Die Preservation Academy Leipzig
Bestandserhaltung und Massenentsäuerung

von Hartmut Zeeb

Wie groß der Bedarf an speziellen Angeboten zur Bestandserhaltung für Bibliotheken, Archive und Sammlungen ist, weiß jeder, der in entsprechenden Einrichtungen arbeitet. Ebenso bekannt ist die notorische Mittelknappheit insbesondere öffentlicher Institutionen. Damit sind entscheidende Argumente bereits angesprochen, mit denen sich diejenigen auseinandersetzen müssen, die in diesen Jahren beschließen, ihr wissenschaftliches und technisches Know-how zu nutzen und in diesem Markt neue Angebote zu schaffen: Die Aufgabenfülle ist überwältigend groß, die Kassen sind erschütternd leer.

Hoch spezialisierter Partner für fast alle Fälle

Ein gewisses Aufsehen ist unter diesen Umständen demjenigen sicher, der nicht nur antritt, um die bestehenden Angebote auszuweiten und zu ergänzen, sondern auch noch die Ambition hat, aus dem Stand zu einer international bedeutenden Einrichtung auf diesem Gebiet zu werden. Die im Frühjahr 2003 gegründete PAL Preservation Academy GmbH Leipzig hat diesen Ehrgeiz und will in kurzer Zeit zur ersten Adresse auf dem Markt für Bestandserhaltung werden - nicht nur in Deutschland, sondern möglichst weltweit, nicht nur als Auftragnehmer und Dienstleister, sondern auch als Kompetenzzentrum, Ort des internationalen Wissensaustausches und Stätte der Wissensvermittlung.

Als hoch spezialisierter Partner für fast alle Fälle, in denen es um die Erhaltung von Kulturgütern aus Papier geht, bietet die Preservation Academy sämtliche relevanten Leistungen für Bibliotheken, Archive und Sammlungen unter einem Dach. Dies wurde dadurch möglich, dass einer der international renommiertesten Papierrestauratoren von Anfang an mit von der Partie war und die Konzeption für eine Einrichtung an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, zwischen Forschung und Lehre einerseits und wirtschaftlich handelndem Unternehmen andererseits mit entwickelt hat. Professor Dr. Wolfgang Wächter, einst Chefrestaurator und Gründer des Zentrums für Bucherhaltung an der Deutschen Bücherei Leipzig, der als Erfinder des weltweit beachteten automatisierten Papierspaltverfahrens gilt, hat einige frühere Mitarbeiter an seine neue Wirkungsstätte im traditionellen Leipziger Druckerei- und Verlagsviertel - die Adresse an der Kreuzstraße beim historischen Reclam-Areal ist unbedingt als Bekenntnis zum Standort gemeint - mitgebracht. Zweifler an der mutigen Strategie des ungewöhnlichen Konzepts, das für sich in Anspruch nimmt, wissenschaftliche Freiheit und wirtschaftliche Zwänge integrieren zu können, belehrt Professor Wächter eines Besseren: "Wir sehen uns keinesfalls als Konkurrenz für Ausbildungsgänge an den etablierten Ausbildungseinrichtungen, aber wir haben ein Interesse daran, beispielsweise bei allen Kunden auf qualifizierte Partner zu treffen. Weder soll die Theorie die Praxis beherrschen, noch umgekehrt. Deshalb geht es bei uns um Erkenntnisgewinn für die Arbeit am Originalobjekt und um die konkrete Umsetzung in der Praxis. Dabei gewinnt der Projektgedanke immer mehr an Bedeutung. So entsteht ein enormer Handlungsbedarf."

Es gibt kein Geheimnis der Preservation Academy, aber es gibt ein Programm

Im übrigen sorgen die erfahrenen Gesellschafter und Geschäftsführer der PAL Preservation Academy GmbH Leipzig dafür, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen: Der Berliner Verleger Claus Michaletz baute in den 1970er und 80er Jahren den wissenschaftlichen Springer-Verlag zum dominierenden Wissenschaftsverlag auf. Nach dem Verkauf an Bertelsmann gründete Michaletz den Berliner Wissenschaftsverlag. Auch die Betriebswirtin und Unternehmerin Nadine Becker brachte reichlich Erfahrung aus der Bestandserhaltung mit. Gestartet wurde mit acht Mitarbeitern, bis heute hat sich die Zahl bereits mehr als verdoppelt.

Das Konzept stimmt also offenbar, das beweisen auch die ersten großen Aufträge, die erfolgreich abgeschlossen wurden. "Es gibt kein Geheimnis der Preservation Academy, sondern Wissen, Können und hervorragende Mitarbeiter", sagt Professor Wächter. "Und es gibt ein Programm. Dieses sieht vor, dass hier in Leipzig die neuesten technischen Verfahren sowie fundierte restauratorische Kenntnisse und Erfahrungen zusammen kommen. Auf diese Weise garantieren wir unseren Kunden höchstes Niveau bei der Bearbeitung ihrer wertvollen Objekte." Für den Anfang setzte man vor allem auf den Geschäftsbereich Massenentsäuerung, in dem bisher auch die meisten Umsätze generiert werden. "Mit dem Einsatz des technologisch führenden CSC Book Saver®-Verfahrens ist unser Angebot im Bereich Massenentsäuerung auf dem allerneuesten Stand", sagt Professor Wächter.

Langjährige Erfahrung bei Entwicklung und Praxis von Massenentsäuerungsprojekten

Auch diese Aussage zeugt vom Selbstbewusstsein der Preservation Academy - schließlich ist man bei der Entsäuerung von papierenen Kulturgütern nicht ohne Konkurrenz. "Wir müssen den Wettbewerb auf keinem Gebiet scheuen", betont Geschäftsführerin Nadine Becker. "Gerade bei der Massenentsäuerung konnten wir vom Start an eine Technologie anbieten, von der wir glauben, dass es derzeit die modernste und effektivste ist."

In Anbetracht der immer größer werdenden Mengen von bedrohten Kulturgütern, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus vermeintlich preiswerten, aber schnell alternden Papieren hergestellt wurden, ist es eine echte Herausforderung für Wissenschaftler und Ingenieure, Massenverfahren zu entwickeln, die in der Lage sind, große Chargen von gebundenen Büchern, aber auch Einzelblätter in einem individuell steuerbaren Prozess zu entsäuern. "Meine Mitarbeiter und ich arbeiten seit vielen Jahren an der Entwicklung und Praxis von Massenentsäuerungsprojekten, davon profitiert die Preservation Academy natürlich heute enorm", sagt Professor Wächter. "Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung haben wir uns im vergangenen Jahr für den exklusiven Einsatz des Verfahrens entschieden, das nach unseren neuesten Erkenntnissen und Tests bei größtmöglicher Schonung der Papiere die maximale Effizienz verspricht."

Um sicherzustellen, dass die eigenen Bedürfnisse bei der technologischen Weiterentwicklung berücksichtigt werden, hat sich die Preservation Academy Anteile der CSC Conservación de Sustratos Celulósicos, S.L. gesichert und die exklusiven Lizenzrechte für das CSC Book Saver®-Verfahren für große Teile Europas und Nordamerika übernommen.

Modernste Technologie an der Preservation Academy: CSC Book Saver-Prozess

Was ist das Besondere am CSC Book Saver®-Prozess? Es handelt sich um das zurzeit modernste Flüssigphasen-Entsäuerungsverfahren: Carbonisiertes Magnesiumpropylat wird in Heptafluorpentan HFC 227 gelöst und in einem nichtwässrigen Tränkprozess angewendet. Dank technologischer und verfahrenstechnischer Vorteile gegenüber anderen Tränkverfahren lassen sich die konservatorischen Ziele umfassender realisieren. Das CSC-Verfahren kann ohne aufwändige und belastende Vortrocknung des Behandlungsgutes im Tieftemperaturbereich angewendet werden. Daraus ergeben sich eine Verkürzung des Entsäuerungsprozesses und die Beibehaltung des originalen Materialgefüges während der Behandlung. Durch den weitest gehenden Verzicht auf die Vortrocknung werden Verwerfungen an Einbänden und Verklebungen, Versprödung und Dimensionsveränderungen vermieden.

Der Entsäuerungsprozess im Tieftemperaturbereich führt zur Verbesserung der Stabilität fast aller Pigmente während der Behandlung. Stempel, Tinten, Tintenstifte, farbige Einbandmaterialien, Gold- und Farbschnitte sowie Folienauflagen zeigen nur sehr selten die bekannten negativen Veränderungen wie das "Ausbluten", Newton‘sche Ringe wurden gar nicht beobachtet. Selbst Ledereinbände bedürfen keiner Vor- oder Nachbehandlung. In den seltenen Fällen, in denen es zu weißen Ablagerungen kommt, genügt eine einfache Nachbehandlung, da solche Beläge nur lose auf den Flächen liegen.

Die Behandlungsschritte sind: Kühlung, Tränkung, Imprägnierung und Lösungsmittelrückgewinnung. Bei kleinen Behandlungschargen von je vierzig Kilogramm und kurzen Behandlungszeiten von etwa drei Stunden sind Vorauswahl und Kontrollen an jedem Original fester Bestandteil der Entsäuerungsbehandlung. Qualitätskontrollen erfolgen intern sowie in unabhängigen externen Analyselaboren. Mit Referenzpapieren, die vor der Behandlung in die Objekte eingelegt werden, wird das Entsäuerungsergebnis unmittelbar nach der Behandlung kontrolliert. An die erste Überblicksprüfung mit Indikatoren schließt sich eine Standard-Oberflächen-pH-Messung an. Die Überprüfung der Homogenität der Entsäuerung, der alkalischen Reserve, der Bruchkraft nach Falzung, der Vergilbung und anderer Parameter erfolgt in den Laboren der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig oder der Wolfener Analytik GmbH in Bitterfeld.

Dass die gewünschten Behandlungsergebnisse selbst bei sensiblen Materialkombinationen wie etwa bei Mischkonvoluten mit modernen Schreibstoffen, Kopien unterschiedlichster Art, Fotos oder Pergamentbeilagen erreicht werden, steigert die Effizienz und Attraktivität dieser Massenentsäuerungstechnologie. Im Unterschied zur Standardbehandlung erfolgt bei schwierigen Beständen vor der Kühlung eine Reduzierung des Wassergehaltes von sieben bis acht auf fünf Prozent - schonend bei fünfundvierzig Grad Celsius innerhalb weniger Stunden. Die Verwendung des Lösungsmittels HFC 227 impliziert keinerlei toxische Risiken, weil es in einem geschlossenen Kreislauf zurück gewonnen und nach Destillation wiederverwertet wird. Das bei der Neutralisierungsreaktion entstehende Propanol verdunstet in wenigen Tagen; die Alkoholbelastung ist geringer als bei vergleichbaren Verfahren, die gesetzlich festgelegten MAK-Werte werden deutlich unterschritten.

Kulturhistorische Aspekte der Massenentsäuerung

So interessant die Massenentsäuerung unter technischen Aspekten ist - man darf auch die kulturhistorischen Aspekte und Argumente nicht außer Acht lassen, die solche Verfahren geradezu fordern: Sich auf herkömmliche Methoden der Papierrestaurierung beschränken hieße, eine Auswahl für wenige und gegen viele Kulturgüter zu treffen, denn große Quantitäten lassen sich nur in Massenverfahren bezahlbar bearbeiten. Wer aber sollte für die Entscheidung verantwortlich sein, welche Bücher und Dokumente als Originale für künftige Generationen aufbewahrt werden müssen und welche verrotten dürfen?

In sehr vielen Fällen ist das ein unauflösbares Dilemma, etwa beim Internationalen Suchdienst (International Tracing Service, ITS), der im Auftrag des Internationalen Kommitees vom Roten Kreuz in Bad Arolsen das weltweit größte NS-Opfer-Archiv führt. Auf der Grundlage der hier gesammelten 47 Millionen Einzelinformationen über rund 17 Millionen Menschen werden Bescheinigungen ausgestellt, die auch über die Auszahlung von Geldern an Einzelpersonen aus den Entschädigungsfonds entscheiden. Sollten diese 24.000 laufenden Meter Originaldokumente, von denen jedes Einzelne vom Ausgeliefertsein eines Menschen an ein Terrorregime zeugt und dabei im sachlichen Beamtenton die erschütternde Banalität des Bösen offenbart, wie kein Roman es je könnte, wirklich verrotten dürfen, nachdem man sie digitalisiert hat? Es sind Originale, deren Aussagekraft keine Kopie je ersetzen kann. Beim ITS ist die Position eindeutig: Er beauftragte die Preservation Academy mit der Massenentsäuerung und Entlaminierung von zunächst mehreren Millionen Einzelobjekten.


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