Schicksale von Büchern und Menschen während des Nationalsozialismus

2. Hannoversches Symposium 2005

von Ulrich Kandolf

Das Zweite Hannoversche Symposium Jüdischer Buchbesitz als Raubgut beschäftigte sich mit Schicksalen von Menschen und ihren Büchern. Schicksale vor allem jüdischer Bürger während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa und Schicksale ihrer Bücher, die in der jüdischen Tradition eine starke emotionale und religiöse Bedeutung für die Menschen haben.

Bis heute ist das Schicksal vieler Bücher und jener Menschen, denen die Bücher gehörten, ungeklärt, obwohl sich vor allem die westlichen Alliierten bemühten, die Bücher nach Kriegsende möglichst weitgehend zu restituieren.

Mit dem Machtantritt Hitlers und dem Sieg der Nationalsozialisten begann die systematische Verfolgung und Vernichtung jener Personengruppen, welche sich gegen den Nationalsozialismus stellten oder von diesem zu "Gegnern" erklärt wurden. In besonderem Maße betraf dies die jüdische Bevölkerung, zunächst im Deutschen Reich, später in ganz Europa.

Zugleich aber eigneten sich die Nationalsozialisten das Eigentum ihrer Gegner an. Bibliotheken wurden zum "Gegnerstudium" beschlagnahmt und in pseudowissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Institut zur Erforschung der Judenfrage oder so genannten Logen-Museen konzentriert. Viele tausende jüdische Menschen verloren mit ihrem Hab und Gut ihre Bücher, später meist auch ihr Leben.

Mit Verabschiedung der Washingtoner Grundsätze im Dezember 1998, als der Kunstraub der Nationalsozialisten erneut auf die Tagesordnung der Geschichtsforschung gesetzt wurde, rückte auch der Raub der Bücher wieder in das Blickfeld von Bibliothekaren, Historikern und Journalisten. Die Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vom Dezember 1999 verpflichtete dann nicht nur Museen und Archive sondern auch Bibliotheken, nach weiterem Kulturgut zu suchen, welches während des Nationalsozialismus geraubt, abgepresst oder anderweitig entzogen worden war.

In Reaktion darauf veranstaltete die Niedersächsische Landesbibliothek im November 2002 gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landtag ein erstes, eintägiges Symposium. Weitere Veranstaltungen in Wien (April 2003), Weimar (September 2003), Leipzig (März 2004), Berlin (September 2004) und Düsseldorf (März 2005) folgten. Diese machten deutlich, dass sich deutsche Bibliotheken zunehmend diesem unbequemen Thema stellen aber auch, dass es Zeit ist, bisherige Forschungsergebnisse zusammenzutragen, den nationalen und internationalen Austausch zu intensivieren und weitere Bibliotheken zur Überprüfung ihrer Bestände anzuregen.

Am 10. und 11. Mai 2005 fand deshalb mit Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien das Zweite Hannoversche Symposium Jüdischer Buchbesitz als Raubgut statt. Über 120 Bibliothekare, Historiker, Philosophen und Vertreter anderer Geisteswissenschaften folgten der Einladung der Veranstalter, der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek - Niedersächsische Landesbibliothek und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Hannover. Dreißig zu vier thematischen Blöcken zusammengefasste Beiträge standen auf der Tagesordnung. Das äußerst kompakte Programm, welches von Referentinnen und Referenten aus neun Ländern (Argentinien, Deutschland, Israel, Italien, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, USA) bestritten wurde, ermöglichte die Umsetzung jener Ziele, welche im Vorfeld des Symposiums formuliert worden waren: Den internationalen Austausch, die Koordination der Suche nach geraubtem Kulturgut im Sinne der Washingtoner Grundsätze sowie eine Rechenschaft darüber, wo gerade deutsche Bibliotheken sieben Jahre nach der Washingtoner Konferenz stehen.

Ein besondere Geste war die überraschende Bücherrückgabe noch am ersten Symposiumstag. Durch die Vermittlung von Frits J. Hoogewoud (Amsterdam) wurde ein 1680 in Amsterdam gedruckter sehr seltener Pentateuch, der sich seit den neunziger Jahren in Besitz von Erhard Eller, Stadtarchivar in Hungen befunden hatte, an das Collegio Rabbinico Italiano in Rom zurückgegeben. Dario Tedeschi (Rom) nahm das wertvolle Büchlein stellvertretend entgegen.

Eine weitere Rückgabe wird dank der Arbeit von Frau Veronica Albrink (Bonn) möglich gemacht. Aus der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek werden die Erben des hannoverschen Industriellen und Kunstsammlers Max Rüdenberg ein Buch zurückerhalten, dessen Eigentümerstempel die einzige Erinnerung an den in Theresienstadt ermordeten Großvater ist.

Weitere Informationen zum Thema Jüdischer Buchbesitz als Raubgut finden sich auf den Internetseiten der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek unter der Adresse www.gwlb.de.

Die Beiträge des Zweiten Hannoverschen Symposiums Jüdischer Buchbesitz als Raubgut sollen zum Herbst 2005 erscheinen.


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