Battles, Matthew:
Die Welt der Bücher: Eine Geschichte der Bibliothek


- Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2003. 255 S.
ISBN 3-538-01765-9. Euro 24,90

Der passionierte Büchersammler Matthew Battles, Bibliothekar an der Bibliothek der Harvard University und Kolumnenschreiber für Harper`s, erweist sich mit seinem ersten Buch als glänzender Erzähler. Er verbindet geschickt die Bibliophilie mit dem bibliothekarischen Beruf, unternimmt eine Reise in 3000 Jahre Geschichte des Büchersammelns und spaziert ohne Atem zu holen scheinbar spielend von einem Thema zum anderen. Dieser Verführung ist der Rezensent vollkommen erlegen und hat diesen Essay in "einem Zug" gelesen.

Wie bei einem Essay üblich, verzichtet Battles auf eine Einführung und lässt den Leser seine Absichten und Ziele erraten. Das ist bei dem großen Bogen, den Battles auf nur 255 Seiten spannt, nicht einfach. Da können weder Glossar noch Register helfen, denn beide fehlen. Nur eine galante Danksagung und ein umfassender Quellennachweis lassen die Leidenschaft, das Wissen und den Aufwand erahnen, die Battles getrieben haben, um das Essay zu schreiben.

Im ersten Kapitel verrät er uns ein wenig von seiner Methode. Sie "lässt an Eugene Gant denken: Ich nehme ein Buch heraus - vielleicht ist es Gibbons Verfall und Untergang des römischen Imperiums - und irgendetwas, was ich dort lese, führt mich zu den Gedichten des Kallimachos oder den Briefen des Seneca. Ich lege einen Finger zwischen diese Seiten und verfolge eine Spur, die von Cassiodorus zu Francis Bacon führt, vom Kalifen Omar zu Jonathan Swift und John Stuart Mill. Ich gerate von einer Passage zur nächsten, schlängele mich zwischen den Gebieten hindurch, bin verloren inmitten der Regale. (…) Obwohl ich mich einfach treiben lasse, gehe ich doch nach einem bestimmten Plan vor: Ich suche nach der Bibliothek dort, wo sie lebt." (S. 27-28)

Da müssen wir fremde Hilfe in Anspruch nehmen - den Verlag. Dieser wirbt auf dem Schutzumschlag für eine "unwiderstehliche Geschichte der menschlichen Passion für Bibliotheken, verfasst von einem großen Buchliebhaber und Erzähler." Am Schluss des Klappentextes wird er ganz konkret: "Das ist Battles` Thema: Die Geschichte der Bibliothek ist auch die Geschichte des menschlichen Versuchs, Ordnung und Beständigkeit in die Welt zu bringen - und dessen letztendliches Scheitern. Und doch bleibt er optimistisch: Trotz Barbaren und größenwahnsinnigen Herrschern, trotz des wütenden Mobs, trotz Naturkatastrophen und den Fängen der Technik - das Verlangen der Menschen nach Büchern hat das Überleben der Bibliothek gesichert und wird es auch weiterhin tun."

Battles geht also der Faszination Bibliothek als Spiegelbild der Gesellschaft nach. Die Überschriften der sieben Kapitel zeigen sein Programm: Bibliotheken lesen - Alexandria brennt - Das Haus der Weisheit - Die Bücherschlacht - Bücher für alle - Wissen in Flammen - Verloren in den Regalen.

Seine wichtigsten Themen sind:

Immer wieder sind es die Fallbeispiele (Havard University, British Museum, Library of Congress) und die dynamischen Gestalten (Panizzi, Dewey, Jonathan Swift, Max Beerbohm), die dem Buch das Romanhafte verleihen. Aneinandergereiht und verbunden durch politische, wirtschaftliche und technische Ereignisse und eingebunden in die Geschichte des Schreibens, der Schrift und der Beschreibstoffe sowie des Lesens entsteht auf diese Weise ein Panorama der Bibliothek in der Menschheitsgeschichte.

Das Buch ist aber auch voller Kritik an gesellschaftlichen Zuständen wie dem Gebrauch und Missbrauch der Bibliothek durch die Politik (bis hin zum Irak-Krieg, denn "Präzisionsbomben können heute Bibliotheken zerstören, von deren Existenz wir nicht einmal wissen!", S. 33).

Battles stellt an seine Leser hohe Anforderungen an Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Büchern, Bibliotheken und historischen Ereignissen. So ist dieser wunderbare Essay eine Erziehung zum Lesen und Sammeln von Büchern und zur Nutzung von Bibliotheken über 3000 Jahre. Aber er ist keine Geschichte der Bibliotheken für Bibliothekare, dazu ist ein Essay ohnehin nicht geeignet.

Der Rezensent hofft, dass das Buch viele Leser findet. Es ist ein ausgezeichnetes Geschenk für jeden Bibliophilen und Bibliomanen, für jeden Studenten und jungen Wissenschaftler, und es ist eine willkommene Lektüre für Bibliothekare, Verleger, Buchhändler und Archivare.

Ähnliche Gedanken finden sich bei Nikolaus Wegmanns (1) ungewohnt anderer Sicht auf die Bibliothek und die Bibliothekswissenschaft und seinen vielgestaltigen philosophischen, ideengeschichtlichen, literaturwissenschaftlichen und bibliothekswissenschaftlichen Exkursen.


(1) Wegmann, Nikolaus: Bücherlabyrinthe: Suchen und Finden im alexandrinischen Zeitalter. Köln, 2000. XII, 368 S. - Vgl. die Rezension in B.I.T.online 4 (2001) 1, S. 120-121.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
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