Treffen Sie Heinrich Heine und Oskar Meding im LESESAAL
Eine kleine Schriftenreihe erobert sich ihren Platz

von Marita Simon

Man schrieb das Jahr 2002 und es erschienen in der deutschen Verlagslandschaft so (ge-)wichtige Bücher wie Band 13 des Thesaurus proverbiorum medii aevi oder Band 15 des Repertoriums der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts - und an der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, zum damaligen Zeitpunkt noch Niedersächsische Landesbibliothek in Hannover, wurde auf Initiative des Direktors die Schriftenreihe LESESAAL - Kleine Spezialitäten aus der Niedersächsischen Landesbibliothek aus der Taufe gehoben.

Ziel dieser Reihe ist es, die Bestände der Bibliothek in der Öffentlichkeit zu präsentieren; bis dato sind bereits 17 Hefte erschienen. Deren Inhalt ist so vielfältig wie es der überaus reiche Bestand einer großen und alten Bibliothek ist. Zwar steckt die 1665 als Hofbibliothek des Welfenhauses gegründete Bibliothek in einem Zweckbau aus den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts - das sollte aber nicht auf den "Inhalt" schließen lassen: über 1,5 Millionen Medien, über 7.500 Zeitschriften, mehr als 100.000 vor 1815 gedruckte Bücher, das weltweit einzige erhaltene Exemplar der ersten gedruckten Zeitschrift - der Aviso -, der Nachlass des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, Handschriften, die bis in das achte Jahrhundert zurückreichen, Nachlässe, alte Drucke, Sondersammlungen und vieles mehr. In lockerer Folge aus diesem Bestand zu schöpfen und ihn zu präsentieren - das wird sicher noch viele LESESÄLE füllen.

Wer noch nie von Oskar Meding gehört hat, kann in Heft 10 von Georg Ruppelt: Der Geschichte und Geschichten schrieb. Oskar Meding - hannoverscher Diplomat, preußischer Agent, Bestsellerautor (1828-1903) einen Mann kennen lernen, "der zu den eigenartigsten Erscheinungen der Literatur des 19. Jahrhunderts gehört - ein Mann, dessen Charakterbild nicht nur in der Rückschau außerordentlich schwankt, dessen Leben zu gegensätzlichen Extremen neigte und der heute, außer in Einträgen in Literaturlexika, so gut wie vergessen ist. Er war Jurastudent, Korpsbruder und preußischer Beamter - und nach Zeitzeugen der unbürokratischste und unbürgerlichste Mensch, den man sich denken kann. Er war offenbar der preußischen wie der hannoverschen Krone treu ergeben, wahrscheinlich nicht gleichzeitig. Er verdiente viel Geld, war aber regelmäßig knapp bei Kasse. Er verehrte König Georg V. und Kaiser Wilhelm I. mit deutlich offenbarter Inbrunst und ließ dennoch Sympathien für die Demokratie erkennen. Die erste Hälfte seines Erwachsenenlebens verbrachte er vornehmlich in Hannover, Paris und Wien, später residierte er auf dem Wohldenberg, einer verwunschenen Märchenlandschaft nahe Hildesheim; während der letzten sieben Jahre seines Lebens wohnte er als armer Mann in Berlin.

Seine Romane, die er unter verschiedenen Pseudonymen, vor allem als Gregor Samarow schrieb, waren noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ungeheuer beliebt und wurden in mehrere Fremdsprachen übersetzt. Kurz: Der Mann, der mit dem Namen Samarow berühmt wurde, war ein ungewöhnlich interessanter und schaffenskräftiger Mensch mit großen Fähigkeiten und großen Schwächen - ein Nebenprodukt der Literaturgeschichte, aber womöglich ein Weichensteller für die politische Geschichte." (S. 3-4)

Auch Tarnschriften befinden sich im Bestand der Bibliothek. Dabei handelt es sich um jene kleinformatigen Druckschriften, zwischen 1933 und 1945 gedruckt, die unverfänglich aussahen, oft in ihrem äußeren Erscheinungsbild tatsächlich erschienenen Schriften angepasst waren - aber etwas anderes enthielten als Umschlag, Titel sowie erste und letzte Seiten zunächst erwarten ließen. Hinter Titeln wie Pilze - Beeren - Wildgemüse. Genaue Beschreibung von 189 Pilzen, Beeren und Wildgemüsen verbirgt sich u.a. ein Text von Wilhelm Pieck: Der Vormarsch zum Sozialismus. Oder in dem Bändchen von Max Locke: Die Nähmaschine - ihre Behandlung und Reparatur findet sich von D. Manuilski: Der Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion und seine weltgeschichtliche Bedeutung. Mehr in Heft 5 von Georg Ruppelt: Die Kunst des Selbstrasierens. Tarnschriften gegen die nationalsozialistische Diktatur.

Wer weiß schon, dass alle Schülergenerationen, denen über der Lektüre der Texte von Franz Kafka der Kopf rauchte und wahrscheinlich immer noch raucht, dies nicht nur dem Autor selbst zu verdanken haben? Nämlich Max Brod, der sich über die Testamente des Autors hinweggesetzt hat: "Von allem, was ich geschrieben habe, gelten nur die Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt und die Erzählung: Hungerkünstler. ... Wenn ich sage, dass jene fünf Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen erneut gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehen, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.

Dagegen ist alles, was sonst an Geschriebenem von mir vorliegt (in Zeitschriften Gedrucktes, im Manuskript oder in Briefen) ausnahmslos, soweit es erreichbar oder durch Bitten von den Adressaten zu erhalten ist ... alles dieses ist ausnahmslos, am liebsten ungelesen (doch wehre ich Dir nicht hineinzuschauen, am liebsten wäre es mir allerdings, wenn Du es nicht tust, jedenfalls aber darf niemand andrer hineinschauen) - alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen, und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich Franz." Nachzulesen in Heft 13 von Paul Raabe: Zu Gast bei Max Brod - Eindrücke in Israel 1965. (S. 14)

Einen interessanten Überblick über die niedersächsische Verlagslandschaft bietet Heft 8 Verlegt in Niedersachsen - Buchverlage stellen sich vor. Dieser Titel erschien als Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung in der Bibliothek, die unter der Schirmherrschaft des Niedersächsischen Ministerpräsidenten stand. Es bietet neben einer Auswahl von Neuerscheinungen niedersächsischer Verlage aus dem Jahr 2003 auch ein recht vollständiges Verzeichnis der in Niedersachsen ansässigen Verlage, nebst ihrer Geschichte. Darüber hinaus enthält es einen Essay von Georg Ruppelt: Die da zween Herren dienen. Der Verleger als literarisches Motiv.

Zwischen Harz und Helgoland - Heinrich Heine in Norddeutschland so lautet der Titel von Heft 12 der Schriftenreihe. Heinrich Heine - ein norddeutscher Heimatdichter? Nein, das war er mitnichten. Aber bedingt durch familiäre Umstände und eine große Liebe zum Meer, hat er Norddeutschland häufig bereist. Und die Erlebnisse auf diesen Reisen, die Begegnungen mit den Menschen haben Eingang in sein Werk gefunden. Zu erfahren ist, was den in Düsseldorf geborenen und die zweite Hälfte seines Lebens in Paris beheimateten Dichter mit Hannover, Lüneburg, dem Harz, Hamburg, Bremen, Cuxhaven oder Helgoland verbindet und warum er einen Aufenthalt auf Norderney plötzlich abbrechen und nach Wangerooge "fliehen" musste.

Wer interessiert sich nicht für das immer wieder aktuelle Thema Lehrer? Doch wohl jeder, denn Schüler waren wir ja schließlich alle einmal. Und wer kann nicht mit mindestens einer Anekdote aus seinem Schülerleben aufwarten? Aber wie wurden die Lehrer in der Literatur dargestellt? Wie äußerten sich beispielsweise Hermann Hesse, Thomas Mann, Alexander Spoerl, Franz Werfel oder Robert Musil über Schulzeit und Lehrer? Reformatoren und arme Schulmeister, Gelehrte und Pauker, Schultyrannen und gehasste Lehrer, unglückliche Lehrer - und Texte zum Trost, all' das findet sich in Heft 15 von Georg Ruppelt: Professor Unrat und die Feuerzangenbowle - Von Gymnasiallehrern in der Literatur.

Einblick in einen bedeutenden Altbestand der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek bietet das soeben erschienene Heft 17 von Thomas Fuchs: Ex Bibliotheca Hannoverana - Kostbarkeiten aus zwölf Jahrhunderten, Teil 1: Handschriften. Es stellt zwölf ausgewählte Handschriften aus dem reichen Bestand der Bibliothek in Bild und Beschreibung vor. Dabei handelt es sich sowohl um kunstgeschichtlich als auch textgeschichtlich bedeutsame Werke, darunter ein niederdeutsches Gebetbuch aus dem Jahr 1430, aus dem Zisterzienserinnenkloster Medingen bei Lüneburg das Psalterium Cisterciense aus dem 15. Jahrhundert oder das Originalmanuskript Discours de Métaphysique von Gottfried Wilhelm Leibniz aus dem Jahr 1714.

In diesem Rahmen können verständlicherweise nur einige Hefte vorgestellt werden. Falls aber die Neugierde geweckt wurde - bisher sind die folgenden Titel erschienen:

Die Titel sind über den Buchhandel oder direkt über den Verlag CW Niemeyer Buchverlage, Hameln, zu beziehen und werden auch in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek - Niedersächsische Landesbibliothek angeboten.


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Marita Simon

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