Bibliothekswissenschaft - quo vadis?
Eine Disziplin zwischen Traditionen und Visionen:
Programme - Modelle - Forschungsaufgaben


A Discipline between Challenges and Opportunities:
Programs - Models - Research Assignments / hrsg. von Petra Hauke
- München: Saur, 2005. - 480 S.
ISBN 3-598-11734-5, 75,00 €

"Alte Qualitäten - neue Tugenden" könnte man als Motto über dieses Buch schreiben. Es entstand als ein Projekt der Reihe "Von der Idee zum Buch" am Berliner Institut für Bibliothekswissenschaft (jetzt: Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft) unter Leitung von Petra Hauke, welche in der Profession für ihre unermüdliche Sammelarbeit bekannt ist. Mit 18 Studierenden brachte sie als Lehrbeauftragte dieses Werk zu Stande, welches in seiner inhaltlichen Breite als Lesebuch dienen kann und vom Saur-Verlag überaus handschmeichlerisch gestaltet wurde. Ob der Inhalt auch dem Titel und der Gestaltung entspricht? Wohl! Es ist ein Kompendium zum Blättern und Festlesen!

Gegliedert ist es in sechs Teile: Im ersten wird in fünf Beiträgen die Bibliothekswissenschaft referiert, wie sie in der Vergangenheit konzipiert wurde, wobei hier bereits Desiderate und Forschungsthemen für die Zukunft mit behandelt werden. Der zweite Teil behandelt die Bibliothekswissenschaft im Zeitalter digitaler Medien. In fünf Beiträgen werden neue Aufgabenfelder ausgemacht (z.B. Informationskompetenz und elektronisches Publizieren), gleichzeitig wird auch das Verhältnis zur Informationswissenschaft untersucht. Ein Beiträger schlägt vor, die Bibliothekswissenschaft neu zu benennen, ein anderer plädiert gleichwohl dafür, dass sie sich auf alte Qualitäten besinnen solle. Die vier Beiträge des dritten Teils behandeln das Verhältnis einer Bibliothekswissenschaft zur Gesellschaft, Informationsethik, Reformdebatte, Informationsgesellschaft und Gemeinwesenarbeit sind hier die Stichworte. Im vierten Teil geht es um die Beziehungen zur Wissenschaft, die fünf Beiträge behandeln u.a. die Themen Open Access, wissenschaftliche Informationsversorgung, Spezialbibliotheken und Bibliotheksservices für Fernstudenten. Im fünften Teil werden dann angewandte Fragestellungen in sechs Beiträgen behandelt, beispielsweise für ÖBs, Schulmediotheken, eLearning, Kundenbindung und last not least - Kosten- und Leistungsrechnung. Schlussendlich behandeln sechs Beiträge noch die Fragen der Beziehung zur bibliothekarischen Ausbildung, wobei beispielsweise Fragen nach der Effizienz der Ausbildung, der Spartentrennung, der Technikkompetenz, der Zertifizierung von Ausbildungsgängen sowie zum Arbeitsmarkt (am Beispiel der Schweiz) gestellt werden. Der rote Faden wird bei den Beiträgen nie verlassen, der Bezug zur Fragestellung einer Bibliothekswissenschaft ist fast ohne Ausnahme vorhanden.

Die Beiträgerinnen und Beiträger sind allesamt aus der ersten Riege der Profession ausgewählt, neben Professoren findet man Praktiker und Verbandsvertreter. Deren Texte sind sehr gut aufbereitet (da merkt man erst, wie sehr die Verlage in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten am Lektorat gespart haben): Am Anfang der Artikel findet man stets einen Abstract, die Artikel sind gut gegliedert und Schlüsselwörter meist kursiv hervorgehoben. Ein Fußnotenapparat verweist auf die Literaturverzeichnisse, welche am Ende der Beiträge aufgeführt sind. Am Ende des Buches finden sich englischsprachige Abstracts - zwei der Beiträge sind übrigens in Englisch verfasst - und Angaben in deutsch und englisch zu den Beiträgern.

Nicht wenige in unserer Profession sind der Meinung, man könne auf eine Bibliothekswissenschaft getrost verzichten, da es sich bei den Problemen, welche bei der Verwaltung einer Bibliothek entstehen, um angewandte Fragestellungen handle. Also handle es sich eher um eine Bibliothekskunde als um eine Bibliothekswissenschaft. Wenn man freilich in andere Disziplinen hineinschaut, handelt es sich oft ebenfalls um angewandte Fragestellungen (Methodologie!) und gegenseitig sprechen sich selbst alteingesessene Fächer die Eigenschaft ab, eine Wissenschaft zu sein. Also kann man diese Diskussion getrost als Sackgasse beiseite lassen und sich eher darum kümmern, in der Bibliothekswissenschaften die richtigen Fragestellungen und den richtigen Ansatz für Untersuchungen und Projekte zu finden. Dies ist in diesem Werk eingelöst. Es hat hierzu einen unaufdringlichen Beitrag geleistet und wird allen Interessierten zur Lektüre empfohlen.


Anschrift des Rezensenten

Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
E-Mail: juergen.plieninger@uni-tuebingen.de