Bibliothekarische Verbindungsarbeit in Usbekistan - die Arbeit der Abteilung Information & Bibliothek des Goethe-Instituts Taschkent


Rahmenbedingungen
Die Abteilung Information & Bibliothek des Goethe-Instituts Taschkent
Bibliothekskooperationen
Fachlicher Austausch zwischen Deutschland und Usbekistan
Ausblick

von Gabriele Sander

Rahmenbedingungen

Die Republik Usbekistan, gegründet 1991, ist das bevölkerungsreichste Land in Zentralasien, umgeben von den Ländern Kasachstan, Kirgistan, Tadjikistan, Afghanistan und Turkmenistan. Bekannt ist es allgemein durch die legendäre Seidenstraße, sein "weißes Gold" die Baumwolle und den austrocknenden Aralsee.(1)

Spätestens seit Mai dieses Jahres erscheint auch das autoritäre Regime des Präsidenten Karimov international häufiger in den Nachrichten. Neben den blutigen Ereignissen in Andischan mit mehreren hundert Toten, die Mehrzahl unbewaffnete Zivilisten, wird in der internationalen Presse auch vermehrt die Missachtung der Menschenrechte, die Todesstrafe, nicht vorhandene Pressefreiheit und Höchstwerte im Korruptionsverhalten registriert.(2) Die nicht erneuerte Akkreditierung des Peace Corps(3), der Soros Foundation 2004(4), Internews 2005(5) und die kürzlich erfolgte Suspendierung von IREX(6) für sechs Monate begleitet die Abwendung der usbekischen Führung von den Vereinigten Staaten von Amerika, und die gleichzeitige Hinwendung nach China und Russland. Reaktionen auf die von der Europäischen Union verhängten Sanktionen(7) sind zu erwarten.

Diese Rahmenbedingungen sind auch für das Goethe-Institut Taschkent von Bedeutung, wenn sich auch ein Abkühlen der Beziehungen zum Westen allgemein zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur punktuell zeigt. Die Tätigkeitsfelder des 1998 gegründeten Goethe-Instituts Taschkent(8), sind eng mit dem Zentralasienkonzept der Bundesregierung Deutschlands vom 18.03.2002(9) verbunden, das nach dem 11. September 2001 eine neue herausragende Bedeutung gewonnen hat. Grundlage der Arbeit ist das 1993 ratifizierte Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan.

Traditionell hat die deutsche Sprache in Usbekistan einen besonderen Stellenwert, Deutsch ist nach Russisch, das gleichzeitig als Verkehrssprache dient, und Englisch die am weitesten verbreitete Fremdsprache, die unterrichtet wird. Immerhin lernen knapp 800.000 Usbeken Deutsch.(10)

Die Abteilung Information & Bibliothek des Goethe-Instituts Taschkent

Innenansicht des Büros Information & Bibliothek des Goethe-Instituts Taschkent
Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Abteilung Information&Bibliothek, welche Partner sind an einem fachlichen Austausch mit Deutschland und der Diskussion interessiert?

Personell ist die Abteilung Information&Bibliothek besetzt mit einer entsandten deutschen Diplom-Bibliothekarin und einem usbekischen Mitarbeiter, der gleichzeitig Sachbearbeitung und Dolmetschen in die Landessprache Usbekisch als auch in die Verkehrsprache Russisch übernimmt. Bedingt durch die noch provisorische Unterbringung unterhält das Goethe-Institut in Taschkent kein eigenes Info-Zentrum. So bleibt die Arbeit des I&B Bereichs vorläufig auf die Tätigkeiten eines Büros für die bibliothekarische Verbindungsarbeit beschränkt.

Usbekistan hat eine noch entwicklungsbedürftige Bibliothekslandschaft, meist ist sie technisch unterentwickelt und bei der Buchversorgung stehen die Bibliotheken zur Zeit vor einem schier unlösbaren Problem. Es summiert sich aus einem sehr geringen Anschaffungsetat und einer kaum nennenswerten einheimischen Buchproduktion. Hinzu kommt die Umstellung der usbekischen Schreibweise vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet. Zugriffe auf den ausländischen Buchmarkt sind wiederum mangels Devisen kaum möglich.(11)

Hier liegen die Ansatzpunkte der Arbeit der 2002 gegründeten Abteilung I&B des Goethe-Instituts Taschkent.

Bibliothekskooperationen

Veranstaltung im Deutschen Lesesaal Samarkand
Dem Mangel an deutschsprachiger Literatur wird gezielt durch die Einrichtung Deutscher Lesesäle und Infobestände an usbekischen öffentlichen Bibliotheken entgegengewirkt. Das Projekt läuft nicht einseitig, sondern ist auf Partnerleistungen ausgerichtet. Das Goethe-Institut stellt Bücher, Videos, CDs, Computer usw. zur Verfügung und die Gastbibliothek des Lesesaals die Räumlichkeiten und das Personal. Die jährliche Erneuerung der Bibliotheksbestände ist garantiert und die Lesesaalbetreuer werden durch das Goethe-Institut sprachlich und fachlich fortgebildet.(12) Im Augenblick existieren Lesesäle in Taschkent und Samarkand und ein deutscher Infobestand in Fergana. Leider unterliegt auch das Goethe-Institut den Sparzwängen aller öffentlichen Haushalte und so suchen wir weitere Geberinstitutionen, die unsere und die Arbeit der usbekischen Bibliotheken unterstützten mögen. Ganz aktuell ist hier die Aktion "Menschen und Bücher": Eine deutsche Bibliotheksinitiative für Mittel- und Osteuropa(13) des Auswärtigen Amtes, des Goethe-Instituts und zahlreicher privater deutscher Stiftungen, den deutschen Infobestand der Wissenschaftlichen Gebietsbibliothek Fergana aufzustocken. Für die öffentlich zugängliche Bibliothek in Fergana wird sich die Gerda Henkel Stiftung dankenswerterweise finanziell engagieren.

Die Deutschen Lesesäle sind aber nicht nur ein Ort des Lesens und der Informationsvermittlung, sondern erfüllen im örtlichen Bibliothekswesen häufig eine Modellfunktion. Sie sind zudem ein Ort des freien Zugangs zu Information. Als Beispiel kann hier der Deutsche Lesesaal Taschkent anführt werden. Bald nach der Einrichtung des Lesesaals wurde der Besuch der Gastbibliothek Leo Tolstoj mit "ihrem" Deutschen Lesesaal für die Taschkenter Bibliothekare der kommunalen Bibliotheken quasi eine Pflicht. Es war die einzige Bibliothek mit Computer und Internetanschluss und der Erfassung der deutschsprachigen Medien auf elektronische Art (Bibliotheksverwaltungsprogramm: IRBIS). Die Möblierung ist modern und der gesamte Bestand in Freihandaufstellung. Man kann Videos anschauen und Kassetten/CDs abhören - alles für Taschkent eine Neuheit. Die Lobbyarbeit in der Stadt funktionierte so gut, dass die Mitarbeiter der Leo Tolstoj Bibliothek von ihrer Gewerkschaft zum "Mitarbeiterteam des Jahres 2004" gekürt wurden - ein schöner Erfolg.

Die Arbeit der I&B Abteilung bei den Bibliothekskooperationen beschränkt sich aber nicht auf den Bestand. Die kontinuierliche Fortbildung der Lesesaalbetreuer auf sprachlichem und fachlichem Gebiet sind Grundvoraussetzung für eine gute Kundenbetreuung und effektive Bestandsvermittlung. Regelmäßig werden fachbezogene Einzel- und Gruppenfortbildungen durchgeführt, die spezifische Probleme der Lesesäle erörtert.

Fachlicher Austausch zwischen Deutschland und Usbekistan

Die Arbeit der Goethe-Institute beruht auf einem sogenannten dialogischen Prinzip. Wichtig ist es im jeweiligen Gastland mögliche Themenschwerpunkte zu erkennen und mögliche Partner zu gewinnen. Dies ist ein fortlaufender Prozess, der nur durch den guten Kontakt zu Institutionen und Kollegen im Gastland durchgeführt werden kann. Wichtige Partner sind in Usbekistan die Nationale Bibliotheksassoziation und die regionalen Bibliotheksassoziationen(15), die Nationalbibliothek A.Navoi(16), das Kulturdezernat der Stadt Taschkent und die staatl. Kulturhochschule - einzige Ausbildungsstätte für Bibliothekare in Usbekistan - um die wichtigsten zu nennen. Um den fachlichen Austausch in die Wege zu leiten, das Interesse an Deutschland zu wecken, wurde eine Multiplikatorenreise nach Deutschland durchgeführt, die Beteiligung an der IFLA in Berlin ermöglicht oder ganz einfach E-Mail-Kontakte zwischen deutschen und usbekischen Bibliothekaren vermittelt. Deutschlandbesuche, obwohl aus Erfahrung sehr wirkungsvoll, sind aus finanziellen Gründen leider nur eingeschränkt möglich.

Es bleiben aber viele andere Angebote, die vor Ort Sinn machen. Thema sind hier die Ausbildungsstätten, Öffentliche Bibliotheken und Wissenschaftliche Bibliotheken. Usbekistan befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess, der eine geplante Öffnung und Internationalisierung wünscht. Das Ausbildungswesen wird reformiert, im Hochschulbereich sind Baccalaureat und Master-Studienabschlüsse eingeführt. Begriffe wie "Bologna-Prozess" und "Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen" sind durchaus bekannt, allerdings müssen diese Begrifflichkeiten und Strukturen noch gefüllt werden. Gerne wird hier in Usbekistan auf die Erfahrungen anderer Länder zurückgegriffen. Über eine Reihe von Jahren wurde deshalb das Thema "Curriculaentwicklung" am Beispiel der Hochschule der Medien in Stuttgart(17) und der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig(18) vorgestellt und bearbeitet. Prof. Vodosek und Prof. em. Kummer stellten Studienpläne der Fachbereiche I&B vor und klärten über die Entwicklungen der letzten Jahre in der Bundesrepublik Deutschland auf. Zielgruppen dieser Veranstaltungen waren Entscheidungsträger aus den Ministerien, Dekane und Hochschullehrer der Kulturhochschule Usbekistans.

Strukturen müssen auch im Bereich der Berufsverbände gefüllt werden. Die in den letzten Jahren gegründeten Bibliotheksassoziationen sind ein gutes Beispiel dafür. Ein interessantes Seminar, ganz praxisorientiert und individuell auf die usbekischen Bedürfnisse zugeschnitten, wurde von Herrn Böttgers durchgeführt.

Bibliotheken werden auch in Usbekistan nach ihrer Leistung beurteilt. Die traditionelle Leistungsbemessung fußt vor allem auf der Benutzungs- und Ausleihstatistik. In Deutschland neu beschrittene Wege der Leitungsbemessung wurden vorgestellt. Herr Prof. em. Kummer bot eine Einführung in den Bibliotheksindex BIX-ÖB und den BIX-WB für leitenden Bibliothekare.(19)

Aber nicht nur die leitenden Bibliothekare sollten an dem Fortbildungsangebot des Goethe-Instituts beteiligt werden. Mit dem Kulturdezernat der Stadt Taschkent, der Bezirksbibliothek Leo Tolstoj und Prof. Kummer hat das GI zwei Fortbildungsreihen für Bibliothekare der städtischen Bibliotheken Taschkents mit dem Thema "Die kundenorientierte Bibliothek" entwickelt. Das Goethe-Institut konnte im Rahmen einer Herder-Professur Herrn Prof. em. Kummer an die Kulturhochschule Taschkent vermitteln.(20) Herr Prof. Kummer lehrte Bibliotheks- und Archivwesen für jeweils ein Semester 2004/2005. Parallel dazu konnten wir ihn als Referenten für o.g. Fortbildungsveranstaltungen gewinnen, die gerade durch seine Ortskenntnisse sehr überzeugend ausfielen.

Um Interessierten nicht nur deutschsprachige aktuellste Literatur anzubieten sondern auch näher zu bringen, führten wir im Deutschen Lesesaal Taschkent eine Veranstaltungsreihe zu deutschsprachigen Literaturpreisen durch. Die Klassiker der Moderne sind durchaus bekannt, aber aktuellste zeitgenössische Literatur ist schwerer zu vermitteln. Die vergleichende Literaturwissenschaftlerin Frau Richter machte dieses Vorhaben erst möglich.

Ausblick

Gerade Veranstaltungen zum Themenbereich Verlags- und Buchwesen sowie Übersetzungsförderung sind zukunftsträchtig. Die nationale Buchproduktion erreicht keine tausend Neuerscheinungen pro Jahr. Mit 70% geht der überwiegende Teil davon in die Produktion von Schulbüchern. Es gibt acht staatliche Verlage, ein freies Verlagswesen besteht nicht. Es existiert keine ISBN für Usbekistan.

Die Zukunft unserer Arbeit im Bereich Information&Bibliothek ist und bleibt abhängig von der Offenheit und dem Wunsch nach weitergehender Internationalisierung der usbekischen Entscheidungsträger.


Literatur, Anmerkungen und Links (alle Links: Stand 05.11.2005)

1. http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/uz.html

und UNICEF http://www.unicef.org/infobycountry/uzbekistan_statistics.html#5

2. Darstellung der Ereignisse aus verschiedener Sichtweise. Regierungsdarstellung vom 26.10.2005 http://www.uzreport.com/E/index.cfm?subsec=1028&n_ID=18636

Human Rights Watch: www.hrw.org dann Ländersuche Europe/Central Asia. - Anm.: leider ist es der Autorin nicht möglich, hier genaueste Linkangabe zu geben, da die Seiten von einigen Menschenrechtsorganisationen und Nachrichtensendern (auch: Deutsche Welle und BBC) von Usbekistan aus gesperrt sind. Der Zugriff ist nur über Proxyserver möglich.

Amnesty International www.amnesty.org

http://en.wikipedia.org/wiki/Uzbekistan

es werden eine Vielzahl von hilfreichen Links zusammengestellt

3. Peace Corps http://www.peacecorps.gov

Einzelmeldungen zu Usbekistan unter dem Suchwort: "uzbekistan"

Meldung der Amerikanischen Botschaft in Taschkent http://www.usembassy.uz/home/index.aspx?&=&mid=339&lid=1

4. Soros Foundation and Open Society Institute http://www.soros.org

http://www.soros.org/about/foundations/uzbekistan/

mit Stellungnahme zur Nichtwiederakkreditierung

http://www.osi.uz Open Society Institute Tashkent (Stand: Sept. 2003)

5. Internews Uzbekistan http://www.internews.uz

6. IREX (International Research & Exchanges Board) http://www.irex.uz

http://www.irex.org/newsroom/news/2005/0913_pr.asp

Stellungnahme zur derzeitigen Suspendierung

7. EU-Rats-Beschluss zu Andischan http://www.taschkent.diplo.de/de/Andischan_20EU-Resolution.html

8. Homepage des Goethe-Instituts Taschkent http://www.goethe.de/oe/tas/

9. Zentralasienkonzept der Bundesregierung

http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/asien/zentralasienkonzept.pdf

10. Zusammenfassende Darstellung zum bilateralen Kulturaustausch Deutschland/Usbekistan und der Deutschen Sprache in Usbekistan www.taschkent.diplo.de/de/06/Bilaterale__Kulturbeziehungen/Bilaterale__Kulturbeziehunge.html

11. Ulugbek Karimov u. Dietmar Kummer: Das Internet und die Bibliotheks-Informations-Ressourcen in Wissenschaft, Bildung, Kultur und Business. 3. Internationale Konferenz Central Asia 2004 in: B.I.T.online, 8(2005) Ausg. 2, S.186-187. http://www.b-i-t-online.de

12. Deutsche Lesesäle des Goethe-Instituts inkl. Projektbeschreibung http://www.goethe.de/ins/prj/les/deindex.htm

13. Menschen und Bücher http://www.goethe.de/kug/mui/bib/prj/mub/deindex.htm

14. Gerda Henkel Stiftung http://www.gerda-henkel-stiftung.de

15. Library association Uzbekistan http://ula.uzsci.net

Enthält viele Adresse, Infos. Die Seite wurde u.a. mit Unterstützung der Soros Foundation erstellt; ist leider nun veraltet.

16. Nationalbibliothek Usbekistans A. Navoi http://www.natlib.uz/eng_1.htm

17. Hochschule der Medien in Stuttgart http://www.hdm-stuttgart.de

18. HTWK Leipzig http://www.htwk-leipzig.de

19. BIX http://www.bix-bibliotheksindex.de

20. Stiftungsinitiative J.G. Herder: Deutsche Gastdozenten nach Mittel- und Osteuropa http://www.hrk.de/de/projekte_und_initiativen/119.php


Zur Autorin

Dipl.-Bibl. Gabriele Sander ist Leiterin der Informationsbibliothek des Goethe-Instituts Taschkent, Usbekistan

E-Mail: sander@taschlent.goehte.org
URL: www.goehte.de/taschkent