Editorial
"Leipzig liest"! - Dresden auch?

Seit Jahren steht die Leipziger Buchmesse auch unter dem Motto "Leipzig liest", um Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene zum Lesen zu animieren und es zu fördern. Besonders seit den PISA-Studien ist Leseförderung in aller Munde, wenn gleich sie auch schon viel früher betrieben wurde, um diese kulturelle Praxis weiter zu entwickeln. Die Aktivitäten zur Buchmesse in Leipzig waren in diesem Jahr besonders vielfältig: mit 1 800 Veranstaltungen an 250 Leseorten und mit etwa 1 500 Mitwirkenden war es Europas größtes Lesefest!

Und was geschah in dieser Hinsicht in Dresden bei den Bibliothekaren? In dem unübersichtlichen Programm fand man einen Vortrag des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Lesen, Georg Ruppelt, zur Leseförderung in Niedersachsen. Im Themenkreis 5 ging es unter anderem um die Erlangung von Lesekompetenz durch Leseförderung, meist vorgetragen von Bibliothekaren Öffentlicher Bibliotheken. Die großen Anstrengungen zur Verbreitung des Lesens wie in Leipzig waren in Dresden nicht zu finden, bis auf die wenigen, erwähnten Erfahrungsberichte aus dem Bereich Öffentlicher Bibliotheken, die ohnehin die Förderung des Lesens und der Lesekompetenz durch viele Veranstaltungen in ihren Heimatstädten schon lange auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Wo aber bleiben Aktivitäten der wissenschaftlichen Bibliotheken? Sie kümmern sich weiter und mehr um das Suchen und Finden von Literatur und deren Beschaffung, Einstellung, Verwaltung oder Haltbarmachung mit ausgeklügeltsten und neuesten technischen Hilfsmitteln, aber weniger darum, wer diese Literatur liest! Das überlassen sie, wie gesagt, mehr den Öffentlichen Bibliotheken, den Lesestiftungen (z.B. Stiftung Lesen) den Internetportalen (z.B. erlebnis-lesen.de oder lesefit.at u.a.), den Netzwerken (z.B. zur Leseförderung), den Schulen und Lehrern sowie der aufkommenden Hilfsliteratur wie Leseverführer, Wie soll man lesen und vielen anderen mehr. Aber wäre es nicht auch Aufgabe wissenschaftlicher Bibliotheken und allen voran eines großen Bibliothekartages, sich über die Fragestellung hinausgehend wie man Bücher findet verstärkt dafür einzusetzen, dass man sie auch liest - angesichts der übergroßen Bestände ungelesener Literatur in den Magazinen unserer Bibliotheken und gerade in einer Zeit, da die Stiftung Lesen durch eine Studie hoffnungsvoll herausgefunden hat, dass in den letzten fünf Jahren der Zeitaufwand für die Lektüre von Gedrucktem in der Bevölkerung um 12 Prozent gestiegen ist!

Vielleicht bietet "Leipzig liest" bei der nächsten Leipziger Buchmesse 2007 einen Anlass, beim gleichzeitig stattfindenden Bibliothekskongress dieses Thema stärker in den Blickpunkt wissenschaftlicher Bibliotheken zu rücken! Denn es gehört sicher auch zu den Aufgaben dieser Bibliothekssparte, diesen kulturwissenschaftlichen Entwicklungsprozess stärker voranzutreiben - besonders auch deshalb, damit nicht noch weiter die Frage gestellt wird, wozu wir heute noch wissenschaftliche Bibliotheken brauchen, wie es im nachfolgend wiedergegebenen Streitgespräch von Christian Schlögl und Juan Corraiz anklingt.

Aber auch wir beschäftigen uns weniger mit dem Lesen in diesem Heft - weil es die Beiträger nicht tun - sondern verfolgen wie bisher technische, Management- oder Verwaltungsfragen. Einen solchen eher technischen Beitrag liefert Wolfgang Ratzek mit seiner Darstellung der Einsatzmöglichkeiten der RFID-Technologie. Rafael Ball untersucht das Für und Wider eines freien Zugangs zur Information in der wissenschaftlichen Kommunikation. Mit Zitatanalysen versuchen Roswitha Poll und Matthias Kayß den Wert der Bibliotheksbestände für die Forschung zu ergründen. Eine sehr schöne und interessante neue Bibliothek im englischen Brighton stellt uns Gernot Gabel vor. Von erstaunlichen Ausbildungsaktivitäten in Usbekistan berichten uns Dietmar Kummer und Ulugbek Karimov. Tagungsberichte und interessante Rezensionen runden das Bild dieses Heftes wieder ab.

Wenn wir auch darin, außer mit Rezensionen, nicht ausdrücklich zum Lesen animieren, so hoffen wir doch, liebe Leserin und lieber Leser, dass Sie trotz mangelnder Animation viele unserer Beiträge lesen werden, die immerhin von Brighton bis Taschkent fast die halbe Welt umspannen! In diesem Sinne ermuntert Sie zu informativem Lesen

Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur