Hempel, Siegfried: Bibliographie der Miniaturbücher

- ein Verzeichnis kleinformatiger Bücher, die in der Deutschen Demokratischen Republik zwischen 1949 und 1990 erschienen sind / Siegfried Hempel; Erhard Walter

- Leipzig Miniaturbuchverlag, 2002. 1280 S. Bd 1-3
ISBN 3-910135-95-1. Euro 102,00

Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1979 sandte mir die Dresdner Bibliothekarin und Einbandforscherin Ilse Schunke die Kopie eines von ihr verfassten Artikels aus dem Jahre 1927 zu. Die Autorin schreibt am Schluss ihres in wundervollem Stil abgefassten Beitrages: "Wir merken, diese kleinsten Bücher geben einen Typus wieder, der zu allen Zeiten dem Bedürfnis der Bücherfreunde gleichmäßig stark entsprochen hat, und dadurch kultur- und buchgeschichtlich dauernd bedeutsam bleibt. Keine müßige Laune ist es, aus der sie entstanden, keine verächtliche Grille, mit deren Beachtung der Wissenschaftler nichts zu tun hat, hat sie hervorgerufen, sie repräsentieren vielmehr ein wertvolles Stück unserer Kleinkunst und erweisen sich als eine recht lebendige, kleine Grille, deren Musik man wohl einmal lauschen kann, auch wenn man sich in der gewaltigen Bergwelt der großen wissenschaftlichen oder künstlerischen Werke befindet." (1) Besser kann man die Leidenschaft für die "Bücher kleinsten Formates" nicht beschreiben.

75 Jahre später kann ich als Fazit ziehen: Die Anzahl der Minibücher ist ins Unermessliche gestiegen. Ohne Monographien (2) (3), Fachzeitschriften (4), Bibliographien (5) und Dissertationen (6) geht die Übersicht ganz verloren. Mit der Fülle der Titel entwickelte sich ein eigener Zweig innerhalb der Bibliophilie, die Mini- oder Mikrobibliophilie.

Die DDR war ein Eldorado für die Freunde des Minibuches (7), und im Laufe der Zeit entwickelten sich auch hier Freundeskreise, Tauschbörsen, bibliographische Aktivitäten und fachspezifische Publikationen.

Nun liegt eine illustrierte Bibliographie der in der DDR erschienenen Miniaturbücher vor. Sie erschien nach jahrelangen umfangreichen Vorbereitungen und Recherchen. Die Autoren besitzen als Autoren, Drucker und Verleger jahrzehntelange Erfahrungen in der Vorbereitung, Produktion und Verteilung von Miniaturbüchern. Unterstützt wurden sie durch den Freundeskreis Miniaturbuch Berlin und zahlreiche Sammler.

Das Ergebnis ist ein makelloser bibliographischer Überblick über 40 Jahre Miniaturbuchproduktion. In diesem historisch kurzen Zeitraum erschienen 655 Titel, die mit Titelaufnahme und ganzseitiger Abbildung des Werkes chronologisch nach Erscheinungsjahren verzeichnet und durch ein Titelregister erschlossen werden. Um die Vielfalt zu zeigen, sollen einige Beispiele genannt werden: Das Buch Nummer 1 (1949) titelte "Aus Goethes Faust", Nummer 100 (1977) "Sport in der DDR: Alltag und Feste", Nummer 250 (1984) "Karl Wüstefeld: Sylvester- und Neujahrsbräuche", Nummer 300 (1985) "Dresdner Oper: Vier Dresdner Opernjahrhunderte" und Nummer 400 (1986) "Giovanni B.: Fünf Geschichten aus dem Dekameron des Giovanni Boccaccio".

Erfasst werden nur Festeinbände bis zu einer Maximalgröße von 100 x 100 mm. Unberücksichtigt bleiben Broschuren, Werbedrucksachen, Kartenspiele, Wörterbücher und Leporellos - die Dunkelziffer dieser Miniaturen ist sehr hoch. Umgeben von meiner eigenen bescheidenen Minibuchsammlung konnte ich bei Stichproben weder Fehler noch Versäumnisse feststellen.

Die Bibliographie ist in mehrfacher Hinsicht "gut verpackt". Die drei Bände werden mit je einem exzellent geschriebenen Essay eingeleitet ("Aus der Geschichte der Miniaturbücher" in Band 1, "Miniaturbücher: ihre Sammler und Sammlungen" in Band 2; "Zur technischen Herstellung der Miniaturbücher" in Band 3) und in einen blauen Taftseide-Einband nebst gleichgestaltetem Schuber eingehüllt.

Die Bibliographie hilft Sammlern in der ganzen Welt beim Aufspüren von DDR-Miniaturbüchern. Bibliotheken, die Miniaturbücher aus der DDR-Produktion besitzen, ist sie ein unverzichtbares Handwerkszeug zur Erwerbung und Erschließung ihrer Sammlungen. Dem Historiker, insbesondere dem Buch- und Bibliothekshistoriker, kann sie bei der Analyse der Buchproduktion, des Buchbesitzes und der bibliophilen Sammelleidenschaft in der DDR behilflich sein. Bibliophilen Gesellschaften des Auslandes ist sie ein Vorbild für eigene bibliographische Unternehmungen.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


1. Schunke, Ilse: Bücher kleinsten Formates. In: Dresdner Anzeiger. Wissenschaftliche Beilage vom 20.12.1927.

2. Vgl. dazu auch: Schmidmaier, Dieter: Minibücher - Sinn und Übertreibung. Börsenbl. Dt. Buchh. Leipzig 144 (1977) 20, S. 398-400.

3. z.B. das vorzügliche Buch von L.W. Bondy: Miniature books: their history from the beginnings to the present day. London, 1981.

4. als Beispiel sei die ungarische Zeitschrift genannt: Mikrobibliofilok (s. Schmidmaier, Dieter: Mikrobibliofilok. In: Marginalien (1979) 2, S. 74-76)

5. z.B. für Russland "Miniatjurnye knigi SSSR" (eingesehen für die Zeit vom sog. vorrevolutionären Russland vor 1917 bis zum Jahresband für 1975) und für Ungarn "Miniatür könyvek bibliográfija" (eingesehen für die Jahre 1945-1976)

6. z.B. Hempel, Siegfried: Entstehung und Entwicklung von Miniaturbüchern - unter besonderer Berücksichtigung ihres kulturgeschichtlichen Ranges. Leipzig, 1987.

7. Wiegel, Karl: Die Leipziger Miniaturbuchproduktion früher und heute. In: Börsenbl. Dt. Buchh. Nr. 25 v. 28.03.1991, S. A 97.