von Judith Zwick
Die Stadtbücherei Bochum, die Städtischen Bibliotheken Dresden und die Bertelsmann Stiftung dokumentieren die Maßnahmen und Ergebnisse ihres Projektes "Bibliotheksfilialen - Optimierung von Angebot und Organisation".
Es wurde viel nachgedacht in den vergangenen fünf Jahren in Bochum, Dresden und Gütersloh. Und dabei kreisten die Gedanken immer wieder um die Frage: Wie können Zweigstellen heute weiterhin zeitgemäß, kundenorientiert und effizient arbeiten? Die Bibliotheksfilialen und ihre Zukunftsperspektiven - seit 1998 beschäftigt sich die Bertelsmann Stiftung mit diesem Thema. In einem fünfjährigen Modellprojekt "Bibliotheksfilialen - Optimierung von Angebot und Organisation" (1998-2003) hat sie hierfür gemeinsam mit den öffentlichen Bibliotheken in Bochum und Dresden nach Lösungswegen gesucht und Maßnahmen für den Betrieb von Zweigstellen bzw. zur Gestaltung von Bibliothekssystemen erprobt.
Mit einer verstärkten Profilbildung über Themen und Zielgruppen, dem Aufbau neuer mobiler bzw. digitaler Vertriebs- und Kommunikationsformen, durch die strategische Kooperation der Bibliotheksstandorte untereinander sowie mit lokalen Partnern haben sich die Bibliotheken in Bochum und Dresden auf einen sehr erfolgreichen Weg gemacht und Maßnahmen in vier Arbeitsfeldern erprobt (vgl. Abb. 1).
Ziel des Projektes war es, in den Projektbibliotheken eine maximale Kundenorientierung zu erreichen und die Wirkungspotenziale zu erhöhen, um damit den Ressourcen-Einsatz zu optimieren. Als Indikatoren für den Erfolg wurden gewählt:
Angebot | Distribution | Kommunikation | Organisation und Wirtschaftlichkeit |
Themenbibliotheken
| Standortoptimierungen und -verlagerungen |
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
| Interne Lieferdienste |
Nachbarschaftsbibliotheken
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elektronische Dienste
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Werbung
| Rotationsbestände |
filialübergreifende Ansätze
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mobile Angebote
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Stakeholdermanagement |
Kooperationen und Partnerschaften
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monatliches Berichtswesen |
Abbildung 1: Die Projektmaßnahmen im Überblick
Der Aufbau von vier Themen- bzw. Zielgruppenbibliotheken - je zwei pro Stadt - zählt dabei sicherlich zu einem der konzeptionellen Höhepunkte innerhalb des Projektes, denn der Filialtyp verfolgt einen komplett neuen Ansatz.
"Eine Bibliothek zeigt Profil" - so etwa könnte der Slogan für die Familienbibliothek und die Job-Karriere-Bibliothek in Bochum lauten sowie die Reisebibliothek und die medien@age, Dresdens neue Bibliothek für junge Kunden. Sie alle haben ihr ehemals breit angelegtes Konzept verworfen, ihr Informations- und Dienstleistungsspektrum umfassend auf ein spezielles Thema bzw. eine Zielgruppe zugeschnitten und damit auf nachfragestarke Themen innerhalb ihrer Kommunen reagiert (vgl. Abb. 2).
Themengebiete | Dresden | Bochum |
Reisen | 73 | 77 |
Neue Trends | 48 | 58 |
Gesundheit | 71 | 80 |
Heimwerken/Basteln | 47 | 56 |
Familie/Kinder | 66 | 78 |
Technik | 43 | 46 |
Naturwissenschaften | 59 | 59 |
TV/EDV/Computer | 42 | 45 |
Haushalt/Kochen/Garten | 59 | 63 |
Ausbildung | 41 | 46 |
Arbeit/Beruf | 58 | 68 |
Sprachen | 35 | 44 |
Sport | 53 | 64 |
Wirtschaft/Aktien/Börse | 26 | 32 |
Kunst/Film/Foto | 51 | 48 |
Abbildung 2: In der Bevölkerungsbefragung 1999
favorisierte Themengebiete in Prozent
Mit ihrem thematischen Angebot gehen die Themenbibliotheken daher in Qualität und Quantität über das der üblichen Zweigstellen, aber auch das der Zentralbibliothek hinaus. Eine Reduzierung mit Gewinn, denn das profilierte Angebot
Damit die Ansprache über Themen und der Zugang über die persönliche "Lebenssituation" optimal gelingt, bedarf es zudem einer strategischen Kommunikation: Die Themenbibliotheken in Bochum und Dresden verkaufen ihr neues Profil und ihre gesamte Filiale daher als echte "Marke". Eine individuelle Corporate Identity und Außendarstellung sind für sie selbstverständlich geworden. Und auch ihre Medienpräsentation und die Vertriebsformen haben sie ihren speziellen Zielgruppen angepasst. Dabei wurden im Vorfeld u.a. Überlegungen zum Standort, die Mediengewohnheiten und Erwartungen der jeweiligen Zielgruppen analysiert: Fragen wie "Wo erreiche ich die Zielgruppe am besten?", "Entspricht das lokale Umfeld unserer Zielgruppe?", "Mit welchen Vertriebskanälen erreichen wir unsere Kunden?" waren hierbei entscheidend. Die medien@age beispielsweise hat sich der "Welt" ihrer jungen Kunden optimal angepasst: Die Lage der Bibliothek mitten im trubeligen Zentrum der Stadt, ihr flippiges Design und ihr neuer SMS-Nachrichten-Service sind nicht die einzigen Indizien für die Neuausrichung der Bibliothek.
1. Thematisches Informations- und Dienstleistungsangebot |
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2. "Strategischer" Standort und zielgruppenspezifische Distributionsmaßnahmen |
Attraktiver Standort |
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Kundenorientierte Medienpräsentation |
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Mobile Dienste / Digitale Dienste |
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3. Kooperationen mit externen Partnern |
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4. Vermarktung als "Marke" |
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Abbildung 5: Merkmale einer Themenbibliothek
Das Ergebnis nach fünf Jahren Projektarbeit? Die klare Aufgabendefinition der Themenfilialen hat den Bibliotheken in Bochum und Dresden nicht nur neue Angebote und Services gebracht. Die internen Leistungsergebnisse zeigen, dass die einzelnen Projektbibliotheken in beiden Städten im Vergleich zu den übrigen Filialen deutlich höhere Nutzungssteigerungen erreicht haben; mit ihren Steigerungsraten übertreffen sie teilweise sogar die hohen Leistungsziele des Projektes von 30 Prozent. Die Familienbibliothek in Bochum beispielsweise verzeichnete im Jahr 2002 Steigerungen von 48 Prozent bei den Ausleihen (Umschlag von 8,9), 11 Prozent bei den Besuchen und 45 Prozent bei dem Indikator "Neue Kunden im Vergleich zu ihrem Ausgangsjahr, d.h. vor der konzeptionellen Neuausrichtung.
Aber auch die Bevölkerungsbefragung in beiden Kommunen aus dem Jahr 2003 bestätigen den strategischen Ansatz der Themenbibliotheken: Die Bevölkerung nutzt heute im Vergleich zum Projektbeginn vermehrt die unterschiedlichen Standorte der Bibliothek, wobei vor allem die dezentralen Themenbibliotheken - die Familienbibliothek Bochum und die medien@age Dresden - eine hohe Aufmerksamkeit erzielen.1 Von allen neu konzipierten Bibliotheken spielen sie die größte Rolle bei der Entscheidung neuer Kunden, die Institution Bibliothek erstmals aufzusuchen. Etwa vierzig Prozent der Kunden, die im Projektzeitraum zum ersten Mal in die Bibliothek kamen, geben die medien@age bzw. die Familienbibliothek als Auslöser an.
Die Profilierung zeigt Erfolg - für die einzelnen Bibliotheken und das Gesamtsystem. Themenbibliotheken könnten daher auch zukünftig eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von großstädtischen Bibliothekssystemen spielen. Die kommunalen Bibliotheken in Bochum und Dresden haben diesen Weg gewählt und ihre Leistung, Attraktivität und Wirkung damit erhöht. Doch der Erfolg und das Projektende bedeuten nicht das Ende des Optimierungsprozesses - darüber ist man sich in beiden Häusern einig. Es wird auch zukünftig viel nachgedacht werden in Bochum und Dresden.
Detailliertere Informationen zu den Themenbibliotheken und allen anderen Projektmaßnahmen und -ergebnissen lesen Sie in der neu erschienenen Publikation "Bibliotheksfilialen im Blick - Ein Leitfaden für Angebot und Organisation", Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), erschienen im Februar 2004, 245 Seiten, Broschur inkl. CD-ROM, ISBN 3-89204-702-2, kostenlos.
Zur Autorin
Judith Zwick ist Projektmanagerin bei der
Bertelsmann Stiftung
Carl-Bertelsmann-Straße 256
D-33311 Gütersloh
E-Mail: judith-zwick@bertelsmann.de
Anmerkung
1. Im Projekt wurden Themenbibliotheken sowohl an dezentralen, unabhängigen Standorten umgesetzt als auch innerhalb der Hauptbibliothek, als so genanntes Shop-in-Shop-Modell. Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile. Gewichtiges wirtschaftliches Argument für die Shop-in-Shop-Modelle sind die in der Hauptbibliothek meist ausgedehnten Öffnungszeiten: Die exzellenten Angebote der Themenbibliotheken möchte man für möglichst viele Stunden pro Woche zugänglich machen.
Unterschätzt werden darf jedoch nicht, dass ein dezentraler, eigenständiger Standort deutliche Vorteile mit sich bringt bei der Positionierung einer Themenbibliothek als Marke.