Schwartz, Dieter: Einsatz und Leitbilder der Datenverarbeitung in Bibliotheken: dargestellt an ausgewählten Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft


- Berlin: Logos, 2004. XII, 264 S. (Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft; 12)
ISBN 3-8325-0506-7

Die an dem Institut für Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigte Dissertation von Dieter Schwartz beschäftigt sich mit einem wichtigen Teil der Arbeit der wissenschaftlichen Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland von 1965-1995 und ist somit ein Stück bibliothekarische Zeitgeschichte.

Für Schwartz sind Bibliotheken und Datenverarbeitung miteinander verbunden vergleichbar der Symbiose zwischen Mensch und Technik in der modernen Industriegesellschaft. Obwohl "die Datenverarbeitungstechnik Eingang in Bibliotheken gefunden hat, stehen datenverarbeitungstechnische und bibliothekarische Entwicklungen auch heute noch in einem besonderen Spannungsfeld zueinander. Dieses Spannungsfeld wird insbesondere durch die Ambivalenz getragen zwischen Bibliotheken, denen die Gesellschaft einen bewahrenden Auftrag zuschreibt, und Datenverarbeitungstechnik, die mit dem Anspruch der ständigen Veränderung und Innovation behaftet ist." (S. XI.)

Schwartz führt uns durch dieses Spannungsfeld scheinbar so gegensätzlicher Bereiche, bringt seine Erfahrungen als Projektbearbeiter und als Bibliotheksleiter im Projektmanagement ein und arbeitet die umfangreiche Literatur zu diesem Thema akribisch auf.

Weil die Weiterentwicklung von Informations- und Dienstleistungsangeboten in den Bibliotheken immer in Projekte eingebunden war, untersucht Schwartz den Einsatz und die Anwendung der Datenverarbeitung in den Bibliotheken an ausgewählten Projekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die beschriebenen DFG-Projekte stellen nur einen kleinen Teil aus dem breiten Spektrum der Förderung der bundesdeutschen Bibliotheken durch die DFG dar.

Mit der Beschreibung der DFG-Projekte verbindet Schwartz nicht das Ziel, "eine ausführliche und detaillierte Darstellung der einzelnen Projekte zu erreichen, sondern eine Betrachtung der Projekte in ihrer Gesamtheit mit übergreifenden Beschreibungsmerkmalen und Entwicklungsphasen zu eröffnen." (S. 4) Die Dissertation ist - von den ersten datenverarbeitungstechnischen Projekten bis zu den aktuellen Entwicklungen im Internet, von den ersten Aktivitäten durch die Bibliotheken der Ruhr-Universität Bochum und der Technischen Universität Berlin bis zum Förderprogramm einer verteilten digitalen Forschungsbibliothek - eine Beschreibung und Analyse

  1. der Grundlagen der Projekte (Projektförderung, Projekttypen, Projektziele, Projektbeschreibungen, Projektaktivitäten),

  2. der Wirkungen der Projekte auf die Bibliotheksorganisation, Modernisierung und Rationalisierung sowie Innovation in den Bibliotheken,

  3. der unbestreitbaren Erfolge und offenkundigen Misserfolge der Projekte,

  4. des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung und der Bibliotheksarbeit in der Zukunft.

Die Einleitung (Kap. 1) nimmt sich des Gegenstandes und der Relevanz des Themas sowie der Zielsetzung und der inhaltlichen Abgrenzung der Arbeit an.

Es folgen ein beschreibender Teil zur Entwicklung der Datenverarbeitungstechnik in den 50er und 60er Jahren (Kap. 2) und zu den vom Autor ausgewählten Bibliotheksprojekten aus den Förderprogrammen Modernisierung und Rationalisierung sowie Informationsvermittlung in wissenschaftlichen Bibliotheken der DFG (Kap. 3) sowie ein analysierender Teil, "in dem vergleichende Aspekte zur Modernisierung, Rationalisierung und Innovation mir Hilfe der Datenverarbeitung herausgearbeitet werden" (S. 6) (Kap. 4 und 5).

Zukünftige Anforderungen an Projektteilnehmer und -geber trägt der Autor unter der etwas hochgestochenen Überschrift "Bibliothek der Zukunft - Zukunft der Bibliothek" (Kap. 6) zusammen.

Den Abschluss bilden eine Zusammenfassung der Untersuchungen (Kap. 7), verschiedene Anlagen (z.B. ein Merkblatt der DFG zur Modernisierung und Rationalisierung, eine Projektübersicht auf der Grundlage der DFG-Jahresberichte, ein Leitfaden für Antragsteller in den Bibliotheksförderprogrammen der DFG), zwei Abkürzungsverzeichnisse (in denen leider die Auflösung des Akronyms ZfB fehlt) und das umfangreiche, 34 Seiten umfassende Literaturverzeichnis. Ein Register, z.B. mit den Projekten und den teilnehmenden Bibliotheken, fehlt leider.

Diese vorzügliche Untersuchung zu 30 Jahren Projektgeschichte zum Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, verbunden mit einem Blick auf künftige Bibliotheksentwicklungen in Deutschland durch den weiteren Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, ist ein wichtiger Mosaikstein zu einer Geschichte des deutschen Bibliothekswesens nach 1945.

Das Thema Leitbilder, "die Intention, Wissen und Erfahrung des Menschen darüber bündeln, was ihnen einerseits als machbar und andererseits als wünschenswert erscheint" (S. 4, Zitat in Literatur Nummer 8 nach Michael Friedewald), wird vom Autor an vielen Stellen (z.B. in der Einleitung und in Kap. 5.5) erwähnt, ohne umfassend behandelt und in den Gesamtzusammenhang der Bibliotheksarbeit gestellt zu werden. Dem Autor tut man sicher unrecht, ihm dessentwegen Vorwürfe zu machen, da die Dissertation ausgeufert wäre. So ist dies ein Thema, dem sich ein weiterer Doktorand des Instituts für Bibliothekswissenschaft widmen sollte (Themenvorschläge für weitere Arbeiten nennt Schwartz auf den Seiten 222-223).

Der Rezensent hat Anfang der 60er Jahre erlebt, welch unterschiedliche Positionen zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in den Bibliotheken vertreten worden sind. Der renommierte österreichische Bibliothekar Josef Stummvoll hielt damals im Berliner Institut für Bibliothekswissenschaft einen sehr kritischen Vortrag über die Einbeziehung der Datenverarbeitung in die Bibliotheksarbeit(1), während zur gleichen Zeit die Deutschen Dieter Oertel und Walter Lingenberg(2) wesentlich offener und offensiver mit diesem Thema umgegangen sind und der Amerikaner Joseph Carl Robnett Licklider klar und deutlich "break down the barriers that separate the potentially contributory disciplines"(3) forderte.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


Anmerkungen

1. Stummvoll hat dies später relativiert und durchaus positiver gesehen. Stummvoll, Josef: Die Bibliothek der Zukunft. Automatisierungsprobleme im Bibliothekswesen. In: Biblos 14 (1965) 1, S. 1-13. Vgl. auch Schwartz S. 25-26.

2. siehe dazu das Literaturverzeichnis S. 248, 251-252.

3. Licklider, Joseph Carl Robnett: Libraries of the future. Cambridge, Ma. 1965. S. 60.