Bibliothekswesen in Chile - Versuch einer IST-Analyse

von Alexander H.T. Schultheis

Möchte man über das Bibliothekswesen in Chile berichten, so sollte zunächst Chile etwas genauer vorgestellt werden. Chile ist flächenmäßig mehr als doppelt so groß wie Deutschland, von Süden nach Norden etwa 4.500 Kilometer und von Osten nach Westen an der breitesten Stelle 250 Kilometer lang. Chile ist in zwölf Regionen eingeteilt. Santiago mit 5,6 Millonen Einwohnern bildet mit der Region Metropolitana die Haupstadt und eine eigene Region. Ungefähr jeder dritte Einwohner der 15,8 Millionen Chilenen wohnt in dieser Region. Das Land ist von der Wüste im Norden bis hin zur Antarktis im Süden landschaftlich ausgesprochen vielfältig mit vielen Naturschauspielen und geographischen Kontrasten. Chile weist seit 1988 Wirtschaftswachstum auf und es ist das sicherste Land in Südamerika, in dem es wenig Korruption gibt.

Obwohl Chile zu den wirtschaftlich stärksten Ländern Südamerikas gehört, ist dennoch der südlichste Andenstaat in zahlreichen Regionen unterentwickelt. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als arm. Zu den ärmsten Teilen des Landes zählt die Region Aysén an der Küste Patagoniens. Es fehlt dort an Infrastruktur, Bildungswesen und wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch an gesetzlichen Instrumenten für eine Entwicklungsplanung, obwohl die Region großes Potenzial in den Bereichen Tourismus, Wasserkraft und Fischerei besitzt.

Die Chilenische
Nationalbibliothek

Aufgrund der geographischen Größe gestalten sich die Transport- und Informationswege schwierig. Bis vor zwei Jahren gab es daher auch nur schlechte Verbindungen zu den verschiedenen Bibliotheken. Jetzt hat die chilenische Regierung von der Stiftung Bill Gates neun Millionen US-Dollar erhalten und will den Ausbau der öffentlichen Bibliotheken vorantreiben und eine öffentliche Bibliotheksinfrastruktur besonders in den abgelegenden Regionen Chiles errichten. In einigen Städten, wie in der nördlich gelegenen Stadt La Serena, wurden zwei Bibliotheksbusse angeschafft, um damit das Umland mit Büchern und Informationen zu versorgen. Mit dem System der "Biblioredes" verfügt Chile seit drei Jahren über ein gutes und sehr modernes Informationssystem im Bereich der öffentlichen Bibliotheken. Per Internet können Informationen über Bibliotheken und Katalogrecherchen durchgeführt werden, dem Internetkunden stehen aber auch Informationen aus den einzelnen Regionen zur Verfügung. In Chile ist alles auf die 5,6 Millionen Metropole Santiago de Chile zentriert. Neben der Nationalbibliothek gibt es viele kleine Bibliotheken, ein gut ausgebautes öffentliches Bibliotheksnetz, Universitätsbibliotheken sowie zahlreiche Bibliotheken aus dem Bereich internationaler Kulturarbeit. Sogar an einigen Metro-Stationen in der U-Bahn von Santiago können sich die Fahrgäste für eine geringe Jahresgebühr Bücher ausleihen!

In Santiago de Chile gibt es ein Goethe-Institut und in den Städten Viña del Mar und Concepción gibt es Goethe-Zentren. Das Goethe-Institut bietet in Santiago die klassische Dreiteilung an: Programm, Sprache, Bibliothek mit Informationszentrum. Die Bibliothek verfügt über 10.000 Druck- und audivisuelle Medien, ein Drittel davon in spanischer Sprache. Der Bibliotheksbestand beeinhaltet deutschsprachige Bücher, Übersetzungen deutscher Autoren in spanischer Sprache, Nachschlagewerke, deutsche Zeitungen, Zeitschriften sowie CDs, DVDs und Videokassetten.

Lesesaal in der Nationalbibliothek

Seit einem Jahr entwickeln sich an den Stadträndern der großen Städte wie Santiago, La Serena oder Concepión große Shoppingcenter, in denen sich die Bewohner an den Wochenenden tummeln, einkaufen, ins Kino gehen, Bowling spielen oder die Bibliothek besuchen. In Santiago gibt es in den Stadtteilen Vespuchio und Huechuraba Shoppingcenter, in denen es modern ausgestatte Bibliotheken gibt, die eine jährliche Einschreibegebühr von 6.000 chilenischen Pesos. (1 Euro = 760 chilenische Pesos) verlangen. Dort gibt es für Kinder Spielecken mit Kinderbüchern und Internetarbeitsplätze stehen den Älteren zur Verfügung.

Seit einem Monat besteht ein Kooperationsabkommen zwischen der Bibliothek des Goethe-Instituts Santiago und der Biblioteca Viva®. Es handelt sich um die erste Intiative dieser Art, die den Nutzern beider Einrichtungen künftig ein stark erweitertes Potenzial an Informationsquellen bieten soll. Außerdem sind gemeinsame Kulturveranstaltungen und Fortbildungsveranstaltungen für Bibliothekare geplant. Neben der optimaleren Ausnutzung des vorhandenen Materials und der Verstärkung der interkulturellen Beziehungen zwischen deutsch- und spanischsprachigen Nutzern, bietet das Abkommen den Mitgliedern beider Bibliotheken eine Ermäßigung des Jahresbeitrags um 50 Prozent.

Das chilenische Bibliothekswesen ist im Vergleich mit Ländern wie Peru oder Argentinien sehr gut. Problematisch ist, dass Bücher in Chile sehr teuer und mit einer Luxussteuer belegt sind. Daher können sich nicht alle Chilenen Bücher leisten. Die allgemeine Schulpflicht besteht vom 7. bis zum 15. Lebensjahr. Rund 424 Schulen gibt es in Chile. Nach Aussagen des chilenischen Erziehungsministerium ist das Bildungswesen bis zum Besuch einer Universität in drei Abschnitte eingeteilt: Parvularia, Básica und Educacion Media. Eine gute Ausbildung ist in Chile in privaten kostenpflichtigen Schulen zu haben und so ist eine gute Ausbildung in Chile von der finanziellen Situation der Eltern abhängig. Die weiterführende Ausbildung ist in den über 200 Hochschulen des Landes möglich, davon rund 60 Universitäten. Allein 40 dieser Universitäten befinden sich in der Hauptstadt Santiago. Weitere bedeutende Universitäten gibt es in Valparaíso, Concepción und Vadivia. Einen Überblick bietet die URL http://www.sitios.cl/directorio/universidades.htm. Da es sich meistens um private Universitäten handelt, sind die Bibliotheken verschieden gut mit Büchern und Lehrmaterialien ausgestattet. Die Bibliothek der Universidad Católica de Chile in Santiago verfügt beispielsweise über eine sehr gute Sammlung von alten Büchern und Faksimilee-Ausgaben.

In der Bibliothek des Goethe-Instituts

Da Chile immer noch in bestimmten Teilen unterentwickelt ist, muss auch im Bereich Bibliothekswesen viel gemacht werden. Die Analphabetenquote liegt bei 5%, doch leider lesen auch hier von zehn Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren nur zwei ein Buch zu Ende. Das ist ein unbefriedigender Zustand, dem nur durch gezielte Leseförderprogramme entgegen gesteuert werden kann. Zusammen mit dem neuen Koopertionspartner plant das Goethe-Institut deshalb in Santiago einen Lesetag mit Schülern, Lehrern, Bibliothekaren und den Eltern.

Bibliothekarische Verbände existieren, doch die Arbeit gestaltet sich in diesen Verbänden zäh und langwierig. Die DIBAM (Dirección de Bibliotecas, Archivos y Museos) hat in den vergangenen Jahren sehr viele neue Projekten erfolgreich durchgeführt. Die Nationalbibliothek ist bestrebt, sämtliche Werke, Bücher und Karten über Chile in einer digitalen Bibliothek zu sammeln. Das Projekt trägt den Namen "Memoria Chilena" und ist unter folgender URL: http://www.memoriachilena.cl zu finden. Die Nationalbibliothek wurde am 19 August 1813 gegründet, seither sammelt sie auch die Bücher über die sogenannten "Mapuches", die Ureinwohner Chiles.

Wichtige Links zu bibliothekarischen Einrichtungen in Chile:

Biblioteca Vivas: http://www.bibliotecaviva.cl

Biblioredes: http://www.biblioredes.cl/regional.asp

Erziehungsministerium: http://www.mineduc.cl

Nationalbibliothek: http://www.dibam.cl


Zum Autor

Dipl.-Bibl. Alexander H. T. Schultheis, M.A.

Direktor del Biblioteca y Centro de Información del Goethe-Institut en Santiago de Chile
Esmeralda 650
Santiago de Chile
E-Mail: bl@santiago.goethe.org
URL: www.goethe.de/santiago