Politische Aufmerksamkeit auf Leistungen der Bibliotheken richten!
Ein Gespräch mit Barbara Lison, Sprecherin von Bibliothek & Information Deutschland
Am 23. März 2006 hatte Christoph-Hubert Schütte, einer der Herausgeber der B.I.T.online und in Dresden beim Bibliothekartag verantwortlich für die täglich erscheinende Kongresszeitung B.I.T.online Kongress News, die Gelegenheit, mit der neuen Sprecherin von Bibliothek & Information Deutschland, Frau Barbara Lison, zu sprechen. Das Interview wurde am 24. März in B.I.T.online Kongress News veröffentlicht. Weil die diskutierten Themen über den aktuellen Kongressrahmen hinausgehen und Barbara Lison sich darin der Öffentlichkeit in charmanter Weise bekannt macht, möchten wir das Gespräch unseren Lesern nicht vorenthalten.
Vielen Dank, Frau Lison, dass Sie sich zum Interview bereit erklären. Sie sind zum 1. April als Sprecherin unseres Dachverbandes Bibliothek und Information Deutschland gewählt worden. Das ist eine integrierende Aufgabe für alle Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Vielleicht stellen Sie sich zunächst einmal vor. Sie sind vielen Kolleginnen und Kollegen bekannt, aber sicherlich noch nicht allen.
Ich leite seit 14 Jahren die Stadtbibliothek in Bremen und habe versucht, dort die Bibliothek nach einer Phase zu erneuern, in der meine Vorgängerin mit großen Sparrunden "beehrt" worden ist und sie wenig Möglichkeiten hatte, die Bibliothek so zu verändern, wie sie es gerne gehabt hätte. Ich habe das aufgegriffen und wir haben die Bibliothek "zurück geschnitten", haben aber beim Rückschnitt die Qualität der Dienstleistungen erhöht. Wir sind sehr zufrieden, wie wir jetzt arbeiten.
Das ist überhaupt ein Leitmotiv für meine Arbeit: Effizienz, effizientes Arbeiten und kundenorientierte Qualität. Das ist im Grunde das, was wir immer in Bremen vor hatten und auch umsetzen.
Bevor ich nach Bremen gekommen bin, habe ich mich in Oldenburg in der Stadtbibliothek "aufgehalten" und dort auch eine neue Zentralbibliothek geschaffen. Davor war ich im wissenschaftlichen Bibliothekswesen in der Bundesanstalt für Arbeit in Dortmund und habe da den Bereich Information und Dokumentation geleitet. Studiert habe ich vor langer, langer Zeit mal Slawistik, Geschichte und Erziehungswissenschaften in Bochum, habe dann mein Referendariat in Köln und an der Universitätsbibliothek in Bochum absolviert. Für die BID bin ich jetzt zum zweiten Mal auf Europaebene tätig, und zwar im Vorstand von EBLIDA, dem europäischen Dachverband der nationalen Bibliotheksverbände.
Sie bieten ja eine breite Grundlage. Das ist auch wichtig für die integrierende Wirkung solch eines Dachverbandes. Herr Ruppelt hat Ihnen in seinem Interview viel Erfolg gewünscht und da fragt man natürlich, welche Ziele Sie insbesondere verfolgen? Ich gehe davon aus, dass zunächst schon in den letzten Jahren eine Richtung gegeben worden ist und Sie daran sicherlich anknüpfen werden.
Ich werde genau an diese Richtung anknüpfen, die mit der Arbeit der BID, zum Beispiel mit "Bibliothek 2007", gelegt worden ist. Ich verstehe Bibliothek 2007 als ein Instrument, die politische Aufmerksamkeit in diesem Land auf nationaler Ebene und auf Länderebenen auf die Leistungen der Bibliotheken zu richten. Nicht unbedingt auf die Bibliotheken selber, sondern auf die Leistungen der Bibliotheken! Denn das Interessante ist ja der Output. Es ist immer wichtig, was hinten rauskommt und weniger, was vorne reinkommt. Wobei es natürlich in angespannter finanzieller Lage auch sehr wichtig ist, und auch kritisch darauf geguckt wird, was vorne reinkommt. Das heißt, wir müssen unsere Einrichtungen nicht nur als gute, sondern eben auch als effiziente Dienstleister, und das hat Bibliothek 2007 ja in großartiger Weise im Ansatz bewirkt. Mir geht es jetzt darum, dies weiter zu tun. Natürlich auch unter neuen politischen Konstellationen wie einer neuen Bundesregierung, einem neuen Bundesbeauftragten für Medien, Staatsminister Neumann, und natürlich auch im Zusammenhang mit der Föderalismusdiskussion. Und ich denke, die Föderalismusdiskussion ist auch ein Hintergrund, vor dem wir uns Bibliothek 2007 noch einmal genauer angucken sollten.
Die Bibliotheken stellen ja eigentlich nur das nach außen dar, was die Bürger und unsere Nutzer in uns sehen.
Die Bibliotheken stehen für etwas als Häuser. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare stehen als Dienstleister für etwas. Und genau dieses, nämlich der Dienstleistungsaspekt in den unterschiedlichen Anforderungen, ob das nun allgemeine Information ist oder wissenschaftliche Information oder Fachinformation, da wird von den Kundinnen und Kunden immer auf die Personen oder vielleicht sogar auf die Häuser rekurriert. Eine Bibliothek ist immer genauso gut wie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das ist auch etwas, was ich sehr wichtig finde: Mitarbeiterorientierung! Und darauf zu achten, dass die Menschen, die in Bibliotheken arbeiten, auch in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen. Das heißt, dass sie das nötige Know-How, die nötigen Kompetenzen und die notwendigen Instrumente dafür haben. Das heißt zum Beispiel auch Fortbildung, das heißt auch Kongress, das heißt auch Bibliothekartag usw. Große Fortbildungsveranstaltungen sind ja auch das Thema der BID.
Die nächste große Veranstaltung der BID ist der Kongress in Leipzig. Haben Sie schon Vorstellungen, wie sich die Bibliotheken in Leipzig darstellen werden? Im Jahre 2004 hatten wir ja das Thema "Wie können wir uns der Politik besser darstellen?".
Wir haben darüber schon diskutiert, was wir in Leipzig tun wollen. Die Programmkommission wird in der nächsten Woche zum ersten Mal tagen und wir haben wieder eine Idee, Information mit einem übergeordneten Thema zu verbinden und schwerpunktmäßig Veranstaltungen dazu anzubieten. Das Thema könnte zum Beispiel sein: Informationsfreiheit, Ethik der Information, Information als Ware. Diese Themen sind ja virulent und wir wollen uns diesen Themen widmen. Die Programmkommission wird dann sozusagen einen Zuschnitt des gemeinsamen Themas erreichen, ich hoffe, in der nächsten Woche, und dann wird es auch den entsprechenden Call for Papers geben.
Da fällt mir das Thema des nächsten Österreichischen Bibliothekartages ein. Das Thema heißt ja Wa(h)re Information, Ware mit "h" geschrieben und dann das "h" wieder eingeklammert. Das ist eine Richtung, die da vorgegeben wird.
Ja, das ist eine Richtung genauso wie wir ja jetzt hier in Dresden an den Haltestellen W@re Sexualität oder W@re Sex haben als Spiegeltitel, da ist das "a" nicht eingeklammert, sondern es ist als @-Zeichen geschrieben. In der heutigen Zeit guckt man sich an, was kostet was, wer kann sich überhaupt noch etwas leisten, wer kann etwas erwerben und wer bleibt außerhalb dieser Welt der Waren, die nur mit Geld zu bezahlen sind. Das ist genau die Richtung, in die wir auch gehen wollen. Und wir werden natürlich auch genau sehen, was unsere österreichischen Kolleginnen und Kollegen tun und das Ganze mehr unter dem Gesichtspunkt "Wo bleibt die Moral dabei?" betrachten können. Es hängt natürlich auch immer davon ab, welche Keynote Speaker, also welche Festredner und Hauptredner wir dafür bekommen können.
Ich selbst komme ja aus einer Universitätsbibliothek. Da merken wir eine gewisse Renaissance des Bibliothekswesens insofern, dass die Studenten ruhige, kreative Arbeitsplätze suchen, wo sie sich sowohl mit dem Lehrstoff auseinandersetzen als auch zusätzlich Literatur lesen als auch im Internet ihre entsprechenden Informationen abrufen können. Das ist ganz unabhängig davon, wie das Gebäude aussieht. Es ist einfach so ein Drang im Moment. Man merkt, dass Studenten in ihrem üblichen Umfeld wie Studentenwohnheim und Wohngemeinschaften dieses nicht mehr finden. Und das sollte man doch eigentlich nutzen.
Auf jeden Fall sollte man das nutzen. Die Bibliothek als Ort trifft für alle Sparten des Bibliothekswesens zu und hat auch da ihr Pfund, mit dem sie wuchern muss und kann. Und Bibliothek als Ort hat auch etwas damit zu tun: In einem Studentenwohnheim habe ich zwar auch meine Gemeinschaft, aber die kenne ich. Und in den Universitätsbibliotheken, aber auch in anderen Bibliotheken, sitze ich da umgeben von fremden Menschen, die ähnliche Interessen haben wie ich. Wo findet man das schon? Dass man dann auch unter Umständen sogar in eine kommunikative Situation hineinkommen kann. Ich höre das von vielen Universitätsbibliotheken, dass plötzlich die Lesesäle wieder voll sind, dass man sogar Schlangen vor den Universitätsbibliotheken findet, damit man ein gutes Plätzchen bekommt. Und ganz entscheidend finde ich schon auch, dass das Angebot jetzt eben nicht nur ein Platz ist, wo ich meine Bücher lesen kann, sondern wo ich mehrere Dinge zugleich tun kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, dass die Universitätsbibliotheken jetzt offenbar durch die Bank so gut ausgestattet sind, dass eben diese multifunktionale Nutzung für die Studenten dort möglich ist. Und das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Und dieses Alleinstellungsmerkmal zahlt sich jetzt aus.
Also werden Sie dafür arbeiten, dass dieses auch in die Köpfe der "Genehmigungsbehörden" kommt, denn es gibt ja Standards für Gebäude, die anachronistisch sind und den heutigen Gegebenheiten nicht mehr Rechnung tragen, so dass die Bibliothekare auch dafür kämpfen müssen, dass solche Arbeitsmöglichkeiten in den Bibliotheken auch in die Standards hineinkommen, damit diese Möglichkeiten angeboten werden können.
Auf jeden Fall, die Standards betreffen ja mehr Dinge der Magazinierung und sind weniger auf den Menschen, den Kunden als Menschen ausgerichtet, mehr auf das Angebot und den Input und weniger auf den Output. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass die Politiker verstehen, dass eine Bibliothek nicht immer mehr reduziert wird zu einem virtuellen Ort, sondern dass eine Bibliothek ein physischer Ort ist, an dem verschiedene Funktionen möglich sind und der Zugang zu Information integriert ist. Diesen integrativen Aspekt müssen wir ganz stark herausheben.
Wir waren vorhin schon mal bei Österreich, also bei ausländischen Kollegen. Die BID hat ja eine Auslandsstelle, die ehemalige Bibliothekarische Auslandsstelle, übernommen, die sehr aktiv ist. Wir erleben gerade heute zwei ausländische Überraschungsgäste, die heute präsentiert werden und den Kolleginnen und Kollegen auch Lust machen sollen, die Kontakte mit dem Ausland zu pflegen.
Die Kontakte mit dem Ausland sind ganz entscheidend und ich freue mich sehr, dass im Grunde kurz vor IFLA 2003 in Berlin, aber mit Sicherheit danach, der Aspekt der ausländischen Bibliotheken noch viel stärker in unser Denken und in unser Handeln hineingekommen ist als es vorher der Fall war. Denn wir können dem Ausland viel geben. Wir können aber auch viel von ausländischen Kollegen lernen. Das ist etwas, was wir in Bremen schon ganz lange tun, was ich persönlich sowieso schon ganz lange tat, einmal durch die Funktion, die ich in der EBLIDA hatte und habe und durch das internationalen Netzwerk der Bertelsmann Stiftung, an dem ich ja einige Jahre teilgenommen habe. Ich kann persönlich sagen, Bremen sähe nicht so aus, wie es aussieht, wenn ich nicht in der Bertelsmann Stiftung in diesem Netzwerk das Privileg gehabt hätte teilzunehmen. Das heißt, nicht Adaption eins zu eins von außen, sondern Anregungen, Einflüsse nehmen, in die eigene Umwelt umwandeln und damit umgehen, natürlich immer zur Qualitätssteigerung.
Was können wir dem Ausland geben? Bei uns herrscht ja manchmal so das Jammertal vor. Gibt es auch Dinge, die wir nach außen tragen können?
Wir können unser ganz hohes persönliches Engagement ins Ausland tragen. Ich glaube, dass dieses persönliche Engagement zumindest auch in Europa etwas ganz Besonderes ist. Was wir verbinden müssen mit diesem persönlichen Engagement, und da können wir vom Ausland lernen, ist ein stärkerer professionellerer Umgang. Also zwar Emotionen, aber Emotionen gepaart mit Professionalität, mit einer stringenten Professionalität und einer hohen Organisationskompetenz, die wir ja auch haben, denke ich. Da ist etwas in dieser Mischung, mit der wir im Ausland sehr gut bestehen können.
Zum Thema Professionalität komme ich auf Diskussionen zurück, die ich auf diesem Bibliothekartag auch mit Firmen geführt habe, die der Meinung sind, dass sie uns bei unseren Dienstleistungen unterstützen können, gerade auch dann, wenn wir in unseren personellen Ressourcen nicht so gut ausgestattet sind.
Ja, das ist immer ein Dilemma, weil man dann von außen den Eindruck hat, in oberflächlicher Weise den Eindruck hat, dass die Technik die Menschen schluckt und Arbeitsplätze durch die Technik verloren gehen. Aber die Arbeitsplätze gehen verloren, weil wir das Geld nicht mehr haben. Wenn wir nicht Technik einsetzen und das so, dass wir das aktiv tun, proaktiv tun und nicht uns etwas aufdrücken lassen, was wir vielleicht gar nicht mehr beeinflussen können, dann ist es wirklich eine schlimme Situation. Das heißt für mich auch, die Technikangebote nutzen und vor allem auf die eigene Situation adaptieren können. Das heißt, nicht nur blind eine Technik nehmen, weil sie gerade da ist, sondern eine Technik kritisch untersuchen, zusammen mit den Firmen und deren Möglichkeiten für die eigene Situation überprüfen. Natürlich kostet Technik auch immer Geld, aber es ist ja nun mal so, dass heute leichter Sachmittel für Technikausstattung zu bekommen sind als für eine kleine Personalstelle und diesen Trend können wir nicht umkehren, diesen Trend müssen wir aber nutzen und wie gesagt, Proaktivität ist da das Stichwort.
Also die Produkte der Firmen den Zielen unterordnen und sich nicht davon bestimmen lassen. Noch eine Frage zum Schluss. Es ist eigentlich nicht schlecht, wenn man ein Motto vor sich herträgt. Haben Sie schon ein Motto?
(lacht) Nein, ich habe noch kein Motto. Ich habe bei einem Editorial, was ich neulich geschrieben habe als Überschrift "Weiter so? Weiter so!" geschrieben. Die Ansätze, die die BID in den letzten Jahren gemacht hat, gilt es weiter zu verfolgen. Ich habe mir noch kein Motto ausgesucht.
Die Arbeit im BID-Vorstand setzt voraus, unsere Verbände unter einen Hut zu bringen und Ziel ist, ein Sprachrohr und nicht mehrere Sprachrohre - das verwirrt ja alle Politiker - nach außen zu haben. Kurz gesagt, dass wir uns auf eine Person konzentrieren.
Ja, das ist genau der Punkt. Es läuft sozusagen alles bei mir zusammen und vor allen Dingen von mir wieder hinaus. So sehe ich meine Rolle. Also im Grund genommen wie so ein Trichter, wo alles zusammenläuft, wo aber dann quasi in derselben Dynamik das, was hineingelaufen ist, auch wieder hinauslaufen soll. Weil ich die verschiedenen Sparten des Bibliothekswesens kennen gelernt habe in meiner beruflichen Laufbahn weiß ich, wo vielleicht noch Probleme liegen, die zu bewältigen sind. Ich sehe aber gerade in den letzten Jahren und habe das auch mit großer Freude verfolgt, wie viele hoch interessierte Menschen es gibt, die verstanden haben, dass es keinen Sinn hat, sich zu zersplittern, sondern die in der gemeinsamen Ansprache unserer Partner die einzige Möglichkeit sehen weiterzukommen. Und unsere Partner sind in der Regel unsere Unterhaltsträger, unsere Finanziers und die Politik. Natürlich haben wir auch andere Partner aus der Wirtschaft, das ist völlig klar, und aus der Gesellschaft, aber das Geld bekommen wir in der Regel hauptsächlich ja aus der Politik. Und die Politik muss davon überzeugt werden, dass wir Leistungen erbringen, die zu ihren Zielen passen, nicht nur dass wir Leistungen insgesamt erbringen, sondern dass deren Ziele und unsere Leistungen ausgesprochen konform sein können, wenn sie das nur wollen. Wir wollen es ja!
Das bedeutet, dass wir von den zahlreichen Leistungen der Bibliotheken genau die Leistungen herauspicken, die dann den Politikern in ihre Konzepte passen, so dass wir auf Dauer Erfolg haben. Das bedeutet auch für Ihren Trichter, dass Sie aus dem Vielen, was auf sie eindringen wird, das Wesentliche herausfiltern, um das dann in der Politik deutlich zu machen. Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Amt viel Erfolg und danke für das Gespräch.