Huesmann, Anna-Maria: Binomische Kommunikation

Aktivierung des Selbsterneuerungspotentials in Veränderungsprozessen am Beispiel wissenschaftlicher Bibliotheken


- Frankfurt am Main: Lang Europ. Verl. d. Wiss., 2003. - 385 S.: graph. Darst. (Bildung und Organisation; 12)
ISBN 3-631-50394-6. Euro 55,-

Frau Huesmann wird auf dem Klappentext als Leiterin einer wissenschaftlichen Bibliothek1 vorgestellt, als gelernte Psychologin, Erwachsenenbildnerin, welche langjährige Erfahrung als Trainerin, Moderatorin und Lehrbeauftragte hat. Diese Informationen bestätigen sich durch die Praxisrelevanz dieses Werkes. Es ist ihre Berliner Dissertation, welche 2000 abgeschlossen wurde. Auf diesem Stand wurde sie auch belassen.

Von der Diktion und vom Aufbau her ist es eine typische Dissertation: Es wurde eine Unmenge Literatur gelesen, ausgewertet und auch dargestellt, so dass die ersten Kapitel zu Rundumschlägen aller Themengebiete geraten, die etwas mit der Aufgabenstellung der Dissertation zu tun haben. Die Empirie kommt, weil der Platz dann knapp ist, zu kurz und das, worum es laut Haupttitel gehen soll, wird auch recht stiefmütterlich behandelt. Sei es drum! Es ist dennoch für die Leitungsebenen wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken ein beachtenswertes Werk, auch wenn der Titel quasi als Zerberus vor der Schwelle steht und abschreckt.

Diese Arbeit behandelt nämlich ein Kernproblem für die Veränderung von Organisationen im Allgemeinen und wissenschaftlichen Bibliotheken im Besonderen: Wie kann man den Kommunikationsprozess so konzipieren, dass die Mitarbeiter das sagen, was sie denken und sich frei darüber austauschen. Denn dies ist eine Grundvoraussetzung für die Mitarbeitermotivation, die dann durch den Veränderungsprozess zu tragen vermag und ist meilenweit entfernt vom Malen eines neuen Organisationsplanes und dem Ablassen von ein paar flotten Sprüchen über Organisationsentwicklung. "Lernende Organisation"? Ja, bekommen Sie sie als Manager erst einmal zum Lernen! Unzählige Leitungsebenen und Unternehmensberater haben die bittere Erfahrung gemacht, dass in einem unklaren Kommunikationsklima einer Organisation so gut wie nichts geht: Man bekommt nämlich nicht die Wahrheit gesagt. Ohne motivierte Mitarbeiter geht nichts. Nur: Wie macht man das?

Die "binomische Kommunikation", die so abschreckend den Haupttitel des Buches bildet, geht als Konzept von einer Logik des Verstandes ("Vernunft") und einer Logik des Herzens ("Gefühl") aus und setzt noch eine Logik des Weitblicks hinzu, welches man mit Rückkoppelung oder kommunikative Lernschleifen übersetzen kann. Zur Einführung dieser Kommunikationsform plädiert Huesmann für eine besondere Dialogform in einer Gruppe, die von einer Art Supervisor geleitet wird. Wenn dieser aus der Erwachsenenbildung übertragene Prozess gelingt, so meint sie, ist ein spürbares Anwachsen an Kompetenz und Innovation, sowohl in der Gruppe als auch im Individuum, zu verzeichnen. Sie schlägt also mit diesem Konzept eine besondere Kommunikationsform als Turbogenerator für das Veränderungsmanagement von bisher recht starren Organisationen vor.

Soweit zum Kernstück der Dissertation. Das "Drumherum" ist ebenfalls lesenswert, und sei es nur als Zusammenfassung von Dingen, welche in der Profession bekannt sind, z.B. über wissenschaftliche Bibliotheken als Organisationen im Wandel, über Veränderungsmanagement allgemein, über Kommunikation als strategischem Erfolgsfaktor und über die Ergebnisse einer empirischen Erhebung über Organisation und zwischenmenschliche Kommunikation in Bibliotheken. Gerade diese 1998 durchgeführte, nicht repräsentative Umfrage unter Diplom-Bibliothekarinnen und -Bibliothekaren hat mich nicht so sehr befriedigt, da die Darstellung der Ergebnisse wenig stringent vorgenommen und vermischt mit Hinweisen auf die Ergebnisse vergleichbarer Untersuchungen präsentiert wird. Vielleicht hätte mir hier bereits eine Tabelle mit den Ergebnissen im Anhang als Überblick und Orientierung genügt.

Insgesamt bietet das Buch einen guten Einstieg in die Problematik, wie man im Veränderungsmanagement mit der Kommunikation mit und unter den Mitarbeitern konzeptionell umgehen sollte, wenn man den Prozess fachlich korrekt und nicht modisch gewendet Hoppladihopp machen möchte. Es mag zwar an etlichen Stellen zu kursorisch sein, teilweise gibt es zu umfangreiche Aufstellungen relevanter Stichworte, dennoch steckt die Arbeit aber die Claims zuverlässig ab, wo es etwas zu gewinnen gibt. Vergleichbare Werke dürften Sie im Bereich der Bibliothekswissenschaft kaum finden, beispielsweise die neue Bibel des Bibliotheksmanagements von Hobohm/Umlauf2 bietet zwar eine Rubrik "Personalmanagement", geht aber auf die Kommunikationsprozesse (noch) nicht ein.


1. Die Homepage des Berufsverbands Information Bibliothek (BIB) stellt sie als Mitglied der Kommission Aus- und Fortbildung und als Mitarbeiterin der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover vor.

2. Erfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen / hrsg. von Hans-Christoph Hobohm; Konrad Umlauf. - Hamburg: Dashöfer. - 2003. Diese Loseblattsammlung wird in B.I.T.online noch besprochen.


Anschrift des Rezensenten

Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Bibliothekswissenschaft
Universität Tübingen
E-Mail: juergen.plieninger@uni-tuebingen.de