Dangschatt, Ebba: Erlesene Orte

- Hildesheim: Gerstenberg, 2002. 207 S.
ISBN 3-8067-2881-X. Euro 39,90

Als der Rezensent das Buch Bücherwelten: von Menschen und Bibliotheken mit Texten von Susanne von Meiss und Fotos von Reto Guntli aus dem Gerstenberg-Verlag vorstellte (1), glaubte er an eine "Eintagsfliege" des renommierten Verlags. Er hatte nicht damit gerechnet, dass drei Jahre später mit einem Band von Ebba Dangschatt unter dem Titel Erlesene Orte das Thema der Bücherwelten in beeindruckender Weise fortgesetzt wird.

Meiss und Guntli schufen ein opulentes Buch voller unterschiedlicher Einblicke in Lebens- und Lesewelten. Neben großartigen Büchertempeln wie der Stiftsbibliothek in St. Gallen finden sich die Bibliotheken privater Sammler und deren bibliophile Leidenschaften - von Inge Rodenstock bis Siegfried Unseld.

Ebba Dangschatt fotografierte und porträtierte 53 Personen der Zeitgeschichte aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur und zeigt hier die Wahl ihrer Lese-Orte. Für alle sind Bücher Lebens-Mittel, und für jeden von ihnen gehört zum Lesen der ganz besondere, der "erlesene" Ort. Eine sehr schöne Ergänzung zu den Fotos sind Textstellen aus dem Lieblingsbuch des Porträtierten.

Es ist ein wunderschönes Buch zum Schmökern, Entdeckungen inklusive. Wir sehen u.a. den Architekten Hans Kollhoff in seiner Bibliothek mit "Galilei vermisst Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen" von Durs Grünbein, den Schauspieler Otto Sander im Wohnzimmer mit "Mercier und Camier" von Samuel Beckett, die Autorin und Filmregisseurin Doris Dörrie in freier Natur in einer Hängematte mit dem Band "Meisterzählungen" von F. Scott Fitzgerald, die Schauspielerin Suzanne von Borsody auf dem Dach ihres Hauses mit Gedichten von Mascha Kaléko, die Clownin Gardi Hutter auf Balkonien mit "Franziska Linkerhand" von Brigitte Reimann und den Gourmetkoch Eckart Witzigmann am heimischen Herd mit "Babettes Fest" von Tania Blixen.

Inzwischen verstorben sind der Verleger Siegfried Unseld, den wir an seinem Stehpult sehen, der Intendant Götz Friedrich, hier am Regiepult ("Ich kann Sie nicht einladen zu den Plätzen, an denen ich am liebsten lese. Das ist mein Bett oder das berühmte 'stille Örtchen'") und die Politikerin Regine Hildebrandt, zu sehen in ihrem Schaukelstuhl im Wohnzimmer ihres Hauses.

Diese Sammlung von Interviews mit und Fotos von Personen und ihren erlesenen Orten, vermischt mit Texten aus deren Lieblingsbüchern, ist - wie die Bücherwelten von Meiss und Guntli - eine vorzügliche Werbung für das Lesen, und es ist ein wunderschönes Buch.

Zum Schluss ein Motto des Theaterregisseurs Claus Peymann: "In jedem Buch verliebe ich mich aufs Neue und finde mich in seinen Figuren wieder. Das Spektrum der Menschen, in die man sich verlieben könnte, ist unendlich, und das ist auch das Schöne am Lesen."


(1) Meiss, Susanne von: Bücherwelten: von Menschen und Bibliotheken / Texte von Susanne von Meiss; Fotos von Reto Guntli. 2. Aufl. Hildesheim, 1999. 256 S.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin