenhof mit einer Glasüberdachung versehen, sodass seine Fläche nun dem Benutzungsbereich zugute kommt. Die Fassade des Ostflügels wurde mit großer Sorgfalt gemäß dem Originalbefund wiederhergestellt.

In der Zwischenzeit wurde zunächst der zweite Bauabschnitt mit der Wiederherstellung des historischen Treppenhauses und des historischen Lesesaals sowie danach der dritte - und damit letzte - Bauabschnitt mit der Überbauung des Innenhofes West vollendet.

Das historische Treppenhaus konnte zusammen mit dem Vestibül in seiner ursprünglichen Form und Schönheit wiederhergestellt werden (Abb. 3). Dazu mussten erst einmal die fünfundvierzig Jahre lang Wind und Wetter ausgesetzten Überbleibsel des Treppenaufganges (Abb. 2) abgeräumt und danach wieder aufgebaut werden, wobei einige Räume im Untergeschoss mit ihren schönen Wölbkappen zu einem kleinen Bibliotheksmuseum ausgebaut wurden, in dem nun kostbare Schätze des Hauses gezeigt werden. Bei den Rekonstruktionsarbeiten für den Treppenaufgang gab es eine Überraschung: Im Hohlraum einer Zwischendecke entdeckte man zwölf Thorarollen, die offensichtlich während des Dritten Reiches von Unbekannten vor den Nazis versteckt worden waren. Vestibül und Treppenaufgang stellen sich nun wieder in der originalen Form dar.

Zu erwähnen sind natürlich die acht stämmigen schwarzen Marmorsäulen des Vestibüls, die erhalten geblieben sind und lediglich aufgearbeitet werden mussten.

Der historische Lesesaal an der Nordseite, für dessen Form und Konzeption Arwed Rossbach sich vor allem von dem großen Lesesaal der British Library hatte anregen lassen, wurde in der halbkreisförmigen baulichen Grundform mit dem Lesesaal und dem umgebenden Rundgang mit den Bogenfenstern, nicht aber im Detail wiederhergestellt, um den heutigen Anforderungen Rechnung zu tragen (Abb. 4 + 5); zudem wurde, in Anlehnung an die dokumentierte ursprüngliche Form, eine Galerie in einer leichten Stahlkonstruktion eingebaut, was einen Wiedergewinn an Flächen für Arbeitsplätze und Buchaufstellung bedeutet. Die Einrichtung entspricht der des bereits 1998 fertiggestellten Ostflügels mit den gut proportionierten und beleuchteten Arbeitstischen und den vorzüglichen Stühlen, die nach einer unbefriedigend ausgefallenen Bemusterung durch heutige Anbieter den maßlich geringfügig veränderten Stühlen der Ersteinrichtung von 1891 von einer sächsischen Tischlerfirma nachgebaut wurden. Der große Lesesaal wie auch die Lesesäle im Ostflügel und im Westflügel wurden mit Doppelböden ausgestattet. Unter dem großen Lesesaal und dem umgebenden Rundgang wurden zwei Magazingeschosse eingerichtet.

Der dritte Bauabschnitt schließlich umfasste die Sanierung des Westflügels des Bibliotheksgebäudes, ohne dass hier, wie im Ostflügel, weitere unterirdische Magazingeschosse eingebaut wurden. Der Innenhof West wurde, wie schon im Ostflügel, mit einer Glaskuppel überdacht, sodass hier ebenfalls ein sehr schöner Lesesaal entstanden ist. Im Südteil des Westflügels wurde der von Kriegsschäden kaum betroffene alte Katalogsaal sorgfältig restauriert und präsentiert sich mit seiner Holzvertäfelung fast wieder in seiner originalen Form (Abb. 6). Hier sind vor allem die alten Band- und Zettelkataloge untergebracht. In den den Innenhof umgebenden Gebäudeflügeln befinden sich Buchstellflächen, Arbeitsplätze und auch einige Diensträume; im Westflügel an der Grassistraße wurde, entsprechend dem Ostflügel an der Seyfferthstraße, ein Fluchttreppenhaus eingebaut, um den heutigen Sicherheitsvorschriften genüge zu tun.

Die Baukosten betrugen insgesamt 65.000.000 Euro, wovon der Löwenanteil mit 33.300.000 Euro auf den ersten Bauabschnitt und 13.300.000 Euro auf den dritten Bauabschnitt anzurechnen sind.

Zugleich mit der Einweihung der Bibliotheca Albertina wurde auch das gegenüber an der Beethovenstraße von den Stuttgarter Architekten Hans-Jürgen Dietrich und Marion Dietrich-Schaake errichtete neue Gebäude der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig eingeweiht, eine enge Nachbarschaft, die sich bestimmt nur positiv auswirken kann.


Zum Autor

Robert Klaus Jopp ist Architekt und Bibliotheksbauberater

Fürstenstraße 6
D-14163 Berlin
Tel.: (030) 805 809 57


Verzeichnis der Abbildungen (habe rot markiert, damit man sieht, wo etwa vorgesehen)

Abbildung 1: Die Eingangspartie der Bibliotheca Albertina an der Beethovenstraße

Abbildung 2: Die Haupttreppenhalle im Jahre 1992

Abbildung 3: Die Haupttreppenhalle im Jahre 2002

Abbildung 4: Der große Lesesaal

Abbildung 5: Der große Lesesaal von NO

Abbildung 6: Der Katalogsaal