Bibliotheken und Stadtentwicklung:
2nd SILF 2004 - Shanghai International Library Forum


1. Die Tagung
2. Die Organisation
3. Die Stadtbibliothek
4. Schlusswort

Abbildung 1: Modell der Shanghaier Stadtbibliothek

von Wolfgang Ratzek

1. Die Tagung

Mehr als 200 Teilnehmer, überwiegend aus China, Japan, Singapur und den USA, trafen sich vom 12. bis 15. Oktober 2004 in der beeindruckenden Shanghaier Stadtbibliothek (Abb. 1), um das Thema "City Development and Libraries" zu diskutieren.

Die Schwerpunktsetzung erfolgte in vier Sektionen mit rund 100 Vorträgen:

1.1 Eröffnungsreden und Keynotes

In ihren Eröffnungsreden zeigten sich die Vertreter des chinesischen Kultusministeriums und der Stadtregierung über die Arbeit und das Angebot der Stadtbibliothek sehr informiert und betonten die Bedeutung der Stadtbibliothek für die städtische

Abbildung 2: Redner bei der Eröffnung. Im Vordergrund Dr. Wu Jianzhong, Direktor der Shanghaier Stadtbibliothek

Entwicklung. Ein Sprecher ging davon aus, dass die Shanghaier Stadtbibliothek in die Weltklasse der Bibliotheken aufsteigen werde. Dr. Wu Jianzhong, der Direktor der Shanghaier Stadtbibliothek (Abb. 2), sprach davon, dass China den internationalen Kontakt suche und die Stadtbibliothek mit ihrem Kongresszentrum dabei eine wichtige Rolle spiele.

Zu den Hauptrednern gehörten Alex Byrne (Australien) und Eric Miller (USA). Alex Byrne, IFLA-Präsident (2005-2007), beschrieb in seinem Vortrag "The Library and the City-Evolving Concepts" aus historischer und aktueller Sicht das "symbiotische Verhältnis von Stadt und Bibliothek". Einer seiner Schlüsselsätze sollte zu denken geben. Sinngemäß sagte er, Bibliotheken praktizierten eine Politik der offenen Tür nach dem Motto "Komm rein und sieh Dir die Medien an". In der Digitalen Bibliothek hingegen hieße es immer öfter: "Sorry, wir haben keine Lizenz!"

Eric Miller vom M.I.T und Mitglied des W3C (WWW-Consortium) hat zwei Leidenschaften: Das Semantic Web und die Digitale Bibliothek. Dementsprechend stellte er deren Möglichkeiten und Anwendungen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, wie zum Beispiel HAYSTACK, SKOS oder Libwww (eine Art Basis für das Semantic Web).

1.2 Die Schwerpunkte in den Sektionen

Aus Sektion I The Library and Lifelong Education ist der Beitrag von Nancy Lee und Yoshitaka Kawasaki (beide Kyoto University, Japan) "Continuing Professional Education for Librarians: International Trends" hervorzuheben. Die beiden Referenten stellten sowohl methodische Ansätze als auch entsprechende Programme der IFLA, ALA, American Library Schools und der National Library of Korea vor. Song Yafan (Library of Renmin University of China) und Dong Erhui (China Political & Law University) gingen auf das Thema "On E-Learning & Continuing Education for LIS Staff" ein.

In Sektion II The Reference Service and Research boten Ellen Maleszewski und Michael B Huang mit ihrem Beitrag "Effective Communications Between the Information Technology Department and Librarians" ein Thema zum Nachdenken. Vier Aspekte spielten für sie eine wichtige Rolle: "Knowledge and Communication", "Empathy and Understanding", "Collaboration/Cooperation/Support/Companionship/Respect" und "Trust". Ragnar Nordlie (Oslo University College) sprach über "The Metropolitan Library as a Meeting Place in a Digital Multicultural Context: the Case of Oslo: What Happens When the Library´s Reference Service Moves from the Physical Space to the Internet?". Und Ragnar Nordlie ging auf den "Chat-based Reference Service at Deichmanske Bibliote" in Oslo ein, der Mitte 2002 im Rahmen einer landesweiten Initiative von Öffentlichen Bibliotheken gestartet wurde.

Die Sektion III stand unter dem Motto The Digital Library & Digital City. Kari Lämsäs (Helsinki City Library) Beitrag "Info Bank for Immigrants" befasste sich mit dem Web-Service für Immigranten, der vom "Helsinki´s International Cultural Centre" Caisa und der Stadtbibliothek angeboten wird. Das Ziel ist es, Immigranten und der öffentlichen Verwaltung den Zugang zu relevanten Dokumenten zu ermöglichen. Der Service wird in zwölf Sprachen angeboten und deckt damit das Sprachenspektrum der am häufigsten vertretenen Immigranten in Finnland ab.

Die Sektion IV "The Library and City’s Knowledge Infrastructure & The Library and the World Expo" integrierte zwei Themenkreise: Ge Yimin und Liu Xiaodan (Shanghai Library, China) gingen in ihrem Beitrag "Library Knowledge Service: Meeting the New Requirement in the City Development of Shanghai" auf den speziellen "Knowledge Service" ein, den die Shanghai Library anbietet. Der Service basiert auf einer Feldstudie, bei der Experteninterviews mit Regierungsvertretern, mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, Forschungseinrichtungen und Unternehmen durchgeführt wurden. In diesem Zusammenhang spielt das ISTIS (Institute of Scientific & Technical Information of Shanghai) eine besondere Rolle. Nach der Fusion (1995) von ISTIS mit der Shanghaier Stadtbibliothek ist die Stadtbibliothek sowohl eine Öffentliche als auch eine Wissenschaftliche Bibliothek.

Der Beitrag "Library Services and its Impact on Municipal Infrastructure" des Autors, dem einzigen deutschen Kongressteilnehmer, stieß auf großes Interesse. Es ging darum, die harten und weichen Standortfaktoren im Rahmen einer erfolgreichen Ansiedelungspolitik und Wirtschaftsförderung für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regionalverwaltung herauszustellen und an Projektbeispielen (Stadtbibliothek Ladenburg, Stadtbücherei Stuttgart) sowie durch die Angebote von Bibliotheken (TIB Hannover, Stadtbibliothek Köln, Stadtbücherei Stuttgart) vorzustellen und auf einige Schlüsselqualifikationen für Profis in der Informationsvermittlung hinzuweisen. Dieser Beitrag führte zu aussichtsreichen Gesprächen mit anderen Teilnehmern und führten in einem Fall bereits zu dem Ergebnis, LIS-Literatur in deutscher Sprache oder in einer skandinavischen Sprache für einen amerikanischen Abstract-Dienst aufzubereiten.

James K. Bracken (Ohio State University Library, USA) beeindruckte durch seinen lebendigen Vortragsstil und sprach über "Synergies of Effectiveness in a Diverse Community: The Opinions of the 800-pound Gorilla in a Neighborhood". In seinem sehr kurzweiligen Vortrag erklärte er die Metapher des "800-pound Gorillas": durch das bloße Auftauchen erregt dieses Etwas Aufmerksamkeit, beansprucht Platz und verdrängt alles aus der Umgebung. Wenn nun mehrere dieser Schwergewichte auftauchen, spielen die Kleinen keine Rolle mehr und die 800-Pounder bedrängen sich gegenseitig. Die gelungene Metapher spiegelte die Rolle der Ohio State University Library (OSUL/800-pounder) im OhioLink-Konsortium wider, in dem die OSUL das Zentrum bildet. OhioLink ist ein öffentlich gefördertes Konsortium, an dem 83 Konsortialpartner unterschiedlicher Finanzkraft beteiligt sind. Das interessante an diesem Konzept ist, dass jeder Partner nur das zahlt, was er sich leisten kann. Das kann, so Bracken, auch nur ein USD für ein Abonnement sein, das 12.000 USD kostet und von dem nur dieser Partner einen Nutzen hat. Damit ist das Grundprinzip der Wissensgesellschaft - Wissen teilen - umgesetzt.

Der in Norwegen lebende Däne Aske Dam ist Geschäftsführer der "ima norway". Er befasst sich mit Digital Storytelling (e-Cinema). Dabei geht es um individuelle Videofilme, die in kleinen Kinos (10-70 Zuschauer) gezeigt werden können. Aske Dam gab viele Beispiele, insbesondere aus Großbritannien, wo die BBC diese Entwicklung vorantreibt, und aus Schweden, wo bereits über das System von Folkehuset ein Netzwerk von e-Cinema existiert. Auf diese Weise kann irgendwo in Schweden ein Film gezeigt werden, der dann auch in Echtzeit an anderen Orten zu sehen ist. Aske Dam berichtete, dass bereits ein Link nach Oslo zur Deichmanske Bibliothek existiert.

Für die EXPO 2010 mit dem Thema "Better City - Better Life" wird Shanghai Gastgeberin der Weltausstellung sein. Wu Min und Jin Xiaoming berichteten in ihrem Vortrag "Library: A Permanent Showcase for World Expo" über den Stand des World Expo Information Centers, das in der Shanghaier Stadtbibliothek aufgebaut wird und darüber, dass im Prinzip alles zum Thema gekauft wird. Patricia Kosco Cossard (University of Maryland Libraries, UMD) stellte den Bestand "World´s Fairs" der UMD Architecture Library Special Collection vor, der weltweite Anerkennung gefunden hat. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Projekte entwickelt, darunter auch ein Vorhaben der UMD Architecture Library und der UMD East Asia Studies Interest Group (EASIG), das die Zusammenarbeit mit der UMD, mit der japanischen Stadt Seto (Expo 2005) und Shanghai (Expo 2010) vertiefen soll.

2. Die Organisation

Von den rund 900 Mitarbeitern der Shanghaier Stadtbibliothek trugen über 100 Freiwillige zum Gelingen der Tagung bei. So konnte ein ausgezeichneter Service geboten werden: Ein Shuttle-Service vom Flughafen und vom Hotel zur Stadtbibliothek, ein Dolmetscherdienst und ein perfekt abgestimmtes Kulturprogramm hinterließen einen dauerhaft positiven Eindruck.

Und das ist besonders hervorzuheben: trotz allem Stress gab es nur freundlich lächelnde Volunteers.

3. Die Stadtbibliothek

Abbildung 3: Der Lesesaal "Ausländische Zeitungen"

Alle Teilnehmer zeigten sich sowohl von der Architektur als auch vom Konzept der Stadtbibliothek beeindruckt. Mit 83.000 m² Fläche und rund 900 Mitarbeitern rangiert die Shanghaier Stadtbibliothek hinter der Nationalbibliothek auf Rang zwei. In einem Interview des Autors teilte der Leiter der Stadtbibliothek, Dr. Wu Jianzhong, mit, dass er bei der Planung der Stadtbibliothek beteiligt war und unbedingt ein Konferenzzentrum (mit 400 Plätzen), mehrere Seminarräume, sowie ein Hotel in den Bibliothekskomplex integrierte haben wollte. Sein Wunsch wurde erfüllt: Seit 1998 bietet das Tu An-Hotel zusammen mit einem gepflegten Restaurant Tagungsteilnehmern eine günstige und komfortable Unterbringung.

Eine weitere Besonderheit ist das bereits erwähnte ISTI (Institute of Scientific & Technical Information of Shanghai), das 1995 mit der Stadtbibliothek Shanghai fusionierte. Damit ist die Stadtbibliothek sowohl eine Öffentliche als auch eine Wissenschaftliche Bibliothek. Der Direktor bringt das auf die einfache Formel: Wir sind eine dreidimensionale Bibliothek: Öffentlichkeit, Wissenschaft und Öffentliche Verwaltung.

3.1 Die deutsche Abteilung in der Shanghaier Stadtbibliothek

Der ansprechende Bestand der deutschen Abteilung wird aus zwei Quellen auf- und ausgebaut: Durch das Goethe-Institut (Finanzierung durch die Commerzbank) und durch Anschaffungen der Erwerbungsabteilung der Stadtbibliothek. Für die Erwerbung deutschsprachiger Medien zeichnet Frau Ning Lu verantwortlich. Frau Ning Lu hat lange in Berlin gelebt, spricht sehr gut deutsch und kennt die deutsche Bibliotheksszene.

4. Schlusswort

Ein ganz besonderes Lob verdienen die Veranstalter. Ihnen ist es gelungen, ein Programm zu planen, zu organisieren und durchzuführen, das viele Highlights bot und nachhaltige Wirkung zeigt. Hier waren Veranstaltungs- und Kommunikationsprofis am Werk. Von dieser Organisation und diesem Bibliothekskonzept1 können wir viel lernen.


Zum Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

Hochschule der Medien
FB Information und Kommunikation
Wolframstr. 3
D-70191 Stuttgart

URL: www.iuk.hdm-stuttgart.de
URL: www.iuk.hdm-stuttgart.de/ratzek
E-Mail: ratzek@iuk.hdm-stuttgart.de


1. Siehe hierzu auch den Bericht von Dr. Rafael Ball: Bibliotheken in China und die Shanghai-Library und sein Interview mit dem Direktor der Shanghai-Library Dr. Wu Jianzhong. - In: B.I.T.online 5(2002) Nr.4, S.343-346.