Information zwischen Kultur und Marktwirtschaft - die ISI 2004 in Chur

von Rafael Ball

Nicht wenige der Teilnehmer hätten die ISI 2004 für einen Workshop von Thomson Scientific halten können, hatte sich das renommierte "Institut of Scientific Information", besser unter dem Namen ISI mit den Produkten wie dem Science Citation Index bekannt, doch erst vor wenigen Wochen in Anlehnung an den Mutterkonzern in Thomson Scientific umbenannt. Dennoch, dieser Teil der rund 190 Teilnehmer der ISI 2004 in Chur hätte sich getäuscht, denn mit dem ehemals gleichnamigen Datenbankhersteller hat diese Veranstaltung nichts gemein. ISI steht für "Internationales Symposium für Informationswissenschaft". Vom 6.-8. Oktober 2004 veranstaltete der Hochschulverband Informationswissenschaft (HI)1 das neunte Internationale Symposium für Informationswissenschaft, eine Konferenz im zweijährigen Rhythmus, die sich vornehmlich an Informationswissenschaftler im deutschsprachigen Raum wendet. Aber auch Informationspraktiker und Studierende der Informationswissenschaft und angrenzender Fachbereiche wie Bibliotheks- und Dokumentationswesen sind auf den Veranstaltungen des HI gerne gesehen, wenn auch nicht massiv vertreten.

Hochschulverband Informationswissenschaft (HI)

Der Hochschulverband für Informationswissenschaft (HI) wurde im Oktober 1990 anlässlich des ersten internationalen Symposiums für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz gegründet. Der HI ist auf den europäischen Bereich bezogen.

Der Hochschulverband ist die wissenschaftliche Vereinigung der auf den Gebieten informationswissenschaftlicher Forschung, Lehre und Praxis Tätigen.

Mit der Gründung des HI wird auch in institutioneller Hinsicht Rechnung getragen, dass die Informatisierung unserer Gesellschaft nicht nur einen technischen Aspekt hat, sondern insgesamt eine gesellschaftliche Herausforderung darstellt. Die Informationswissenschaft berücksichtigt deshalb alle Aspekte des Informationsgeschehens, z.B. kognitive, ökonomische, soziale und politische. Dabei wird kein Gegensatz zur Informatik aufgebaut.

Auch die Informationswissenschaft arbeitet experimentell an neuen Verfahren automatisierter Informationssysteme. Der Fokus ist jedoch auf die Anwendung von Information und deren Wirkung in privaten und professionellen Bereichen, und damit auf den exponentiell wachsenden Informationsmarkt insgesamt gerichtet.

Zu den wichtigsten Aufgaben des HI gehören die Stärkung der informationswissenschaftlichen Arbeitsgruppen für Forschung und Lehre an den Hochschulen. Vor allem im universitären Bereich besteht weiterhin eine starke, auch z.B. vom Wissenschaftsrat monierte Diskrepanz zwischen dem unvollständigen Studienangebot bzw. der (vor allen in personeller Hinsicht) unzureichenden Ausstattung und der erheblichen Nachfrage von Seiten des Berufsmarktes nach wissenschaftlich ausgebildeten Informationsspezialisten
(aus der Satzung des HI)
Mitveranstalter des Symposiums waren diesmal die schweizerischen Verbände BBS (Verband der Bibliotheken und Bibliothekarinnen/Bibliothekare der Schweiz)2 SVD (Schweizerische Vereinigung für Dokumentation)3 und VSA (Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare)4 sowie der Verband der Museen der Schweiz (VMS)5, fand die Konferenz doch zum ersten Mal in der Schweiz statt.

Die diesjährige Konferenz trug den Titel "Information zwischen Kultur und Marktwirtschaft" und symbolisierte damit gleichsam das Spannungsfeld und den Kampf zwischen Kommerz und Kultur, den die Informationspraktiker beinahe täglich in ihren Einrichtungen fechten müssen.

Dieses Problem wurde auch von den Eröffnungsrednern thematisiert. So warnte Claudio Lardi, Regierungsrat und Vorsteher des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartements des Kantons Graubünden, Schweiz, vor einer Technologielastigkeit in der Bildung, während Beat Schmid, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, die Bedeutung der Information in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette betonte.

Die eigentlichen Fachvorträge waren dann in neun thematische Sessions gegliedert, deren Themen allein schon die inhaltliche Breite der Veranstaltung symbolisieren: Usability and Mobility, Information als Kulturgut, Information Retrieval und Suchmaschinen, Informations- und Wissensmanagement, Agententechnologien und Evaluierungskonzepte, Bibliotheken und Mehrwertdienste, Lerninnovationen und E-Learning, E-Archive und Records Management sowie Open Access.

Neben diesen 25 Fachvorträgen, deren Textfassung allesamt im hervorragend gemachten Proceedingsband bereits zur Tagung verfügbar standen, gab es ein studentisches Programm, das sich nicht allein im zünftigen Feiern erschöpfte, sondern in sieben hörenswerten Vorträgen zu aktuellen Forschungsprojekten der angehenden Informationswissenschaftler äußerte. Verantwortlich für das studentische Programm zeichneten Studierende der Universitäten Regensburg und Hildesheim sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur.

Weitere Programmpunkte waren Kurzvorträge, Demonstrationen und Projektpräsentationen zu aktuellen Forschungsthemen.

Die mit Spannung erwartete Podiumsdiskussion zum Thema "Informationskompetenz zurückgewinnen" unter der Leitung von Professor Rainer Kuhlen (Universität Konstanz) brachte jedoch keine grundlegenden Neuigkeiten außer den bekannten Standpunkten der Akteure zum Thema Urheberrecht, freier Zugang zu Information und Open Access.

Mit großem Interesse bestaunten die Teilnehmer dabei Klaus Graf von der Universität Freiburg, besser bekannt als das "enfant terrible" der bibliothekarischen Chatliste "InetBib", wo Graf schon so manchen Kollegen verunglimpft hat. Aber auch außerhalb der "Virtuell Reality" blieb Graf seiner allseits bekannten Art treu.

Die Mitgliederversammlung des HI brachte insbesondere für die Informationspraktiker eine große Neuigkeit. Wurde bisher die "Kakophonie" von Bibliothekaren und Informationswissenschaftlern insbesondere bei der politischen Lobbyarbeit beklagt, so kann man nun hoffen, in wichtigen Fragen an einem Strang zu ziehen. Der Hochschulverband Informationswissenschaft wird nämlich ab sofort über die Stimmen der DGI in der BID (Bibliothek und Information Deutschland, ehemals BDB) vertreten sein. Dies verkündete der scheidende Vorsitzende des HI, Professor Rainer Kuhlen auf der Mitgliederversammlung. Zum neuen Vorsitzenden wurde Professor Marc Rittberger von der HEG Genève gewählt.

Auch die social events kamen nicht zu kurz und so avancierte wiederum der Gesellschaftsabend der ISI im traditionellen Churer Restaurant Marsöl zum gesellschaftlichen Höhepunkt. Und dies nicht nur wegen der ungewöhnlichen Bündner Spezialitäten wie Maluns, Capuns und Pizocceri, sondern auch wegen der zahlreichen Ehrungen verdienter Mitglieder des HI und der Verleihung des Gerhard Lustig Preises (Best Student Paper Award).

Rainer Hammwöhner von der Universität Regensburg verlieh den Preis für die drei besten Diplom- und Magisterarbeiten aus der Informationswissenschaft der letzten beiden Jahre.

Tobias Müller, Universität Konstanz, erhielt den ersten Preis für seine Arbeit zur "Konzeption und Implementation eines WAN-basierten Publikationssystems mit Fokus auf DRM & URM-Komponenten", Susanne Mühlbacher, Universität Regensburg, erhielt den zweiten Preis für ihr "Konzept zur sicheren Bedienung von Fahrerassistenzsystemen" und Pia Schnetzler, Universität Hildesheim, den dritten Preis für ihre Arbeit zur "Evaluation von Named-Entity Recognition-Software für das cross-linguale Information Retrieval".

Den Veranstaltern der Konferenz ist sowohl bei der thematischen Schwerpunktsetzung, als auch bei der Auswahl der Vortragenden eine gute Mischung gelungen, hatten sie doch für eine ausgeglichene Verteilung zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen warnenden Tönen und forschem Optimismus in der Informationsversorgung gesorgt.

Die nächste ISI 2006 wird die Fachhochschule Köln ausrichten. Man darf gespannt sein, haben die Churer doch die Messlatte sehr hoch angelegt.


Zum Autor

Dr. Rafael Ball ist Leiter der

Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich GmbH
D-52425 Jülich
E-Mail: r.ball@fz-juelich.de


Anmerkungen

1. http://is.uni-sb.de/quellen/verbaende/hi/

2. http://www.bbs.ch

3. http://www.svd-asd.org

4. http://www.staluzern.ch/vsa/home.html

5. http://www.vms-ams.ch