Mind the gap! - Mit Volldampf in die Versorgungslücke?
Bericht von der "Online" in London

von Vera Münch

Verlagskrise, Konsolidierung, Reorganisation, und Marktkonzentration waren die negativen Schlagworte der online information 2003. Kundenorientierung, Professionalität und immer bessere Software fürs Informations- und Contentmanagement in Intranets die positiven. Auf welcher der beiden Seiten "Open Access" anzusiedeln sein wird, ist noch sehr offen.

Die wissenschaftlichen Verlage sind arg in Bedrängnis. Während ihr Engagement in der Bereitstellung elektronischer Information seit Jahren hohe Investitionssummen verschlingt, kündigen weltweit die Bibliotheken ihre Abonnements. Der Einkommensrückgang reißt Deckungslücken auf, die offenbar nur noch mit Risikokapital abzudecken sind, trotz der Finanzspritzen aber dennoch zu Angebotseinschränkungen, Reorganisation und Entlassungen führen. Die Bibliothekskrise hat eine Verlagskrise ausgelöst, die vom weltweit diskutierten freien Zugang zur Information, der "Open Access"-Bewegung, massiv verschärft wird. Eine seit Jahrzehnten funktionierende, globale Infrastruktur zur Informationsversorgung der Forschung wird Stück für Stück zerschlagen, lange bevor echte Alternativen geschaffen sind und auch lange bevor die Frage der Archivierung elektronischer Publikationen auch nur ansatzweise gelöst ist.

Willkommen im Chaos.

Die Krise war auf der wichtigsten europäischen Kongressmesse der professionellen Anbieter elektronischer Fachinformation, der Online Information 2003 Anfang Dezember in London, nicht mehr zu übersehen (www.online-information.co.uk und täglicher Mini-Messebericht unter www.infotodayblog.com).

Der amerikanisch-niederländische Wissenschaftsgigant Elsevier Science, über Jahrzehnte Gold Sponsor der Veranstaltung, tauchte in der Liste der Unterstützer nicht mehr auf. Thomson hat übernommen. Doch selbst der Primus der Newcomer in der Informationswirtschaft reorganisiert seinen Betrieb. Der kanadische Konzern muss die vielen Pionierunternehmen der Online-Szene, die er in den letzten fünf Jahren in einem atemberaubenden Tempo strategisch zusammengekauft hat, unter einen Hut bringen. Gewinnbringend.

Cornell University kündigt 200 Elsevier Titel

Die Information World Review, britische Fachzeitschrift der Szene, widmete Elsevier die Hälfte der Titelseite ihrer Dezember-Messeausgabe: Chefredakteur Bobby Pickering berichtet, dass der Verlag enorme Rückschläge hinnehmen muss, weil weltweit Universitätsbibliotheken Abonnements in schier unvorstellbaren Größenordnungen kündigen. Die Cornell University in New York soll 200 Elsevier Titel von der Einkaufsliste gestrichen haben. Von Harvard wird ähnliches erwartet. Mit der University of California sollen intensive Verhandlungen laufen. Wenig verwunderlich, dass Elsevier zum Gegenstand der schlimmsten Gerüchte der diesjährigen Veranstaltung wurde: Angeblich will der Verlag 1500 seiner 7000 Mitarbeiter entlassen und den Online-Service ChemWeb.com aufgeben. Der Wahrheitsgehalt der Gerüchte ließ sich auf der Messe nicht überprüfen; die Informationsquellen gelten aber gemeinhin als zuverlässig. Und der über Jahre das Messebild von London absolut dominierende Elsevier-Stand, der auf ein Mindestmaß geschrumpft ist, konnte die Befürchtungen nicht wirklich entkräften.

Springer, Heidelberg, Berlin, New York und Kluwer Academic Publishers (KAP), Dordrecht, präsentierten sich wie immer. Doch das wohl auch zum letzten Mal. Die neuen Eigner von Springer und KAP, die Risikokapitalgesellschaft Candover und Cinven, hat im September dieses Jahres die Verschmelzung der beiden Verlage zum "zweitgrößten professionellen Publikationshaus auf dem Feld der Wissenschaft, Technik und Medizin (STM) weltweit" bekannt gegeben. Chef von Springer plus KAP wird Derk Haank, der – Achtung, aufgepasst – seit 1986 bei Elsevier beschäftigt ist und dort seit 1998 als Vorstand die Geschäfte von Elsevier Science verantwortet. Weil Haank sein Amt erst am 1. Februar 2004 offiziell übernimmt, war über Zukunftspläne und Struktur von Springer+KAP nichts zu erfahren. Was man hörte war allerdings, dass Candover und Cinven sich ernsthaft nach Partnern umsehen, die in diesem Geschäftsbereich mit investieren wollen.

Taylor & Francis übernimmt Swets & Zeitlinger Publishers

Royal Swets & Zeitlinger, die holländische Muttergesellschaft von SwetsBlackwell, pardon, natürlich von Swets Information Services, wie die Subkriptionsagentur seit 2. Dezember 2003 (nach Übernahme der restlichen Blackwell Anteile) jetzt firmiert, hat seinen Geschäftsbereich Swets & Zeitlinger Publishers einschließlich der A.A. Balkema verkauft. Neuer Eigner des 1916 gegründeten Verlages (41 Zeitschriftentitel, rund 100 Buchproduktionen pro Jahr, Monographiebestand von 2000 Titeln) ist Taylor & Francis. Der weltweit agierende, britisch-stämmige Wissenschaftsverlag hat eine zweihundertjährige Firmengeschichte, 800 Zeitschriften im Sortiment und er publiziert rund 2.400 Bücher im Jahr. Royal Swets begründet die Ausgliederung der Verlagsaktivitäten mit "der allgemeinen strategischen Ausrichtung des Unternehmens, sich auf das Kerngeschäft in den Bereichen Outsourcing und Vertrieb sowie auf die Bereitstellung von Informationsdienstleistungen zu konzentrieren".

Autoren sollen für die Veröffentlichungen bezahlen

Parallel zur Wirtschaftskrise sorgt die Wissenschaft selbst für eine massive Verstärkung der Turbulenzen im internationalen Verlagswesen. Seit die elektronischen Medien eine vernünftig einsetzbare Technologie sind (die im Publikationswesen allerdings noch nicht zu Ende durchdacht ist), versuchen eine Reihe von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt, ihr Veröffentlichungswesen selbst zu organisieren. Dabei wollen sie durch neue Modelle vor allem den freien Zugang zu wissenschaftlicher Originalliteratur – den sogenannten "Open Access" – erzwingen. Nach einer Reihe wenig erfolgreicher Versuche gibt es mittlerweile einige interessante Ansätze, bei denen der Autor für die Veröffentlichung seines Aufsatzes bezahlt und der Zugriff darauf für Interessierte dann frei ist. An Ende dieser Entwicklung wird vielleicht tatsächlich ein, zumindest teilweiser, "Open Access" stehen. Das wissenschaftliche Publikations- und Informationswesen wird dadurch aber mit Sicherheit nicht kostenlos werden. Das geht in einer freien Marktwirtschaft einfach nicht – oder nur dann, wenn der Staat einspringt. Die Aussichten dafür sind bei der derzeitigen Finanzlage der Länder wohl eher trübe.

Keine signifikante Kostenreduzierung durch "Open Access" erwartet

Auch auf der Berliner Konferenz zum offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen, die Ende Oktober durch ihre zum Schluss verabschiedete, "Berliner Deklaration" für einiges Aufsehen sorgte, waren "Open Access" Geschäftsmodelle ein wichtiges Thema. Mit dem Papier setzen sich 19 Unterzeichner, darunter die Präsidenten der großen deutschen Forschungsgesellschaften (Max Plack, Fraunhofer, Leibniz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Deutsche Forschungsgemeinschaft) sowie die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat prinzipiell für den freien Zugriff auf Forschungsliteratur ein. In einer informativen, sachlichen Analyse stellte Konferenzteilnehmer Dr. Matthias Gottwald in der "Deutschen Stunde" in London die wichtigsten Diskussionspunkte von Berlin vor. "Die neuen Business-Modelle", erklärte Gottwald, "müssen ihre kommerzielle Tragfähigkeit erst noch beweisen". Der Leiter der Information Services and Library beim Pharmakonzern Schering berichtete, dass viele der Teilnehmer der Berliner Konferenz von der Umstellung auf "Open Access" keine signifikante Reduktion der Kosten des gesamten Prozesses erwarten. Der Informationsexperte lieferte auch Zahlen zum "Autor zahlt"-Modell: BioMedCentral kalkuliere 500 US Dollar bei bisher 7000 publizierten Artikeln, die Public Library of Science 1500 US Dollar pro Aufsatz. Die renommierte Zeitschrift Science erwartet bei einer Umstellung auf "Autor zahlt" Kosten von rund 10.000 US Dollar, die pro Aufsatz berappt werden müssten. Gottwald berichtete auch von einem Hybrid-Modell, das in Berlin angesprochen wurde: Dabei würde der Verlag wie bisher die Produktionskosten übernehmen. Dafür bekomme er die Exklusivrechte der Veröffentlichung für einen festgelegten Zeitraum zwischen drei und zwölf Monaten. Danach sollten nationale Institutionen die Langzeitarchivierung übernehmen und den freien Zugang zu den Artikeln gewähren. Die Begutachtung der Aufsätze, die bisher von den Verlagen mit Hilfe internationaler Gremien wissenschaftlicher Gutachter organisiert wird, soll durch ein "Interactive Journal Concept" innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft des jeweiligen Fachgebietes in Eigenregie oder von den neuen Anbietern wie BioMedCentral gelöst werden. Der Begutachtungsvorgang soll dadurch transparenter werden.

Digitale Publikation braucht einen langen Atem

Selbst Getraud Griepke, Leiterin der Abteilung elektronische Medien bei Springer und eigentlich bekannt für eine pragmatische Betrachtungsweise neuer Herausforderungen, gab sich in London diesmal beunruhigt. "In der digitalen Publikation braucht man einen langen Atem. Wer hat den noch? Strohfeuer bringen nichts. Sie zerstören nur", so die Managerin. Diejenigen, die sich derzeit so unglaublich stark machen würden für eine Selbstorganisation des wissenschaftlichen Publikationswesens, würden einige wesentliche Gesichtspunkte außer Betracht lassen. "Mit der Publikation alleine ist es nicht getan. Und man kann auch nicht alle Disziplinen über einen Kamm scheren", so Griepke. Wenn die Autoren für ihre Veröffentlichungen bezahlen sollen, brauche man dafür tragende Geschäftsmodelle. Griepke erwartet für die Zukunft eine Koexistenz der alten und neuen Modelle. Ihrer Meinung nach wird es weiterhin Publikationen geben, die sich über Abonnements finanzieren und daneben Modelle, bei denen der Autor für die Veröffentlichung seines Aufsatzes bezahlt.

Mathematiker erproben Archivierungsnetzwerk

Trotz zahlreicher Pilotprojekte ist vor allem auch die Frage der Langzeitarchivierung digitaler Publikationen nach wie vor nicht geklärt. Mit dem "Electronic Mathematics Archiving Network" (EMANI) ist die Mathematik einer der Wegbereiter. EMANI kann schon einiges vorweisen. Es bietet freien Zugang zu 100 Mathematikjournalen und zu einer Vielzahl retro-digitalisierter Printausgaben (www.emani.org). Das Projekt ist eine Partnerschaft zwischen Springer und führenden Wissenschaftsbibliotheken der Welt. Es wird gemeinsam von der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (D), der Cornell University Library (USA), der Tsinghua University Library in China und MathDoc, einem Zusammenschluss verschiedener französischer Mathematikbibliotheken und von Cellule MathDoc in Grenoble durchgeführt. "Die Idee war, die Verpflichtung zur Bewahrung an die Bibliotheken zu delegieren", so Projektkoordinator Professor Dr. Bernd Wegner, der in London auf dem Springer Stand internationale Kontakte für EMANI knüpfte. Wegner ist seit über 30 Jahren Chefredakteur des Zentralblattes für Mathematik, das vom FIZ Karlsruhe herausgegeben wird. Der erfahrene Wissenschaftler fordert: "Wir müssen jetzt Vorsorge treffen für das, was wir in zehn Jahren brauchen".

eLearning noch schwach vertreten

Auch Lynne Brindley, Leiterin der British Library, machte die Archivierung zu einem zentralen Punkt ihres Hauptvortrages auf der Online Information Conference. Die BL arbeitet hier an verschiedenen Projekten, die kurz gestreift wurden. Viel verriet Brindley leider nicht und auch im Konferenzband ist ihr Vortrag nicht abgedruckt. (Anfragen zu den Proceedings: online-information@imark.co.uk). Zweiter Schwerpunkt ihres Vortrages waren Aus- und Weiterbildungsfragen. Hier zitierte Brindley eine Studie, die sie nach eigenen Worten "geschockt" hat. Die Studie zeigt auf, dass die größten Hindernisse in der Aus- und Weiterbildung "kulturelle Barrieren der Manager sind", die Training nicht unterstützen. "Man sollte diese Leute nicht Führungskräfte nennen", so Brindley. Auf der Messe stellte die British Library ihren nagelneuen "Secure Electronic Delivery Service" vor. Durch den Einsatz einer neuen Technology, in die BL nach eigenen Angaben zwei Millionen Pfund investiert hat, wird der Zugriff auf die gesamten digitalen, gedruckten und mikroverfilmten Bestände innerhalb von zwei Stunden möglich. Digitalbestände können umgehend geliefert werden. Secure – sicher – bezieht sich in diesem Fall nur auf die Liefergarantie, nicht auf Datenschutzaspekte (www.bl.uk).

Multimedia-Bausteine als Lehrmittel für die Chemie

Eines der wenigen eLearning-Projekte präsentierte Dr. Jost Bohlen vom Fachinformationszentrum FIZ CHEMIE Berlin in der "Deutschen Stunde" mit dem "Vernetzten Studium – Chemie" (VS-C). Nach der aktuellen Sprachgebung in diesem Bereich muss man besser von einem "Blended-Learning-Projekt" sprechen. Im Unterschied zum eLearning, das unbetreute elektronische Kurse anbietet, verbindet Blended Learning den Unterricht von Trainern mit passendem elektronischem Unterrichtsmaterial. Im Rahmen von VS-C sind multimediale Lehr- und Lernbausteine für verschiedene Fachbereiche der Chemie entwickelt worden, die von Chemie-Lehrkräften wie ein Schulbuch oder ein Experiment eingesetzt werden können. Die Trainer können aus einem Baukasten mit elektronischem Lehrmaterial individuell Vorlesungen, Übungen zur Vorbereitung von Laboren und Praktika sowie zum Selbststudium der Lernenden zusammenstellen. VS-C wird seit 1999 mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums (BMBF) von 19 Hochschullehrern mit 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 16 Hochschulen in Deutschland Großbritannien und der Schweiz durchgeführt. (www.vs-c.de, www.fiz-chemie.de).

eSeminare nachts um eins...

Der amerikanische Chemical Abstracts Service CAS, einer der drei Betreiber des wissenschaftlich-technischen Datenbankverbundes STN International unterstützt seine Kunden mit Trainingsangeboten in Form von live übertragenen eSeminaren. CAS ist in Columbus, Ohio, USA angesiedelt. Die Vorträge werden meist so gegen ein Uhr nachts mitteleuropäischer Zeit im Internet gesendet. Weil man sich dieser Problematik bewusst ist, werden die Aufzeichnungen (Video und pdf-Dokumente) in einem Archiv zum späteren Abruf bereitgestellt (www.cas.org).

Professionelle Endnutzerverwaltung im Intranet als ASP-Lösung

Technisch zeigte die Online Information im 27. Jahr ihres Bestehens wenig Neues. Highlights boten einmal mehr STN International und Factiva, der Wirtschaftsinformationsdienst von Dow Jones und Reuter. Im letzten Jahr als Konzept angekündigt, präsentierte das FIZ Karlsruhe als europäischer Partner von STN International mit STN Easy for Intranets ein neues System, das es ermöglicht, wissenschaftlich-technische Online-Datenbanken und Volltexte nahtlos in Firmen- und Campusnetze zu integrieren. Der Clou dabei ist, dass weder in Software investiert werden muss, noch dass die Endnutzer Passwort, Identifikationscode oder Retrievalsprachkenntnisse brauchen. Das gesamte System arbeitet auf Kundenseite ausschließlich mit Standard-Webbrowsertechnologie. Alle für die Informationsbeschaffung und das Benutzermanagement benötigten Funktionen werden extern auf den Servern von STN International als sogenannte ASP-Lösung (Application Service Providing) abgearbeitet. Beim Einsatz von STN Easy for Intranets übernimmt der Informationsmanager im Unternehmen die Rolle eines Site Administrators für die Betriebsorganisation. Er wählt die Quellen aus und kann sie dann individuell für Benutzer oder Benutzergruppen frei schalten oder auch sperren. Durch die Vorauswahl ist auch die Qualität der Quellen abgesichert. So werden sämtliche Intranetbenutzer in die Lage versetzt, Standard-Informationssuchen über das Intranet jederzeit selbst durchführen zu können. Und noch eine sehr zukunftsträchtige Funktion bietet das System, die hier nicht unerwähnt bleiben sollte: Schwierige Recherchen, die von einem Fachmann oder einer Fachfrau durchgeführt werden müssen, oder auch nur Recherche-Ergebnisse, die für alle Intranetbenutzer interessant sind, können, wenn sie fertig sind, über STN Easy for Intranets zentral bereitgestellt werden. Die Endnutzer werden mit einer kleinen eMail darauf hingewiesen und können dann nach Belieben auf die Informationen zugreifen, ohne dass der Infoprofi kontaktiert werden muss.

Online-Informationsbeschaffung direkt aus dem Word-Dokument

Einen tiefen Blick in die Zukunft erlaubte Factiva in London. In einer Prototypenanwendung wurde am Stand "Research on the fly" eine Echtzeit-Informationsbeschaffung direkt aus einem Word-Dokument heraus demonstriert. Schreibt man zum Beispiel im Word-Text "Boots results", markiert diese beiden Worte und klickt auf ein Feld "Info", teilt sich das Fenster und rechts erscheint eine Liste. Darin werden die aufgelösten Suchbegriffe aufgeführt. Daneben sind Kästchen, die man anklicken kann, um die Fragestellung zu bestätigen. Da steht dann "Boots Ltd.", das Kästchen daneben ist schon ‚mal angeklickt, und "outcome" (als Synonym für result). Das Kästchen hat auch schon ein Häkchen. Es wird also davon ausgegangen, dass man etwas über das Unternehmen "Boots" und dessen wirtschaftliche Ergebnisse wissen will, nicht über Stiefel und Ergebnisse aus einer Warenprüfung bei der Stiftung Warentest. Sollte dem nicht so sein und man wollte wirklich etwas über Stiefel wissen, ist das auch kein Problem. Im unteren Teil des rechten Fensters fragt die freundliche Software, ob man in eine andere Kategorie wechseln will, zum Beispiel zu Bekleidung. Der bestätigende Knopfdruck auf "Anfrage abschicken" liefert dann Wirtschaftsinformationen zu Boots "on the fly" direkt aus der Factiva-Datenbank. Inklusive einer grafischen Darstellung des Aktienkurses. Ein hochspannender Ansatz. Microsoft, das lässt sich daraus auch ablesen, geht seinen Weg in die Informationswirtschaft langsam, aber mit mächtigen, zukunftsträchtigen Business-Trägern. Die Menschen, die das System benutzen, werden allerdings Training brauchen, um sich nicht total vom ursprünglichen Arbeitsziel "weglinken" zu lassen. Die Verknüpfung von Word (Office) mit der Factiva Datenbank soll Mitte nächsten Jahres marktreif sein.

Content Management Messe bringt neue Aussteller und Besucher

Insgesamt war London 2003 relativ ruhig. Die erstmals als "Messe in der Messe" in die "online information 2003" integrierte "content management Europe 2003"-Fachmesse füllte die Lücken in der Halle auf, die der Konzentrationsprozess der letzten Jahre ansonsten hinterlassen hätte. Und sie brachte neue Besucher und neue Aussteller. Die von der Informatik-Seite kommende Content-Management-Szene entdeckt gerade, dass man Information strukturieren muss, um sie später vernünftig wieder zu finden. Geduldig erklärten die Fachleute auf den Ständen den Besucherinnen und Besuchern (zumeist hochqualifizierte Informationsvermittler, Bibliothekarinnen und Bibliothekare), was Metadaten sind, und auf Nachfrage auch, dass sich SQL-Datenbanken für die strukturierte Informationsspeicherung gut eignen. Außerdem solle man die Information auch besser nicht komplett als XML-Dateien abspeichern, sondern sie in Informationsteile auflösen. Aber die Content Management Leute bringen auch etwas in die traditionelle Informationswirtschaft ein: Taxonomien und Ontologien – Sprachnetze, die über den Kontext Sinnzusammenhänge herstellen, zum Beispiel beim Wort Ball und Tor zur Kategorie Fußball wechseln, beim Wort Ball und Kleid zu Kulturveranstaltungen.

Was die neuen CM-Lösungen bringen werden, sind deutliche Verbesserungen der firmeninternen Verwaltung und Weiterverwendung von elektronisch erstellten Dokumenten. Word-Dokumente werden vom Autor in das CM-System eingestellt und von ihm mit Metadaten versehen. Damit das ganze nicht allzu durcheinander läuft, gibt ein Eingabeformular vor, welche Informationen an welcher Stelle benötigt werden. Aus den CM-Systemen heraus können dann alle möglichen Ausgabegeräte und -formate bedient werden, zum Beispiel, um eine Broschüre bei Bedarf auszudrucken.

Achtung, Versorgungslücke!

Alles in allem brachte London 2003 einige interessante Einzellösungen und Weiterentwicklungen in der elektronischen Information, aber kein einziges System, das die gesamte Prozesskette der Informationsversorgung von der Entstehung des Manuskriptes über den Begutachtungsprozess und die Produktion bis hin zur Bereitstellung, Vermarktung und Langzeitarchivierung berücksichtigt.

Die meisten Informationsliefersysteme setzen auf Publikationen auf, die weltweit von Verlagen veröffentlicht werden. Der Transformationsprozess im Publikationswesen wird sich nicht aufhalten lassen und er soll auch nicht aufgehalten werden. Aber solange niemand sich für den Gesamtprozess zuständig fühlt und eine Idee hat, wie er gesichert werden kann, sollte man sich tunlichst davor hüten, die bestehende, funktionierende Infrastruktur aus Verlagen, Agenturen, Bibliotheken und Buchhandlungen kaputt zu machen. Vielmehr sollte man überlegen, auf diesem global funktionierenden System die Zukunft aufzubauen. Den Vorkämpfern des freien Zugangs sei deshalb angeraten, mit ihnen, und nicht gegen sie zu arbeiten. Und man sollte ihnen als Denkanstoß den Standardspruch der Londoner U-Bahn-Fahrer ans Herz legen, mit dem diese unermüdlich ihre Fahrgäste vor einem unkontrollierten Sturz in die Lücke zwischen Zug und Plattform warnen: "Mind the Gap". Von "Open Access" bis zu einer langfristig gesicherten Informationsversorgung für die Wissenschaft und Forschung ist es noch ein ganz langer Weg. Dazwischen könnte sich, beobachtet man die derzeitige Entwicklung, eine gewaltige Versorgungslücke auftun. Deshalb, noch einmal: "Mind the Gap".


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Vera Münch

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