Lepenies, Annette: Wissen vermitteln im Museum

- Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 2003. 212 S. (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden; 1)
ISBN 3-412-18102-1. Euro 24,90

Museums- und Bibliothekspädagogik sind eng miteinander verbunden. Ähnliche Ursprünge, Aufgabenstellungen, Arbeitsweisen und Methoden der Einrichtungen Museum und Bibliothek erlauben, das pädagogische Element als eine gemeinsame Aufgabe zu betrachten.

Zum Begriffsapparat gehört auch der seit Jahren gebräuchliche, noch nicht in den DUDEN aufgenommene und ansonsten unschöne Ausdruck "Lernort". Dieser Terminus bezeichnet 1974 in einem Dokument des Bildungsrates die "Pluralität der Lernorte": "Schule als einziger Lernort ist auch für die Bildungsgänge fragwürdig geworden, die bisher rein schulisch durchgeführt worden sind." (1). Das soll heißen, dass Lernen auch "außerhalb genuiner Bildungseinrichtungen" (2) stattfinden kann.

Annette Lepenies versucht in ihrer - die neue Reihe "Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden" eröffnenden - Veröffentlichung "Wissen vermitteln im Museum" genau diese Frage zu beantworten: "Wie kann das Museum als Lernort im Sinne bürgerschaftlichen Engagements genutzt werden?" (Umschlag). Sie untersucht Möglichkeiten und Wege der Vermittlung von Wissen im Museum, wobei es ihr nicht nur um die vom Kurator angestrebte Wissensvermittlung geht, sondern auch um den Wissenserwerb durch den Besucher (S.9). Sie orientiert sich an der angelsächsischen Museumspraxis, da dort der Stellenwert des besucherorientierten Museums immer noch viel größer sei als in Deutschland.

Die nicht nummerierten Kapitel beinhalten folgende Themen:

Kapitel 1 beschreibt als Ausgangspunkt die 1997 konzipierte Ausstellung des Hygiene-Museums "Alt & Jung. Das Abenteuer der Generationen", die nach ihrer Präsentation in Dresden als Wanderausstellung in Kassel, München und Köln gezeigt wurde; anschließend übernahmen verschiedene Institutionen und Museen Objekte und Installationen dieser Ausstellung.

Kapitel 2 diskutiert unter dem Schlagwort "Public Understanding of Science" Versuche zur öffentlichkeitswirksamen Vermittlung von Wissenschaft. In dieser Perspektive werden in Kapitel 3 Geschichte und Funktion des Museums dargestellt. Beide Kapitel sind ein gelungener Rahmen für Kapitel 4, das ein besucherorientiertes Museum erläutert, das die Autorin idealtypisch als "konstruktivistisches Museum" bezeichnet.

Die beiden folgenden Kapitel bezeichnet die Autorin als Skizzen zur wachsenden Bedeutung der "Besucher-Studien" (Kapitel 5) und der "Evaluation" (Kapitel 6) für die museumspädagogische Arbeit.

Kapitel 7 ist ein kleiner Exkurs in die Diskussion um kontextfreie und kontextbewusste Museen am Beispiel zweier Sozialwissenschaftler - des europäischen Pioniers des Wissenschaftsmuseums Otto Neurath (1882-1945) und des schärfsten Kritikers der "Ideologie" des kontextfreien Kunstmuseums Pierre Bourdieu (3).

Die Autorin kommt nun auf den eigentlichen Ausgangspunkt, die Ausstellung "Alt & Jung", zurück und beschreibt zuerst den Ort, Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (Kapitel 8), und dann das Thema der Ausstellung und dessen praktische Umsetzung (Kapitel 9).

Das Buch schließt mit einem "Rückblick", der als Zusammenfassung des Themas gedacht ist (Kapitel 10), einer ausführlichen Bibliographie (Kap. 11) sowie zwei Registern (Kapitel 12 und 13).

Schon 1929 bemerkte Walter Benjamin anlässlich der Berliner Ausstellung "Gesunde Nerven": "Die Besucher sollen … Laien bleiben. Nicht gelehrter sollen sie die Ausstellung verlassen, sondern gewitzter. Die Aufgabe der echten, wirksamen Darstellung ist geradezu, das Wissen aus dem Schrank des Faches zu lösen und praktisch zu machen." (S. 17)

Viele Ansätze zur bibliothekspädagogischen Arbeit, etwa die methodische Gestaltung von Ausstellungen (4), die Nutzerorientierung, die Bedeutung von Nutzerstudien sowie die Evaluierung der Nutzerschulung offenbaren Gemeinsamkeiten von Bibliotheken und Museen. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen über John Dewey interessant, der schon im ersten Drittel des 20. Jh. Schule, Bibliothek und Museum in einen Bildungszusammenhang brachte (S. 58, 60).

Leider hat es die Autorin versäumt, sich mit den Ergebnissen des Forschungsprojektes "Erlebnisorientierte Lernorte der Wissensgesellschaft" (Laufzeit 05/2000 - 06/2002) (5) und der Fachtagung "Lernen in Erlebniswelten" (Dezember 2001) (6) auseinander zu setzen, die sich theoretisch und an praktischen Beispielen auch mit der Museumspädagogik (im Projekt u.a. in dem Abschnitt "Das Museum auf dem Weg zu einem erlebnisorientierten Lernort; auf der Fachtagung u.a. im Workshop "Museum und Science Center: Lernen durch Erlebnisarrangements?") beschäftigen.

Das Buch ist dennoch eine außerordentlich wichtige Publikation zur Theorie und Praxis der museumspädagogischen Arbeit, die nicht nur von den Museologen, sondern auch von den Bibliothekaren und Pädagogen zur Kenntnis genommen und diskutiert werden sollte.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


Anmerkungen

1.Deutscher Bildungsrat. Zur Neuordnung der Sekundarstufe II. Konzept für eine Verbindung von allgemeinem und beruflichem Lernen. Empfehlungen der Bildungskommission. Bonn, 1974. S. 69-70.

2.Forschungsmemorandum für die Erwachsenen- und Weiterbildung. Frankfurt am Main, 2000. S. 19.

3.Geburts- und Sterbedaten fehlen auf S. 116: 1930-2002. Einen ausgezeichneten Nachruf verfasste Elisabeth von Thadden in: DIE ZEIT v. 31.1.2002, S. 43.

4.Ein interessantes Beispiel ist der Beitrag von Christian Herrmann: Effizienz durch Profil: Überlegungen zur methodischen Gestaltung von Ausstellungen in Bibliotheken. In: Bibliotheksdienst 36 (2002) 10, S. 1243-1256.

5.Lernort Erlebniswelt: Neue Formen informeller Bildung in der Wissensgesellschaft. Endbericht des Forschungsprojektes "Erlebnisorientierte Lernorte der Wissensgesellschaft". Bielefeld, 2002. XIX, 433 S. (IFKA-Schriftenreihe; 20)

6.Lernen in Erlebniswelten: Perspektiven für Politik, Management und Wissenschaft. Fachtagung. Bielefeld, 2002. VIII, 271 S. (IFKA-Schriftenreihe; 22)