Sonnige Zeiten!

Bericht zur 30. Arbeits- und Fortbildungstagung der ASpB in München

von Siegfried Schmidt

Zum dreißigsten Mal richtete die Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken (ASpB) in der Zeit vom 6. bis zum 9. September 2005 ihre Arbeits- und Fortbildungstagung aus. Seit der letzten Tagung im April 2003 in Stuttgart waren rund zweieinhalb Jahre vergangen. Die Entscheidung, die traditionell einem zweijährigen Turnus folgende Veranstaltung vom Frühjahr auf den Spätsommer zu verlegen, hatte sich in mehrfacher Hinsicht als Glücksgriff erwiesen. Nicht nur, dass man auf diese Weise eine allzu große Nähe zu anderen bibliothekarischen Kongressen vermeiden konnte (Mitte März 2005 fand in Düsseldorf der diesjährige Bibliothekartag statt), sondern auch die äußeren Bedingungen waren perfekt. Warme Spätsommertage (und -abende), ein bayerisch blauer Himmel und strahlender Sonnenschein sorgten bei dieser unter dem Motto Spezialbibliotheken zwischen Auftrag und Ressourcen stehenden Tagung für eine angenehme, ja heitere Atmosphäre.

Der Themenrahmen griff die Spannung auf, die für die allermeisten Spezialbibliotheken und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern harte Realität ist: mit zurück gehender oder allenfalls gleich bleibender Mittel- und Personalausstattung sich rasch wandelnden und insgesamt wachsenden und oftmals auch komplexer werdenden Aufgaben und Anforderungen gerecht zu werden. Fachlich hoch spezialisierte Fortbildung, wie die ASpB sie durch ihre Kongresse anbietet, kann dabei ein Weg sein, diesen Spagat zu meistern. Fachvorträge, die auf hohem Niveau über neue und neueste Entwicklungen informieren, das informelle Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen zwischendurch und die Präsentation neuer Produkte durch die Aussteller können Anstöße geben, das eigene Tun kritisch zu hinterfragen und die Arbeit noch effizienter, kundenorientierter und zielgenauer zu gestalten. Wer sich die Zeit nimmt, eine solche Tagung zu besuchen, wird also mit vielen Ideen und Anregungen, mit neuem Schwung in den manchmal mühsamen bibliothekarischen Alltag zurückkehren: Sonnige Zeiten für Spezialbibliothekarinnen und Spezialbibliothekare also.

Der Einladung nach München in die Räume der Technischen Universität folgten rund 300 Bibliothekarinnen und Bibliothekare, darunter auch eine stattliche Anzahl ausländischer Gäste. Entsprechend gut besucht war bereits die Eröffnungsveranstaltung am Dienstagabend im Audimax der Hochschule. Dr. Jürgen Warmbrunn, Bibliothek des Herder-Instituts, Marburg, steckte in seiner kurzen Begrüßung den inhaltlichen Rahmen der Tagung ab. Er betonte den internationalen Charakter der Veranstaltung, der auch durch entsprechende Programmangebote zum Ausdruck komme und wies darauf hin, dass die Organisatoren sich bemüht hätten, ein möglichst vielseitiges, keineswegs ein nur die natürlich im Mittelpunkt stehenden aktuellen Entwicklungen auf dem Informationssektor aufgreifendes Themenspektrum bei den Fachvorträgen zu berücksichtigen. Für den seit 2004 amtierenden Vorsitzenden der ASpB war es die erste Tagung, für die er federführend verantwortlich war. Er hat, um es an dieser Stelle bereits vorweg zu sagen, seine Sache, unterstützt durch das örtliche Organisationskomitee, die Mitglieder des Vorstandes und die Geschäftsstelle, die seine Frau Jadwiga Warmbrunn führt, sehr, sehr gut gemacht.

Die Grußworte sprachen Professor Dr. Arndt Bode, Vizepräsident der Technischen Universität München und Schirmherr der Tagung, Dr. Reiner Kallenborn, Direktor der Universitätsbibliothek der TU München, sowie Frau Dr. Claudia Lux, Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes und Vizepräsidentin der International Federation of Library Associations. Die derzeit wohl prominenteste deutsche Bibliothekarin ließ es sich nicht nehmen, trotz eines prall gefüllten Terminkalenders einen kurzen Abstecher nach München zu machen. Sie ermunterte die Bibliothekarinnen und Bibliothekare der Spezialbibliotheken aus einer internationalen Perspektive heraus, den Blick auf neue Entwicklungen zu richten. Gerade einzelne Spezialbibliotheken seien oft sehr innovativ, und der Transfer solcher Leistungen führe zur Positionsverbesserung der Bibliotheken insgesamt. Abschließend plädierte sie für ein stärkeres Engagement der deutschen Spezialbibliotheken im internationalen Kontext: Best-Practice-Erfahrungen einzelner Bibliotheken könnten zur Grundlage für internationale Guidelines werden, und die Lobbyarbeit für Bibliotheken müsse in Zusammenarbeit mit den Archiven und Museen verbessert werden.

Stärker auf die nähere Zukunft konzentrierte sich die Festrede von Herrn Professor Dr. Thomas Hoeren, Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schon die Themenformulierung Bibliotheken am Rande des Nervenzusammenbruchs - das Recht und die wissenschaftliche Information versprach Spannung und Provokation. Stakkatoartig schlug der Redner dem gebannt zuhörenden Publikum seine Thesen um die Ohren. Im Mittelpunkt standen dabei die höchst negativen Folgen, die die Novelle des Urheberrechtes für die Bibliotheken, insbesondere hinsichtlich ihrer Rolle als Distributoren elektronischer Information, nach sich ziehen wird. Die erkennbaren Trends zur Kommerzialisierung der Information stärke auf sehr eindeutige Weise die Position der Verleger und Verlage und marginalisiere die Bibliotheken. Seine eher beiläufig eingeflochtenen Bemerkungen zur juristisch einwandfreien Gestaltung eines Internet-Auftrittes und zu den drohenden finanziellen Folgen hier praktizierter Nachlässigkeiten (als Beispiel herangezogen, um deutlich zu machen, dass es den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren oftmals an juristischem Wissen mangele) dürften manchen der Anwesenden zudem dazu gebracht haben, nach der Rückkehr aus München rasch einen kritischen Blick auf den eigenen Internetauftritt zu werfen und diesen zu bereinigen. Wachgerüttelt, zugleich aber auch ein wenig ratlos oder von Selbstzweifeln geplant, verließen die Zuhörerinnen und Zuhörer die Tagungseröffnung - der Boden für die Aufnahme weiterer Vortragsangebote war jedenfalls durch diese Festrede bestens bereitet.

Hierzu standen an den darauf folgenden zweieinhalb Tagen nicht weniger als 62 Fachvorträge, verteilt auf 14 Sessions (darunter eine Session der Arbeitsgruppe Fachreferat Naturwissenschaft, die ihre Veranstaltung in die Tagung integrierte) auf Abruf bereit. Eine eigene Sitzung und Mitgliederversammlung führte außerdem im Rahmen der Tagung die mit der ASpB seit längerem assoziierte Gesellschaft für Bibliothekswesen und Dokumentation des Landbaues (GBDL) durch. Für eine ASpB-Tagung war es wohl ein Novum, dass ähnlich wie bei den größeren Bibliothekstagungen und -kongressen, stets mindestens zwei Sessions parallel angeboten wurden. Dazu wies das Tagungsprogramm noch insgesamt fünf Workshops, zwei Arbeitssitzungen und ein Dutzend Rahmenveranstaltungen aus. Ein ausgesprochen dichtes, vielseitiges und interessantes, zugleich aber auch die Grenzen des bei einer solchen Fachtagung Möglichen erreichendes Angebot also. Da die Besucherströme und -interessen im Vorfeld nur schwer kalkulierbar sind, kann dies im Einzelfall auch dazu führen, dass eine Session eher schlecht besucht ist (so etwa geschehen bei der interessanten Vortragsreihe der Session 12 Internationale Beziehungen, Entwicklungen und Kontakte am Freitagmorgen, bei der sich nur etwa zwei Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörer im Hörsaal verloren). Einige Workshops mussten sogar wegen zu geringer Anmeldezahlen ganz abgesagt werden.

Da der Berichterstatter nun allerdings weder in der Lage ist, sich an zwei Orten gleichzeitig aufzuhalten noch über unbegrenzte Aufnahmekapazitäten verfügt, ist es ihm lediglich gelungen, etwa ein Drittel der Fachvorträge zu rezipieren. Er nimmt sich an dieser Stelle das Recht heraus, seiner subjektiven Vorauswahl der besuchten Veranstaltungen eine ebenso subjektive Auswahl an berichtenswerten Notizen und Bemerkungen aus diesen Vorträgen folgen zu lassen:

Ein mindestens ebenso interessanter und aufrüttelnder Bericht wie die Festrede zur Eröffnung stand ganz am Ende der Tagung: Unter der Überschrift Making Information Accessible - Google Digitalisation Initiatives informierte Jens Redmer, Mitarbeiter der deutschen Dependance des amerikanischen Suchmaschinenbetreibers, über die ehrgeizigen Projekte Google Print, Google Scholar und Google Bibliothek (Session 13, Multimedia/E-Learning). Während Google Scholar versucht, gehaltvolle oder wissenschaftlich relevante Dokumente im Web aus der Trefferfülle gezielter heraus zu filtern, will man mit Google Print die Volltextinhalte von (aktuellen) Büchern in Zusammenarbeit mit den Verlegern sichtbar machen; natürlich nur scheibchenweise und strikt limitiert, um das Urheberrecht nicht zu verletzen, und in der Absicht, Appetit auf ein Buch zu machen, das anschließend im entsprechend verlinkten stationären örtlichen Buchhandel (über den neuen Dienst Google local) oder den Internetbuchhandel bestellt werden kann. Der Nutzen für Google scheint, wenn man die zurück haltenden Antworten des Referenten auf etliche Nachfragen in der Aussprache zusammenfasst und deutet, vor allem in der Verteidigung einer Marktführerschaft unter den Internet-Suchmaschinen und in der Aussicht auf dementsprechend kräftig sprudelnde Quellen für Werbeeinnahmen zu liegen (schließlich verfolgt Google rein kommerzielle Interessen und agiert nicht etwa als selbstloser Informationsanbieter). Die traurige Botschaft für Bibliotheken: sie kommen hier nicht vor, denn bislang sind in diesem Programm keinerlei Hinweise darauf vorgesehen, dass man möglicherweise ein aktuelles Buch in einer Bibliothek ausleihen kann. Auch sollen die auf diese Weise geschaffenen Informationspotentiale nicht dauerhaft gespeichert oder archiviert werden. Google beabsichtigt die Scans der Volltexte nur so lange im Angebot zu belassen, wie die Verleger es wünschen. Durch verschiedene Berichte bekannter dürfte inzwischen das Bibliotheksprogramm Google Library bzw. Google Bibliothek sein. Im Kern geht es darum, wesentliche Teile der Bestände fünf großer wissenschaftlicher Bibliotheken renommierter Hochschulen in Großbritannien und in den USA, darunter Oxford und Stanford, zu digitalisieren. Der Schwerpunkt liegt auf älteren Titeln, "out-of-print, out-of-copyright". Die Volltexte der Bücher werden indexiert und sind mit 99,5% Genauigkeit (präzise wollte sich der Referent hier nicht festlegen, jedoch ist eine absolut exakte, 100%ige Texterkennungsrate nicht intendiert) durchsuchbar. Wiederum werden nur Textausschnitte, allerdings etwas umfangreicher wie bei neuen Titeln, angezeigt, ein komplettes Download ist nicht vorgesehen. Verlinkt werden die Ergebnisse mit dem Antiquariatsbuchhandel und mit den Input-liefernden Bibliotheken. Google Bibliothek könnte zu einem interessanten Mehrwertdienst für Bibliotheken werden, wenn es gelänge, massenhaft Verknüpfungen mit Bestandsinformationen örtlicher Bibliotheken zu schaffen und wenn der Titelpool internationalisiert würde. Allerdings bleibt, salopp gesprochen, für den unbedarften Suchmaschinennutzer angesichts der Zweiteilung von Google Print und Google Library die Botschaft bestehen: Bibliotheken haben nur alte Bücher (und sind so etwas Ähnliches wie Buchantiquariate) - neue Bücher gibt es dagegen ausschließlich im Buchhandel.

lÜberhaupt schieden sich die Geister auch in anderen Vorträgen an Google: Google als derzeit prominentester Suchmaschinenbetreiber kann somit als Metapher für eine gleichzeitige Popularisierung und Trivialisierung der Informationsrecherche gesehen werden. Dr. Luzian Weisel, Mitarbeiter des FIZ Karlsruhe, führte dies pointiert in seinem Vortrag Recherchieren über Google hinaus, aus (Session 7, Sacherschließung I: Wissensorganisation). Er machte noch einmal deutlich, worin der Wert und der Vorteil einer professionellen Informationsdienstleistung, wie sie etwa durch die Rechercheangebote in den Datenbanken eines Fachinformationszentrums repräsentiert werden, liegt. Google et al. trivialisieren dagegen das Recherchieren und verändern zugleich das Rechercheverhalten. Die "Generation Google" gibt sich mit den Treffern der ersten Seite zufrieden, hält das, was man nicht findet, für nicht existent, und meint, ein brauchbarer Treffer sei genug. Sein Fazit: Das Businessmodell von Google et al. ist unvereinbar mit den Prinzipien von geschäftskritischer Information - in Wissenschaft und Wirtschaft. Doch was nutzt die viel beschworene Informationskompetenz des Berufsstandes, wenn diese von den KundInnen und mehr noch von den Unterhaltsträgern nicht wahrgenommen und anerkannt wird? Weisels Antwort auf diese Herausforderung ging in zwei Richtungen: Zum einen plädierte er für eine Steigerung der Usability von Fachinformation ("Macht die Suche so einfach wie bei Google, aber bitte nicht einfacher!") und zum anderen dafür, dass die Teilnehmer am Informationsmarkt alle Anstrengungen unternehmen müssen, den Wert von verlässlicher Information zu vermitteln und die Informationskompetenz in Wissenschaft und Wirtschaft, in Bildung und Beruf und in Administration und Politik zu befördern. Viel Öffentlichkeitsarbeit tut also not. - Andere Referenten in der gleichen Session zeigten auf, was es für professionelle Informationsanbieter und -vertreiber heißen kann, von Google zu lernen: Norbert Einsporn, Mitarbeiter des FIZ Technik in Frankfurt a.M., zog sogar das Fazit: Wenn man die Qualifikationen, also die dem Ranking zugrunde liegenden Kriterien kennt, und aufgrund von Tipps, wie sie etwa von der Harvard- und Berkeley-University als "do's and don't's" publiziert werden, in der fortgeschrittenen Recherche beherzigt, dann kommt man bei der Suche in Google in die Nähe einer herkömmlichen Datenbankrecherche. Wohin die Entwicklung der Suchmaschinen aus Profisicht gehen sollte, beschrieb Dr. Thomas Gerick, Mitarbeiter der USU AG (einem schwedischen Softwarehaus, dessen Schwerpunkt auf dem Wissensmanagement für Unternehmen liegt), in seinem Vortrag Die ideale Suchmaschine. Im Mittelpunkt seiner Ausführung stand eine Art Checkliste für eine solche ideale "Finde"maschine, die es seiner Auffassung nach derzeit (noch) nicht gibt.

Wie Bibliotheken ihre Kataloge als Herzstück des hausinternen Informationsangebotes weiter verbessern können, stand im Mittelpunkt der Session 8: Sacherschließung II: Der OPAC der Zukunft. In den sechs Einzelvorträgen ging es vor allem um das Catalogue Enrichment, die Frage, welche Informationen den OPAC künftig anreichern sollen und können, wie diese Zusatzinformationen möglichst effizient eingespeist und organisiert werden können und wie die Bibliothekskataloge insgesamt in einer von den Suchmaschinen geprägten Internet-Umgebung eine höhere Präsenz und Usability erreichen können. Deutlich wurde, dass gegenwärtig auf diesem Sektor etliche Konzeptionen - und manchmal durchaus auch miteinander im Wettbewerb stehende Vorstellungen - erprobt und umgesetzt werden. Sowohl Bibliotheken, Bibliotheksverbünde und -verbände als auch private Anbieter spielen hierbei eine Rolle: Dr. Stephanie Berberich, Universitätsbibliothek Heidelberg, stellte aus der Sicht ihrer Bibliothek eher grundsätzlich die Frage nach Kosten und Nutzen der Optimierung von Erschließung und berichtete über das, was sich Heidelberg in der Konsequenz an Verbesserungen leisten kann und will. Wolfgang Heymans und Friederike Gerland, beide Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg (BSZ) in Konstanz, berichteten über zwei Projekte dieses Verbundes: BibScout hat eine bessere Verfügbarkeit des Verbundkatalogs in den Internet-Suchmaschinen zum Ziel und SWB+ speichert Daten, die die bibliographischen Angaben zu einem Dokument ergänzen, in einer eigenen Datenbank. Armin Stephan stellte den Virtuellen Katalog Theologie und Kirche, einen auf der KVK-Technologie basierenden Meta-Katalog zur Recherche in elektronisch verfügbaren Datenbeständen kirchlich wissenschaftlicher Bibliotheken vor, und verwies insbesondere auch auf die Möglichkeiten, die Oberfläche eines solchen Metakatalogs mit Mehrwertinformationen auszustatten. Uwe Dierolf, wohl den meisten als der Programmierer bekannt, der hinter dem KVK steckt, berichtete über den Einsatz von Recommendersystemen am Beispiel des neuen OPACs der Universitätsbibliothek Karlsruhe. Die wohl insgesamt weit reichendste Entwicklung eines OPACs der Zukunft wurde von Manfred Hauer von der Firma AGI - Information Management Consultants präsentiert. Mit dem zunächst für die Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz realisierten Portal Dandelon, bei dem inzwischen weitere Bibliotheken des deutschsprachigen Raumes und der Springer-Verlag mitwirken, befindet sich ein Internet-Suchportal für wissenschaftliche Literatur (Bücher, Aufsätze und Websites) im Aufbau, das wirklich neue Wege geht und faszinierende Ergebnisse produziert.

Sehr innovativ (und zugleich wohl auch eine clevere Geschäftsidee) ist ein Konzept, das Arnould de Kemp, über 20 Jahre im Vertrieb des Springer-Verlages tätig und ein Wegebereiter der elektronischen Information in Deutschland unter dem Titel In der digitalen Dunkelkammer: Media Asset Management, Verwaltung und Verwertung von Bildern in der Session 2, Erwerbung und Bestandsaufbau, vortrug. (1985 entstand unter de Kemps Leitung mit einer Beilstein/Gmelin-Ausgabe die erste deutschsprachige CD-ROM und das Zeitschriftenportal Springerlink darf auch als sein Kind betrachtet werden). De Kemp, früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD, jetzt DGI) hat Springer 2004 verlassen, um mit seiner Firma Digilibri® ein Datenbanksystem aufzubauen, das den Zugriff auf multimediale Inhalte im Internet verbessern und gleichzeitig die Urheberrechte der Bildeigentümer besser schützen und verwerten will. De Kemp sagte, dass er sich auf das Bild konzentriere, da bei den Texten rechtlich schon alles geregelt sei. Er lud die Spezialbibliotheken dazu ein, bei dieser Plattform mitzumachen, ihre Schätze an Bildmedien zu heben und künftig besser zu vermarkten. Leider sahen die zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörer im jetzigen Entwicklungsstadium - De Kemp steht nach eigenen Aussagen kurz vor der Marktreife - noch relativ wenig von der Software Digilibri pro®, mit der das Bildmaterial verwaltet werden soll. Zwiespältig blieb die Wirkung dieses Vortrages auf den Berichterstatter: Aus Nutzersicht läuft de Kemps Geschäftsidee darauf hinaus, den elektronisch im Internet verfügbaren Bildermarkt zu besetzen, vielleicht sogar zu monopolisieren und damit auch ein Stück weit zu kommerzialisieren. Unter dem Aspekt eines Content-Lieferanten mag es dagegen für Bibliotheken, die z.B. durch eigene Fotosammlungen oder Handschriften über entsprechende Inhalte verfügen, verlockend sein, ihre elektronischen Bildmedien zu einem geringen Entgelt besser und dauerhafter verwalten zu lassen, im Web sichtbarer zu machen und an den vermehrten Einnahmen durch die erhöhte Nachfrage nach Verwertung der bibliothekseigenen Bilder zu partizipieren.

Fast ähnlich visionär und in die Zukunft weisend - oder je nach Blickwinkel einfach auch nur provokant - war das, was Steven Gheyselinck, Zentralbibliothek der École Polytechnique Fédérale de Lausanne, unter dem unschuldigen Titel The Shores of the Lake of Geneva as seen by a Librarian neither Swiss nor French-speaking in der Session 12 vortrug: An den Ufern des Genfer Sees befindet sich nämlich gegenwärtig eine große Bibliothek der Zukunft, oder sollte man besser sagen, eine Informationseinrichtung der Zukunft in Planung. Das Gebäude, das bereits 2008 seiner Bestimmung übergeben werden soll und das - mitten auf dem Campus gelegen - als flacher, geschwungener und gewellter, von Durchbrüchen aufgelockerter Baukörper mit einer Grundfläche von 200 x 120 Metern zumindest aus der Vogelperspektive Assoziationen an eine leicht angetrocknete Scheibe Schweizer Käse nahe legt, will nämlich in seiner riesigen Freihandzone die Vision einer gänzlich papierlosen Bibliothek realisieren. Gheyselinck führte etliche Gründe an, warum im speziellen Fall dieser Hochschule eine "library without any books" als richtungsweisendes Konzept zu gelten habe; Bücher sollen dort nämlich künftig gänzlich in die Kellermagazine verbannt werden. In dieser Bibliothek, die dann allerdings mehr den Charakter eines großzügig ausgestatteten, kommunikativen Internet-Cafés mit vielfältigen Zugriffsmöglichkeiten auf elektronische und digital verfügbare Informationssammlungen (hoffentlich dann nicht beschränkt durch das Urheberrecht) in einer Lage mit hohem Freizeitwert haben werde (mit Blick über den Genfer See und auf die Schweizer Alpen), komme auch den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren eine neue Rolle zu. Diese brachte der Vortragende mit der Wendung "to be near by the students" auf den Punkt.

Manchmal sind es aber auch die eher kleinen Bemerkungen am Rande, die interessante Denkanstöße geben können. Dr. Adalbert Kirchgäßner, Universitätsbibliothek Konstanz, überraschte in der Aussprache, die auf seinen eher trockenen Rechenschaftsbericht Die Arbeit der Expertengruppe Erwerbung und Bestandsentwicklung im DBV (Session 2, Erwerbung/Bestandsaufbau) folgte, die Zuhörerschaft mit der scheinbar gegen jeden Trend laufenden Aussage, dass zumindest für geisteswissenschaftlich orientierte Bibliotheken der Monographienkauf Vorrang vor der Bereitstellung elektronischer Zeitschriften haben müsse. Es gebe in seiner Bibliothek einen Trend weg von solchen Angeboten, weil elektronische Zeitschriften nicht mehr bezahlbar seien. Kirchgäßner nannte eine Größenordnung von $ 30 für einen Zugriff als nicht vertretbar, manche elektronische Angebote würden der Bibliothek sogar pro Zugriff mehrere hundert Dollar kosten. Wenn auf der anderen Seite beim Monographienbestand Lücken entstünden, die später nicht geschlossen werden könnten, müsse man sich sehr genau überlegen, was man hier vorhalten wolle. Der Berichterstatter, selbst in einer theologischen Spezialbibliothek tätig, kann diesen Äußerungen nur zustimmen und hätte sich zugleich eine vertiefende Diskussion gewünscht, die dann im Rahmen einer dichten Vortragsfolge an dieser Stelle jedoch nicht möglich war.

Im Rahmen der Arbeitstagung fand am späten Donnerstagnachmittag die Mitgliederversammlung der ASpB statt. Inhaltlich stand in der straff organisierten Veranstaltung (die ASpB-Party im Hirschgarten warf ihre Schatten voraus) die Vorstellung des neu gestalteten Internet-Auftritts und eines neuen Flyers zur Selbstdarstellung des Verbandes im Vordergrund. Beide waren in der Arbeitsgruppe "Öffentlichkeitsarbeit" des Vorstandes und Beirates konzipiert worden. Zugleich wurde auch erstmals explizit ein Logo für den Verband geschaffen, das künftig bei allen Publikationen und Außendarstellungen der Arbeitsgemeinschaft einheitlich verwendet werden soll. Die Präsentation der neuen Web-Seiten durch Frau Antje Müller, die mit ihrer Firma Donnamedia für die technische Realisierung des Konzepts verantwortlich ist, stieß auf breite Zustimmung. Vorstand und Beirat luden dazu ein, Anregungen und Wünsche für die weitere Ausgestaltung des Internet-Auftrittes mitzuteilen, da die Lebendigkeit und Vielseitigkeit eines solchen Angebotes wesentlich vom Engagement vieler Mitgliedsbibliotheken abhängt. Da für dieses Mal keine Wahlen anstanden und es auch sonst keine problematischen Vereinsgeschäfte zu besprechen gab, konnten die üblichen Regularien rasch abgehandelt werden. Im Anschluss an die Berichte des Vorsitzenden (für den Vorstand) und des Schatzmeisters wurden beide mit überwältigender Mehrheit entlastet. Diesen wurde somit das Vertrauen für die weitere Arbeit ausgesprochen.

Ohne das Engagement und die Kompetenz des Ortskomitees kann eine solche Tagung nur schwerlich gelingen. Daher hätten der Leiter der ausrichtenden Universitätsbibliothek der TU München, Herr Dr. Reiner Kallenborn, und seine zahlreichen im Einsatz befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, längst schon an prominenter Stelle Erwähnung finden müssen. Dies sei hier nun nachgeholt. Es bedeutet viel Mühe und Arbeit, neben dem laufenden Bibliotheksgeschäft eine solche Tagung zu schultern, was die Verantwortlichen bestens und - wie allenthalben zu beobachten war - in einem sehr guten, kooperativen Teamgeist gemeistert haben. Es war eine Tagung der kurzen Wege innerhalb der Technischen Hochschule: Vortragsräume, die gut belegten und frequentierten Flächen der Aussteller, das Tagungsbüro und die Hochschulbibliothek lagen dicht beieinander innerhalb des Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten Kernbaubestandes der nicht weit vom Stadtzentrum entfernten Technischen Universität. Die für die Sessions notwendige Technik - kaum ein Vortragender kommt heute ohne Laptop, Beamer oder Internetzugang aus - stand stets rechtzeitig und störungsfrei bereit und ReferentInnen und ModeratorInnen wurden gleichermaßen gut durch das Ortskomitee betreut. Die Eröffnungsveranstaltung wurde durch den Auftritt der Münchner Moriskentänzer, einer Tanzgruppe der Hochschule unter Leitung von Frau Dr. Gertrude Kroppholz, auf artistische Weise bereichert. In der Werbung um eine schöne Braut ließen sie Moriska, maurische Tänze des 15. Jahrhunderts mit Luftsprüngen und Kapriolen, aufleben. Mit einigem Stolz führten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek ihre Gäste am Eröffnungsabend in die vor kurzem renovierte und neu gestaltete Freihandzone der Universitätsbibliothek, wo ein reichhaltiges Buffet und Getränkeangebot einen guten Rahmen für die Gespräche boten. Hervorragend gewählt war auch der Rahmen für die mit Unterstützung der Fa. Swets am Donnerstagabend veranstaltete ASpB-Party. Der Hirschgarten, ein großer aber weniger den Touristen als den Münchenern bekannter Biergarten im Westen der Stadt nahe des Schlosses Nymphenburg, war ein alle Erwartungen übertreffender Veranstaltungsort für dieses Treffen.

Highlights der Exkursionsangebote waren sicher zum einen die halbtägige Exkursion nach Freising, wo sich die Dombibliothek mit ihrem wunderbaren barocken Lesesaal präsentieren konnte, und nach Weihenstephan, wo 2003 ein modernes, mit viel Glas ausgestattetes kreisrundes Bibliotheksgebäude als Teilbibliothek für die auf dem dortigen Campus angesiedelten Fakultäten der Technischen Universität seiner Bestimmung übergeben wurde. Aber auch die literarischen Angebote, so etwa der Spaziergang durch Schwabing auf den Spuren berühmter Literaten wie Thomas Mann und seiner jungen Familie und anderer Schriftsteller und Künstler der Münchener Bohème des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts unter dem Motto Wo die Geister wandern hatte es in sich.

Wie weit die Tagung das Gefallen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer gefunden hat, und wo vielleicht noch die eine oder andere organisatorische oder inhaltliche Verbesserung für die 31. Arbeits- und Fortbildungstagung der ASpB im Jahre 2007 möglich sein wird, soll die Auswertung eines erstmals während der Tagung verteilten Evaluationsfragebogens durch Vorstand und Beirat zeigen. Der Berichterstatter hält sie jedenfalls für sehr gelungen und hofft, dass jene, die nicht dabei sein konnten, durch seine Ausführungen ein wenig Appetit auf mehr bekommen haben. Dieser "Hunger" wird bald durch den Tagungsband zu stillen sein, der wie gewohnt und ganz konventionell in Buchform, die Vorträge der 30. Arbeitstagung in München dokumentieren wird.


Zum Autor

Prof. Dr. Siegfried Schmidt ist stellvertretender Leiter der

Erzbischöfl. Diözesan- und Dombibliothek Köln

Kardinal-Frings-Straße 1-3
D-50668 Köln
E-Mail: siegfried.schmidt@erzbistum-koeln.de