Im Jahre ihres 75. Geburtstages verabschiedete die IFLA mit dem IFLA Internet Manifesto (1) und der Glasgow Declaration on Libraries, Information Services and Intellectual Freedom (2) zwei wichtige Rahmenbedingungen für nationale ethische Grundsätze der Bibliothekare (3) und gab eine Publikation heraus, die in Beiträgen aus 18 Ländern einzelne nationale Kodizes kommentierte und analysierte oder deren Vorbereitung beschrieb. Die Beiträge stammen aus acht europäischen Ländern (Großbritannien, Estland, Litauen, Finnland, Norwegen, Schweden, Russland, Island), aus fünf Ländern des amerikanischen Kontinents (USA, Kanada, Costa Rica, Mexiko, Argentinien,), aus zwei asiatischen Ländern (Japan, Thailand), zwei aus afrikanischen Ländern (Südafrika, Uganda) und in einem Fall - versteckt in der Einführung von Alex Byrne - aus Australien. Äußerungen aus 13 Ländern enthalten ethische Grundsätze, aus drei Ländern sind sie ohne formulierte Grundsätze (Argentinien, Südafrika, Uganda) und aus zwei mit Teillösungen (Norwegen, Mexiko).

Die einzelnen Beiträge weisen große Unterschiede auf. Das betrifft u.a.

1. die bibliothekarische Sichtweise: traditionelle Werte bibliothekarischer Arbeit ("main task of cataloguing, preserving and transmitting the human record", S. 2) und moderne und zukunftsträchtige Aufgaben der Bibliothekare in der Informationsgesellschaft ("globalisation, the digital gap between the information rich and poor, digital inclusiveness, commercialisation of information versus interactive on-line public services, privacy, authenticity, confidentiality, trust and confidence in cyberspace, censorship, copyright, intellectual property rights" S. 2)

2. den Zusammenhang zwischen Bibliotheksethik, Informationsethik und Wissenschaftsethik (Alex Byrne wählt für seine Einführung die Überschrift "Information ethics for a new millenium", er spricht von "this important collection of papers on professional ethics for library and information services")

3. den Einfluss politischer und ökonomischer Entwicklungen der letzten Jahre wie die Bedeutung der Ereignisse des 11. September 2001 für die Sicherheit der Bibliotheken, Bibliotheksbestände, Bibliothekare und Leser (hier besonders der USA PATRIOT Act (4), die Genozide Ende des 20. Jahrhunderts wie in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo sowie das Ausmaß und die Auswirkungen der Globalisierung

4. das Alter, den Umfang und die Aussagekraft der Kodizes (z.B. stammen die ersten Versionen der hier diskutierten Kodizes aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts /USA 1938/, die jüngsten aus dem Jahre 1999 /Litauen und Russland/).

Robert W. Vaagan (Herausgeber und Autor des Vorwortes) und Alex Byrne (Autor einer elfseitigen, ausgezeichneten Einleitung) haben ein großes Verdienst daran, dass die in dieses Buch aufgenommenen Beiträge einen wichtigen "Reader" zur Bibliotheksethik ergeben und so eine wichtige Voraussetzung für weitere Diskussionen sind.

Es ist zu hoffen, dass diese Aufsatzsammlung andere nationale Bibliotheksverbände ermutigt, auf Konferenzen der IFLA und in Publikationen über den Stand und ihre Arbeit an bibliotheksethischen Kodizes zu berichten. Der Rezensent denkt hier insbesondere an die Bibliothekare in Indien, China, Frankreich, Italien, Spanien und Ungarn. Inwieweit dieses Thema auch den Deutschen Bibliotheksverband betrifft, kann der Rezensent nicht einschätzen.

Mit anderen Materialien zusammen könnten in den nächsten Jahren gute Voraussetzungen für eine Handreichung für nationale Bibliotheksverbände und vielleicht auch ein Lehrbuch für Studenten der Bibliotheks- und Informationswissenschaft und für junge Bibliothekare entstehen.

(1) http://www.ifla.org /III/misc/im-e.htm

(2) http://www.ifla.org

(3) Den Begriff "Ethik" definiert der Herausgeber in Anlehnung an Webster´s Enzyklopädie mit "the rules of conduct recognized in respect to a particular class of human actions or a paricular group". Vgl. Webster´s encyclopedic unabridged dictionary of the English language. New York, 1996. S. 489.

(4) United States of America. Congress. USA PATRIOT Act "Uniting and strengthening America by providing appropriate tools required to intercept and obstruct terrorism". http://www.epic.org/privacy/terrorism/hr3162.html

Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin