Der Neubau der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin

von Robert Klaus Jopp

Am 14. September 2005 wurde der Neubau der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin eingeweiht. Der britische Architekt Sir Norman Foster, bekannt durch eine Anzahl von zum Teil recht spektakulären Bauten in aller Welt, darunter auch die Reichstagskuppel in Berlin sowie einige Bibliotheksbauten, zeichnete hierfür verantwortlich.

Der Neubau wurde erforderlich, um elf Instituts- und Seminarbibliotheken der FU, die zum großen Teil räumlich und personell recht unzulänglich untergebracht waren, zusammenzulegen. Auch die unterschiedlichen Systematiken und Signatursysteme erschwerten bislang die Benutzung. Weitere Vorteile der Zusammenlegung liegen in Synergieeffekten im Zusammenhang mit vermeidbaren Mehrfachbeschaffungen von Büchern und Zeitschriften; auch die Mitarbeiter der Bibliothek können sinnvoller als bisher beispielsweise für Bestandspflege und Benutzerberatung eingesetzt werden. In der neuen Bibliothek werden zunächst etwa 700.000 Bände in Freihandaufstellung zusammengeführt, die als Präsenzbestand nicht - oder nur in sehr begrenzten Sonderfällen - ausgeliehen werden. Die gesamte Kapazität der Freihandregale ist auf 800.000 Bände ausgelegt, dazu kommt eine Kapazität von 40.000 Bänden, vor allem Rara, im geschlossenen Magazin. Die Zahl der Leseplätze beträgt 640, die durchweg an den unterschiedlich geschwungenen Außenkanten der Geschossebenen angeordnet sind. Die Hauptnutzfläche des Benutzungsbereichs beträgt 6300 m², verteilt auf insgesamt fünf Geschosse. Die Verwaltung der Bibliothek und die Buchbearbeitung sind in benachbarten Räumen der sog. "Rostlaube" untergebracht, was natürlich die Konzeption dieses Neubaus erheblich erleichtert hat.

Der ovale, blasenförmige Neubau - wegen seiner Form und seines Inhalts inzwischen auch "The Brain" genannt - fügt sich mitten in die vorhandene Struktur der "Rostlaube" ein, die nach einem Wettbewerbsentwurf des Pariser Büros Candilis-Josic-Woods-Schiedhelm in den sechziger Jahren errichtet wurde. Eine Bemerkung zur "Rostlaube": Das Material der Fassadenelemente wird in allen Beschreibungen als "Corten-Stahl" bezeichnet, was nicht korrekt ist; es wurde damals wegen der Kosten und aus Gründen des Warenzeichenrechts ein Stahl der Hüttenwerke Oberhausen (HOAG) mit der Bezeichnung "Patinax" eingesetzt, dessen Legierungsanteile sich von denen des in den USA entwickelten Corten-Stahls so weit unterschieden, dass der erwartete und zugesicherte Effekt ausblieb, nämlich, dass sich auf der Oberfläche der Bleche eine dünne Korrosionsschicht bilden würde, die ein weiteres, das heißt weiter in das Material eindringendes Rosten verhindern sollte - nun wurde erst einmal weiter gerostet. 1997 gewann Norman Foster den Wettbewerb zur Sanierung der Fassaden, für die nun Bronzeblech das rostende Stahlblech ersetzt und mit seiner Patinierung einen ähnlichen Farbeffekt entwickelt wie ursprünglich mit Corten beabsichtigt.

Doch nun zum Neubau selbst. Der Baukörper stellt sich als große "Blase" dar, die - wie gesagt inzwischen als "The Brain" bezeichnet - in die Teppichstruktur der "Rostlaube" eingestellt wurde (Abb. 1 u. 2). Um das Volumen des Bibliotheksbaus unterzubringen, wurden zwischen der L-Straße und der K-Straße einige Teile der Struktur der Rostlaube um sechs Innenhöfe herum entfernt. Die tragende Konstruktion der Gebäudehülle besteht aus einem leichten Mero-Raumtragwerk, das auf der Außenseite mit Aluminiumplatten und Glastafeln (Abb. 3), auf der Innenseite größtenteils mit einem Glasfasergewebe bekleidet ist (Abb. 4). Der Zwischenraum zwischen Außenhaut und Innenhaut wird zur energiesparenden Lüftung beziehungsweise Klimatisierung genutzt.

Abbildung 3: Teil der Außenhaut (links)
Abbildung 4: Blick von innen auf das Mero-Stabwerk und die Außenhaut (oben)

Betreten wir nun das neue Bibliotheksgebäude. Der Eingang in Form eines gelben Trichters und mit seinen nach innen (!) öffnenden Türen (Abb. 5) liegt an der zentralen K-Straße. Es gibt zwar baulich noch einen zweiten Eingang an der L-Straße, dieser konnte aber weder als Zugang noch als Fluchtweg oder als "Schlüsseltür" genutzt werden, weil die verfügbaren Mittel dessen erforderliche Ausstattung mit Buchsicherungsanlage, Auskunftsplatz und Schließfächern für Garderobe nicht erlaubten. In den Innenraum sind vier Geschossebenen ohne Verbindung zu der Außenhülle, aber um einen zentralen doppelten Verkehrs- und Technikkern, eingestellt (Abb. 6).

Diese Konzeption der gegeneinander offenen Geschossebenen findet sich in mehreren anderen Bibliotheksbauten von Foster, aber auch bei anderen Architekten. So zeigt Fosters Bau der Bibliothek der Universität Cranfield (GB) leider auch die Nachteile dieser Konzeption, denn der durchgehende zentrale Treppenraum mit den zu ihm hin in allen Geschossen offenen Buchstell- und Arbeitsflächen schafft gleich mehrere Probleme, die sich in diesem und ähnlich konzipierten Bibliotheksbauten wiederfinden.

Das eine Problem stellt die Geräuschbelästigung zwischen den verschiedenen offenen Geschossebenen dar, die auch durch raumakustische Maßnahmen wie Teppichbeläge und Schallschluckdecken kaum zu einer wirksamen Verminderung dieser Geräuschbelästigung führen.

Benutzer des neuen Bibliotheksgebäudes der FU haben sich bereits öffentlich über den Lärm beschwert. Das gleiche Problem zeigt sich in der Bibliothek des Centre Culturel in Nîmes (F) von Foster. Ein weiteres Problem in der Philologischen Bibliothek dürfte die Luftführung darstellen. In einer schematischen Darstellung (Abb. 7) wird zwar gezeigt, wie die Luftströme im Sommer und im Winter fließen; ob diese Luftströme allerdings diesen Schemata Folge leisten, darf füglich bezweifelt werden. Warme Luft steigt nun einmal nach oben und erzeugt auf ihrem Wege dorthin auch Zugerscheinungen - so haben Mitarbeiter der neuen Universitätsbibliothek Greifswald bereits wenige Tage nach dem Betriebsbeginn über solche unangenehmen Zugerscheinungen geklagt; die vier Geschossebenen sind dort gegen die hohe Eingangshalle offen - was Kosten für Zwischenwände spart. Die Benutzer im Erdgeschoss der Philologischen Bibliothek sitzen jedenfalls den Lüftungsklappen direkt gegenüber (Abb. 8), durch die ja im Sommer Luft ins Innere strömen soll. Anerkennenswert ist jedenfalls die Bemühung um ein schlüssiges Energiekonzept für den Neubau.

Der Eintretende wird von einer freundlichen und ruhigen Atmosphäre empfangen. Die Fußböden haben einen blaugrauen Textilbelag, in den im Eingangsbereich das Wappen der Freien Universität eingelassen ist; die Bücherregale wurden von Arbitec-Forster geliefert. Der gesamte Raum ist durch die Bespannung der Innenseite der Gebäudehülle mit einem Glasfasergewebe in ein mildes Licht getaucht, das allerdings keinen Ausblick nach außen auf Himmel oder Bäume gewährt, wohl aber ein gleichmäßiges Leselicht ergibt. Die Außenkanten der Geschossebenen sind, wie auch in dem schematischen perspektivischen Schnittbild (Abb. 9) gezeigt, unterschiedlich geschwungen und folgen nach oben dem sich vermindernden Abstand zur Außenhülle. An diesen Außenkanten sind die meisten der 640 Leseplätze untergebracht. In einem Berliner Architekturführer wird den unterschiedlich geschwungenen Außenkanten sogar ein so genannter "Flirtfaktor" zugemessen, da die Benutzer die Möglichkeit hätten, von Geschoss zu Geschoss untereinander Blickkontakte herzustellen (?). Ernster zu nehmen sind aber sicherlich Beschwerden von Benutzern über einen hohen und daher störenden Geräuschpegel wegen der gegeneinander offenen Geschossflächen; ein Problem, das in einer Bibliothek, die so stark wie die Philologische Bibliothek der FU von Studenten benutzt wird, gravierend und nicht zu vergleichen ist zum Beispiel mit der Bundestagsbibliothek, deren Geschossflächen gegeneinander ebenfalls völlig offen sind, die aber von einer ganz anderen Art von "Kunden" benutzt werden, sodass dort das Problem der Geräuschbelästigung weniger auftritt.

Die Verkehrswege in der Bibliothek sind einfach und klar an den beiden Betonkernen orientiert. Dort befinden sich in allen Geschossen Toiletten und ein Personenaufzug. Zwischen diesen Betonkernen gibt es ein offenes Treppenhaus (Abb. 9 und 10). Rechts und links der beiden Zugangsschleusen gibt es Mappenschließfächer - außer den vielen Mappen- und Garderobenschließfächern im Vorraum des benachbarten großen Hörsaals.

Das Gebäude ist durchgehend gesprinklert; die Rohrleitungen für die Sprinkler wurden an den Unterkanten der Geschossebenen entlanggeführt. Die Bücherregale werden durch integrierte Lichtbänder beleuchtet, während die Arbeitsplätze an den Geschosskanten über stabile, aber schwenkbare Einzelplatzleuchten verfügen, in deren Fußplatten Steckdosen für Netzstrom und Datenleitungen integriert sind (Abb. 11).

Mit dem Neubau der Philologischen Bibliothek von Sir Norman Foster besitzt die Freie Universität - und mit ihr Berlin - einen weiteren hervorragenden und interessanten Bibliotheksbau, der seinen Namen "The Brain" wohl verdient hat und sicherlich nicht nur Studenten und Lehrpersonal, sondern auch Architekten und Ingenieure anziehen wird - empfohlen sei ein Besuch auf jeden Fall.


Literatur

1. Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin: Text Bernd Hettlage; Fotos: Florian Bolk. - Berlin: Stadtwandel Verlag 2005, 30 S. (Die Neuen Architekturführer Nr.77) ISBN 3-937123-59-8

2. Neubau der Philologischen Bibliothek. Hrsg. Freie Universität Berlin. - Mering: WEKA info Verlag 2005, 39.S.

3. The "Berlin Brain". Sonderbeilage der Freien Universität Berlin zu Der Tagesspiegel vom 14. September 2005, Nr.18955

4. Kleilein, Doris: Implantat. Die Philologische Bibliothek der Freien Universität in Berlin-Dahlem. - In: Bauwelt 96(2005) Nr.34, S.14-22.


Zum Autor

Robert Klaus Jopp ist Architekt und Bibliotheksbauberater.

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