Bibliotheken führen und entwickeln

Festschrift für Jürgen Hering zum 65.Geburtstag


Hrsg.von Thomas Bürger und Ekkehard Henschke.
- München: K.G. Saur, 2002. 355 S.
ISBN 3-598-11616-0. Euro 78,-

Die Festschrift zum 65. Geburtstag von Jürgen Hering vereinigt - außer einer ausführlichen Würdigung seines eigenen Wirkens für das deutsche Bibliothekswesen - eine Fülle von Beiträgen zu vielen Problemen, die die deutschen Bibliotheken bewegen. Ausgangspunkt für die Texte sind die Bemühungen zur Schaffung der heutigen Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), als deren Generaldirektor Jürgen Hering seit 1997 im Amt ist. Die Liste der Gratulanten ist lang, sie verzeichnet 158 Persönlichkeiten; in elf Themenkreisen behandeln 33 Autoren Fragen unter anderem der Beziehungen der Bibliotheken zu den jeweiligen Universitäten, der Strukturentwicklung, der zukünftigen Strategien, der inneren Organisation, der Mitarbeiterführung, der Ausbildung, des Bibliotheksbaues und der Bestandserhaltung. Ergänzt wird der Band durch eine Bibliographie, die Jürgen Herings eigene Veröffentlichungen, seine Beiträge, Herausgeberschaften und Mitwirkungen an anderen Publikationen dokumentiert. Eine Fundgrube zur Diskussion um die gegenwärtige Lage der Bibliotheken!

Zur Einführung geben Thomas Bürger und Ekkehard Henschke (beide UB Leipzig) einen Überblick über den Lebensweg von Jürgen Hering. Dieser führte ihn von seinem Geburtsort Chemnitz zum Studium nach Leipzig, München und Tübingen, dann 1968 zum Beginn seiner beruflichen Laufbahn an die UB Stuttgart, wo er 1974 das Amt des Direktors übernahm. 1997 wurde er schließlich zum Generaldirektor der SLUB nach Dresden berufen. Zur Einführung in die Festschrift gehört eine Würdigung des Wirkens von Prof. Jürgen Hering in Dresden durch den Rektor der TU Dresden, Prof. Dr. Achim Mehlhorn, sowie der Text einer Ansprache von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Sächsischer Staatsminister a.D. für Wissenschaft und Kunst, zur Bauübergabe am 15. April 2002.

Ein wichtiger Beitrag zu der Festschrift ist der von Günter Gattermann, kommissarischer Generaldirektor der SLUB bis 1997, zur Integration der beiden großen Dresdner Bibliotheken. Hier wird die schwierige organisatorische Zusammenführung der beiden Bibliotheken auf der Grundlage des Gesetzes von 1995 über die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SächsLBG) beschrieben. In der Darstellung wird der steinige Weg zur Überwindung der Widerstände sowohl der Landesbibliothek als auch die der Universitätsbibliothek gegen die Integration geschildert, als auch der in der Öffentlichkeit geradezu erbittert ausgetragene Streit um die mögliche Unterbringung der Landesbibliothek im Erlwein-Speicher, eine Lösung, die sich aus technischen und finanziellen Gründen als nicht machbar erwies.

Die weiteren Beiträge befassen sich - mit oder ohne direkten Bezug zur SLUB - vor allem mit Fragen der strukturellen, materiellen und personellen Bibliotheksorganisation. So wird im Kapitel Universität und Bibliothek anhand von Beispielen aus Österreich und der Schweiz sowie aus Sachsen und Thüringen die Organisation und Reorganisation von Hochschulen und ihrer Bibliotheken dargestellt. Ilse Dosudil (UB Wien) schildert den langen Weg der Universitätsgesetzgebung von 1945, als praktisch die noch aus der Monarchie stammenden Regelungen übernommen wurden, über das Hochschul-Organisationsgesetz von 1955 und dessen Nachfolger 1975 und 1993 bis zum neuen Universitätsgesetz 2002, das einen weiteren Rückzug des Staates aus den operativen Tätigkeiten im Universitätsbetrieb und damit eine gewisse Privatisierung vorsieht. Hand in Hand damit gehen weitreichende Veränderungen in der Rechtsstellung der Bibliotheken und ihres Personals. Sigrid Reinitzer (UB Graz) stellt einen methodischen Ansatz für eine Wissensbilanz für Universitäten und Bibliotheken vor. Die Autorin arbeitet mit betriebswirtschaftlichen Kategorien. So müssen Wissensinhalte auf ihre zukünftige Anwendbarkeit hin geprüft und nicht mehr erforderliches Wissen abgeschrieben werden; Lernzeiten müssen überprüft und in Bezug zu Kosten gesetzt sowie die verfügbaren und zu schaffenden Kompetenzen des Personals analysiert werden. Christiane Schmiedeknecht (UB Erfurt) berichtet über die Kooperation zwischen der neuen - respektive 1994 wiedergegründeten - Universitätsbibliothek Erfurt und der Forschungsbibliothek Gotha. Große Schwierigkeiten sind offensichtlich in der Tatsache begründet, dass weder in einem von einer externen Firma entwickelten Marketingkonzept noch in einem internen Strukturplan für die Universität die Bibliothek überhaupt erwähnt wird. Die Beiträge dieses Kapitels vermitteln aber insgesamt eine Fülle von Erfahrungen, die gewiss nicht linear anwendbar sind, aber doch übertragen viele Anregungen für ähnliche Fälle geben können.

In einem weiteren Kapitel geht es um Visionen und Strategien. Der erste Beitrag von Graham Jefcoate, dem - bis vor kurzem - Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin, ist dem fortdauernden Integrations- und Wandlungsprozess der auf die zwei Häuser verteilten Staatsbibliothek zu Berlin gewidmet. Dieser Wandlungsprozess ist nun nicht nur ein interner Vorgang, sondern wird auch sehr stark von den externen Vorgängen geprägt. Der Beitrag befasst sich folgerichtig mit der Entwicklung von Strategien, die die äußeren und inneren Veränderungen gleichermaßen berücksichtigen. Die Betrachtungen von Claudia Lux, der Leiterin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, beschäftigen sich eher visionär beziehungsweise spekulativ mit einer Konzeption zur Unterbringung der Bibliothek in einem möglicherweise wiederaufzubauenden Berliner Stadtschloss. Das Projekt des Wiederaufbaus des Stadtschlosses ist allerdings bislang recht sonderbar verlaufen: Zunächst hat sich der "Förderverein Berliner Stadtschloss" mit der Wiedererrichtung der Barockfassade beschäftigt, dann wurde überlegt, wie es dahinter aussehen könnte und schließlich wurde erörtert, in dem zukünftigen Bau eine etwas beliebig wirkende Kollektion von unterschiedlichen Kultureinrichtungen, unter anderen eben auch die Berliner Zentral- und Landesbibliotek, unterzubringen. Erst bei einer danach erfolgten Prüfung des Flächenbedarfs stellte sich heraus, dass in einem auf der Grundfläche des früheren Schlosses und unter Berücksichtigung der heute geltenden baurechtlichen und städtebaulichen Regelungen errichteten Gebäude aufgrund eines Rechenfehlers (!) nur etwa zwei Drittel der benötigten Flächen zur Verfügung stehen könnten. Darüberhinaus stünden für das Projekt weder von Seiten des Bundes noch des Landes Berlin Finanzmittel zur Verfügung. Es wird also wohl, realistisch gesehen, auch für die Berliner Zentral- und Landesbibliothek in absehbarer Zeit nur, ähnlich wie die der Staatsbibliothek, bei einer "Zwei-Häuser-Struktur", also dem Haus in der Breiten Straße und dem der ehemaligen Amerika-Gedenk-Bibliothek am Halleschen Ufer, bleiben.

Über die Informationskompetenzen von Benutzern und Bibliotheksmitarbeitern spricht Werner Stephan, Nachfolger von Jürgen Hering als Direktor der UB Stuttgart, und davon, wie diese Kompetenzen dringend verbessert werden müssen, weil sie in einem unmittelbaren Verhältnis zu dem sich immer schneller verändernden Dienstleistungsangebot der Bibliotheken stehen. Er weist darauf hin, dass diese Dienstleistungsangebote sich bei Weitem nicht in der Bereitstellung von technischen Möglichkeiten erschöpfen, sondern auch soziale Kompetenz bei den Bibliotheksmitarbeitern erfordern. Mit Bezug zum langjährigen Wirkungsort von Jürgen Hering schließt sich ein Beitrag von Hannsjörg Kowark, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, zur Geschichte der Bibliothek für Zeitgeschichte - zu deren wissenschaftlichem Beirat Jürgen Hering gehörte - und ihrer Integration in die WLB an.

Die weiteren durchweg lesenswerten Beiträge zu der Festschrift über Themen wie zum Beispiel Mitarbeiterführung, Bibliotheksbau oder Ausbildung sollen hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden, allerdings doch nicht ohne auf die vergnüglich zu lesenden Betrachtungen Klaus G. Saurs zu den Empfängen des K. G. Saur Verlages auf Bibliothekskongressen hinzuweisen. Der Band wird abgeschlossen mit einer von Michael Golsch und Ulrich Sieber zusammengestellten umfangreichen Bibliographie.

Insgesamt betrachtet mag der Leser der Festschrift indes etwas bedauern, dass über die fast fünfundzwanzigjährige fruchtbare Tätigkeit des Jubilars als Direktor der Universitätsbibliothek Stuttgart nicht sehr viel zu erfahren ist.


Anschrift des Rezensenten

Robert Klaus Jopp
Fürstenstraße 6
D-14163 Berlin