Meier, Michael: Returning Science to the Scientists:
Der Umbruch im STM-Zeitschriftenmarkt unter Einfluss des Electronic Publishing

- München: Peniope 2002. (Buchhandel der Zukunft, Bd. 2)
ISBN 3-936609-01-2. Euro 30,-
Zugl.: München, Univ., Diss., 2002. Inhaltsverz.:
http://www.peniope.de/inhalt_meier.pdf

Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
(Goethe, Faust I, 241f.)

Der Zeitschriftenmarkt für den STM-Bereich (Science-Technology-Medicine) gleicht heute weit mehr dem Experimentierkeller des Dr. Faustus als einem geordneten überschau- und kalkulierbaren Markt mit fairem und freiem Wettbewerb. Und es ist allen beteiligten Akteuren dabei völlig unklar, ob der Weg der (elektronischen) Zeitschriften in himmlische Sphären oder doch - bedächtig zwar, aber zielstrebig - zur Hölle führt. Noch viel weniger Übereinstimmung herrscht zudem darüber, was denn Himmel oder Hölle für den STM-Zeitschriftenmarkt bedeuten. Verständlich, dass sich manche Bibliothek bereits im Fegefeuer wähnt, während andere Marktteilnehmer ihren Aktionären die himmlischen Sphärenklänge steigender Kurse und Dividenden bescheren.

Wo Himmel und Hölle so nahe zusammen sind, ist ein aufhellender irdischer Blick gefragt.

Das Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilian-Universität in München unterhält eine Abteilung für Buchwissenschaft. Das dortige Studium erhebt den Anspruch, eine praxisnahe Kombination von buch- und betriebswissenschaftlicher Ausbildung zu sein. Dozenten und Studenten sind der verlegerischen und buchhändlerischen Praxis näher, als es ein Institut für Deutsche Philologie vermuten ließe.

Unter der Leitung von Professor Georg Jäger ist die vorliegende Dissertation von Michael Meier entstanden. Sinnvollerweise wurde der Doktorand von Verlagsvertretern und Bibliothekaren unterstützt. Dies hat sich glücklicherweise nicht in einer Tendenz im Buch niedergeschlagen. Es ist mutig, am Institut für Deutsche Philologie ein Buch mit einem derartigen Thema zu schreiben, ist doch der STN-Zeitschriftenmarkt von besonders hoher Dynamik unter den veränderten Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Trotz allem ist eine lesenswerte Abhandlung mit rund 200 Seiten Inhalt herausgekommen. Dass eine Dissertation nicht ein praktischer Leitfaden für bibliothekarische oder verlegerische Praxis sein kann, liegt auf der Hand. Dafür ist es dem Autor erstaunlich gut gelungen, die Vielfältigkeit des Themas zu konzentrieren und einen Überblick über die aktuellen Tendenzen des STM-Zeitschriftenmarktes vor dem Hintergrund des elektronischen Publizierens vorzustellen.

Ausgehend von einerBeschreibung der Funktionalität von STM-Journals, über die strukturellen Gründe für die Veränderung auf dem Zeitschriftenmarkt, insbesondere im System der Wissenschaft und im System der wissenschaftlichen Publikation, über die Markteilnehmer des STM-Zeitschriftenmarktes, den Standpunkten der Autoren, bis hin zu den Electronic Publishing-Strategien der STM-Verlage, aber auch der nicht-kommerziellen Initiativen wie der Open-Archive-Initiative, bis hin zu einer Vision über den STM-Zeitschriftenmarkt im Jahre 2010, hat der Autor einen umfassenden und fundierten Bogen geschlagen.

Der Autor entfaltet seine Ideen und Vorschläge zu alternativen Publikationsformen vor dem Hintergrund der "Doppelnatur des Wissenschaftlers als Autor und Leser im rekursiven Netzwerk der wissenschaftlichen Kommunikation" (Luhmann). Schon deshalb ist das Buch "Returning Science to the Scientists" lesenswert, wenngleich ein wirklich neuer Lösungsansatz für die nahezu unauflösbaren Probleme des wissenschaftlichen Publizierens im Bereich Produktion und Konsum dieser Zeitschriften nicht aufgezeigt wird.

Wer aus der bibliothekarischen Praxis mit der Problematik des STM-Zeitschriftenmarktes konfrontiert wird, ist für die ausführlichen Hintergrunderläuterungen des Autors dankbar. Wer hat für Diskussionen schon Zahlen parat, wie sich etwa der Anteil der Bibliothekskosten an den Gesamtausgaben für Erziehung in den USA in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat? Wer hat die Information, dass die Anzahl der Zeitschriftenabonnements von Privatpersonen von 1975 bis 1995 von 5,8 auf 2,7 Subskriptionen zurück gegangen ist? Diese wenigen Beispiele zeigen, dass der Autor sein Buch mit wertvollem Material angereichert hat und auch dem Praktiker wertvolle Argumentationshilfen liefern kann und dabei zugleich Hintergründe für die Problematik und die Situation des STM-Zeitschriftenmarktes abbildet.

Dankbar wird auch derjenige das Buch zur Hand nehmen, der sich einen Überblick über die verschiedenen zahlreichen nichtkommerziellen Publikationsinitiativen, wie Open-Archive- und Preprintinitiativen auf dem STM-Zeitschriftenmarkt informieren möchte. Die Schnelllebigkeit dieser Thematik läßt die Fakten natürlich schnell veralten, dennoch ist die Zusammenfassung all dieser Initiativen lobenswert und hilfreich.

Einen interessanten Überblick bieten die Ausführungen über die am Zeitschriftenmarkt agierenden Verlage und deren Preispolitik. Auch ohne betriebswirtschaftliche Fachkenntnisse macht der Autor klar und deutlich, wie die Preisgestaltung, die Kalkulation und die Kosten-Nutzen-Rechnungen der Verlage bei den Zeitschriften zustande kommen. Anhand von Praxisbeispielen macht der Autor ein für allemal Schluss mit der fixen Idee, dass die elektronische Informationsversorgung gegenüber den gedruckten traditionellen Medien billiger sein könnte. Die Drexel University in den U.S.A. hat konsequent vom Jahre 1998 bis zum Jahre 2001 sämtliche Druckabonnements durch elektronische Zeitschriften ersetzt. Dennoch konnte die Drexel University keine signifikanten Kosteneinsparungen verzeichnen, musste gleichzeitig jedoch auf eine professionelle Archivversorgung der nur lizenzierten elektronischen Information verzichten.

Dass die Wissenschaftler durch ihr Konkurrenzverhalten (Wissenschaft wird von Meier nicht als Wahrheitsfindung sondern als "organisierter Kampf um Aufmerksamkeit definiert" S.16) mit dazu beitragen oder sogar ursächlich verantwortlich sind für einen konkurrierenden kommerziellen Zeitschriftenmarkt mit imagefördernden, hochpreisigen Journalen, wurde schon an anderer Stelle und auf vielen Konferenzen und Tagungen diskutiert. Eine Auflösung dieses Problems gelang jedoch nicht.1 Auch das Peer-Review-System, welches ein entscheidender Bestandteil für die Qualitätssicherung, insbesondere kommerzieller Zeitschriften, darstellt, wird von Meier unter die Lupe genommen. Die Alternativen, die zum Teil praxiserprobt vorliegen, bieten jedoch keinen Ansatz für die Massennutzung in den Wissenschaften. Im Gegenteil, auch hier räumt Meier mit dem, insbesondere unter Bibliothekaren weit verbreiteten, Irrglauben auf, dass die Open-Archive-Initiativen und Preprintserver teils mit offenem Peer-Review eine echte Alternative für das Massengeschäft mit wissenschaftlichen Publikationen darstellen könnten. Die Akzeptanz dieser Maßnahmen ist außerordentlich gering und so hat die Public Library of Science Initiative, die im Herbst 2000 gestartet war und zu einem Boykott der privatwirtschaftlichen Verlage aufrief und die zu ihren Hochzeiten 27.0000 Unterschriften nachweisen konnte, letztendlich das Scheitern des Boykottaufrufes eingestehen müssen.

Als Lösungsvorschläge erarbeitet der Autor am Ende seiner Dissertation einige Szenarien, die sich bis zum Jahre 2008 erstrecken. Während die Entwicklungen bis 2004 nahezu den Status Quo der aktuellen Situation wiedergeben und keinerlei Visionen beinhalten, geht Meier davon aus, dass die wissenschaftliche Zeitschrift in ihrer bisherigen, periodisch erscheinenden Form nicht mehr existent sein wird. Der DOI als alleiniger Zitiermaßstab werde sich durchgesetzt haben und eine Vollverlinkung zu einzelnen Artikeln aus ungeheuer umfangreichen und leistungsstarken Datenbanken der Standard im STM-Zeitschriftenmarkt des Jahres 2008 sein. Während man sich noch sehr gut vorstellen kann, dass "multimediale Artikelinhalte in allen Wissenschaftstheorien zum Standard gehören" (S.190), erläutert Meier nicht, warum künftig "die Kosten des Publikationsprozesses übernommen werden von den Institutionen des Autors oder von neu etablierten Fundingagencys" (S.189). Bis zum Jahre 2020 steht nach Meier dann "der gesamten wissenschaftlichen Community eine thematisch differenzierte, weltweite Wissensdatenbank zur Verfügung, die von Wissenschaftlern, Bibliotheken und kommerziellen Unternehmen unterhalten wird" (S.190). Auch wer diese Vision nicht teilt, wird zumindest nach der Lektüre von "Returning Science to the Scientists” dankbar zur Kenntnis nehmen, dass auch Meier die momentane Experimentalphase auf dem (STM)-Zeitschriftenmarkt nicht auflösen kann und Patentrezepte nicht verfügbar sind. Und wer sich darüber hinaus noch erinnert, dass McLuhan das Ende des Buches für 1982 prognostiziert hatte, wird vorsichtig sein mit Prognosen in einem Umfeld, das sich so rasch ändert und das zur Zeit noch in keiner belastbaren Form ausdifferenziert zu sein scheint.


Anschrift des Rezensenten

Dr. Rafael Ball
Zentralbibliothek
Forschungszentrum Jülich GmbH
D-52425 Jülich
E-Mail: r.ball@fz-juelich.de


Anmerkung
1. Die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens: der Wissenschaftler im Dialog mit Verlag und Bibliothek: Jülich 28. bis 30. November 2001, Proceedings - Jülich 2002. - (Schriften des Forschungszentrums Jülich . Reihe Bibliothek/Library; 10).