Eine "grüne" Bibliothek - die "Jubilee Library" in Brighton

von Gernot U. Gabel

Die "Jubilee Library" im Brighton

Die im Frühjahr 2005 eingeweihte "Jubilee Library" im südenglischen Seebad Brighton konnte wenige Monate nach ihrer Eröffnung bereits zwei Auszeichnungen entgegennehmen. Zuerst erhielt sie den vom britischen Premierminister ausgelobten "Better Public Building Award" zuerkannt, wenig später votierten die Mitglieder des britischen Bibliothekarverbandes CILIP mit deutlicher Mehrheit dafür, dem Neubau in zwei Kategorien den "Public Library Building Award" zu verleihen. Über die Fachwelt hinaus hat der nach ökologischen Prinzipien gestaltete Neubau als Mittelpunkt eines urbanen Regenerationsprojektes landesweit Aufmerksamkeit erregt.

Zur Stadtgeschichte

Nachrichten aus Brighton können stets mit einem regen Pubikumsinteresse rechnen, denn die Stadt gilt zweifellos als der Klassiker unter den englischen Seebädern. Eingebettet zwischen dem Hügelland der South Downs und dem Ärmelkanal ist Brighton heute für Reisende nur eine knappe Eisenbahnstunde von London entfernt. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lebte Brighthelmston, wie die Gemeinde bis ins frühe 19. Jahrhundert hieß, vom Fischfang, und erst als der Arzt Richard Russell 1754 die gesundheitsfördernde Wirkung des Meerwassers propagierte, es in Flaschen abfüllte und nach London verkaufte, entwickelte sich die Ansiedlung zum ersten großen Seebad Englands. Zu einem mondänen Kurort wurde Brighton aber erst mit Ankunft des damaligen Prince of Wales (später König George IV.), der ab 1783 dort weilte und sich bald ein standesgemäßes Domizil errichten ließ. Mit dem Thronfolger kamen der Hofstaat und der Adel, und auch das gehobene Bürgertum schätzte bald die gute Postkutschenverbindung mit der Hauptstadt. Der Prinz führte ein ausschweifendes Leben und ignorierte seinen wachsenden Schuldenberg. Trotz seiner prekären Finanzlage leistete er sich stets neue Verrücktheiten und - er war dann schon Prinzregent - beauftragte die Modearchitekten Repton und Nash, ihm in Brighton ein Lustschloss nach orientalischer Manier zu errichten, den Royal Pavilion. Das 1822 fertiggestellte exotische Bauwerk mit seinen Zwiebeltürmen und Schornsteinminaretten ist heute die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt. Als dann 1841 die Eisenbahnstrecke nach London eröffnet wurde, begann Brightons Aufstieg zum größten und bekanntesten Seebad des Landes.

Queen Victoria fand hingegen wenig Gefallen am indischen Phantasiegebilde ihres Vorgängers und verkaufte den Palast 1850 an die Stadt, die heute dort ihr Kunstmuseum unterhält. Brighton verschrieb sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Massentourismus, ließ zwei Piers mit Vergnügungspavillons erbauen und holte den alljährlichen Parteitag der Tories in das Kongresszentrum. In der Nachkriegszeit strömten im Sommer jedes Jahr tausende von jungen Menschen aus ganz Europa dorthin, um dort Sprachkurse zu belegen. Über die Seepromenade wehte ein Hauch von billigem Vergnügen, Fish-and Chips-Läden, Slotmachines und Wechselautomaten bestimmten die einst elegante Flaniermeile. In den 1970er Jahren waren in der Innenstadt, in der Gebäude aus der Regency-Periode dominieren, Verfallserscheinungen unübersehbar. Arbeitsplätze wurden rar, Drogenprobleme nahmen zu, und auch einer der Piers brannte 1975 ab und ist seither zur Ruine verkommen. Doch dann besann man sich im Rathaus auf die Tradition, förderte die Renovierung von historischen Bauten, und bald strahlten die "Terraces" und "Crescents" mit ihren eleganten Fronten wieder wie zu Zeiten des Prinzregenten. Selbst aus der Rezession der Neunziger ging das Seebad bunt geliftet hervor, und heute gilt es unter hippen Hauptstädtern als schick, am Wochenende durch die Boutiquen, Designerläden, Bistros und Cafés von "London-by-the-Sea" zu streifen.

Die Stadtbibliothek

Für diesen Wandel steht auch die städtische Bücherei des südenglischen Seebades. Seit den 70er Jahren war in Großbritannien das Image öffentlicher Bibliotheken stetig gesunken, die Verwaltungen knauserten mit den Finanzen und mancherorts suchte man nur einen hinreichenden Vorwand, um Zweigstellen zu schließen. Bücher waren out, das Fernsehen setzte neue Akzente, und seit den 90er Jahren boten der heimische PC und Internet-Cafés attraktive Freizeitbeschäftigungen. Die Besucherzahlen öffentlicher Bibliotheken gingen rapide zurück, desgleichen die Ausleihen. Aber seit einigen Jahren zeigen Bibliotheken ein neues Selbstbewußtsein, sie setzen auf Attraktivität und haben damit Erfolg. Die Bibliotheksleiter plädieren für bauliche und technische Exzellenz und treffen damit auf Sympathie bei den Stadtplanern. Plötzlich gehören Bibliotheken zu "Cool Britannia" (Slogan von Tony Blairs Labour Party) und werden einbezogen in die kulturelle Erneuerung von Stadtzentren, ja sogar zum Mittelpunkt urbaner Regenerationsmodelle. Brighton bietet dafür ein gutes Beispiel.

Die 1872 gegründete Stadtbücherei hatte Anfang des 20. Jahrhunderts von der Verwaltung ein Gebäude als "vorübergehendes" Domizil zugewiesen erhalten, aber leider dauerte dieser provisorische Zustand dann fast ein ganzes Jahrhundert. Die Räumlichkeiten waren unangemessen und eine Erweiterung kam nicht infrage. Erst 1997, als die Stadt mit der Nachbargemeinde Hove fusionierte und die Zahl der Einwohner auf 250.000 hochschnellte, kam man überein, für die Bibliothekszentrale (mit 16 Zweigstellen) ein Neubauprojekt zu genehmigen. Da Brightons Kämmerer die nötigen Geldmittel aber nicht aufbringen konnte, entschloß sich der Stadtrat zur Ausschreibung einer Public-Private-Partnership. Dieses Modell ist in Großbritannien seit den 90er Jahren nicht wenig verbreitet, insbesondere bei Krankenhäusern und Schulen, aber ihm haftet der Ruf an, meist für die billigste Lösung zu optieren. Als Baugelände war ein Areal nördlich des Royal Pavilion vorgesehen, das seit gut 30 Jahren brachlag. Das North Laines genannte Stadtviertel zwischen Strandpromenade und Bahnhof, in dessen Zentrum die Jubilee Street liegt, hatte ursprünglich eine Nord-Süd-Ausrichtung des Straßenrasters, das aus der viktorianischen Zeit datierte, und daran wollte man anknüpfen, um das Quartier zwischen der mondänen Strandzone und dem sanierungsbedürftigen Bahnhofsviertel zu beleben.

Die Bibliotheksleitung plädierte von Anbeginn für eine städtebaulich anspruchsvolle Lösung, was die privaten Projektpartner zunächst nicht mittragen wollten. Aber im Verlauf der sechsjährigen Planungsphase vermochte die Bibliothek ihre Ansprüche schließlich durchzusetzen, zumal sie auf Beispiele verweisen konnte, dass anderenorts architektonisch anspruchsvoll gestaltete Bibliotheksbauten zur Aufwertung eines ganzen Stadtviertels beitragen konnten. Die Bibliothek avancierte schließlich zum Zentrum des neuen Quartiers, um das sich Wohngebäude, Büros, Geschäfte, ein Hotel, Restaurants und Cafés gruppieren werden. Das gesamte Areal wird später weitgehend als Fußgängerzone ausgewiesen. Aus dem Gewinn, der sich aus der Veräußerung von Grundstücken an die privaten Investoren ergab, konnte die Stadt schließlich einen beträchtlichen Teil der Kosten für den Bibliotheksbau bestreiten. Insgesamt wollen die Partner ein Finanzvolumen von rund 60 Millionen Pfund in das neue Quartier investieren.

Um eine möglichst breite Akzeptanz des Neubaus sicherzustellen, wandten sich die Planer gezielt an die künftigen Nutzer und forderten sie auf, sich mit ihren Anregungen in das Projekt einzubringen. Nicht nur Erwachsene wurden befragt, auch Kinder und Teenager lud man zu Gesprächen ein, Vertreter von Behinderten wurden gehört, und auch Geschichtsvereine sowie die lokale Geschäftswelt, die in das Renovierungsprojekt investieren wollte, einbezogen. Zwei Mal wurde das Projekt öffentlich vorgestellt, mit allen Interessenten ausführlich diskutiert und eine Vielzahl von Änderungsvorschlägen übernommen. Da der Stadtrat entschieden hatte, für den Bau einen auf 25 Jahre angesetzten Pachtvertrag mit einem privaten Betreiber abzuschließen, wurde auch dieser früh in das Verfahren eingebunden. Die Betreiberfirma bestand auf niedrigen Betriebskosten, womit ein weiterer Anreiz gegeben war, den Neubau nach ökologischen und energie-effizienten Gesichtspunkten zu gestalten.

Der Neubau

Im Mai 2003 begannen die Bauarbeiten für das vom Architektenbüro Bennetts Associates entworfene Bibliotheksgebäude, die im Herbst 2004 abgeschlossen wurden. Die Gesamtkosten betrugen rund 14,5 Millionen Pfund. Auf dem rechteckigen Grundriss entstand ein dreigeschossiger Baukörper mit einer Nutzfläche von ca. 5.000 qm, der mit seiner großen Glasfassade den neugestalteten Platz dominiert. In das Zentrum von Erdgeschoss und erstem Obergeschoss platzierte das Architektenteam jeweils eine hohe, durch zwei Doppelreihen mit je vier Säulen gestützte Halle, um die sich in den Seitenzonen drei Geschosse mit u-förmigen Grundrissen gruppieren. Natürliches Licht kann durch die große nach Süden gerichtete Glasfront sowie durch Dachverglasungen in das Gebäude fließen. Das Dach wird von fünf Meter hohen Windtürmen bekrönt, die als Zitat Gestaltungselemente des nahegelegenen Royal Pavilion aufgreifen und eine markante Ergänzung der Skyline Brightons darstellen. Die Innenwände sind teils mit hellem Buchenholz verkleidet, teils blieb die Betonfläche sichtbar, die einen weißen Anstrich erhielt. Die äußeren Seitenflächen hat man mit glasierten blaugrünen Keramikplatten verkleidet, die auf Schmuckelemente an historischen Gebäuden Brightons anspielen.

Um den Neubau strukturell nach energiesparenden und umweltschonenden Aspekten zu gestalten, schlugen die Architekten neue Wege ein. Statt einer elektrischen Klimaanlage setzten sie auf die beiden natürlichen Energiequellen Sonne und Wind, was sich aufgrund der Küstenlage des Gebäudes anbot. Im Winter wird die Sonnenenergie, die durch die verglaste Südfront einfällt, in das Gebäude geleitet. Der Bau weist eine hohe Masse und eine solide Betonstruktur auf, was thermische Stabilität garantiert, Dach und Wände sind mit einer dicken Isolierschicht belegt. Die Betondecken wurden als Hohlstrukturen ausgelegt nach dem Prinzip des "ThermoDeck", womit sich Wärme in den Decken und Wänden speichern und langsam an die Umgebung abgeben lässt. (Die Jubilee Library ist die erste öffentliche Bibliothek Großbritanniens, die nach diesem Prinzip erbaut wurde.) Selbst die von Menschen und Geräten emittierte Wärme führt man wieder dem Nutzungsprozess zu. Im Sommer filtern Beschattungssysteme das Sonnenlicht aus und Windkanäle werden geöffnet, um über dieses natürliche Ventilationssystem Frischluft in das Gebäude strömen zu lassen, die als Abluft durch die auf dem Dach platzierten Windtürme austritt (Venturi-Effekt). Das Tageslicht, das über die Glasfront und die Lichtschächte rund um die zentralen Hallen in den Bau dringt, wird durch eine von Sensoren gesteuerte künstliche Beleuchtung ergänzt. Auch das Regenwasser wird gesammelt und zur Spülung der Toiletten verwendet. Die Energiebilanz des Gebäudes liegt, wie eine Messagentur ermittelte, rund 50 Prozent unter der vergleichbarer konventioneller Bauten und ist damit ungewöhnlich günstig für ein öffentliches Gebäude.

Der Besucher betritt die Bibliothek seitlich von der großen Glasfront und wird durch den lichten Gesamteindruck der Eingangshalle überrascht. Im Erdgeschoss findet er die Kinder- und Jugendabteilungen und die Sektion Romane, die AV-Medien, eine Buchhandlung sowie ein Restaurant/Café. Auf dem u-förmigen Zwischengeschoss sind Büro- und Konferenzräume untergebracht. Die obere Halle ist über Brückenelemente mit der seitlichen Erschließung verbunden; dort befindet sich der Hauptlesesaal mit dem Informationsbestand und der Sektion Nachschlagewerke. Dort sind auch die historische Kollektion der Bibliothek (ca. 45.000 Bände), mehrere Spezialsammlungen, das Learning Centre und die Computer-Abteilung zu finden. Selbst eine homosexuelle und lesbische Abteilung wurde eingerichtet, denn nach London und Manchester hat Brighton den höchsten Anteil an dieser Bevölkerungsgruppe. Mit ihren ca. 175.000 Medieneinheiten kann die Bibliothek heute ihren Benutzern etwa das Dreifache an Auswahl im Vergleich zum Altbau bieten. Die Ausleihe der Printmedien ist, so die gültige Fassung des Bibliotheksgesetzes, kostenlos, aber für die Ausleihe aller anderen Medien müssen Benutzer eine Gebühr entrichten, was in erfreulichem Umfang zu den Einnahmen beiträgt.

Zwecks leichter Orientierung wurden die einzelnen Abteilungen farblich voneinander abgehoben. Die Möbel und Regale hat man so platziert, dass die Durchgänge für Kinderwagen und Rollstühle passierbar sind, und selbst Wickelräume und Umkleidekabinen wurden nicht vergessen. Neben 104 Sitzplätzen an Tischen werden 85 Plätze auf Sofas und Sesseln angeboten. An 60 Computern können Besucher ihre Recherchen vornehmen und an neun Auskunftsplätzen ihre Fragen an Mitarbeiter richten. Alle Medien wurden mit einem RFID-Etikett ausgestattet, das nicht nur ein umfassendes Monitoring erlaubt, sondern auch eine Selbstausleihe durch die Benutzer. Die Handscanner an den drei Verbuchungsstellen sind einfach zu bedienen; Besuchern, die mit dem System aber noch nicht vertraut sind, wird selbstverständlich eine Hilfestellung angeboten. Einige MitarbeiterInnen sind, erkennbar an ihrem mit dem Bibliothekslogo bedruckten T-Shirt, ständig im Gebäude unterwegs (floor walker), um überall für Besucher ansprechbar zu sein.

Als der Neubau am 3. März 2005 eröffnet wurde, war der Andrang so groß, dass man zeitweilig die Türen schließen musste. Mehr als 1.000 Personen ließen sich sofort als neue Benutzer registrieren. Nach knapp einem Jahr zog die Direktion eine erste Bilanz. Danach war die Zahl der Ausleihen auf über 700.000 und damit auf das Dreifache angestiegen, und die Zahl der eingeschriebenen Benutzer hat sich gleichfalls merklich erhöht. Die Frequentierung nahm erheblich zu, so dass man längere Öffnungszeiten vereinbarte (derzeit 48 Wochenstunden an sechs Öffnungstagen) und mit der Verwaltung Gespräche über deren Erweiterung führt. Dank der großen Publicity und der hohen Zustimmung, die dem Neubau in der Fachwelt wie in der breiten Öffentlichkeit zuteil wurde, konnte die Direktion eine Vielzahl von Veranstaltungen in die Jubilee Library ziehen, was Brighton erneut in die Presse brachte und sich zudem auf der Einnahmenseite positiv niederschlug. Den Investoren kann dies nur recht sein, denn letztlich muss sich das urbane Renovierungsprojekt für alle Beteiligten rechnen. Im Gemeinderat hat die Bibliothek mit ihrer gestiegenen Attraktivität neue Förderer gefunden, und man kann nun davon ausgehen, dass sich das Areal um den Neubau nach Abschluss der Bautätigkeit zu einem vitalen Stadtteil entwickeln wird. Etwas überspitzt fasste ein Journalist die jüngste Entwicklung in Brighton mit den Worten zusammen: "It is the library that saved the city."


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Dr. Gernot U. Gabel

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