Nestler, Friedrich: Einführung in die Bibliographie


- auf der Grundlage des Werkes von Georg Schneider völlig neu bearbeitet von Friedrich Nestler
- Stuttgart: Hiersemann, 2005. XI, 231 S. (Bibliothek des Buchwesens; 16)
ISBN 3-7772-0509-5, 68.00 €

Georg Schneider gehört zu den bedeutendsten deutschen Bibliographen des 20. Jahrhunderts. Aus seiner Feder stammen u.a. das Handbuch der Bibliographie (vierte, gänzlich veränderte und stark vermehrte Auflage 1930; 1969 in fünfter Auflage als Reprint vorgelegt) und die Einführung in die Bibliographie (1936). Beide Veröffentlichungen wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Standardwerken für die bibliothekarische Ausbildung und Praxis.

Friedrich Nestler gehört zu den bedeutendsten deutschen Bibliographen des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. Mit seiner über 40jährigen Berufserfahrung in Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Bibliographie am Berliner Institut für Bibliothekswissenschaft hat er Beeindruckendes geleistet. Dazu gehören insbesondere sein Lehrbuch Bibliographie: Einführung in die Theorie, Methoden und Geschichte der bibliographischen Literaturinformation und in die allgemeinen bibliographischen Verzeichnisse (2. Auflage 1989), sein Beitrag in einer Festschrift für Alfredo Serrai Georg Schneider als Theoretiker der Bibliographie und seine Dissertation Friedrich Adolf Ebert und seine Stellung im nationalen Erbe der Bibliothekswissenschaft (1969) sowie die Übersetzung und redaktionelle Betreuung des Werkes von Konstantin Romanovič Simon: Gegenstand, Zielstellung, Methoden und Formen der Bibliographie in ihrer historischen Entwicklung (1972).

Friedrich Nestler hat die beiden Hauptwerke Schneiders für den Beginn des 21. Jahrhunderts nutzbar gemacht: 1999 erschien die sechste Auflage des Handbuches(1) und 2005 die Neubearbeitung der Einführung(2).

"Gegenstand der Einführung ist die bibliographische Information über Literatur. Georg Schneider legte den Schwerpunkt auf die Beschreibung der Methoden, auf erprobte Vorgehensweisen und die Spielräume für praktische Lösungen. Seine Methodenlehre verband er mit der Erörterung des Begriffs der Bibliographie, um zu zeigen, was das Fach in seinen Wissensgrundlagen zusammenhält." (S. IX)

Die Neubearbeitung ist ein Beitrag zur Diskussion der Perspektiven des Fachgebietes Bibliographie innerhalb der Bibliotheks- und Informationswissenschaft und nach außen. Sie erfolgt sinngemäß, der Text wird aktualisiert, die Ergänzungen betreffen die Veränderungen der bibliographischen Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (wie die Entwicklung des Nachdenkens über das Fachgebiet und die Zunahme elektronischer Informationen). Der Grundgedanke Schneiders, die Bibliographie als Bestandteil der sozialen Kommunikation zu begreifen, wird ausgebaut.

Damit ist das Blickfeld der Einführung in die Bibliographie größer, breiter und gesellschaftsbezogener als das des Handbuches der Bibliographie.

Friedrich Nestler gliedert seine Neubearbeitung in drei große Abschnitte.

Begriff der Bibliographie beinhaltet die Theorien zu Begriff und Wesensmerkmalen der Bibliographie u.a. von Friedrich Adolf Ebert, Paul Otlet, Konstantin Romanovič Simon, Roy Stokes, Patrick Wilson und Alfredo Serrai, die Bibliographie als immanenter Bestandteil der bibliothekarischen Ausbildung(3), die Konstanten der ganzheitlichen Sicht auf das soziale Phänomen Bibliographie sowie die bibliographischen Strukturen der Kommunikation.

Allgemeine bibliographische Methode beinhaltet generelle Gesichtspunkte, die Aufnahme der Titel sowie die Ordnung der Aufnahme.

Die Arten der bibliographischen Literaturinformation behandelt die Bibliographie der Bibliographien, die Allgemeinbibliographie, die Personalbibliographie und Regionalbibliographie, die Fachbibliographie, die empfehlende Bibliographie sowie Besonderheiten einzelner Publikationsarten und -formen.

Auf nähere Angaben zu den einzelnen Abschnitten muss in dieser Rezension aus Platzgründen leider verzichtet werden. Der Leser kann gewiss sein, dass Schneider und Nestler die für eine Einführung in die Bibliographie wichtigen Themen vollständig und gewissenhaft erarbeitet haben.

Die informationsgerechte Gestaltung ist vorbildlich. Das Buch hat einen festen, hellen Einband, die Schrift ist vortrefflich (Stempel-Garamond), mit lesefreundlichem Schriftgrad, das Papier ist getönt. Es gibt ein gut gegliedertes, übersichtliches Inhaltsverzeichnis, ein klassisch kurzes, aussagekräftiges Vorwort, gelegentlich Marginalien, ein Verzeichnis der zitierten und als Quelle benutzten Titel sowie ein Register der Sachbegriffe und Namen.

Fazit: Die Einführung in die Bibliographie ist nach 70 Jahren dort angekommen, wohin sie Georg Schneider in seinen Beiträgen zur Bibliographie wünschte und wohin die Bibliographie Anfang des 21. Jahrhundert definitiv hingehört: in die Gesamtkonzeption der Kommunikationswissenschaft. Es werden Konzepte einer ganzheitlichen Betrachtung aufgezeigt, in denen die Bibliographie mehr ist als die Summe von Verzeichnissen und Methoden ihrer Erarbeitung und Nutzung. In einer Reihe "Bibliothek des Buchwesens" ist die Einführung in die Bibliographie gut aufgehoben. Das Lehrfach Bibliographie lebt und hat als wichtiger Bestandteil der Kommunikations- und der Bibliothekswissenschaft seine Existenzberechtigung weit über die Aus- und Fortbildung der Bibliothekare hinaus.

Georg Schneider beantwortete 1924 die Frage "Ist die Bibliographie eine Wissenschaft?: Sie ist es nicht an sich, nicht in dem Sinne, in dem es die Astronomie auch im geringsten Handbuch bleibt. Aber bei der Verfolgung bestimmter, nämlich fachwissenschaftlicher Aufgaben hängt es nur vom Bibliographen ab, dass sie es wird. Auf das Wie kommt es an. Praktische Arbeit sollten die Bibliographien (sic!) immer leisten; auf der höchsten Stufe kann sie mit wissenschaftlicher eins sein."(4) 80 Jahre später stehen hinter dieser Antwort viele, z.T. auch neue Fakten.

Die Einführung in die Bibliographie sei ausdrücklich allen Fachwissenschaftlern empfohlen, die sich mit der Bibliographie beschäftigen, insbesondere Buchwissenschaftlern, Kommunikations-, Bibliotheks- und Informationswissenschaftlern, Wissenschaftshistorikern, Soziologen und Philosophen sowie Studenten der Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Siegfried Seifert bezeichnet die sechste Auflage des Handbuches der Bibliographie zu Recht als eine gelungene Erneuerung und bemerkt abschließend: "Vermutlich erlebt der Schneider/Nestler wohl kaum künftige weitere aktualisierende Metamorphosen. Insofern ist er eine Art Monument. Auf jeden Fall wird er für einige Zeit ein bemerkenswertes Zeugnis nützlicher bibliographischer Informationsarbeit bleiben."(5) Das sollte so nicht für das zweite "Monument", die Einführung in die Bibliographie gelten, denn diese ist von aktuellen bibliographischen Eintragungen unabhängig und leichter zu aktualisieren.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


Anmerkungen

  1. Schneider, Georg: Handbuch der Bibliographie. 6. Aufl., völlig neu bearbeitet von Friedrich Nestler. Stuttgart, 1999. XII, 726 S.
  2. Grundlage ist der Titel Schneider, Georg: Einführung in die Bibliographie. Leipzig, 1936. V, 203 S.
  3. Dies gilt auch im Sinne der Benutzerschulung. Schneider gehört zu den Begründern der deutschen Bibliothekspädagogik des 20. Jh. (Vgl. Feyl, Othmar: Zur Geschichte der öffentlichen Arbeit und Resonanz der Universitätsbibliothek Berlin. Berlin, 1993. S. 7-8.) Schneider hat von 1912 bis 1920 entsprechende Kurse durchgeführt und mehrfach darüber berichtet (z.B. Vorträge zur Einführung in die Bibliotheksbenutzung. In: Zbl. Bibl.Wesen 29 (1912) S. 441-444. - Die Bibliotheken und ihre Benutzer. In: Berliner Hochschul-Nachrichten 14. Semester (1925) H. 1, S. 5-7; H. 2, S. 17-19; H. 3, S. 31-32. - Die Bibliographie und die Menschen. In: Deutsche Akademische Rundschau 11 (1924) Nr. 6, S. 10-11).
  4. Schneider, Georg: Bibliographie und Wissenschaft. In: Werden und Wirken: ein Festgruß Karl W. Hiersemann zugesandt am 3. Sept. 1924. Leipzig, 1924. S. 355.
  5. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 26 (2002)3, S. 314.