Information und Bildung im neu strukturierten Deutschland

Eine nicht ganz ernstgemeinte Berichterstattung
vom Kongress der BID!  in Hannover vom 3. bis 5. Oktober 2021

von Georg Ruppelt*)

Wie immer war der Kongress des mächtigen Dachverbandes der deutschen Bildungs- und Informationseinrichtungen Bildung und Information für Deutschland! Bundesvereinigung deutscher Bildungs- und Informationsverbände e. V. (BID!) ein politisches und gesellschaftliches Ereignis allerersten Ranges. Bundeskanzlerin Yüzgül Schiller hatte es sich nicht nehmen lassen, den Kongress am Abend des 3. Oktober in der neuen riesigen Leibniz-Halle der Hannover-Messe und damit zugleich die zentrale Veranstaltung zum deutschen Nationalfeiertag zu eröffnen.

Schiller, die, bevor sie ihre steile politische Karriere in der Christlich-Islamischen Partei (CIP) begann, selbst eine bibliothekarische Ausbildung in Hamburg absolviert und einige Jahre in Berlin und München gearbeitet hatte, betonte in ihrer programmatischen Eröffnungsrede, dass die derzeitige wirtschaftlich wie politisch starke Position der Bundesrepublik in der internationalen Völkergemeinschaft vor allem auf der konzertierten und intensiven Förderung von Wissenschaft und Bildung beruhe. Ausdrücklich wies sie dabei anerkennend auf die Unterstützung der oppositionellen Parteien in diesen Bereichen hin. Wenn seitens der Neuen Kommunistischen Wirtschaftspartei Deutschlands (NKWD) und der Männer-Partei für Deutschland (MPD) auch in Detailfragen Widerspruch gegen einige Maßnahmen der Regierungskoalition aus CIP, SPD und Freien Grünen Radikalen (FGR) erhoben worden sei, so hätten sowohl die starke linke wie die nur wenig kleinere konservative Partei bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestag über das Gesetz zur "Intensiven und extensiven Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur" dem Koalitionsentwurf zugestimmt. Gleiches sei nur einmal noch geschehen, nämlich 2010 bei der Abstimmung über das Gesetz zur "Förderung von Bibliotheken".

In der Tat zeigten sich alle am Kongress Beteiligten, die Vortragenden (die meisten waren persönlich erschienen, nur wenige traten als Hologramm auf oder hatten ihre Avatare geschickt), die in reicher Zahl anwesenden Parlamentarier und Regierungsvertreter, das Fachpublikum und natürlich vor allem die haupt- und ehrenamtlichen Ausrichter von BID! mit den Entwicklungen der letzten Jahre sehr zufrieden. Dies war auch deutlich an der hervorragenden Stimmung des Kongresses bemerkbar. Zudem trugen das herrliche Herbstwetter und das ebenso anspruchsvolle wie fröhliche Begleitprogramm, zu dem Bibliotheks-, Museums- und Archivbesichtigungen, Massennacktbaden im künstlich erwärmten Maschsee und Tagesflüge zu besonders reizvollen Gegenden dieses nördlichsten Bundeslandes gehörten, zum Gelingen des Kongresses bei.

Seit 2015 nunmehr findet dieser Kongress in den "ungeraden" Jahren statt, dabei alle vier Jahre in Leipzig, also in der Vergangenheit in den Jahren 2015 und 2019; 2017 hatte man sich in der Hauptstadt des aus den ehemaligen Ländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland gebildeten neuen Bundeslandes Rheinland getroffen, die seit 2015 Frankfurt am Main ist.

Für das Jahr 2021 also war die Wahl für den Kongressort auf die Metropole des Bundeslandes Nordostseeland gefallen, die seit jenem denkwürdigen Jahr 2015, in dem die große Strukturreform der Bundesrepublik wirksam wurde, Hannover heißt. Die Wahl des Kongressortes hatte allerdings im Wesentlichen einen anderen Grund; ganz Deutschland feiert nämlich, wie in allen Medien nicht zu übersehen, in diesem Jahr den 375. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz. Der Name dieses "letzten Universalgenies", Bibliothekars und rührigen Praktikers steht ja synonym für die Neuformulierung deutscher Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Und so konnte in diesem Jahr der Ortsname für den BID!-Kongress nur Hannover lauten. Doch zurück zum Thema des Kongresses "Bildung und Information im neu strukturierten Deutschland".

Merkwürdigerweise scheint auch bei der älteren Generation der ursprüngliche deutsche Föderalismus völlig in Vergessenheit geraten zu sein, und man muss gelegentlich daran erinnern, dass noch bis zum Jahr 2015 die Bundesrepublik aus 16 Bundesländern bestand. Man macht sich heute kaum mehr eine Vorstellung, mit welch unendlicher Mühe die bereits seit 2005 begonnene Föderalismusdebatte in aktives Handeln und schließlich sogar in ein Gesetz transformiert werden musste. Auch nach der Reform ist es, wie wir alle wissen, nicht gerade einfach, die insgesamt nunmehr acht Länder und den Bund in der Kultur- und Bildungspolitik auf einen Nenner zu bringen.

Auf dem Kongress allerdings war man sich dieser Tatsache durchaus bewusst, denn im Mittelpunkt stand eine Evaluation der Bildungs- und Wissenschaftspolitik der letzten sechs Jahre, an der zwei Bundesregierungen und zahlreiche Landesregierungen beteiligt waren. Die BID!-Vertreter zeigten sich mit dem Ergebnis durchaus zufrieden und unterließen es auch nicht, den eigenen Anteil am Erfolg dieser neuen Politik hervorzuheben.

Die BID!-Sprecherin - der altertümliche Begriff wird seit einigen Jahrzehnten liebevoll gepflegt - die Sprecherin also, Ludmilla Samarowa, erinnerte in ihrer Eröffnungsansprache an die Ursprünge des Dachverbandes, der noch Anfang unseres Jahrhunderts vornehmlich aus Bibliotheksverbänden bestand. Erst als die Bibliotheken sich als wichtigen Teil eines übergreifenden Bildungsauftrages begriffen und die Zusammenarbeit, ja den Zusammenschluss mit dem Goethe-Institut, der Bertelsfrau-Stiftung (sie hieß bis 2010 noch Bertelsmann-Stiftung), den Informations-, Archiv- und Museumsfachleuten suchten und fanden, erst als der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sowie einige Verbände aus dem Schul- und Hochschulbereich als korrespondierende Mitglieder gewonnen werden konnten, erst von da an gelang es, die Bildungs- und Wissenschaftspolitik entscheidend mit zu beeinflussen, ja mitzubestimmen. Eine Namensänderung war mit dieser Vereinigung einhergegangen, aber die selbstbewussten und hochgradig effektiv organisierten Bibliothekare, deren Sektion weiterhin zu den kreativsten gehört, hatten diese Entwicklung nicht nur hingenommen, sondern selbst befördert.

Die Erfolge gaben ihnen Recht. Die Bibliotheksgesetzgebung in Bund und Ländern wurde zum Vorbild für Europa und auch sogar darüber hinaus, etwa in Singapur und im wiedervereinten Korea. Keine Schule, keine Gemeinde mehr, in der sich nicht eine Bibliothek mit einer angemessenen herkömmlichen wie modernen Medienauswahl, mit Veranstaltungsräumen und mehr oder weniger anspruchsvoller Gastronomie, mit einschlägigen Geschäften und oft auch Sporteinrichtungen findet. In den Hochschulen sind Bibliotheken, ist die Bibliothek integraler Bestandteil jeder Fachrichtung und trägt wesentlich durch ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm zur Begegnung von Natur- und Geisteswissenschaften bei.

Dies gilt auch für die Staats- und Landesbibliotheken, die überdies durch ihre Zukunftsorientierung wie durch ihr ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein für die Identitätsstärkung ihrer Region und deren kulturelle Entwicklung gemeinsam mit Museen und Archiven gerade in unserem globalisierten Zeitalter ganz Wesentliches leisten. Ihnen ist auch die Initiative für die enge Zusammenarbeit von Schulen und Bibliotheken in der Leseförderung und in der voruniversitären Bildung zu danken. Als Ende des zweiten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts die neue bio-thermische Informationstechnologie zum Einsatz kommen sollte, wurde sie zuerst in den Regional- und Hochschulbibliotheken getestet.

Bei allem Einsatz der jeweils neuesten Hochtechnologie haben die Bibliotheken und Informationsdienstleister ihre Wurzeln durchaus nicht vergessen, was sich auch im Kongressprogramm ihrer Sektion niederschlug. Neben Berichten und Diskussionen zu aktuellen Fragen, etwa "Konvertierung von Daten aus Kristall-Speichern auf Biomasse" oder "Die Anwendung neuer Antigrav-Technologie im Magazinbereich" standen auch Beiträge zur Aus- und Fortbildung, zu Fundraising-Fragen, zur Bibliotheksgeschichte, zur Buchrestaurierung oder auch zur allgemeinen Kultur- und Literaturgeschichte auf dem Programm. Besonderes Interesse fand im gesellschaftlichen Rahmenprogramm eine liebevoll vorbereitete, kuriose Veranstaltung einiger bibliothekarischer Laienschauspieler, die ein Theaterstück aufführten, das den Titel "Marc Rak pi Mab" trug. Es ging darin um längst vergessene "Handwerkzeuge" der Bibliothekare, unter anderem um die "Preußischen Instruktionen". Die überaus amüsierten Zuschauer hielten diese zunächst für Anweisungen militärischer Art, und ihre despektierlichen Äußerungen über diese früher sakrosankten Regeln mögen manchen Bibliothekar längst vergangener Zeiten von oben (und hoffentlich nicht von unten) mit wohl eher süßsaurem Lächeln auf die Bibliothekslandschaft des Jahres 2021 schauen lassen.

Der dreitägige Kongress klang am Abend des 5. Oktober 2021 hinter dem Hannoveraner Rathaus mit einer Karaoke-Show und anschließendem gemeinsamen Singen der rund 9500 Kongressteilnehmer aus. Neben aktuellen Liedern, besonders solchen aus Südostasien, begeisterte man sich vor allem an den hochklassischen Songs der Gruppe ABBA aus dem 20. Jahrhundert.


*)Vorabdruck mit Genehmigung des Autors aus einer geplanten Veröffentlichung im Sommer 2007 zum Projekt "Bibliothek 2007" und zum Ende seiner Amtszeit als BID-Sprecher.


Zum Autor

Dr. Georg Ruppelt

BID!-Sprecher a.D.
Nordostseeland-Bibliothek
D-30169 Hannover
E-Mail: direktion@gwlb.de