Die Bibliothek des Deutschen Bundestages in Berlin im neuen Gebäude

von Robert Klaus Jopp

Abbildung 1: Außenansicht von Südwesten, Blick vom Reichstag her

Abbildung 2: Die zentrale Halle auf Ebene +6,40

Abbildung 3: Blick auf die Ebene +3,20

Abbildung 4: Zettelkatalog auf Ebene +3,20

Nach der Fertigstellung des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses konnte die Bundestagsbibliothek im April 2004 mit dem Umzug von Bonn nach Berlin ein Gebäude beziehen, das die drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt zusammen mit den ihr zugeordneten Fachdiensten beherbergt und es erlaubt, alle Dienstleistungen ihres Aufgabengebietes an einer Stelle anzubieten. Die Bundestagsbibliothek begann ihre Tätigkeit im Jahre 1949 mit einem Bestand von etwa 1000 Bänden; dieser Bestand ist mittlerweile auf über 1,3 Millionen Bände angewachsen und umfasst nicht nur wissenschaftliche und Referenzliteratur, sondern auch Spezialsammlungen von Parlamentsmaterialien und Amtsdrucksachen. Die deutschen Amtsdrucksachen bezieht sie aufgrund von Pflichtexemplarregelungen von Bund, Ländern und Gemeinden, darüber hinaus ist sie Depositarbibliothek für etwa zehn internationale und supranationale Organisationen.

Die Bibliothek war seit der Gründung in Bonn in einer Vielzahl von Gebäuden untergebracht, die nicht für Bibliotheksnutzungen vorgesehen waren und auch durch die weite Streuung der Standorte die Arbeit der Mitarbeiter sehr erschwerten. So begannen bereits einige Zeit vor dem Beschluss des Bundestages zum Umzug der Regierung nach Berlin Planungen für die Unterbringung der Bibliothek im so genannten Schürmann-Bau in Bonn, die dann allerdings bald überholt waren; Vorbereitungen zu einem Neubau in Berlin, im baulichen Gefüge des "Band des Bundes" wurden nun in Angriff genommen.

1994 hatten die Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen und in ihrem Entwurf das "Band des Bundes" vorgeschlagen, das inzwischen realisiert wurde. 1995 gewann der Münchener Architekt Stephan Braunfels den Realisierungswettbewerb für das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.

Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist der östlichste Teil des "Band des Bundes", vom Paul-Löbe-Haus durch die Spree getrennt, mit ihm allerdings durch eine interne verglaste Fußgängerbrücke verbunden. Die Bundestagsbibliothek wurde in Gestalt eines Zylinders von 29 m Außendurchmesser - der allerdings von außen nicht in Erscheinung tritt - in die Südwestecke des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses eingefügt (Abb.1). Außen ist dem nach Südwesten durchgehend verglasten Zylinder eine ebenfalls durchgehende Glasfassade vorgesetzt.

Der äußere Zugang zum Gebäude befindet sich an der Nordseite - der Zugang für die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter über die Fußgängerbrücke über die Spree vom Paul-Löbe-Haus her. Nach dem Passieren der Kontrollstelle gelangt man entweder mit einem etwas versteckt gelegenen Aufzug oder über eine im Antritt ziemlich breite und nach oben erheblich schmaler werdende Freitreppe in die riesige zentrale Halle (Abb.2) und zum Eingang des Benutzungsbereiches der Bibliothek. Dieser hat im Inneren des doppelwandigen Zylinders einen lichten Durchmesser von 21 m und verteilt sich auf fünf (ursprünglich sieben!) Teilflächen und Galerien; in dem etwa 3,50 m breiten Raum zwischen Innen- und Außenschale befinden sich Flucht- und Verbindungstreppen, Aufzüge sowie Kopier- und sonstige Nebenräume.

Abbildung 5: Blick auf die Ebene +3,20

Abbildung 6: Blick von Ebene +3,20 nach oben

Der Benutzer betritt also den Benutzungsbereich auf der zweituntersten Ebene (+6,40) und findet dort Auskunft, Buchausgabe und -rücknahme sowie Terminals für Recherchen im Online-Katalog. Auf der untersten Ebene (+3,20) befinden sich Beratungsplätze (Abb.3), Zettelkataloge (Abb.4) sowie Benutzerarbeitsplätze (Abb.5). Auf der nächsthöheren Ebene (+9,60) sind auf einer umlaufenden Galerie Zeitschriftenauslage und Benutzerarbeitsplätze untergebracht. Ebene +12,80 bietet weitere Lese- und PC-Arbeitsplätze und auf der obersten Ebene (+16,00) sind auf einer schmalen umlaufenden Galerie Buchstellflächen in Wandregalen und einige Steh-Anleseplätze auf dem Geländer zu finden. In etwas über 20 m Höhe schmückt ein umlaufendes blaues Neon-Leuchtschriftband abschließend den Lesesaalbereich: FREIHEIT IST DENKBAR ALS MÖGLICHKEIT DES HANDELNS UNTER GLEICHEN / GLEICHHEIT IST DENKBAR ALS MÖGLICHKEIT DES HANDELNS FÜR DIE FREIHEIT (Maurizio Nannucci) (Abb.6)

An der zentralen Halle liegen Lesesäle für Spezialbereiche wie Amtsdruckschriften, die Loseblattsammlung und die Kartenstelle. Ebenfalls von der zentralen Halle aus sind die Arbeitsräume der Mitarbeiter sowie der Leitungsbereich zugänglich. Die ursprüngliche Idee des Architekten war es, diese Halle über die auf Abb.1 rechts neben der Bibliotheksfassade sichtbare Treppe und die anschließende Terrasse direkt von außen zugänglich zu machen. Angedacht war eine kleine Gastronomie und die Möglichkeit, in der Halle auch Ausstellungen veranstalten zu können; diese Vorstellungen haben sich allerdings unter dem Eindruck der Sicherheitslage leider schnell verflüchtigt und so bleiben Treppe und Terrasse isolierte Staffage. Die Magazine befinden sich in zwei Untergeschossen und sind durchgehend mit Fahrregalanlagen ausgestattet. Der Transport zwischen den Magazinen und dem Benutzungsbereich geschieht mit einem Bücheraufzug, der mit Transportkästen beschickt wird.

Die Konzeption des Benutzungsbereiches muss unter einigen Gesichtspunkten durchaus kritisch betrachtet werden: Die Aufteilung des Lesesaales in fünf Ebenen (bei einem Bestand von etwa 20.000 Bänden) erfordert für die Mitarbeiter lange und damit zeitaufwendige Wege. Die Personalausstattung ist - wie überall - knapp und somit geht wertvolle Kapazität für Beratung der Benutzer und Bearbeitung und Pflege der Bestände verloren. Die Geräuschbelästigung zwischen den gegeneinander offenen Ebenen dürfte recht problematisch sein und durch die harten Betonoberflächen mit raumakustischen Maßnahmen ohne Eingriffe in die Gestaltung des Lesesaales nur schwierig zu meistern sein. Der sehr hohe Raum bringt zudem klimatische Schwierigkeiten, verbunden mit Zugerscheinungen, mit sich, die auch mit hohem energiefressendem technischem Aufwand nur schwer zu bewältigen sein werden. Auch die Belichtung des Lesesaales durch die voll verglaste Fassade von Südwesten her muss kritisch gesehen werden. Der Blick über die Spree zum Reichstag und zum Paul-Löbe-Haus hinüber ist natürlich reizvoll, sobald aber ab Mittag die Sonne von Süden her scheint, muss die Sonneneinstrahlung durch die beweglichen äußeren Lamellen abgeschirmt werden, sodass von dem Ausblick nicht mehr viel übrig bleibt; werden die Lamellen nicht schnell genug bewegt, dann kann die Sonneneinstrahlung den Raum aufheizen. Die großen Glasflächen erfordern überdies einen erheblichen Reinigungsaufwand. Probleme ergeben sich auch im Magazinbereich. Trotz dringender schriftlicher Hinweise von seiten der Bibliotheksleitung und des Bibliotheksbauberaters vor allem auf entsprechende Richtlinien der IFLA wurden durch die Buchstellflächen wasserführende Rohrleitungen verlegt; es bleibt zu hoffen, dass der Ernstfall nicht so schnell eintritt.

Die gesamte Planungs- und Bauzeit war geprägt von Schwierigkeiten bei der Koordination der Beteiligten. So wurden sowohl die Bibliotheksleitung als auch ein Bibliotheksbauberater erst zu einem Zeitpunkt eingeschaltet, als der Architekt seine Konzeption für den Benutzungsbereich bereits festgelegt hatte, über die aber unter organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten noch ausführlich hätte gesprochen werden müssen. Auch dieser Umstand hat zu den oben beschriebenen Problemen geführt.

Der Zugang zu der Bundestagsbibliothek ist unter den zur Zeit geltenden ziemlich scharfen Sicherheitsvorkehrungen nur nach rechtzeitiger Anmeldung und mit begründetem Interesse möglich. Ebenfalls ist eine Benutzung des Lesesaals und der Magazinbestände durch externe Benutzer auch nur bei nachzuweisendem wissenschaftlichem Interesse möglich.


Zum Autor

Robert Klaus Jopp ist Architekt und Bibliotheksbauberater.

Fürstenstraße 6
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Tel. + Fax: (030) 805 809 57