Vademecum e-Zeitschriften: Glossar und Bibliographie / Bruno Bauer
(B.I.T.online INNOVATIV; 6)

Herausgeber Rolf Fuhlrott, Ute Krauss-Leichert, Christoph H Schütte
- Wiesbaden: Dinges & Frick GmbH, 2003. 128 S.
ISBN 3-934997-07-4. EUR 19,50

Angesichts des rasanten Wandels des wissenschaftlichen Publikationssystems seit dem Erscheinen der ersten elektronischen Zeitschrift im Jahre 1980 und der zahlreichen Organisationen, Projekte, Kooperationsmodellen und Initiativen in diesem Bereich wie auch der unübersehbaren Fülle von neuen Produkten und Services, die auf den Markt drängen, ist das Bedürfnis nach schnell zugänglicher und verläßlicher Information für alle Aspekte dieses für Bibliotheken zunehmend wichtiger werdenden Themas gewachsen. Wer die Literatur dazu studiert, begegnet einer leicht abschreckend wirkenden Terminologiefülle u. geradezu babylonischen Sprachverwirrung, der Bruno Bauer und die Herausgeber des in der Reihe "B.I.T.online innovativ" erschienenen Bandes entgegenwirken wollen. Sein Anspruch geht aber weit darüber hinaus, und so werden bei vielen im Glossar erfaßten Begriffen über bloße Definitionen hinaus Grundlagen, Zusammenhänge und relevante Einzelaspekte ausführlicher dargestellt, mit der Zielrichtung, Veränderungen und Innovationen im Zeitschriftensektor stärker in den Blickpunkt zu rücken.

Eingeleitet wird der Band durch ein Geleitwort von Helmut Hartmann und einen sehr pointierten Aufsatz von Alice Keller "Elektronische Zeitschriften: ein Medium mit Zukunft", der die Entwicklung des Mediums nachzeichnet und betont, es sei deshalb so erfolgreich, weil vieles an ihm so traditionell geblieben sei. Im Gegensatz zu den Wünschen ihrer Gründerväter seien alle Versuche, das Aussehen oder die Struktur von Zeitschriften wesentlich zu verändern gescheitert. Entwicklungspotential sieht Alice Keller hingegen in den Bereichen Administration, Preis- und Lizenzmodelle und Archivierung, wobei sie zu Recht beklagt, daß die europäischen Anstrengungen in diesem letztgenannten Bereich wenig profiliert sind.

Bruno Bauers Vademecum e-Zeitschriften enthält auf 128 Seiten in komprimierter Form das Rüstzeug für all diejenigen, die als Informationsfachleute und Bibliothekare in Ausbildung und Beruf mit dem Medium der elektronischen Zeitschrift umgehen. Es ist sowohl für eine erste Orientierung als auch als Nachschlagewerk hilfreich. Zahlreiche Verweise im Glossar und ein Register erleichtern die Orientierung und das Auffinden von Begriffen, die klare Typographie und ein übersichtliches Layout gestalten die Handhabung sehr angenehm. Eine 30-seitige Bibliographie, für die außer Einzelpublikationen auch wichtige Fachzeitschriften systematisch ausgewertet wurden, stellt eine wertvolle Ergänzung dar. Auch die Zusammenstellung von 7 Online-Bibliographien ist sehr hilfreich. Im Anhang findet sich noch eine Zeittafel e-Zeitschriften mit Gründungsdaten bzw. Laufzeiten von Projekten, Organisationen und Initiativen im Zusammenhang mit E-Journals, die sehr nützlich ist, wenn man die Entwicklung des Mediums nachvollziehen möchte

Bruno Bauer ist Vizedirektor der Österreichischen Zentralbibliothek für Medizin und engagierter Herausgeber der Zeitschrift "medizin bibliothek information". Sein "Vademecum e-Zeitschriften" füllt eine echte Lücke im deutschsprachigen Schrifttum zu elektronischen Zeitschriften. Auch im angelsächsischen Raum ist dem Rezensenten nichts vergleichbares bekannt. Die Konzeption des Glossars, die Auswahl, Qualität und Prägnanz der Einträge überzeugen durchweg. Verbesserungsmöglichkeiten gibt es bei einem Werk dieser Art naturgemäß immer. Die Einträge zu Diskussions- und Mailinglisten sollten überarbeitet werden: arl-ejournal ist als Liste eher unbedeutend. Unbedingt erwähnt werden müsste hingegen Liblicense-l, das von Ann Okerson (Yale Univ.) moderierte Forum zur Diskussion von allen Fragen der Lizenzierung digitaler Information in wissenschaftlichen Bibliotheken. Für die Open Access Bewegung wichtige Foren wie Peter Suber's BOAI-Forum, Stevan Harnad's American-Scientist-E-Print-Forum und die SPARC Institutional Repositories Discussion List sollten aufgenommen werden. Nützlich wäre auch ein Hinweis auf ergiebige fachspezifische Foren wie slapam-l, chminf-l, medlib-l.

Im historischen Abriß könnte die Vorreiterrolle der Fachgesellschaften stärker betont werden. Wünschenswert wären noch Einträge zu laufenden und abgeschlossenen Retrodigitalisierungsprojekten von Fachgesellschaften und Verlagen (bisher sind nur die Bibliotheksprojekte wie z.B. JSTOR erwähnt) und zu innovativen E-Publishing Projekten wie "Columbia Earthscape", "Project Euclid", MathNet und PhysNet, "The History Cooperative", Be-press (Wirtschaftswissenschaften), ICAAP ("International Consortium for the Advancement of Academic Publication", mit Schwerpunkt Geistes- und Sozialwissenschaften) oder der Europäischen E-Publishing-Initiative Figaro.

Daß das Glossar auch Einträge zu den wichtigsten Playern und Produkten im Bereich von e-Zeitschriften enthält, ist sehr hilfreich. Die Voranstellung plakativer, aber meist nichtssagender Werbe-Slogans ("energize your thinking" etc.) erscheint in diesem Zusammenhang allerdings etwas befremdlich.

Ein zusammenfassender Eintrag zu relevanten "Standards" für den Bereich E-Zeitschriften mit Querverweisen auf separate Einträge im Glossar wäre sehr nützlich. Elektronische Dokumentlieferdienste mit ihrer Endnutzer wie Bibliothekare verwirrenden Vielfalt sollten einen eigenen Eintrag erhalten.

Unter dem Stichwort "Verlinkung" vermisse ich einen Hinweis auf die zukunftsträchtige Verknüpfung von Reference Linking und Forward Citation Linking und Indexing, wie sie exemplarisch im Citeseer (NECI ResearchIndex) und im Open Citation Project (OpCit) realisiert werden, und auf die Verlinkung zu 3rd party A&I Services ("Bibliographic Links", von References zu Abstracts), die von zahlreichen elektronischen Zeitschriften als Feature geboten wird. Bisher nicht erwähnt im Glossar sind innovative Organisationsformen elektronischer Zeitschriften wie das Overlay Journal (zu E-Print-Archiven) und die interessante Gattung der "Virtuellen Zeitschrift" (analog dazu in digitalen Bibliotheken: die "Virtual Collection"; verwandt: Subject Gateways, Fachportale), die neue Möglichkeiten der Wissensorganisation, aber auch des Co-Publishings wie auch der zielgruppenorientierten Erschließung eines umfangreichen Verlagsportfolios insbesondere für interdisziplinäre Forschungsrichtungen eröffnet, und evtl. auch Personalisierungsoptionen bietet. Beispiele sind die Virtual Journals in Science & Technology der AIP, die Biomednet Reviews, Science's Signal Transport Knowledge Environment, oder die AGU Virtual Journals. Stärker ausgebaut werden könnte auch noch die Darstellung innovativer E-Journal Features (vgl. hierzu Gerry McKiernan's Registry of Innovative E-Journal Features, Functionalities, and Content).

Abschließend bleibt zu wünschen, daß Bruno Bauers Vademecum e-Zeitschriften in Zukunft auch online zur Verfügung stehen wird (die in den Hinweisen zur Benutzung erwähnte Begleitseite mit allen Links zu den Stichwörtern des Glossars ist offenbar noch nicht fertig).


Anschrift des Rezensenten

Bernd-Christoph Kämper
UB Stuttgart