Moskau - Impressionen aus der LIS-Welt

von Wolfgang Ratzek

Auf Einladung des MGUKI1 und gefördert vom DAAD fand vom 17. bis 24. April 2005 eine Informationsreise nach Moskau statt. Das Programm wurde vom Deutsch-Russischen Zentrum für Bibliothekswissenschaft des MGUKI erarbeitet, das sich an der Fakultät für Bibliothek und Informationswissenschaft an der Moskauer Staatsuniversität für Kultur und Künste befindet.

Винити - das VINITI2 (www.viniti.ru/Welcome.html)

Die erste Station führte zum VINITI - dem "Allrussischen Institut für wissenschaftliche und technische Information der Akademie der Wissenschaften der Russischen Föderation", das zu den führenden Informationsinstituten auf dem Gebiet der wissenschaftlich-technischen Information in den Ländern der GUS gehörte. Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umgestaltung) haben auch vor dem VINITI nicht halt gemacht.

Der heutige Stellenwert dieser einst bedeutenden Institution ist eher unklar. In dem beeindruckenden Gebäudekomplex residiert unter anderem auch die Russische Akademie der Wissenschaften und das Ministerium für Wissenschaft und Technologiepolitik der Russischen Förderation - aber auch ein Friseursalon.

Hier standen Gespräche mit dem "Urgestein" des VINTI auf dem Programm: Rudzhero S. Giljarevskij (Leiter der wissenschaftlichen Forschungsabteilung Informatik) und Arkady I. Cherny (Mitglied der Geschäftsführung), die in den 1960er bis in die 1970er Jahre mit ihren Beiträgen die Informations- und Dokumentationswissenschaft der DDR und der Bundesrepublik Deutschland beeinflussten. A.I. Cherny befasst sich zurzeit mit der Fertigstellung eines umfangreichen Werkes über die Geschichte des VINITI. Der Arbeitsbereich R. S. Giljarevskijs besteht aus vier Teilbereichen.

Die Hauptaufgabe steht in der Herausgabe zweier monatlich erscheinender Zeitschriften technisch-wissenschaftlichen Inhalts.

Darüber hinaus wirkt Giljarevski in einigen Arbeitsgruppen mit, wie zum Beispiel in einer AG "Intellectual Information Systems (Logical Processing)" oder in einer AG der Sprachwissenschaftlichen Abteilung, wo es um die Entwicklung und den Einsatz intranetbasierter Spracherkennung und -analyse von russischen Gebrauchstexten geht. Die Ergebnisse werden in einer Datenbank gespeichert und für das VINITI zur Verfügung gestellt.

Foto: R. S. Giljarevskij - fast 80 und kein Gedanke an Ruhestand

Die Russische Staatsbibliothek - die "Lenin-Bibliothek"3 (www.rsl.ru/eng/defengl.asp)

Obwohl seit 1992 der offizielle Name "Russische Staatsbibliothek" gilt, reden alle immer noch von der "Lenin-Bibliothek", zumal auch die Metro-Station der roten Linie "Biblioteka im Lenina" heißt.

Neben der Library of Congress und der chinesischen Nationalbibliothek gehört die Lenin-Bibliothek mit ihren rund 2.300 Mitarbeitern zu den ganz großen Bibliotheken der Welt. Den Nutzern stehen 43 Millionen Medien in 247 Sprachen und 26 große Lesesäle - insgesamt jedoch mehr als 200 Lesesäle - zur Verfügung. Seit 1998 können Recherchen über den im Aufbau befindlichen OPAC durchgeführt werden, daneben wird auch der traditionelle Katalog noch rege genutzt.

Für 50 Rubel (ca. 1,5 Euro) erhalten die Kunden (Mindestalter 18 Jahre) für fünf Jahre Zugang zum Informationspotenzial der Lenin-Bibliothek. Wer die 50 Rubel nicht aufbringen will oder kann, der bekommt einen stark begrenzten Zugang, zum Beispiel zu den Katalogen.

Besondere Aufmerksamkeit fiel auf das Zentrum für Business Information.

Zentrum für Business Information

Der von Olga Voronova vorgestellte Bereich umfasst zwei räumlich sehr weit von einander entfernte "fraktale Bibliotheken". Im ersten Bereich geht es um Amtsdruckschriften, Patente, Normen und damit verbundene Fachliteratur. Neben einem physischen Bestand steht die CD-ROM MIMOSA zur Verfügung - eine Patent-Volltextdatenbank. Das Copyright erlaubt das Ziehen einer Kopie von einem bestimmten Patent. Die Kosten betragen 3,50 Rubel (ca. 0,10 Euro).

Der zweite Bereich umfasst insbesondere juristische Schriften, russische und ausländische Gesetze, aktuelle russische Zeitschriften, ein Zeitschriften-Archiv und einen speziellen Bereich für die Geschichte der russischen Oktoberrevolution.

Im zweiten Bereich stehen den Benutzern mit "Garant" und "Consultant" zwei vom Staat kostenlos und laufend aktualisierte Volltextdatenbanken zur Verfügung.

Für unsere Verhältnisse kurios ist die Preisgestaltung. Die Selbstrecherche kostet 50 Rubel in der Stunde (ca. 1,50 Euro), ein sehr preiswertes Angebot. Noch günstiger ist es, wenn mit der Recherche eine Fachkraft der Abteilung beauftragt wird, dann ist die Recherche kostenlos. Auf Nachfrage teilt die Mitarbeiterin mit, dass so gut wie nie Selbstrecherchen durchgeführt werden.

Nun zu einem speziellen Service dieser Abteilung, der auch für Deutschland Schule machen könnte, zwar nicht im jurischen Bereich ("Juristen-Monopol"), aber in anderen Bereichen.

Studierende der juristischen Fakultät der Universität für Völkerfreundschaft bieten bei Bedarf einen juristischen Beratungsservice an.

Foto: Eingangsportal zur Lenin-Bibliothek

MGUKI (http://msuc.edu.ru)

Das Moskauer Bibliotheksinstitut, die heutige Fakultät für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, bildete 1930 die Basis für die Weiterentwicklung zur Moskauer Staatsuniversität für Kultur und Künste.4 An der Bibliotheksstraße (yл. Библиотчная 7) im Moskauer Bezirk5 in der Stadt Chimki gelegen, sind im Laufe der Jahre neue Fakultäten und Institute hinzugekommen.

Deutsch-Russisches Zentrum für Bibliothekswissenschaft am MGUKI

An der Fakultät für Bibliotheks- und Informationswissenschaft des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft des MGUKI befindet sich auch das Deutsch-Russische Zentrum für Bibliothekswissenschaft. Es wird gemeinschaftlich vom Direktor des Instituts Prof. A. M. Mazurikij und von dem sehr engagierten DAAD-Langzeitdozenten Prof. Dr. Gottfried Kratz als Mitdirektor gemanagt. Gospodin Kratz6, wie er respektvoll von den Fachleuten genannt wird, hat in den letzten Jahren ein beeindruckendes Netzwerk aufgebaut und gepflegt, von dem auch seine deutschen Gäste profitieren.

Museum am MGUKI

Zu den vielen Highlights der Informationsreise gehörte auch ein Besuch des hochschuleigenen Museums, das die Geschichte der Universität dokumentiert und am Leben hält und in P. S. Sokov einen sehr engagierten und kenntnisreichen Leiter hat. So bleibt der Ursprung der MGUKI in lebendiger Erinnerung. Eine Idee, die auch für den Studiengang Bibliotheks- und Medienmanagement an der Fakultät Information und Kommunikation der Hochschule der Medien von Interesse sein kann.

Konferenz des MGUKI (http://libconfs.narod.ru/lw2005.html)

Vom 20. bis 22. April 2005 fand an der Fakultät für Bibliothek und Informationswissenschaft der Moskauer Staatsuniversität für Kultur und Künste die jährliche Konferenz unter dem Thema "Bibliothekswesen 2005. Die Tätigkeit der Bibliotheken und die Entwicklung der Informationskultur der Gesellschaft" statt. Der Einladung folgten rund 100 Teilnehmer. Im Mittelpunkt des ersten Tages standen drei Vorträge.

Der erste Vortrag des Vertreters der Petersburger Schwesteruniversität des MGUKI war eine romantische Beschreibung der Informationsgesellschaft. Die russische Kultur sei eine Buchkultur, die Informationsgesellschaft ein Mythos, die Buchgesellschaft aber Realität. Der Vortrag wurde durch Rezitationen und Gesangseinlagen des Vortragenden abgerundet.

Der Autor hielt einen Vortrag zum Thema "Der bibliothekarische Studiengang als Dienstleister für Informationseinrichtungen"7, in dem er ein aus fünf Dienstleistungen umfassendes Modell entwickelte.

Den Abschluss bildete Viktor V. Skvorcov, Motor und Hauptorganisator dieser seit Jahren stattfindenden Konferenz des MGUKI. Skvorcov stellte sein interaktives, 400 Seiten starkes Lehrbuch für das Studium der Bibliothekswissenschaft am MGUKI vor. Es handelt sich dabei um eine Art Informationsportal mit einer Suchmaschine (eLexikon), die im Literaturverzeichnis aufgeführten Bücher und Artikel sind im Volltext hinterlegt. Darüber hinaus werden auch die Konferenzbände der jährlichen Konferenzen und umfangreiche interaktive Prüfungsaufgaben im Multiple-Choice-Verfahren mit potenzieller Benotung hinterlegt. Die Ergebnisse des von der öffentlichen Hand geförderten Projekts werden 2006 in allen russischen Hochschulen mit LIS-Studiengängen zur Verfügung gestellt.

Vorträge zu Einzelfragen fanden in den Folgetagen in Sektionen statt.

Foto: MGUKI-Konferenz - auch 2005 ein Erfolg

Ivan Fedorov8-Konferenz (www.naukaran.ru/plan2005_2/01.shtml)

Am 20. und 21. April 2005 fand im Konferenzsaal der Druckerei des Verlages "Nauka", der der Akademie der Wissenschaft angegliedert ist, die traditionelle buchhistorische Konferenz "Fedorovskie chtenija" statt.

Dr. Alexander Ju. Samarin, Leiter des Wissenschaftlichen Zentrums zur Erforschung der Geschichte der Buchkultur bei der Akademie der Wissenschaften, und seine Kollegin Maria A. Ermolaeva organisierten und moderierten die Konferenz für Wissenschaftler und Bibliothekare. Beide waren auch mit eigenen Beiträgen beteiligt: A. Ju. Samarin mit neuen, vom ihm gefundenen Archivdokumenten zu Johan Michael Hartung, dem Besitzer der ersten privaten Druckerei im Russland des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Und M. A. Ermolaeva mit einer Abhandlung "Bibliographische Werke 18. Jahrhunderts als Quelle des russischen Buchwesens".9

Im Konferenzband werden die Vorträge zum 18. Jahrhundert abgerundet durch Vorträge von G. A. Fafurin über den Petersburger Drucker Johann Weitbrecht und G. I. Smagina über die Schulreform Katharinas II. und deren Darstellung auf den Seiten der in Göttingen erschienenen "Staats-Anzeigen".

Die Konferenz wurde auch genutzt, um den bekannten Gutenberg-Forscher Evgenij L. Nemirovskij zu seinem 80. Geburtstag zu ehren. Die Zusammenarbeit des Gefeierten mit der 1956 in der DDR gegründeten Pirckheimer-Gesellschaft und deren Zeitschrift "Marginalien" wird in dem Beitrag von Friedhilde Krause, der ehemaligen Generaldirektorin der Deutschen Staatsbibliothek, hervorgehoben.

Aus der Fülle der eingereichten Beiträge bekamen die Teilnehmer 55 Vorträge geboten. Stellvertretend soll hier der Vortrag von V. P. Puschkov über den Moskauer Buchmarkt in den Jahren 1636/37 zusammengefasst werden. Dieses Projekt wird vom russischen Gegenstück der DFG, dem RFFI, gefördert. Puschkov hat rund 2.500 Kaufbelege aus dieser Zeit in einer Datenbank gespeichert. Die Belege enthalten verschiedene Informationen: Name, Stand, Geschlecht, Adresse, Kaufhäufigkeit, Moskowiter oder Zugereister. Durch eine entsprechende Programmierung ist Puschkov in der Lage, gesellschaftliche, politische, kirchliche oder demografische Ableitungen vorzunehmen. So lassen sich Fragen beantworten wie: "Kauften Bürgerliche mehr Bücher als Geistliche?", "Wie oft hat jemand Bücher gekauft?", "Wo wohnten die Käufer?". So wurden freitags die meisten Bücher gekauft. Geistliche kauften meistens montags. Häufig wurde auch samstags gekauft, und zwar nach der Sauna.

Ein Beitrag, der in beeindruckender Weise zeigt, was unter bibliothekarischen Mehrwert zu verstehen ist.

Foto: A. J. Samarin bei der Laudatio für E. L. Nemirovskij (zw. v. links)

Die Turgenev-Bibliothek (www.turgenev.ru)

Der russische Dichter Ivan S. Turgenev (1818-1883) spielt für diese Bibliothek eine wichtige Rolle. Diese öffentliche Bibliothek hält eine Reihe von Überraschung parat. Alles ist dort vom Feinsten, ob Inventar, Medien oder Informationstechnik (84 PC und 5 Server). Es gibt einen Konferenz- und Kinosaal für 80 Personen. Beeindruckend ist auch die deutsch-französische Abteilung mit zwei Räumen, wo für die Mediennutzung PC, Flachbildschirme und DVD-Player zur Verfügung stehen. Die Technik stellte die Stadt Moskau zur Verfügung, die Medien wie Periodika, Monografien, Wörterbücher, Nachschlagewerke, CD-ROM/DVD das Goethe Institut, die französische Botschaft und die Banc Nationale de Paris. In einem weiteren Raum befindet sich das Lernmittelzentrum/Sprachlabor für die audiovisuelle Beschäftigung mit den Fremdsprachen Deutsch und Französisch. Damit die Interessierten auf dem neuesten Stand bleiben, werden Seminare angeboten und die Verlage berichten regelmäßig über ihre Neuerscheinungen.

Unabhängig davon gibt es noch eine Mediathek, in der beispielsweise das Internet kostenlos genutzt werden kann und einige Abspielplätze für eBooks, CD-ROM, Video-Cassetten oder DVD zur Verfügung stehen.

Besondere Beachtung verdient auch die pädagogische Arbeit der Bibliothek. So arbeitet die Bibliothek mit einer kunsthandwerklichen Einrichtung zusammen, in der Kinder im Schulalter gestalterisch tätig sind. Um den Kindern einen besonderen Anreiz zu bieten, werden in der Bibliothek Lesungen, Filme, Themenführung zu bekannten Schriftstellern wie H. C. Andersen (2005 ist H. C. Andersen-Jahr) oder I. S. Turgenev angeboten. Die Kinder bekommen die Aufgabe, ihre Eindrücke in Porzellan-Figuren, Zeichnungen usw. umzusetzen.

Außerdem ist die Turgenev-Bibliothek die älteste öffentliche Bibliothek Russlands. Sie wurde 1885, also kurz nach dem Tode Turgenevs, eröffnet. Die Initiative ging von der Mäzenin Vavara A. Morozova aus, die mit eigenen Mittel diese Memorialbibliothek begründete und den Betrieb für fünf Jahre sichergestellt hat.

Im Gesprächs mit der Direktorin Tatjana Korobkina wurde auch über ein Projekt gesprochen, das bereits konkretere Züge angenommen hat und mit dem Aufbau einer Bibliothek in Moskau zu tun hat. Zwei Stuttgarter Institutionen haben bereits ihre Unterstützung zugesagt.

Foto: Turgenev-Bibliothek

Die Rayon-Bibliothek von Dmitrov (www.dmitrovlib.ru/centrallib/history.shtml)

80. Kilometer nordöstlich von Moskau liegt die 1154 gegründete Stadt Dmitrov, die neben Kathedralen aus dem 16. Jahrhundert auch einen alten Kreml vorzuweisen hat. Aus bibliothekarischer Sicht bietet das zentralistische Bibliothekssystem (Rayon) von Dmitrov einige Überraschungen. Die Zentrale Bibliothek in Dmitrov ist Zentrum für 50 öffentliche Zweigbibliotheken in der Region. Ihr obliegt die zentrale Verwaltung, Methodik, Marketing, Gehaltszahlung (ab 2006 über die Filialbibliothek)10 und Automatisierung. Die Zweigbibliotheken sind für die Bestände, das Personal und das Gebäudemanagement zuständig. Die Zentralbibliothek zählt 14.000 Benutzer, während in den Zweigbibliotheken 50.000 Benutzer eingeschrieben sind. Insgesamt werden rund 1 Million Medien ausgeliehen. Die Neuerwerbungsrate liegt bei etwa 28.000. 150 Zeitschriften liegen für die Nutzung bereit.

Seit acht Jahren stellt die Abteilung für ausländische Literatur, die für den gesamten Moskauer Bezirk11 fungiert, Zeitschriften und elektronische Medien aus Deutschland und Frankreich zur Verfügung. Zu den speziellen (kostenpflichtigen) Dienstleistungen der Auslandsabteilung gehören unter anderem die Unterstützung bei Übersetzungen, Recherchen und bei der Geschäftskorrespondenz.

Auch werden die regelmäßigen Veranstaltungsangebote sehr gut angenommen. Am 23. April 2005 besuchten ca. 150 Fans des russischen Barden Bulat Okudschawa (1924-1997), der auch in Deutschland seine Fangemeinschaft hat, die Zentralbibliotheken. Neben Filmeinspielungen und Rezitationen spielten zwei Musiker Stücke des Barden, bei denen die Teilnehmer lautstark mitsangen.

Beim anschließenden Informationsaustausch mit der Direktorin des zentralisierten Bibliothekssystems Zinaida I. Zlotnikova war zu erfahren, dass die Stadt Dmitrov Kontakte im Rems-Murr-Kreis (nahe Stuttgart) pflegt, die auch auf den Bibliotheksbereich ausgeweitet werden könnten.

Foto: Projektbesprechung in der Rayon-Bibliothek Dmitrov (v.l.n.r. stellv. Dir., Dir., Chefredakteur der örtlichen Tageszeitung und G. Kratz)

Allgemeine Entwicklungen im Moskauer Bibliothekswesen
Lizenzierung von Bildungsdienstleistungen

Für die Wahrnehmung bestimmter Bildungsaufgaben benötigt eine Bibliothek eine Lizenz des Bildungsministeriums12, um zum Beispiel Sprach- oder Computerkurse durchzuführen. Die Lizenz spielt für den Aufbau und Betrieb von Informations- und Intellekt-Zentren eine wichtige Rolle. Wer diese Lizenz besitzt, darf dann entgeltpflichtige Dienstleistungen anbieten. Dabei ist noch unklar, wie die Einnahmen steuerrechtlich zu bewerten sind. Im Prinzip geht es hier um eine gewerbliche Tätigkeit; es gibt aber zurzeit noch kein Steuergesetz. Eine Zwischenlösung ist eine Liste des Ministeriums, auf der die steuerbefreiten Dienstleistungen aufgeführt sind.

Noch problematischer wird die Angelegenheit, wenn kostenpflichtige Dienste über das Internet angeboten werden. Hierfür ist eine ebenfalls eine Lizenz (s.o.) erforderlich und Steuern müssen abgeführt werden. Bisher übernimmt die Stadt diese Verpflichtung. Es gibt eine Tendenz, dass Bibliotheken von der Steuer befreit werden sollen.

Im Allgemeinen geht die Tendenz dahin, dass die öffentlichen Bibliotheken eher kostenfreie Angeboten machen wollen, während die wissenschaftlichen Bibliotheken sehr daran interessiert sind, neue Einnahmequellen zu erschließen.

Informations- und Intellekt-Zentren

In den öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken wird der Aufbau von Informations- und Intellekt-Zentren (IIZ)13 mit öffentlichen Mitteln gefördert. Die Frage ist dabei nur, welcher Präfix Vorrang erhalten soll. Es gibt Beispiele, wo die Betonung auf Information liegt und dann doch eher der Bereich Unterhaltung abgedeckt wird. Für Deutschland interessant, wenn die Betonung auf Intellekt liegt.

Die Rayon-Bibliothek Dmitrov besitzt seit 2004 eine solche Lizenz. Das IIZ bietet Angebote

BibliothekarInnen dringend gesucht

In allen besuchten Bibliotheken wurde darüber geklagt, dass die freien Stellen für BibliothekarInnen nicht besetzt werden könnten, weil sie von anderen - in der Regel fachfremden - Institutionen14 mit höheren Gehältern abgeworben würden. Dramatisch stellt sich die Situation in der Turgenev-Bibliothek dar, wo dringen ein Buchbinder gesucht wird. In der Werkstatt steht das neue Werkzeug noch verpackt herum und wartet darauf, genutzt zu werden. Arbeit gibt es genug, zumal die Buchbinderei als ein Profit-Center für Moskau und Umgebung ausgebaut werden soll, was auch eine zusätzliche Einnahmequelle für die Bibliothek, aber auch für den Buchbinder, bedeuten würde.

… mehr als eine Info-Reise

Am Ende war es dann doch mehr als eine Informationsreise. Zahlreiche Projektideen entstanden. Angebote für Publikationen in russischen Publikationen liegen vor. Und ein Eindruck bleibt: In der Turgenev-Bibliothek und in der Hauptbibliothek Dmitrov wird ein ganzheitliches Marketing betrieben, das durchaus auch für deutsche Bibliotheken Vorbildfunktion besitzt.


Zum Autor

Wolfgang Ratzek


Anmerkungen

1. MGUKI = Moskauer Staatsuniversität für Kultur und Künste

2. Einen ausführlicherer Bericht über das VINITI erscheint von Svetlana Dub in Information - Wissenschaft und Praxis 4/2005

3. Bei Tatjana A. Andrianova, der Stellvertretenden Leiterin der Abteilung "Ausländische Bibliothekswissenschaft und Internationale Beziehungen" - und zuständig für deutschsprachige Länder möchte ich mich für ihre Tour durch die Lenin-Bibliothek bedanken.

4. s. Kratz, Gottfried: Moskauer Bibliotheksinstitut vor 70 Jahren gegründet. In: Biblotheksdienst 2/2002, S. 169-171

5. also außerhalb des Autobahnringes, der die Stadt Moskau eingrenzt

6. Gottfried Kratz hat mit mir ein sehr umfangreiches Programm erarbeitet, die Reise im Rahmen des DAAD-Programms Hochschullehreraustausch initiiert, als Dolmetscher fungiert und bei der Transkription vom kyrillischen in das lateinische Alphabet mitgewirkt.

7. Die ausgearbeitete Fassung dieses Vortrages erscheint in einer der nächsten Ausgaben von B.I.T.online. Die zur Konferenz eingereichten Vorträge der übrigen Teilnehmer sind bereits im Druck erschienen und werden, wie die Beiträge früherer Jahre, in Kürze im Netz zugänglich sein.

8. Ivan Fedorov (um 1510-1583) gilt als der Begründer des Buchdrucks in Russland.

9. Nachzulesen in dem Sammelband sämtlicher zur Konferenz eingereichten Beiträge (Fedorovskie chtenija 2005. Moskau: Nauka, 2005. 660 Seiten).

10. Daraus resultiert ein gravierendes Problem, da wohl nicht sichergestellt ist, ob dadurch der Etat der Zweigbibliotheken entsprechen angehoben wird.

11. Die Stadt Moskau ist alles, was sich innerhalb des Ringes befindet. Außerhalb des Ringes ist dann vom Moskauer Bezirk die Rede.

12. Es gibt auch Möglichkeiten, diese zu umgehen, aber dann ist es nicht offiziell und kann auch nicht gefördert werden.

13. Im Prinzip sind diese Zentren mit unseren Mediatheken vergleichbar.

14. Wie zu hören war, können das sogar Jobs als Hilfskräfte bei internationalen Unternehmen sein, die zwar relativ hohe Gehälter zahlen, aber den Karriereweg in die LIS-Welt verbauen.