Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities
Konferenz 2003 der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin

von Rafael Ball

"Endlich ist dieses Thema dort angelangt wo es hingehört." Dieses Wort stammt aus dem Mund der wenigen Bibliothekare, die die Max-Planck-Gesellschaft zu ihrer Konferenz "Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities" nach Berlin eingeladen hatte. Dass die Zeitschriftenkrise, die seit vielen Jahren nicht nur in Deutschland tobt und zum radikalen Kahlschlag der Zeitschriftenbestände an den Bibliotheken der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen geführt hat, eine Neubesinnung und eine Neustrukturierung der wissenschaftlichen Kommunikation geradezu herausfordert, ist in bibliothekarischen Kreisen schon nichts mehr neues. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen kann längst nicht mehr gewährleistet werden, längst ist nicht mehr jeder interessierte Wissenschaftler auf der Welt in der Lage sich Zugang zu den wissenschaftlichen Ergebnissen zu verschaffen, die in oftmals überteuerten (und damit unbezahlbaren) Zeitschriften veröffentlicht werden. "Open Access" muss her, der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen für alle interessierten Wissenschaftler weltweit. Dies ist eine der Grundforderungen, die sich im Gefolge von nicht mehr finanzierbaren Zeitschriftenabonnements als Neuordnung der wissenschaftlichen Kommunikation erhebt. Und um diesen "Open Access" ging es in der Konferenz vom 20. bis 22. Oktober 2003 im Harnack Haus in Berlin, zu der die Max-Planck-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der ECHO-Organisation ausgewählte Teilnehmer eingeladen hat. Dabei sollte die Konferenz, so die Intention der Veranstalter, die Keyplayer nationaler und internationaler Forschungsorganisationen, wissenschaftliche Fachgesellschaften, Museen, Archive, Bibliotheken und politische Institutionen, sowie kommerzielle und nicht-kommerzielle Verleger an einen Tisch bringen und die Zukunft des wissenschaftlichen E-Publishing und der wissenschaftlichen Kommunikation diskutieren. Aber nicht nur diskutieren wollte man, sondern auch eine Deklaration unterzeichnen, die zu einer Revolution in der wissenschaftlichen Kommunikation werden soll. Wer die Liste der Unterzeichner sieht (s. beigefügten Kasten) bemerkt schnell, dass, alles was in der deutschen Wissenschaftslandschaft Rang und Namen hat die Berlin Deklaration feierlich unterzeichnet hat. Lediglich die Auswahl internationaler und weiterer Unterzeichner wirkt ein wenig zufällig. Hier ist wohl nicht gelungen, die wirklich entscheidenden Organisationen und Einrichtungen zum Unterzeichnen zu bewegen.

Trotz allem, die Präsidenten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Gesellschaft, Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, Fraunhofer Gesellschaft, Wilhelm-Leibniz-Gemeinschaft) der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Vorsitzende des Wissenschaftsrates sind nun einmal die Creme de la Creme der deutschen Wissenschaftsszene. Wenn diese sieben Herren eine gemeinsame Deklaration unterschreiben, dann rauscht es zumindest im deutschen Blätterwald und selbst "Zeit" und "FAZ" berichteten über die Berlin Deklaration, die zu neuer wissenschaftlicher Kommunikation führen soll. Dabei darf nicht übersehen werden, dass diese Veranstaltung (im übrigen finanziert von der DFG) von einer Pressure Group in der Max-Planck-Gesellschaft getriggert wurde, die bereits seit vielen Jahren im innovativen Feld des E-Publishing aktiv ist. Dass man auch die Geisteswissenschaften und Kulturwissenschaften, Museen und Archive über die ECHO-Initiative (European Cultural Heritage Online) als Mitveranstalter und vorgeschaltetem Satelliten-Event an dieser Initiative beteiligt hat, führte letztlich zu einem etwas verwaschenen Gesamtaufruf nach freiem Zugang zu allem und jedem wissenschaftlichen und kulturellen Gut auf der Welt. So wirkte der eine oder andere Vortrag zur Digitalisierung von Museumsobjekten in dieser Veranstaltung eher deplaziert. Im Verlaufe der Diskussion wurde dieser Bereich aber geradezu ignoriert und es blieb schließlich die Frage, wie die wissenschaftliche Kommunikation anders als bisher funktionieren und trotzdem Qualitätssicherung (etwa durch Peer Review) gewährleistet werden könne und ob und wie die kommerziellen Verlage - die letztlich erst durch ihre betriebswirtschaftlich nicht mehr nachvollziehbare Preispolitik eine solche Initiative hervorgerufen haben - ersetzt werden könnten. Dass letztlich die Max-Planck-Ideale als die Lösung des Open Access Problems verkündet worden sind, muss (vor dem Hintergrund der Organisationsinitiative) nicht verwundern. Prinzipiell gebührt den Initiatoren der Max-Planck-Gesellschaft Dank für eine Initiative auf höchster wissenschaftspolitischer Ebene. Erst damit kann es gelingen die akuten Probleme der wissenschaftlichen Kommunikation ins Bewusstsein der Protagonisten in Wissenschaft , Forschung und Lehre zu bringen.

Die Berlin Deklaration fordert im Wesentlichen die freie Zugänglichkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse weltweit ohne Schranken. Hieraus resultieren drei Grundforderungen:

Die Berlin Deklaration fordert ein neues System des wissenschaftlichen Publizierens.

  1. Umkehr des "Zahlungsverkehrs" für die Publikation in Zeitschriften.
  1. Änderung der Autorenverträge bei der Publikation in kommerziellen Zeitschriften.

Ob sich die unterzeichnenden Organisationen nun dieser Berlin Deklaration verpflichtet fühlen oder ob diese Veranstaltung im Sande verläuft, muss die Umsetzung der Forderungen zeigen. Noch scheint es außerhalb der MPG ein nur geringes Bewusstsein für die Open Access Initiativen zu geben und noch scheinen die wissenschaftlichen Entscheidungsträger in den meisten wissenschaftlichen Einrichtungen vom kommerziellen System des traditionellen Publishings überzeugt.

Zumal Open Access auch nicht zum Nulltarif zu haben ist. Erst kürzlich wurde in "Nature" die Frage gestellt "Who will pay for open access?"1 Wer die Zahlungsrichtung des wissenschaftlichen Publizierens umkehrt löst damit nicht die Finanzprobleme der Bibliotheken. Denn statt teurer Zeitschriftenabonnements werden nun womöglich teure Publikationsgebühren fällig.2 Open Access-Initiativen lösen weder die Zeitschriften- noch die Finanzkrise von Wissenschaft und Bibliotheken. Die Umsetzung von Open Access wird zusätzliche Gelder benötigen, insbesondere dann, wenn umfangreiche elektronische Dokumentenserver zur Verfügung gestellt werden, auf denen die Wissenschaftler ihre Publikationen ablegen sollen. Dies wurde auf der Veranstaltung in Berlin auch nicht bestritten, gleichwohl hat niemand die Frage der Finanzierung und der Finanzierbarkeit von Open Access angesprochen. Ungelöst sind zudem die Probleme der Findbarkeit von Dokumenten auf großen Servern weltweit, unklar die Langzeitgarantie der Archivierung, die Authentizität und Zitierfähigkeit sowie die Lösung des Mengenproblems. Sicher werden hier Bibliotheken bei der Strukturierung der Daten eine wichtige Rolle übernehmen müssen und können. Nach einem "Repositioning" der Bibliotheken (wie es in einem der Vorträge vorschlagen wurde), werden zumindest innovative Bibliotheken dazu in der Lage sein. Die wenigen Kritiker der Open Access Initiative kamen denn auch aus dem kommerziellen Verlegerbereich und mahnten insbesondere den vermeintlichen Alleinanspruch der Open Access Initiative an. Man habe in der Wissenschaft ein funktionierendes Gesamtsystem von Monographien, Zeitschriften und anderen Literaturformen, in denen sicherlich auch Open Access Initiativen Platz hätten, jedoch nicht als ausschließliche Form der wissenschaftlichen Kommunikation. Rick Luce, Leiter der Bibliothek des National Laboratorium in Los Alamos (und bei der Max-Planck-Gesellschaft unter Vertrag stehender Berater in bibliothekarischen Angelegenheiten), bekannt durch seine Theorie von der "Library without walls", zeichnete in seinem Beitrag ein Bild von der Zukunft der Bibliotheken. Durch die Tatsache, dass E-Science unweigerlich komme, müssten die Bibliotheken die notwendige Infrastruktur bereit- und institutionelle elektronische Dokumentenserver zur Verfügung stellen. Kleine Bibliotheken, so Luce, werden schließen und verteilte digitale Bibliotheken die Versorgung mit wissenschaftlicher Information übernehmen. Die Max-Planck-Gesellschaft scheint dieses Modell bereits teilweise umgesetzt zu haben und führt mit dem E-Doc-Server bereits vor, wie die Max-Planck-Institute zentral über das Heinz-Nixdorf-Zentrum für Informationsmanagement (ZIM) versorgt werden können. Der Flyer zum E-Doc-Server der Max-Planckgesellschaft spricht denn auch schon von "Innovative Scholarly Communication".

Die Max-Planck-Gesellschaft plant ein follow-up dieser Konferenz noch innerhalb der nächsten sechs Monate. Man darf gespannt sein, ob es dann schon erste success-Stories zu berichten gibt, oder ob die Berlin Deklaration trotz prominenter Unterzeichner im digitalen Rauschen untergehen wird.


Zum Autor

Dr. Rafael Ball ist Leiter der Zentralbibliothek des

Forschungszentrum Jülich GmbH
D-52425 Jülich
E-Mail: r.ball@fz-juelich.de


Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen3

Vorbemerkung

Das Internet hat die praktischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen und von kulturellem Erbe grundlegend verändert. Zum ersten Mal ist durch das Internet die Möglichkeit einer umfassenden und interaktiven Repräsentation des menschlichen Wissens unter Einschluss des kulturellen Erbes und mit der Garantie des weltweiten Zugangs gegeben. Wir, die Unterzeichner, fühlen uns aufgerufen, die Herausforderungen des Internets als künftigem Medium zur Wissensverbreitung aufzugreifen. Es ist klar, das diese Entwicklungen das Wesen des wissenschaftlichen Publizierens und des existierenden Systems der Qualitätssicherung grundlegend verändern können. In Übereinstimmung mit der Budapester Initiative (Budapest Open Access Initiative), der ECHO-Charta und der Bethesda-Erklärung (Bethesda Statement on Open Access Publishing) haben wir diese Berliner Erklärung entworfen, um das Internet als Instrument für eine globale Basis wissenschaftlicher Kenntnisse und geistiger Reflexion zu fördern und um die Maßnahmen zu benennen, die von Politikern, Forschungsorganisationen, Förderinstitutionen, Bibliotheken, Archiven und Museen bedacht werden sollten.

Ziele

Unsere Aufgabe, Wissen zu verbreiten, ist nur halb erfüllt, wenn die Information für die Gesellschaft nicht breit gestreut und leicht zugänglich ist. Neue Möglichkeiten der Wissensverbreitung nicht ausschließlich in der klassischen Form, sondern zunehmend auch nach dem Prinzip des "offenen Zugangs" über das Internet, müssen gefördert werden. Das Prinzip des "Open Access" schafft daher freien Zugang zu einer umfassenden Quelle menschlichen Wissens und des kulturellen Erbes, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft bestätigt wurde. Zur Verwirklichung der Vision einer umfassenden und zugänglichen Wissensrepräsentation muss das künftige Web nachhaltig, interaktiv und transparent sein. Inhalte und Software müssen dazu frei verfügbar und kompatibel sein.

Definition eines Beitrags nach dem "Prinzip des offenen Zugangs"

Idealerweise ist die Voraussetzung für die Etablierung des "Prinzip des offenen Zugangs" als erstrebenswertes Verfahren die aktive Beteiligung jedes einzelnen Produzenten von wissenschaftlicher Erkenntnis und jedes Verwalters von kulturellem Erbe. Beiträge nach dem "Prinzip des offenen Zugangs" können sowohl wissenschaftliche Forschungsergebnisse als auch Rohmaterialien und Metadaten, Quellenmaterialien, digitale Repräsentationen von bildlichem und grafischem Material sowie wissenschaftliche Materialien in multimedialer Form sein.

Beiträge nach dem "Prinzip des offenen Zugangs" müssen zwei Bedingungen erfüllen:

1. Die Autoren und Rechteinhaber solcher Veröffentlichungen erteilen allen Benutzern das freie, unwiderrufliche und weltweite Zugangsrecht und die Erlaubnis, die Veröffentlichung für jeden verantwortlichen Zweck zu kopieren, zu benutzen, zu verteilen, zu übertragen und abzubilden unter der Bedingung der korrekten Nennung der Urheberschaft (wie bisher werden die Mechanismen der korrekten Berücksichtigung der Urheberschaft und der verantwortlichen Nutzung durch die Regeln der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Geltung gebracht) sowie das Recht, eine beschränkte Anzahl gedruckter Kopien für den persönlichen Gebrauch zu machen.

2. Eine vollständige Fassung der Veröffentlichung samt aller zugehörigen Begleitmaterialien wird zusammen mit einer Kopie der oben erwähnten Erlaubnis in einem geeigneten elektronischen Format auf mindestens einem online zugänglichen Archivserver mit geeigneten technischen Standards (wie die von Open Archive) hinterlegt und damit veröffentlicht. Der Archivserver muss betrieben werden von einer wissenschaftlichen Institution oder Gesellschaft, einer öffentlichen Institution oder einer anderen etablierten Organisation, die das "Prinzip des offenen Zugangs", uneingeschränkte Verbreitung, Interoperabilität und Langzeitarchivierung zu verwirklichen sucht.

Unterstützung des Übergangs zum "Prinzip des offenen Zugangs"

Unsere Organisationen unterstützen die weitere Förderung des neuen "Prinzips des offenen Zugangs" zum besten Nutzen von Wissenschaft und Gesellschaft. Wir beabsichtigen deshalb

Wir sind uns bewusst, dass sich beim Übergang zum "Prinzip des offenen Zugangs" die rechtlichen und finanziellen Aspekte der Verbreitung des Wissens verändern werden. Unsere Organisationen streben nach Lösungen, die die Weiterentwicklung der gegenwärtigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen unterstützen, um so den bestmöglichen Zugang und Gebrauch zu erleichtern.

Unterzeichner: (22. Oktober 2003)

Für die deutschen Forschungsorganisationen (in alphabetischer Reihenfolge):

Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft
Karl Max Einhäupl, Vorsitzender des Wissenschaftsrates
Peter Gaethgens, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft
Hans-Olaf Henkel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V.
Walter Kröll, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft
Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Weitere nationale und internationale Unterzeichner:

Bernard Larouturou, Director General, Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS)
Jürgen Mittelstraß, Präsident der Academia Europaea
Paolo Galluzzi, Director, Istituto e Museo di Storia della Scienza, Florence
Friedrich Geisselmann, Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes
Yehuda Elkana, President and Rector, Central European University, Budapest
Jean-Claude Guédon, Director, Open Society Institute
Martin Roth, Generaldirektor der Staatliche Kunstsammlungen, Dresden
Christian Bréchot, Director General, Institut National del la Santé et de la Recherche Médicale (INSERM)
José Miguel Ruano Leon, Minister of Education, Cultura y Deportes Gobierno de Canarias
Dieter Simon, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Jens Braarvig, Director, Norwegian Institute of Palaeography and Historical Philology
Peter Schirmbacher, Sprecher des Vorstands der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation


Anmerkungen

1. Declain, Butler: Who will pay for open access?, Nature, Volume 425, 9.10.2003, p. 554 - 555

2. Open access will be not be open to everyone. Leserbrief von John Ewing, American Mathematical Society in: Nature, Volume 425, 9.10.2003

3. http://www.mpg.de/pdf/openaccess/BerlinDeclaration_en.pdf