RFID - Ein weiterer Baustein in der ubiquitous und pervasive Computing-Strategie


Abstract

Zukunftstechnologie RFID
Das technologische Prinzip
Preise bremsen Diffusionsgeschwindigkeit
Ubiquitous und pervasive Computing
Rechtliche und soziale Aspekte
RFID-Chip im Körper
RFID im Reisepass und in WM-Tickets
RFID im Bibliothekssystem
RFID im internationalen Bibliothekssystem
Einige Vor- und Nachteile zusammengefasst
Schlusswort


von Wolfgang Ratzek

Zukunftstechnologie RFID

In unserer schnelllebigen Zeit drängen innovative Produkte und Dienstleistungen1 in immer kürzeren Abständen auf den Markt. Wer konnte vor zehn Jahren etwas mit Nanotubes2, mit iPod oder smart clothes3 anfangen, um nur einige Beispiel zu nennen. Ebenso steht es um die RFID-Technologie, die in vielen Bereichen des Berufslebens und im Alltag angewendet werden. RFID wird als Zukunftstechnologie gehandelt. Auch in der Welt der Bibliotheken spielt diese Technologie eine zunehmend wichtigere Rolle. Vor diesem Hintergrund ist ein Blick über den Tellerrand angebracht, um die Entwicklungen in positiver wie negativer Art zu erkennen sowie Impulse für den bibliothekarischen Dienstleistungsentwurf zu erhalten.4

Das technologische Prinzip

Radio Frequency Identification (RFID) oder Funkchips stehen für ein Verfahren zur berührungslosen und unsichtbaren Datenübertragung mittels Radiowellen. Dabei handelt es sich um ein Etikett (Aufkleber) mit integriertem und wiederbeschreibbarem Datenspeicher. Der Datentransfer zum Lesegerät erfolgt über eine Antenne (Transponder5), die sich auf der Rückseite im Etikett befindet. Das Lesegerät wandelt die analogen Daten in digitale um. Bei diesem Verfahren werden nur kurze Strecken bis etwa drei Meter überbrückt.6 Damit steht der computerisierten Datenverarbeitung nichts mehr im Wege. Auf diese Weise können die gespeicherten Daten schnell identifiziert werden. Anspruchsvoller dagegen sind RFID-Komponenten mit Sensorik und Telematik (GPS, Mobilfunk), die eine Kommunikation über weite Strecken ermöglichen, was insbesondere im Logistikbereich von Bedeutung ist. Hier stehen Anwendungen wie Logistik (Track & Trace), Marktforschung oder Diebstahlsicherung (auch in Bibliotheken) im Mittelpunkt. Das kann soweit gehen, dass beispielsweise ein Objekt mit Hilfe der Telematik seinen Weg ins Ziel selbst findet, zum Beispiel in einem Verlag oder in einer Bibliothek (Vorsortierung).

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Im Prinzip findet RFID "überall" dort Anwendung, wo "automatisch gekennzeichnet, erkannt, registriert, gelagert, überwacht oder transportiert werden muss" (Grosser)7. Das trifft für Bereiche zu, wo Eintrittskarten (Kino, Konzerte), Kolli (Speditionen), Verbuchungen (Einzelhandel, Bibliotheken), Personenidentifikation (Verbrechensbekämpfung), Preiserfassung (Buchhandel) oder Krankenakten (Gesundheitswesen), eine Rolle spielen. Wird etwa ein Patient im Jacobi Medical Center stationär behandelt, erhält er ein RFID-Armband mit integriertem Funkchip. Auf diese Weise sind die Patientendaten ständig verfügbar.8 Die Funkchips können in Kleidungsstücke ("smart clothes") eingenäht sein, so können beispielsweise Fahrradkuriere mit entsprechender Ausstattung (GPS) ständig Kontakt zur Zentrale halten9, in Tickets integriert oder gar im Körper implantiert sein.

Preise bremsen Diffusionsgeschwindigkeit

Noch bremsen die relativ hohen Preise den Einsatz und die Verbreitung der RFID-Technologie. Eine aus Silizium und Kupfer bestehende RFID-Einheit kostet zwischen 20 bis 50 Eurocent.10 Große Erwartungen werden in den Low-Cost-Chip gesetzt, der einmal unter zehn Eurocent kosten soll und dann ein preiswertes Massenprodukt ist. Forschungsinstitute (z.B. Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg), Siemens, Infineon oder das Erlanger Unternehmen PolylC arbeiten an der Entwicklung eines (low cost) Polymer-Chips, bei dem lösliche Hightech-Kunststoffe anstelle des teuren Kupfer-Siliziums verwendet werden.11 Diese oben genannten Preise kann Matthias Randecker von der ekz.bibliotheksservice GmbH (Vertrieb & Marketing Bibliothekstechnik) so pauschal nicht bestätigen. Die Preise seien abhängig von der Abnahmemenge, für die es für Bibliotheken drei Richtwerte gibt. Die Nettopstückpreise für Standardtransponder ohne Bedruckung betragen bei einer Abnahmenge von 10.000 Stück 0,90 EUR, 100.000 Stück 0,45 EUR und 250.000 Stück 0,36 EUR. Matthias Randecker weist auch darauf hin, dass die ekz statt der sonst üblichen Kupferantenne eine Aluminiumantenne verwendet, die bei gleicher Leistung umweltfreundlicher herzustellen sei.

Ubiquitous und pervasive Computing

Die RFID-Technologie darf nicht als ein isoliertes System betrachtet werden, sondern vielmehr - wie es der Titel dieses Beitrages bereits suggeriert - als ein Baustein im ubiquitous und pervasive Computing. Eine kontrovers diskutierte Problematik, die sich mit dem "allgegenwärtigen" (ubiquitous) und dem "alles durchdringenden" (pervasive) Computer sowie dessen Komponenten befasst. Der auf Mark Weiser (1988)12 zurückgehende Terminus Ubiquitous Computing steht dafür, dass immer neue Computeranwendungen in alle Lebensbereiche vordringen. Häufig wird der von IBM eingeführte Terminus Pervasive Computing in ähnlicher Weise verwendet. Kritische Beobachter dieser Entwicklung sehen jedoch einen Unterschied: Die voranschreitende Miniaturisierung von Computern, Peripherie und Bauteilen ermöglicht eine Integration in immer mehr Objekten unserer Lebenswelt, sodass die Implementierung nicht mehr wahrgenommen wird. Damit sind auch rechtliche und soziale Aspekte berührt.13

Rechtliche und soziale Aspekte

Wenn es um die rechtlichen und sozialen Aspekte des ubiquitous und pervasive Computing geht, dann gehören die Systeme Echelon und Spector zu den prominentesten Beispielen. Das weltweite ("geheime") satellitengestützte Spionageabwehrsystem Echelon scannt den Telefon- und Datenverkehr mit Hilfe von bestimmten Schlüsselwörtern (Ubiquitous)14, und die frei käufliche Spyware-Software Spector (Pervasive) fertigt zum Beispiel Screenshots im Sekundentakt von Tastaturen oder Bildschirmen an oder, wie wiwo.de am 19.7.2004 schreibt, speichert auch E-Mails und macht Passwörter sichtbar. Damit aber noch nicht genug: Der Musikkonzern Sony BMG verwendete bis vor Kurzem ein "Sicherheitsprogramm" mit Namen XCP. Dieses hinterlistige Programm installiert sich völlig selbstständig auf dem PC, wenn eine in den USA gekaufte (eigentlich auch geklaute) Musik-CD eingelegt wurde. Die Folge: "Sobald die CD in das Laufwerk des heimischen PC wanderte (...) wurden ohne Skrupel tiefgreifende Veränderungen auf dem Computer vorgenommen, dieser ausspioniert und Virenangriffen ausgesetzt. Versuche, die Software manuell zu entfernen, können schlimmstenfalls das CD-Laufwerk unbrauchbar machen.15 Nachdem dieser Frontalangriff auf den "König Kunde" publik wurde, sieht sich Sony BMG einer Reihe von Klagen ausgesetzt. XCP wurde inzwischen vom Markt genommen.

Auch der Einsatz der RFID-Technologie birgt ein rechtliches und soziales Risikopotenzial. Der erwartete große Durchbruch durch Low-Cost-Chips ermöglicht einen weiteren tiefgreifenden Rationalisierungsschub. Wenn erst einmal alle Container, Medien (DVD, Bücher etc.), Dokumente (Akten, ID-Karten) etc. mit den "intelligenten" Funkchips ausgestattet sind, dann stehen auch Arbeitsplätze auf dem Spiel. Denn: die "smarten" Etiketten sind wieder beschreibbare Datenträger. Sie enthalten nicht nur Angaben über die Waren, deren Zusammensetzung oder Preis, sondern auch über ihr Ziel oder bestimmte Zwischenziele. Falls die Datenschützer mitspielen, wären auch die GPS-gestützte Auswertung von personenbezogenen Daten kein Problem. Noch behaupten zwar alle Anwender nur Identifikationsnummern und Produktinformationen zu speichern und nicht an Dritte weiter zu geben, aber wie die Praxis lehrt, gibt es überall Schwarze Schafe. Darüber hinaus agieren Trendsetter im Hintergrund, die "Spielwiesen" anlegen, auf denen die Akzeptanz für etwas gefördert wird, was im Prinzip mit Skepsis gesehen wird. Hierzu zwei RFID-Beispiele.

RFID-Chip im Körper

Das in Palm Beach ansässige Unternehmen Applied Digital Solutions (ADS) entwickelte den Verichip, ein RFID-Chip für Menschen, und sucht nun nach gewinnträchtigen Einsatzfeldern. Der Einsatz als "implantierter Notfallausweis", insbesondere für Alzheimer-Patienten und für bewusstlose Unfallopfer stößt bisher nur auf ein geringes Interesse. ADS hat aber auch die Zielgruppe Teenager im Auge: "Teenager wollten neben Handy und MP3-Player auch einen ´coolen´ Chip mit sich tragen."16

Wohin die Entwicklung führen kann, demonstriert der Baja Beach Club in Barcelona. Wie "stern shortnews" am 13.05.2004 meldete, können sich Stammgäste des spanischen Clubs einen RFID-Chip einpflanzen lassen.17 Mittels Scanner werden dann das Eintrittsgeld und der Verzehr erfasst. Alles wird dann im Online-Banking-Verfahren abgewickelt. Der Dienstag ist Baja Beach Club "Chip-Tag", wo Gäste von einer "Schwester" den Chip implantiert bekommen können. Wo? Das kann der Gast selbst bestimmen. Kling utopisch, aber heute und in Zukunft scheint vieles möglich.

Abbildung 1: Selbstklebendes RFID-Etikett (Quelle: Tagsys)
Abbildung 2: RFID-Funktionsschema (Quelle: Bibliotheca Inc.)
ADS hat aber noch andere Anwendungen im Auge: Zugangskontrollen in Hochsicherheitsbereichen, Einsatz als normaler Firmenausweis (inklusive Zahlfunktion für die Kantine), als Kreditkarte, wie das bei Master Card überlegt wird, oder als "Schlüssel" zum Entsicherungsmechanismus für Waffen. ADS kann sich auch vorstellen, dass Einwanderer den Verichip als eine Art Bewegungsmelder implantiert bekommen.18

RFID im Reisepass und in WM-Tickets

Vor dem Hintergrund einer möglichen Terrorgefahr wurden die deutschen Reisepässe mit RFID-Chips ausgestattet. Auf diese Weise können die Gesichter der Passinhaber mit Kamera gescannt und mit einer Bilddatenbank abgeglichen werden. Auf dem Gebiet der biometrischen Analyse sind bereits einige deutsche Unternehmen aktiv, wie zum Beispiel Cognitec (Dresden), TVI Lederer (Sinzig) und Viisage (Bochum). Die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Deutschland bietet einen echten Testfall. Dabei geht es nicht nur um Sicherheitsinteressen, sondern um Datenschutz, um wirtschaftliche Interessen und die um informationelle Selbstbestimmung. Die WM-Tickets werden erstmalig RFID-Chips (von Philips) haben. WM-Tickets kann nur erwerben, wer sich mit Namen, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer und Foto anmeldet und darüber hinaus auch noch die Bankverbindung angibt.19 Damit speichert der Deutsche Fußballbund (DFB) Daten von etwa zehn Millionen Karteninteressenten. Darüber hinaus kann in den Stadien mit entsprechender Kamera- und Videotechnik aus einer Menschenmenge eine bestimmte Person identifiziert werden. Die WM-Spiele werden in acht Bundesländern ausgetragen, wobei jedes Bundesland eigene Gesetze und Kontrolle hat.20

RFID im Bibliothekssystem

Vor dem hier aufgespannten Rahmen darf dann auch die Frage gestellt werden: In welchem Umfang soll die RFID-Technologie in Bibliotheken eingesetzt werden? Im Prinzip besteht die Möglichkeit, unseren Kunden den Bibliotheksausweis als reiskorngroßen RFID-Chip zu injizieren. Dann würden Ausleihe und Rückgabe in Bibliotheken vollautomatisch ablaufen. Sollte dennoch jemand ein Medium entwenden und die elektronische Schranke überwinden, und das soll ja eigentlich kein Problem sein, dann wüssten wir sofort, wo sich das Medium befindet und wo sich der Dieb aufhält.21

Weniger spektakulär verläuft dann die Substitution der herkömmlichen Barcodes durch Funkchips, auf denen sowohl medienspezifische Daten und Daten über die besitzende Bibliothek gespeichert sind. Das wären dann Autor, Titel, Standort, Bibliothekssigel, Medieneinheiten (Buch mit CD) Systematik (Hauptgruppen/Untergebiete), aktueller Status (vorbestellt, ausgeliehen, verfügbar) und noch weitere Daten.

Außerdem erlauben die Etiketten mit Schreib-Lese-Funktion eine komfortable Weiterbearbeitung (Statusänderung oder Retrieval). Wird ein Medium ausgeliehen oder zurückgegeben, verändern sich die Daten entsprechend, so zum Beispiel die Kundendaten oder der Diebstahlalarm wird unterdrückt (bei der Ausleihe). Ausleihe und Rückgabe können gar vollautomatisch abgewickelt werden (Selbstverbuchung). Weitere Vorteile dieser Technologie sind die Unterstützung bei der Inventarisierung und das Auffinden verstellter Medien. Selbst für die Benutzungsstatistik eignet sich die RFID-Technologie bestens: So könnte der Funkchip melden, dass ein Medium sehr lange nicht benutzt/ausgeliehen wurde und ausgesondert werden kann.

Um den Trend zur Digitalen Bibliothek und zur virtuellen Bibliothek zu fördern, muss die RFID-Standardisierung vorangetrieben werden, damit Bibliotheken beispielsweise unabhängig von Chipproduzenten und Systemanbietern werden (Stichworte: Inter-library loan; Anbindung an das bestehende Bibliotheksmanagementsystem).22,23 Zu den prominentesten Anbietern von RFID-Lösungen für Bibliotheken gehören 3M Digital Identification System, BIBLIOTHECA BiblioChip (in Kooperation mit ekz), ekz.bibliothesservice EasyCheck oder Tagsys.

Das umfassendste RFID-Projekt (3 Mio. Euro) in Deutschland läuft in der Münchener Stadtbibliothek, wo die Zentralbibliothek und 28 Stadtteilbibliotheken RFID einführen. Die Bearbeitung der mehr als 1,5 Mio. Freihandmedien wird voraussichtlich bis 2009 dauern. Das von Bibliotheca und der ekz durchgeführte Vorhaben beinhaltet neben der Substitution der Barcode-Etikette und der Elektromagnetstreifen durch RFID-Labels (BiblioChip) auch RFID-Initialisierungsdesktops, Selbstverbuchungsstationen, Sicherungsgates und Rückgabeautomaten mit Sortierfunktion.24

RFID im internationalen Bibliothekssystem

Aus einem internationalen Blickwinkel betrachtet, gibt es keine einheitliche internationale Entwicklung. Die BIBLIOTHECA-Experten Christian Kern und Gregor Hotz schätzen, dass weltweit etwa 20 Mio. Bücher in etwa 200 Bibliotheken RFID-Etikette tragen.25 Die RFID-Anbieter geben auf ihren Websites viele Beispiele für Bibliotheken, die sich für eine RFID-Lösung entschieden haben. Dazu gehören die Münchener Stadtbibliothek, die Stadtbücherei Stuttgart, das Max-Planck-Institut in Dresden, die Bibliothek der Staatlichen Studienakademie Plauen, die Stadtbücherei Siegburg, die Hauptbücherei der Stadt Wien, die Bibliothek der Katholischen Universität im belgischen Löwen (Leuven), die Stadtbibliothek Winterthur, die Mastics-Moriches Library in New York. Die Informationsbroschüre der Bibliotheca verweist allein auf 61 Referenz-Bibliotheken in Europa und den USA.

TAGSYS, ein weiterer RFID-Anbieter, installierte bereits 1998 beim National Library Board in Singapur ein RFID-System. In den Folgejahren kamen über 40 Bibliotheken (mit einer Gesamtzirkulation von über 7 Mio. Büchern) in Nordamerika, in Europa und Asien hinzu.

Die norwegische Fachzeitschrift ABM (2/2005, S. 19) berichtet, dass RFID in norwegischen Bibliotheken zwar für Gesprächsstoff sorgt, aber bislang noch nicht eingesetzt wird26. Dänemark gilt dagegen als Vorreiter in Skandinavien. Als erste Bibliothek in Skandinavien wechselte die dänische Bibliothek Silkeborg ihre Strichcodes gegen RFID-Etikette aus. (ebd.) An gleicher Stelle berichtet ABM darüber, dass die 1,6 Mio. Bände der Vatikan-Bibliothek zurzeit RFID-Etikette erhalten. Diebstahlsicherung ist hier nicht der Grund, sondern das Wiederauffinden verstellter Bücher. Auf einem Abstand von 30 Metern können nun verstellte Bücher mittels Handscanner geortet werden. Auf diese Weise wird nur noch ein Arbeitstag benötigt, um verstellte Bücher zu orten, ansonsten wäre immerhin eine Regalstrecke von 96 km abzulaufen. In Moskau, wie im Rahmen eines Informationsaufenthaltes Ende 2005 zu erfahren war, gibt es eine zweigeteilte Meinung, während die Entscheider (u.a. das Kulturdepartement der Stadt Moskau) die Einführung von RFID planen, gehen andere (z.B. BibliothekarInnen in kleinen Bibliotheken) davon aus, dass die Personalkosten so gering seien, dass der Einsatz von RFID eigentlich überflüssig sei.

(Quelle: Bibliotheca Inc./ekz.
bibliotheksservice GmbH)
Abbildung 3: RFID-Handlesegerät

Einige Vor- und Nachteile zusammengefasst

Über einige Nachteile (zum Beispiel Kosten, Freisetzungspotenzial, Datenschutz) war bereits die Rede. Hinzu kommt natürlich noch das Langzeitengagement in Form eines zeitlichen und finanziellen Aufwandes (Umstellung, Betriebskosten). Nicht ganz unproblematisch ist der Datenschutz (Stichwort Transparency): Wie gehen wir mit Kunden um, die sehen - und nicht gesagt bekommen - wollen, ob tatsächlich keine personenbezogenen Daten gespeichert wurden? Lassen sich Bibliotheken möglicherweise auf eine Technologie ein, die zu einem Konfliktherd werden könnte? Was passiert, wenn Verlage und Buchhändler ihre Medien mit eigenen RFID-Labels versehen? Gibt es da möglicherweise Kompatibilitätsprobleme?27

Nun sollen einige weitere Vorteile in den Mittelpunkt gerückt werden. Zum Vermögen (Asset) einer Bibliothek gehören neben qualifizierten und motivierten MitarbeiterInnen auch ein sowohl wertvoller Medienbestand, der schnell eine Größenordnung von Hundertausenden oder gar Millionen von Büchern, CDs, DVDs annimmt. Durch den Einsatz der "smarten" Funkchips mit Schreib-Lese-Funktion können gegenüber dem Einsatz von Barcodes, wie bereits gezeigt, beachtliche Rationalisierungsvorteile erzielt werden (Selbstverbuchung, Inventarisierung, Retrieval, Standort, Vorsortierung, Auffinden verstellter Bücher), wodurch eine verbesserte Nutzung der Bibliotheksressourcen ermöglicht wird. Dieser Aspekt kann durchaus in Geld und Zeit dargestellt werden. Hierzu eine plausible Rechnung: Auf der Homepage von 3M werden zwei Vorteile für den Einsatz von RFID-Systemen hervorgehoben: So kostet ein verstelltes Buch ("lost book") die Bibliothek etwa 45 USD. Eine durchschnittliche Bibliothek kann durchaus bis zu 22 Mio. Medien in einem Jahr im Umlauf haben. Mit den RFID-Etiketten können bei der Ausleihe und Rücknahme der Medien bis zu 1,5 Minuten pro Transaktion eingespart werden.

Verfolgen wir die dahinter liegenden Prozesse zurück, so stünde dann jeweils eine erleichterte Einarbeitung, Katalogisierung und Erwerbung in der Logistikkette an. RFID im Bibliothekssystem bietet nicht nur ein Rationalisierungspotenzial, sondern ist auch ein Instrument zur Reduzierung von Fehler- und Diebstahlsraten, hilft aber auch Doppelarbeit zu vermeiden.

(Quelle: Bibliotheca Inc./ekz.bibliotheksservice GmbH)
Abbildung 4: Rückgabesystem mit Sortierfunktion

Schlusswort

RFID gehört zu den viel diskutierten Themen sowohl in der Profit-orientierten Wirtschaft als auch in der Bibliothekswelt. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen zur Bestandskontrolle, Tracking and Tracing, Self-Check oder automatisiertes Medienmanagement. Die technologischen Entwicklungen schreiten voran und ermöglichen neue Anwendungen in der Bibliotheksautomatisierung und -sicherheit. Unter den vielen Anbietern von RFID-Lösungen befinden sich auch einige Unternehmen die spezielle RFID-Lösungen für Bibliotheken anbieten. Für Bibliotheken und Bibliotheksverbünde von Bedeutung ist eine Standardisierung. Hier spielen die Standards ISO 15693 und ISO 18000-3 eine wichtige Rolle, die eine frei Wahl von RFID-Anbietern ermöglichen und nicht, wie bei anderen RFID-Lösungen, eine Abhängigkeit vom Lieferanten erzeugen.

Im Rahmen des kontrovers diskutierten ubiquiotous (allgegenwärtig) and pervasive (alles durchdringenden) Computing darf die Zukunftstechnologie RFID nicht als isoliertes Phänomen betrachtet werden. Mit der Marktreife des Low-Cost-Chips wird das Rationalisierungspotenzial weiter ausgeschöpft werden. Grundsätzlich bleibt zu fragen: In welchem Umfang werden Bibliotheken dieses Potenzial nutzen. Bleibt es bei der Prozessoptimierung oder wird es in naher Zukunft auch den Bibliotheksausweis als körperfreundliches Implantat mit Online-Banking-Funktion geben. Der Pass mit integriertem Funkchip und mit biometrischen Daten würde auch eine wichtige Forderung im Individual Marketing oder 1:1-Marketing erfüllt: Das Bibliothekspersonal hätte nun die Möglichkeit, eine beliebige Person näher zu beleuchten ("Marktforschung"). Fragen nach Alter, Benutzungshäufigkeit, Medienpräferenzen und anderes wären dann kein Problem mehr. Die Probleme liegen dann eher im rechtlichen Bereich und in der Akzeptanz. Aber auch das sollte bedacht sein: Wie weit soll die Bibliotheksautomatisierung vorangetrieben werden. Die vollautomatisierte Selbstverbuchung macht den Kunden im Prinzip unabhängig vom Bibliothekspersonal. Klingt gut! Aber soll die Bibliothek der Zukunft eine Art "Selbstbedienungsladen" werden?28 Vielleicht sogar eine ohne Mitarbeiter, wie das mit der schwedischen "Kleinbibliothek" Bokomaten29 bereits umgesetzt wird?


Zum Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

Hochschule der Medien
Fachbereich Information und Kommunikation
Wolframstraße 32
D-70191 Stuttgart
E-Mail: ratzek@hdm-stuttgart.de


Anmerkungen

1. Ich folge hier dem allgemeinen Sprachgebrauch. In der Sprache der Betriebeswirte wäre hier von Waren und Dienstleistungen zu schreiben, die zusammen den Überbegriff "Güter" bilden.

2. Eigentlich Carbon Nanotubes (CNT). Kohlenstoff-Nanotubes sind winzige Kohlenstoffpartikel, die sich zu zylindrischen Röhrchen bis zu einem mm und von 1nm bis ca. 30 nm Durchmesser verbinden und für Computerchips und Mikro-Transitoren von Bedeutung sind. (In Anlehnung an http://www.techportal.de/de/26/2/lexikon,public,lexilist,0/86/; Zugriff am 14.11.2005.)

3. Hier ist die Kommunikationstechnik, z.B. Display und Tastatur, in die Kleidung eingenäht.

4. In der amerikanischen Bibliothekswelt gibt es eine rege Diskussion über den Einsatz von RFID. In diesem Zusammenhang sei die "Resolution on Radio Frequency Identification (RFID) Technology and Privacy Principles" der American Library Association (ALA) vom 19.01.2005 genannt. (www.ala.org/Template.cfm?Section=ifresolutions&Template= /ContentManagement/ContentDisplay.cfm&ContentID=85331; Zugriff am 11.01.2006.)

5. Ein Transponder besteht aus zwei Teilen: Einem Transmitter (Sender) und einem Responder (Antwortgeber).

6. Vgl. Grube, Henner; Andecker, Matthias: Für smarte Bibliotheken. In: B.I.T.online 3/2005, S. 262-264; Hawkins, Eddy: Life in an intelligent environment. In: Views On Finnish Technology 2005, S. 12-15.

7. Grosser, Thilo: Reif für die Chips. In: Handelsblatt v. 26.09.2005, S. M3.

8. Grosser, Thilo: Reif für die Chips. In: Handelsblatt v. 26.09.2005, S. M3.

9. S.a. Ratzek, Wolfgang: Schwarze Löcher. Frankfurt am Main 2005, S. 183-189.

10. Hinzu kommen noch die Kosten für Lesegerät und Infrastruktur.

11. Grosser, Thilo: Reif für die Chips. In: Handelsblatt v. 26.09.2005, S. M3; Schenk, Michael: Intelligente logistische Objekte. In: Die Welt v. 14.10.2005, S. II: (Schenk ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg); o.V.: Low-Cost Chips. Bald funkts überall. In: Die Welt v. 14.10.2005, S. V.

12. Mark Weiser arbeitete damals im Computer Science Lab Xerox PARC (Palo Alto Research Center, ein Unternehmen im Silicon Valley der Xerox Corp).

13. Krcmar, Helmut: Informationsmanagement. Berlin, Heidelberg, New York 2005, S. 504-515; Ratzek, Wolfgang: Schwarze Löcher. Im Sog der Informations- und Wissensindustrie. Frankfurt am Main 2005, S. 183-189.

14. In diesem Zusammenhang können dann, wie Jürgen Berke in der Wirtschaftswoche (Risiko London. Nr. 47 v. 6.10.2005, S. 66) berichtet, die Sicherheitslücken in der E-Mail-Maschine Blackberry besonders gravierende Folgen haben (Wirtschaftsspionage).

15. Posinett, Axel: Schräge Töne. In: Handelsblatt v. 17.11.2005, S. 13.

16. Kaiser, Tobias: Fürs Leben markiert. In: DIE ZEIT v. 21.04.2005.

17. Dieses Verfahren ist bereits seit Jahren in der Tierzucht und bei Haustieren üblich.

18. Kaiser, Tobias: Fürs Leben markiert. In: DIE ZEIT v. 21.04.2005.

19. Deshalb ist es für die Sicherheitsbehörden ein Problem, wenn die WM-Tickets über Ebay verkauft werden, weil durch den Eigentumswechsel die Speicherdaten nicht mehr mit dem Eigentümer übereinstimmen.

20. Lütge, Gunhild: Reisepass mit Nebenwirkung. In: DIE ZEIT v. 16.06.2005.

21. Diesen Effekt könnten wir auch mit dem RFID-Reisepass erreichen.

22. BIBLIOTHECA news. The RFID Library System Newsletter 1/2005.

23. ISO 15693 und ISO 18000-3 sind hier richtungsweisend. S. Grube, Henner; Randecker, Matthias: Für smarte Bibliotheken -RFID von der ekz.bibliotheksservice GmbH, S. 262-264. Das heißt jedoch nicht, dass sich Anbieter an Standards halten müssen und damit neue Abhängigkeitsverhältnisse begründen können.

24. BIBLIOTHECA news. The RFID Library System Newsletter 1/2005.

25. Die Internationale Standard-Organisation (ISO) arbeitet seit Jahren an diesem Vorhaben. ISO 15693 und die 18000er Serie stehen hier im Mittelpunkt. Das heißt nicht, dass sich Anbieter an Standards halten müssen.

26. Bibliotheca gibt die Universität in Bergen als Referenz an.

27. Metro und Wal-Mart setzen, wie das Wall Street Journal v. 12.01.2004 berichtet, bereits auf RFID-Etikettierung bei der Anlieferung von Waren.

28. Siehe hierzu Ratzek, Wolfgang: Kundennahe Dienstleistungen als Überlebenschance für Bibliotheken. In: Buch und Bibliothek (Frühjahr 2006).

29. Siehe Ratzek, Wolfgang: 71. IFLA-Konferenz 2005 in Oslo. In: B.I.T.online 4/2005, S. 337.