Der Benutzer wird zum Maß aller Dinge

Bericht von der comInfo 2003 - Fachmesse für Wissensmanagement

von Vera Münch

Die Zukunft der Bibliotheken ist hybrid - gemischt, aus Verschiedenem zusammengesetzt, wie es der Fremdwörter-Duden erklärt. Also ganz schlicht: Die Bestände sind entweder auf Papier gedruckt, digitalisiert offline oder online verfügbar, kommen auf Mikrofilm und Magnetband daher oder sind auf einem anderen Ton- oder einem Datenträger aufgespielt. Bezieht man die Musik, Fotografie und die Videotechnik in den Archivierungs- und Informationsbereitstellungsauftrag der Bibliotheken mit ein, wird schnell klar, das viele Bibliotheken schon sehr lange ziemlich "hybrid" sind. Fachspezifische Literaturdatenbanken als Ergänzung zu den elektronischen Bibliothekskatalogen und den traditionellen Zettelkästen sind ebenfalls seit Jahren täglich benutztes Arbeitsmittel für Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Wo also findet die digitale Revolution statt, die den großen Strukturwandel in der Bibliothekslandschaft eingeleitet hat?

Informationswirtschaft unterstützt die Neuorganisation

Es ist die weltweite Vernetzung der Information. Sie bedeutet, dass Bestände künftig nicht mehr vor Ort bereitgehalten werden müssen, sondern bei Bedarf in Sekundenschnelle aus dem Netz gezogen werden können. Die große Herausforderung liegt darin, neue Organisationsmodelle für die parallele Bewahrung und Bereitstellung analoger und digitaler, eben auch nicht mehr physisch vor Ort aufbewahrter Informationen zu entwickeln und eine dafür geeignete Infrastruktur vor Ort aufzubauen. Hier müssen sich die Bibliotheken neu definieren und viel eigenes Engagement an den Tag legen. Das Problem ist bekannt, doch sind bei weitem nicht alle Bibliotheken auf dem gleichen Entwicklungsstand. Naturgemäß haben die Zentralbibliotheken und die wissenschaftlichen Fachbibliotheken, denen an den Hochschulen kompetente Entwicklungspartner und eine gute Infrastruktur zur Verfügung stehen, die Nase vorn. Das soll sich ändern. "Nutzerorientierung" und "Mehrwert" heißen die Zauberworte. Auf der comInfo 2003 waren sie in aller Munde. Hinter diesen Formeln verbirgt sich eine strenge Ausrichtung der Informationsangebote auf den Bedarf der Informationskunden sowie umfassende Unterstützung bei der Integration von Softwarelösungen bis hin zur externen Übernahme der technischen Steuerung des Informationsmanagements (IT-Outsourcing und Hosting). Auf der Leitmesse der Informationswirtschaft Anfang Juni im Forum Messe Frankfurt zeigten 58 Aussteller Angebote zu allen diesen Bereichen. 3.173 Besucherinnen und Besucher ließen sich informieren.

Sonderprogramm für den Nachwuchs

Für den Nachwuchs im Beruf gab es sogar ein Sonderprogramm. Bei einem Newcomer-Tag konnten sie die Branche in geführten Messerundgängen kennen lernen. 404 Studierende, hauptsächlich von Hochschulen aus Darmstadt, Hamburg, Köln, Potsdam, Saarbrücken und von der Schweizer HTW Chur nutzten die Chance.

Die parallel zur Messe veranstaltete Online-Tagung der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis e.V. (DGI) verzeichnete 801 Fachbesucherinnen und -besucher. Unter dem Motto: "Competence in Content" bildeten sie sich beruflich weiter und tauschten ihr Wissen über neue Entwicklungen im Bereich der digitalen Information untereinander aus. Das Programm kann unter www.comInfo2003.de oder www.dgi-info.de eingesehen werden. Den Tagungsband gibt es bei der DGI. Sie ist Träger sowohl der Messe, als auch der Konferenz. DGI-Präsidentin Dr. Gabriele Beger, im Hauptberuf Leiterin der Berliner Stadtbibliothek in der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin, war mit dem Erfolg hoch zufrieden: "Die Besucherinnen und Besucher der Fachtagung sind die Kunden der Aussteller, die Newcomer ihre zukünftigen Geschäftspartner. Die gemeinsame Veranstaltung von Kongress und Messe kommt so allen zu Gute". Peter Genth, Geschäftsführer des FIZ Technik, ergänzte: "Der deutschsprachige Raum braucht eine Leitmesse der Informationswirtschaft". Genth hatte mit weiteren Vertretern der Informationswirtschaft als Ausstellerbeirat das Messekonzept für die comInfo 2003 gemeinsam mit der DGI ausgearbeitet.

vascoda.de - Der Grundstein der Digitalen Bibliothek Deutschland

Wohin die Reise in die Zukunft der Informationsversorgung geht, zeigte der Prototyp von vascoda.de. Das Meta-Portal bündelt als zentrale Anlaufstelle im Internet Informationsangebote aus derzeit 37 Bibliotheken, Forschungsinstituten und Informationseinrichtungen, die irgendwann mit Hilfe öffentlicher Mittel aufgebaut wurden. vascoda wird gemeinsam vom Bundesforschungsministerium (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Eingebunden sind bereits so gut wie alle (zur Zeit rund 30) virtuellen Fachbibliotheken (ViFas), die vier großen Informationsverbünde EconDoc (Wirtschaft), GetInfo (Naturwissenschaft und Technik), infoconnex (Pädagogik, Sozialwissenschaften, Psychologie) und Medizin sowie die Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB). Das Meta-Portal ist so angelegt, dass kontinuierlich weitere Partner aus allen wissenschaftlichen Disziplinen angeschlossen werden können. Eine aktuelle Liste der Partner wird auf der Homepage unter www.vascoda.de bereitgestellt. Die erste öffentliche Freischaltung von vascoda ist zur internationalen Bibliothekskonferenz IFLA Anfang August in Berlin (1.-9.8.2003) geplant.

Strategiepapier zur Zukunft der wissenschaftlichen Information

In dieser Zusammenführung von Informationseinrichtungen sieht die Politik eine Stärkung der deutschen Informationsversorgung. vascoda ist eines der ersten Ergebnisse eines Konzeptes, das vom BMBF im vergangenen Jahr erarbeitet und als "Strategisches Positionspapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Zukunft der wissenschaftlichen Information in Deutschland" unter dem Titel "Information vernetzen - Wissen aktivieren" veröffentlicht wurde. Kernaussagen des Strategiepapiers: Informationsangebote müssen sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren und die bestehenden Infrastrukturen müssen neu ausgerichtet werden - hin zu zukunftsfähigen, vernetzten Informationssystemen. Zitat: "Weil sich die Aufgaben und Tätigkeiten der traditionellen Informationseinrichtungen (Bibliotheken, Fachinformationseinrichtungen) aufeinander zu bewegen, muss eine neue Aufgabenaufteilung gefunden werden". In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Ministerialdirektor Peter Krause vom BMBF auf der comInfo 2003, vascoda könne der Grundstein einer "Digitalen Bibliothek Deutschland" werden. "Der Benutzer", so Krause, "erhält bei vascoda eine klare Schnittstelle, mit der er - laienhaft gesagt - wie mit Google mit einem Suchbegriff recherchieren kann. Aber hinter diesem Portal organisieren sich die Fachinformationsanbieter in eigener Verantwortung". Damit sei die derzeitige Unübersichtlichkeit der Fachinformationslandschaft für den Anwender unsichtbar. Das Strategiepapier war auf der Messe und der Konferenz ein vieldiskutiertes Thema. Die Broschüre kann beim BMBF unter books@bmbf.bund.de oder Tel. 01805 / 26 23 03 bestellt werden.

Hybride Softwaresysteme fürs Bibliotheksmanagement

Auch die kommerzielle Informationswirtschaft, die Bibliothekslandschaft und die Software-Häuser, die sich mit Informations-Retrieval- und Informationsmanagementlösungen beschäftigen, wachsen immer mehr zusammen. So traf man auf der comInfo 2003 Zulieferer, Verarbeiter und Informationsanbieter unter einem Dach. Mit Astec, Bond, Ex Libris und Libero stellten wichtige Anbieter von Bibliotheksmanagementsoftware ihre Produkte und Neuheiten vor. "Hybridfähig" im besten Sinne des Wortes ist DigiTool, Ex Libris' Software zur Verwaltung digitaler Objekte in Firmen- und Hochschulbibliotheken. Aufgebaut unter Berücksichtigung der Standards XML / Z 39.50 und METS erlaubt DigiTool die Verwaltung von Video, Audio, Images, Fotos und Volltexten. Gescannte historische Bestände werden damit komplett recherchierbar. Nach dem Kauf des Einstiegmodells für eine bestimmte Zahl von Objekten kann die Software bei Bedarf erweitert werden (www.exl.de).

Bond Bibliothekssysteme, nach eigener Aussage mit "Bibliotheca 2000" Marktführer im Bereich der öffentlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum, hat ein neues Online-Portal im Angebot, mit dessen Hilfe Bibliotheken ihren Service und die Bestände den Bibliotheksbenutzern übers Internet öffnen können. Das Web-Portal setzt auf dem Web-OPAC von Bond auf. Es stellt von der Suche über die Fernleihe im Selbstbedienungs-Modus bis hin zur Einrichtung von personalisierten Leseempfehlungen innovative Funktionen bereit (www.bond-online.de).

Libero, das Bibliotheks-Software-System der Lib-IT GmbH, arbeitet nach Auskunft des Unternehmens mittlerweile in zahlreichen wissenschaftlichen, öffentlichen und Spezial-Bibliotheken unterschiedlichster Größe, vom Einplatz-System bis zum Verbundsystem mit 300 Plätzen. Neben der Bereitstellung des nach Firmenaussagen "sehr ausgereiften Produktes" legt Lib-IT seinen Schwerpunkt vor allem auf fachkundige Beratung bei Organisation, Datenübernahme und Datenkonvertierung (www.libit.de).

Im Intranet in externen Online-Datenbanken recherchieren

Eine neue Variante zur Einbindung von externen Online-Datenbanken, Alert-Service- und Recherche-Ergebnissen in Intranets bietet der wissenschaftlich-technische Datenbankverbund STN International mit STN Easy for Intranets an. Nach Aussage von Wendelin Detemple, Abteilungsleiter E-Business am Fachinformationszentrum (FIZ) Karlsruhe, "übernimmt der Informationsprofi dabei die Rolle eines Site Administrators, der die Zugriffsrechte, das "Look & Feel" und weitere Parameter für die Recherche festlegt". Dadurch könne man aus dem Intranet von Unternehmen, Organisationen, Hochschulen etc. auf die Datenbanken im Web-Informationsangebot STN Easy zugreifen. Gleichzeitig sei STN Easy for Intranets auch als externe Plattform für die zentrale Bereitstellung von Recherche- oder Alert-Service-Ergebnissen einsetzbar. Die Einbindung ins Intranet erfordert keine lokale Software-Installation. Alle spezifischen Einstellungen, die der Administrator für seine Endnutzer eingerichtet hat, werden auf den Servern von STN gespeichert. Die Prüfung der Zugriffsrechte läuft ebenfalls dort. Darüber hinaus lassen sich in STN Easy for Intranets üblicherweise im Haus genutzte Volltext-Informationsquellen wie OPACs und elektronische Bestände von Firmen- oder Hochschulbibliotheken einbinden. Der Lieferung der Volltexte aus den eigenen Beständen kann über Verwaltungsfunktionen Priorität eingeräumt werden.

Staudinger für 100 Euro Flatrate, unbegrenzte Nutzung

Die Branche lässt sich etwas einfallen, um ihre Kunden bei der Stange zu halten beziehungsweise neue Kunden zu gewinnen. Dazu gehören auch Rabatte und andere offensive Preismodelle. Westlaw.DE, ein neuer, erst zwei Monate vor der comInfo 2003 auf den Markt gebrachter Online-Service für Juristen bietet den kompletten Staudinger für 100 Euro monatlich an - Nutzung unbegrenzt. Staudinger-Abonnenten können darüber hinaus auf die anderen Inhalte in Westlaw.DE auf Basis von Einzeldokument-Abrechnung (Pay-per-Dokument) zugreifen. Inhalt: Rechtsinformationen aus deutschen Fachverlagen, darunter z.B. Nomos, Deubner, DFV und andere.

Der neue juristische Informationsdienst wird von der Westlaw Datenbank GmbH, Frankfurt angeboten. Sie ist eine 100%ige Tochter des kanadischen Informationskonzerns Thomson, der auch im Bereich der wissenschaftlichen Fachinformation immer stärker auf den europäischen Informationsmarkt drängt.

SpringerLink wird jetzt von MetaPress gehostet

Ansonsten gab es auf comInfo 2003 einige neue Datenbanken mit Inhalten zu jungen Forschungsgebieten und jede Menge Detailverbesserungen bei bestehenden Angeboten zu sehen - aber wenig wirklich Innovatives. Dass der wissenschaftliche Springer-Verlag seinen Online-Service SpringerLink seit Anfang Juni von MetaPress technisch betreuen und online bereitstellen lässt, ist eigentlich auch keine große Meldung. Höchstens vor dem Hintergrund von "Mehrwert" und "Nutzerorientierung", denn nach Aussage von Springer bezweckt die Kooperation, "die Millionen täglicher Zugriffe und Anfragen besser zu bewältigen und einen weltweiten effizienten und ausfallfreien Service zu garantieren". SpringerLink bekommt durch MetaPress verfeinerte Alert-Funktionen, mehr Suchmöglichkeiten und mehr Verknüpfungen zu weiteren Angeboten. Der Nebeneffekt: Springer braucht sich um die Technik künftig nicht mehr selbst so intensiv kümmern, wie das in den Aufbaujahren der Fall war. Es scheint so, als ginge der Trend in die Zukunft zurück zu einer Arbeitsteilung, die es vor dem Online-Informationszeitalter im Verlagsbereich schon einmal gab: Die Verlage sind für die Inhalte zuständig. Die Druckereien für die Technik. Im Sprachgebrauch moderner Betriebswirtschaftslehre(n) würde man die Entwicklung so formulieren "IT-Outsourcing unterstützt zunehmend die Konzentration auf die Kernkompetenzen".

MetaPress ist übrigens eine Tochter von EBSCO Industries.