Die neuen Informationstechnologien
in der Nationalbibliothek der Republik Kasachstan

von Galina Kabarovna Balabekova

Kasachstan gehört, wie das in Heft 1 dieser Zeitschrift beschriebene Usbekistan, zu den zentralasiatischen Staaten, ist aber als neuntgrößtes Land der Erde weitaus größer als dieses und zudem das größte Binnenland der Welt, mit einer Ost-West-Ausdehnung von der europäischen Wolga am Kaspischen Meer bis hin zu den Ausläufern des Altai-Gebirges an der chinesisch-mongolischen Grenze von etwa 3000 Kilometern.

Nachdem sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts einzelne Gebiete des Landes der Oberhoheit Russlands unterstellt hatten, erhielt Kasachstan nach heftigen inneren und äußeren Wirren 1936 den Status einer russischen Unionsrepublik. 1941 kam es zu einer Zwangsumsiedlung von Russlanddeutschen dorthin, die alsbald einen Anteil von fast 6% an der Gesamtbevölkerung erreichten. Im Zuge der Auflösung der UdSSR erklärte das Land 1990 seine Unabhängigkeit und schloss sich 1991 der GUS an. Seit Inkrafttreten der neuen Verfassung 1995 ist Kasachstan eine souveräne, demokratische Präsidialrepublik. Seit der Unabhängigkeit setzte auch eine Rückwanderung vieler dieser sogenannten Kasachstan-Deutschen als Spätaussiedler nach Deutschland ein, so dass über dieses Land bei uns mehr bekannt wurde als über die anderen zentralasiatischen Länder - nicht erst durch die Niederlage der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft gegen Kasachstan bei der Weltmeisterschaft vor wenigen Monaten in Österreich!

So wissen wir, dass dieses Land zu mehr als 80% aus Steppen, Wüsten und Halbwüsten besteht, aber auch viele einzigartige Naturschönheiten aufweist. Etwa 60% der fast 16 Mio.. Einwohner leben in den Städten. Bis vor wenigen Jahren war Almaty (russ. Alma Ata) nahe der Südgrenze zu Kirgistan die Hauptstadt des Landes, schön gelegen an den Nordhängen des Alatau-Gebirges, eine wasserreiche Stadt im Grünen, in der ca. 1,5 Mio.. Menschen leben, mit zahlreichen Parks und Gärten und vielen kulturellen Einrichtungen. 1995 wurde die Hauptstadt in das steppenreiche Landesinnere nach Akmola verlegt, wohin 1997 Regierung und Parlament nachzogen und 1998 dieses in Astana (=Hauptstadt) umbenannten. Hier ist nun ein gigantischer Bauboom hypermoderner Bauten durch den japanischen Architekten Kurokawa im Entstehen, der bis 2030 die Hauptstadt nach modernsten städtebaulichen Gesichtspunkten schaffen will, die ähnlich wie in den 60er Jahren Brasilia die Erschließung des Landesinneren vorantreiben soll. Allerdings sträuben sich viele gegen den Umzug, und so ist Almaty noch immer die heimliche Hauptstadt, in der sich die wichtigsten kulturellen und Bildungseinrichtungen befinden.

In Kasachstan besteht Grundschulpflicht, die auf ein 12jähriges Bildungssystem ausgedehnt werden soll, so dass die Alphabetisierung auf über 98% angehoben werden konnte. Zahlreiche Universitäten und Hochschulen heben den Bildungsstandard der Bevölkerung weiter an. Ein Netz von ca. 12 000 Bibliotheken versorgt sie mit der gewünschten Literatur. Die führende Rolle hat dabei die seit fast 100 Jahren bestehende Nationalbibliothek, noch in Almaty, die in ihrem 1971 errichteten Neubau fast 6 Mio. Einheiten aufweist (siehe Abbildungen).

Abbildung 1: Logo der Nationalbibliothek der Republik Kasachstan in Almaty

Zum Bibliothekswesen Kasachstans

Die Nationalbibliothek der Republik Kasachstan befindet sich in Almaty, der früheren Hauptstadt, und steht an der Spitze eines entwickelten Bibliothekswesens. Sie ist die größte Bibliothek des Landes, die mit ihrem Wissensfonds zur Entwicklung vieler Generationen der kasachischen Intelligenz beigetragen hat. Die Nationalbibliothek wird seit 2003 von Generaldirektor Murat Muchtarowitsch Auesov geleitet, Kandidat der philologischen Wissenschaften.

Das Bibliothekswesens Kasachstans umfasst laut Statistik von 2003 insgesamt 11.448 Einrichtungen mit 292 Mio. Bänden, von denen 8,6 Mio. Benutzer 205 Mio. Bände enliehen haben.

Abbildung 2: Eingangsfassade des Neubaus der Nationalbibliothek

Zum Bereich des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft gehören

In den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheitswesen usw. werden über 130 Bibliotheken (mit 6,6 Mio. Bänden) ausgewiesen. Zum Bereich des Ministerium für Kultur zählt die Statistik 2003 insgesamt 3399 Bibliotheken, die ein flächendeckendes Netz bilden (67,8 Mio. Bände, aus denen 3,7 Mio. Benutzer 79,5 Mio. Bände entliehen haben).

Zentrale Einrichtungen der Republik Kasachsten sind die Nationalbibliothek sowie die drei Republiksbibliotheken für Kinder, für die Jugend und für Blinde.

15 Regionalbibliotheken der Gebiete sowie 14 Kinder/Jugend-Regionalbibliotheken und 14 Blindenbibliotheken führen die regionalen Netze mit insgesamt 159 Rayonbibliotheken, 35 Stadtbibliotheken, 2630 Dorfbibliotheken, 96 Kinderbibliotheken sowie Filialen.

Abbildung 3: Speziallesesaal Informationsressourcen zu Öl und Gas

Zur Entwicklung der Nationalbibliothek Kasachstans

Am 31. Dezember 1910 wurde auf Beschluss der Duma der Stadt Wernija eine Lesebibliothek eröffnet, die 1924 zur Gebietsbibliothek Dschettisai und 1928 zur öffentlichen Kreisbibliothek Alma-ata umbenannt wurde. Seit 1931 ist diese Bibliothek "Staatliche öffentlichen Bibliothek der kasachischen sozialistischen Sowjetrepublik". 1991 erhielt sie den Status "Nationalbibliothek" und wurde auf Grund ihrer staatlichen und gesellschaftlichen Bedeutung zum besonders wertvollen Kulturobjekt der Republik Kasachstan erklärt.

Die Nationalbibliothek ist gleichzeitig das größte bibliothekswissenschaftliche und bibliotheksmethodische Forschungszentrum Kasachstans. Sie ist Depositar des Pflichtexemplars der nationalen Buchproduktion und sammelt seit 1993 auch die Schriften der UNESCO und seit 1995 die hohen Dissertationen (Dr. der Wissenschaften).

Der universelle Bestand der Nationalbibliothek umfaßt 5,7 Mio. Einheiten in 50 Sprachen und wird täglich von bis zu 2500 Lesern genutzt, denen 14 spezialisierte Lesesäle mit 1500 Plätzen zur Verfügung stehen. 1971 erhielt die Bibliothek ein speziell für sie gebautes Gebäude, das heute zu den architektonischen Sehenswürdigkeiten Almatys zählt (siehe Abbildungen).

Seit 1992 ist die Nationalbibliothek Mitglied der IFLA und seit 1993 Mitglied der Partnerschaft "Bibliothekarische Versammlung Eurasiens" (BАЕ).

Abbildung 4: Speziallesesaal elektronische Medien

Zu den elektronischen Ressourcen der Nationalbibliothek

Die derzeitige Entwicklungsetappe der Nationalbibliothek wird von den neuen Informationstechnologien und Kommunikationsnetzen bestimmt und der Öffnung des Zugriffs auf ihre elektronischen Ressourcen. 1992 wurde mit dem Programm ABIS der elektronische Katalog begonnen. 1997 erarbeitete das Computerzentrum der Nationalbibliothek eine neue Windowsversion (RABIS), bezog USMARC ein und berücksichtigte die GOST-NORMEN, womit man allen Forderungen an derartige Systeme entsprach. RABIS funktioniert im Intranet, unterstützt Volltextdatenbanken und audio-visuelle Internetanlagen. Dabei werden die elektronischen Ressourcen maximal vor unbefugtem Zugriff geschützt.

Zur Zeit sind fünf Module von RABIS im Einsatz:

RABIS "Katalogisator"
RABIS "Benutzerregistrierung
RABIS "Recherche und Bestellung"
RABIS "Buchausleihe"
RABIS "Internet"

Seit 2003 werden bei der Buchausleihe Strichcodes verwendet.

Mit dem Internet-Modul wird die Tätigkeit des kasachischen Zentrums für Korporativkatalogisierung unterstützt. RABIS verfügt über 40 Datenbanken, von denen ein Teil dienstliche Datenbanken sind und zu anderen der Benutzer Zugang hat.

Zur Zeit wird der Bestand durch ca. 1 Mio. Katalogeinträge verzeichnet, darunter z.B:

einschließlich Nachweise, CD und Mikrofish russischsprachiger Dissertationen kasachischer Gelehrter

darunter z.B. Erasmus von Rotterdams "Lob der Dummheit", gedruckt 1523 in Köln.

Abbildung 5: Koran aus dem 12. Jahrhundert

Das Kasachische Zentrum für korporative Katalogisierung

Dieses Zentrum wurde im Mai 2002 gegründet und fügte die elektronischen bibliographischen Beschreibungen aller kasachischen Informationsressourcen zu einem kasachischen Gesamtkatalog zusammen. Ziel war und ist, dass jede Quelle nur einmal bibliographisch erfasst wird, aber vielfach genutzt werden kann von den beteiligten Bibliotheken des Landes, also vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit zum Nutzen aller.

Ein Arbeitsschwerpunkt ist die elektronische Datenbank "Kasachstan". Sie enthält das vollständigste Verzeichnis über das Land, in das alle Mitgliedsbibliotheken ihre Regionalia und Institutsschriften eingeben. Alle Bibliotheken haben per Internet Zugang zu den Daten und können sie in ihre eigenen bibliographischen Verzeichnisse integrieren.

Ausgangsbasis bildeten z.B. die Datenbank "Kasachstanika" der Nationalbibliothek und der Regionalbibliotheken, das Verzeichnis "Kasachstan, gestern und heute", das Verzeichnis "Das kasachische Buch bis 1945" usw., so dass heute bereits ein umfassendes Informationsmittel über Kasachsten weltweit zur Verfügung steht.

Korporative Katalogisierung erfordert einheitliche Technologie, einheitliche Anwendung der Regeln, des Datenformats, der Periodizität usw., also konstruktive Zusammenarbeit. Hier sind von dem neuen Zentrum noch viele praktische und theoretische Aufgaben zu lösen, Qualitätsparameter zu formulieren und zu kontrollieren.

Die Nationalbibliothek Kasachstans heute

Die Homapage der Nationalbibliothek (www.nlrk.kz) ist dreisprachig zugänglich (kasachisch, russisch und englisch) und gibt einen umfassenden Überblick über die Bibliothek, ihre Struktur und Arbeitsfelder und ihre vielfältigen internationalen Verpflichtungen sowie über das Bibliothekswesen Kasachstans und über das Kasachische Zentrum für Korporativkatalogisierung und ermöglicht den Zugang zur CD-ROM "Das musikalische Erbe Kasachstans".

Die Nationalbibliothek hat auf drei CD-ROM unter dem Titel "Aus den Beständen der Nationalbibliothek der Republik Kasachstan" stark nachgefragte Unikate der Rara-Abteilung zur Benutzung zur Verfügung gestellt. Weitere Titel werden folgen. Auch Quellenwerke zum Studium der Geschichte Kasachstans sind inzwischen elektronisch verfügbar.

Im Jahre 2000 wurde von der Nationalbibliothek "Das nationale Programm zur Entwicklung eines Systems des Schutzes der Unversehrtheit der Bibliotheksdokumente" verfaßt, das auch das Scannen der seltenen Bücher und der Handschriften sowie die Sicherung des Zugangs zu Informationen vorsieht.

Die dafür notwendige kostspielige Technik zum berührungslosen breitformatigen Scannen der Dokumente wurde durch Sponsoren zur Verfügung gestellt (z.B. IBM, Kascommerzbank) und soll in 2005 in Betrieb genommen werden. Begonnen werden soll mit dem Scannen der ersten kasachischen Zeitungen in arabischer Sprache (1913-1929) und in lateinischer Schrift (bis 1940). Damit können diese seltenen Zeitungen erstmals dem Leser wieder zur Verfügung gestellt werden.

Neue elektronische Informationsreccourcen, die in der Nationalbibliothek der Republik Kasachstan erforderlich sind, sollen ungeachtet aller finanziellen und technischen Probleme bereitgestellt werden. Die Nationalbibliothek strebt nach der weiteren Entwicklung der Telekommunikationsmittel und -netze sowie der elektronischen Informationsressourcen.


Zur Autorin

Gulisa Kabarovna Balabekova ist Stellvertreterin des Generaldirektors der Nationalbibliothek Kasachstans für Bibliotheks- und Informationstechnologie, Diplombibliothekarin (Krupskaja-Institut für Kultur, Leningrad)

Abaja-Prospekt Nr. 14
KZ-050013 Almaty (Kasachstan)
Tel.: 007 (3272) 67-28-85
Fax: 007 (3272) 67-28-83
E-Mail: nlrk@nursat.kz
URL: www.nlrk.kz

Die Kontakte nach Kasachstan besorgte:

Dr. Ulugbeck Fosilovitsch Karimov

Kandidat der technischen Wissenschaften,
Dozent am Staatlichen Institut für Kultur "A. Qodiriy",
Leiter der Abteilung "Wissenschaftliche und Marketingforschung" der usbekischen Nationalbibliothek "A. Navoi"

Jalanfotsch Ko’chasi 127-A
UZB-700164 Taschkent (Usbekistan)
E-Mail: ufk4@mail.ru

Die deutsche Bearbeitung fertigte:

Prof. Dietmar Kummer

Gastprofessor am Taschkenter Staatlichen Institut für Kultur "A. Qodiriy",
gefördert durch die HERDERSTIFTUNG beim DAAD Bonn.
Emeritus der HTWK Leipzig, Fachbereich Buch und Museum, Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft

Stuttgarter Allee 18
D-04209 Leipzig
E-Mail: dkummer@bum.htwk-leipzig.de

Die Arbeitsübersetzung erstellte:

Dr. Abdulla Alimov

Dozent am Taschkenter Staatlichen Institut für Kultur "Abdulla Qodiriy",
Dekan der Fakultät für sozial-kulturelle Tätigkeit
E-Mail: a.alimov@mail.ru