Demographische Veränderungen und die Zukunft der Bibliotheken


Abstract

von Georg Ruppelt

Die sogenannte "Demographische Veränderung" ist zur Zeit das zentrale Thema in Politik und denkender Öffentlichkeit, und es gehört ein wenig Mut dazu, den vielen Senftöpfchen, aus denen fleißig geschöpft wird, noch ein weiteres hinzuzufügen.

Zunächst wollen wir nicht darauf eingehen, dass die Rede vom "Demographischen Wandel" oder von der "Demographischen Veränderung" falsch ist; denn es geht ja nicht um eine Veränderung der Beschreibung der Bevölkerungszahl, und nichts anderes heißt Demographie, sondern Thema ist in Wirklichkeit die Veränderung der Bevölkerungszahl selbst bzw. der Wandel der Bevölkerungsstruktur. Zum Zweiten gehört diese Thematik seit einigen Jahren tatsächlich nicht mehr nur in die Diskussion politischer Theorien oder Metatheorien, sondern die Thematik ist vielmehr eine des Alltags; es ist eine Thematik der Betriebe wie eine der Schulen, es ist eine Thematik der "Bild-Zeitung" wie der "Zeit". Es ist, um mit Gerhard Polt zu sprechen, "wia im richtigen Leben".

Wenn ich es recht verstanden habe, so geht es bei der Diskussion um die Veränderung der Bevölkerungsstruktur doch wohl vor allem um vier Problembereiche, nämlich

Es sei hier zudem auf ein Phänomen hingewiesen, das im Zusammenhang mit der Diskussion von Bevölkerungsentwicklungen als selbstverständlich angenommen wird, das Phänomen nämlich der langen Dauer, der langsamen und stetigen Entwicklung. Eine Entwicklung, die vielleicht jenseits der eigenen Lebenszeit wirksam und während der eigenen Lebensdauer, wenn überhaupt, nur undeutlich spürbar wird. Es erscheint alles noch so lang hin. Man meint, man habe noch viel Zeit, um sich den anstehenden Problemen in Ruhe zu widmen. Aber die bereits jetzt zu beobachtenden Gegebenheiten sollten uns klar machen, dass wir uns nicht mehr am Anfang eines Wandels befinden - den wir, weil es sich so eingebürgert hat, nun auch hier Demographischen Wandel nennen wollen - sondern, dass wir uns bereits mitten in diesem Demographischen Wandel befinden.

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In einer Studie, wie sie wohl von vielen Regionen und Kommunen in Auftrag gegeben sein dürfte, heißt es über die "Arbeits-Stadt-Region Südostniedersachsen im Jahr 2030" (diese Region umfasst die Bereiche Braunschweig, Salzgitter, Helmstedt, Wolfsburg und den Harz): "Noch werden die Herausforderungen und Problemlagen vielfach verdrängt. Eine besondere Gefahr besteht dabei darin, dass demografische Prozesse die Eigenschaft haben, eher schleichend und relativ unbemerkt abzulaufen. Sie entfalten ihre Folgen oft erst dann, wenn es für entsprechende Reaktionen zu spät ist. Da die bis zum Jahr 2030 notwendigen Maßnahmen sowohl auf ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Ebene kaum ad hoc zu bewältigen sein werden und eine dem Trendszenario entsprechende Entwicklungsperspektive aus Nachhaltigkeitsaspekten als nicht erstrebenswert erscheint, müssen aus einem regionalpolitischem Interesse heraus bereits in naher Zukunft notwendige Maßnahmen angemahnt, entwickelt und mit entsprechendem Vorlauf umgesetzt werden. In diesem Sinne ist es in einem ersten Schritt zwingend notwendig, bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein entsprechendes Problembewusstsein bei allen relevanten Akteuren für die kommenden Herausforderungen zu wecken, um damit die notwendigen Voraussetzungen für einen der Nachhaltigkeit entsprechenden regionalen Entwicklungsprozess zu schaffen".1

Und wie immer bei herannahenden Veränderungen wird auch hier das alte, aber dadurch keineswegs unrichtige Sprichwort "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" seine Praxisgültigkeit unter Beweis stellen. Oder, wenn wir etwas Neuzeitlicheres zitieren wollen Gorbatschows "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Gerade die Tatsache, dass es aller Voraussicht nach Sieger- und Verliererregionen bzw. -Städte bei den bevorstehenden Veränderungen der Bevölkerungsstruktur geben wird, sollte Politik wie Verwaltung zur Eile antreiben. Denn ziemlich sicher ist, dass es einen Wettstreit zwischen einzelnen Gemeinden und Regionen gibt und immer heftiger geben wird.

In einer kürzlich erschienen Sammlung von Essays zum Thema "Wie leben wir morgen?" der Braunschweiger Zeitung werden den einzelnen benachbarten Städten und Landkreisen der Region ganz unterschiedliche Zukunftsprognosen gestellt. Sie reichen von einer Wachstumsquote der Bevölkerung von plus 6,5 % in einigen Städten bzw. Landkreisen bis hin zu minus 9,1 % in anderen. Ganz sicher ist, dass sich alle Gemeinden, um in Zukunft Bestand zu haben, vor allem um Familien mit Kindern bemühen müssen. Allein die Überschriften der Essays sprechen eine deutliche Sprache: "Jedem muss klar werden: ‚ohne Kinder haben wir keine Zukunft!’"; "Gemeinden im Wettstreit um Familien"; "Kinder sind Investitionen in Freude"; "Ich will hier boxen und Völkerball spielen"; "Wo viele Kinder leben, brummt die Wirtschaft"; "Ein Land ohne Kinder ist ein Land ohne Visionen und Träume".2

In diesem Zusammenhang erhalten die seit langem immer wieder angeführten, aber nunmehr ganz konkret als Mittel im Konkurrenzkampf der Kommunen ins Blickfeld der Beobachter geratenen so genannten "weichen" Standortfaktoren eine ganz harte Bedeutung. Dazu nochmals die eben schon genannte Studie über "Arbeits-Stadt-Region im Jahr 2030": "In diesem Sinne wird der Wettbewerb der Regionen zukünftig aller Voraussicht nach verstärkt über die Arbeitsbedingungen auf der einen und insbesondere auch über die bisher oftmals noch zu wenig Beachtung findenden Lebensqualitäten, die sich unter dem Stichwort der ‚weichen Standtort-Faktoren’ subsumieren lassen, auf der anderen Seite ausgetragen werden. [...] Sie werden natürlich junge Leute nur dann in die Region bekommen, wenn sie attraktive Arbeitsplätze bieten und zu den attraktiven Arbeitsplätzen auch attraktive Lebensbedingungen kommen. [...] Dann müssen sie ein optimales Set in der Region darstellen und da ist das Thema Bildungslandschaft ein ganz herausragender Bund. Ich meine sogar, dass man in einer Region, die in diesem Attraktivitätswettbewerb bestehen will, die Attraktivität von Arbeitsplätzen und eine first class Position in der Bildungslandschaft fast schon gleichgewichtig bewerten muss." (S. 114)

Während in vielen der einschlägigen Untersuchungen im Zusammenhang mit Bildung die Rede ist von Kindergärten, den Schulen, den Volkshochschulen, den weiterführenden Schulen bis hin zur Universität spielen die Bibliotheken nicht die Rolle, die sie vernünftigerweise spielen sollten. Wir kennen diese Thematik seit langer Zeit; erfreulicherweise hat sich aber im Umfeld der Aktivitäten um Bibliothek 2007 einiges zum Positiven in unserem Sinne verändert.

Wie begegnen nun die Regionen und Kommunen diesen großen Herausforderungen bei gleichzeitig in der Regel sinkenden oder zumindest stagnierenden Einnahmen? Es gibt Bei spiele für gelungene Kooperationen von Kommunen untereinander, etwa das Städte-Netzwerk Nordrhein-Westfalen, in dem unter dem Motto "Soziale und kulturelle Infrastruktur für Morgen" auch die Verwaltung und der Betrieb von Bibliotheken mit Erfolg kooperativ gemanagt wird.

Doch jede Bibliothek ist sicherlich gut beraten, wenn sie sich angesichts der hier behandelten Thematik die Frage von Kooperationen ganz neu stellt.

Dabei soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass selbst in Bereichen, wo man dies für selbstverständlich halten würde, die Kooperation durchaus nicht so an der Tagesordnung ist, wie es wünschenswert wäre. So ist sicherlich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken vor Ort in vielen Städten optimierbar. Auch ist z. B. nicht nachzuvollziehen, dass etwa in einer mittleren Kreisstadt eine Kreis- und eine Stadtbibliothek nebeneinander her existieren, die eifersüchtig ihre Eigenständigkeit bewachen.

Zur Zeit kommt erfreulicherweise einiges im Zusammenhang mit der großen Aufgabe der Leseförderung in Gang. Kooperationen, sogar Zielvereinbarungen zwischen Öffentlichen Bibliotheken und Kindergärten, zwischen Öffentlichen Bibliotheken und Schulen bzw. deren Trägern sind vorhanden oder werden angestrebt.

Auch die Zusammenarbeit zwischen kulturellen Instituten wie Bibliotheken, Archiven und Museen wird immer mehr thematisiert, wenn mir dabei auch nicht unbedingt eine Fülle von Beispielen einfällt. Sicher wird in Zukunft, schon aus Kostengründen, die Frage nach einer engen Verbindung, gar einer Einheit von Institutionen, die kulturelles Erbe bewahren und aktuelle Informationen zur Verfügung stellen, beantwortet werden müssen. All dieses würde meines Erachtens keineswegs den Untergang der Bibliotheken und ihres Kultur-, Bildungs- und Informationsauftrages bedeuten; es würde auch nicht den Untergang des Buches bedeuten. Mag sein, dass man sich in Sachen Buchkultur vielleicht auf eine elitärere Note einstellen muss. Doch, um mit Robert Gernhardt zu sprechen: "Ums Buch ist mir nicht bange, das Buch gibt es noch lange".

Eine Kooperation zwischen Bibliotheken vor Ort, vor wenigen Jahren noch undenkbar, mittlerweile mit gutem Erfolg in einigen Kommunen zu beobachten, wird zwischen kommunalen und kirchlichen Bibliotheken praktiziert. Die Menge der vorhandenen kirchlichen Einrichtungen und ihre Leistungsbilanz (regelmäßige Sonntagsöffnungszeiten!) sollten eigentlich zu neuen Kooperationsformen jenseits aller Ideologie führen. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch die schwierige Frage der Zusammenarbeit mit muslimischen Bildungs- und Kultureinrichtungen oder Vereinen anzugehen. Wohlgemerkt: Dies ist kein Plädoyer dafür, die Kommunen um ihre Verantwortung für die Bibliotheken zu entlassen. Im Gegenteil, die Promovierung eines Bibliotheksgesetzes, so wie es zur Zeit von den Verbänden geschieht, ist gerade in dieser Hinsicht außerordentlich wichtig.

Das Stichwort Religion kann aber noch in einem anderen Zusammenhang betrachtet werden: In vielen Kommunen kommen die beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften in die Verlegenheit, leerstehende Kirchen einer anderen Nutzung zuführen zu müssen, sie zu verkaufen oder zu vermieten. Was aber würde besser zum Christentum, das wie das Judentum und der Islam eine Buchreligion ist, was also würde besser zu ihm passen, als in Kirchen, die nicht mehr für den Gottesdienst genutzt werden, Bibliotheken einzurichten. Und warum soll andererseits ein Gottesdienst nicht zwischen und unter Büchern abgehalten werden? Als Beispiel sei hier auf die Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, die "Bibliothek des Jahres 2000", verwiesen oder auch auf Georgsmarienhütte, wenn es um die gemeinsame Verantwortung von Kirchen und Kommunen für die Bibliothek geht.

Ein Kooperationspartner liegt aber so nahe, dass er uns vielleicht wegen vorhandener Altersweitsichtigkeit schon gar nicht mehr ins Blickfeld gerät. Ich halte Buchhandlungen für die idealen Partner beim Betreiben einer Bibliothek. Damit sind keinesfalls die üblichen Geschäftsbeziehungen oder gegebenenfalls gemeinsame kulturelle Veranstaltungen gemeint, sondern ich meine tatsächlich das Betreiben einer Bibliothek auf gemeinsame Kosten und Risiken. Der Nutzer, der Leser, der Kunde soll selbst entscheiden, ob er sich ein Buch, ein Medium kaufen oder ausleihen will. Klassisches Beispiel: Der Kunde leiht sich drei Reiseführer über Kanada aus. Derjenige, der ihm am besten gefällt, geht in sein Eigentum über, und zwar durch Kauf.

In wie starkem Maße Buchhandlungen bereits jetzt bestimmte Angebote von Bibliotheken kopieren, zeigt sich in den großen Buchhandlungen, in denen es Leseecken, ja schon Lesesaal ähnliche Räumlichkeiten gibt. "Kommunales Kulturzentrum" muss ja nicht nur Öffentliche Bibliothek plus Volkshochschule plus Stadtarchiv plus Familienbildungsstätte heißen. Kulturzentrum könnte auch z. B. heißen: Buchhandlung plus Bibliothek plus Antiquariat plus Gastronomie.

Wir sollten auch davon wegkommen, Bibliotheken als statische, relativ eindimensional ein- und ausgerichtete Häuser, Räume oder Gebäude zu sehen. Der Fantasie hinsichtlich sachlicher wie räumlicher Nutzung von Synergieeffekten sind keine Grenzen gesetzt.

Die teils durch die finanziellen Rahmenbedingungen vorgegebene Zentralisierung in Bibliothekssystemen hat eine andere Perspektive in den Hintergrund treten lassen, nämlich die, als Bibliothek dort hinzugehen, wo zumindest Teilaufgaben erfüllt werden und von Nutzen sein können. In dem schönen holländischen Buch "Bibliotheken 2040. Die Zukunft neu entwerfen" wird ein faszinierendes Szenario entwickelt, die sogenannte Brabant-Bibliothek. Diese Bibliothek soll ein riesiges Bibliothekszentrum werden, in dem alle irgendwie verfügbaren Medien an einem Ort zusammengefasst sind.

Gleichzeitig ist diese Bibliothek aber auch zuständig für alle dezentralen Einrichtungen, d. h. dass an vielen Orten dieser Provinz kleine Bibliotheken mit Büchern existieren, die an reizvollen Orten oder an Orten, die sozusagen in der Nachbarschaft liegen, bereitgehalten werden: "Die Brabant-Bibliothek wird alle Bibliotheken Nordbrabants in sich vereinen, doch daneben wird ein Netzwerk von Bibliotheken entstehen. Keine Bibliotheken wie wir sie jetzt kennen, aber kleine Bibliotheken mit besonderen Beständen an alltäglichen Begegnungsorten, wie Hotels, Kneipen, Bahnhöfe, Schulen und Tankstellen. Jeder Besucher kann hier in Büchern blättern, sie mitnehmen oder sogar kaufen. Mit Hilfe eines Bildschirmes können die Bücher, die gerade nicht präsent sind, gesucht, gelesen, bestellt oder ausgedruckt werden. Ein modernes Distributionsverfahren sorgt dafür, dass ein Buch aus der Brabant-Bibliothek blitzschnell an den jeweiligen gewünschten Ort der Provinz geliefert werden kann."3

Doch auch andere Medieneinrichtungen wären wünschenswerte Kooperationspartner bzw. Mitglieder von "Wohn- oder Servicegemeinschaften". Eine gemeinsame räumliche Unterbringung von großen oder kleinen Kinos mit Öffentlichen Bibliotheken hielte ich für optimal. An der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover wird zur Zeit durch ein regelmäßiges Angebot von Filmen diese Idee in ganz bescheidener Weise verfolgt. Warum z. B. nicht mit dem Hotel- und Gaststättengewerbe kooperieren, das gepflegte Unterkunft und Gaumenfreuden anbietet und dessen Arbeit sprachlich synonym mit Service gleichgesetzt wird, auch und gerade in kleinen Kommunen? In dem eben erwähnten niederländischen Band "Bibliotheken 2040" findet sich übrigens ein hübscher Beitrag zum Thema Bibliothekshotel oder Hotelbibliothek unter dem Titel "Hotel Alphabet".

Bibliotheken oder Bibliotheksdependancen sind auch denkbar in Sportstätten, Schwimmbädern etc., Einrichtungen, die in der Freizeit stark frequentiert werden. Ist denn das klassische Ideal von der Bildung des Körpers und des Geistes (mens sana in corpore sano) heute obsolet geworden? Ich sehe in den vergangenen Jahrhunderten jedenfalls trotz aller Großmäuligkeiten der verderblichen Ideologien nichts, was gegen dieses Ideal spräche. Irgendwann werden die Kommunen wieder bauen können, ja bauen müssen. Warum nicht schon jetzt an diese Möglichkeit denken, vielleicht auch auf Anregung der Bibliothek diese Thematik in den Stadtrat bringen?

Bibliotheken an Orten unterzubringen, an denen man sich auch aus anderen Gründen gern aufhält, stärkt zusätzlich die regionale Identifikation. Da gibt es etwas, was ich dem Gast, dem Besucher von außen zeigen kann, da gibt es etwas, an dem ich Anteil habe, das mir angehört, das für viele Menschen wichtig ist.

Ganz gewiss bin ich der Meinung, dass Bibliotheken Orte des Massenvergnügens, also auch beispielsweise Freizeitparks, Einkaufszentren oder auch Einrichtungshäuser wie IKEA nicht scheuen sollten. Es sind ideale Orte, besonders für Kinder und Jugendliche. Aber sollten wir die Kinder und Jugendlichen nicht auch einmal selbst befragen, wo sie gern ihre Bibliothek sähen, wo sie sie am liebsten aufsuchen würden?

Freilich gibt es auch eine andere Seite der Medaille. Eine Umfrage, die ich 1998 als DBV-Vorsitzender zum Thema "Wozu brauche ich meine Bibliothek" gestartet hatte, brachte ganz andere Ergebnisse. Nicht die unternehmende, nicht die laute, nicht die aufregende Event-Bibliothek war dort häufig Ziel der Begierde von Kindern und Erwachsenen, sondern die zurückgenommene, die zurückgezogene Bibliothek war gewünscht. Die Bibliothek als "Insel der Seligen", "Insel der Ruhe", die eben nicht eine Massenvergnügungsstätte ist, sondern einen Kontrapunkt setzt, der durchaus auch elitäre Züge tragen kann, der durchaus als Fluchtpunkt im Wortsinne betrachtet werden kann, gehörte zur häufig geäußerten Wunschvorstellung.

Damit aber sind wir bei einem Thema, das sozusagen auf die andere Seite der Medaille des Strukturwandels geprägt ist. War eben mehr oder weniger indirekt von der Abnahme der Zahl der jugendlichen Bibliothekskunden die Rede und davon wie man dem begegnen könne, so ist auf der anderen Seite natürlich an die Zunahme alter und ältester Kunden zu denken: Stichwort Lebenslanges Lernen. An einen alten Seufzer sei hier in Abwandlung erinnert: "Von der Wiege bis zur Bahre - Bibliothekare, Bibliothekare!" Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Bibliotheken und in den Verbänden haben dieses Thema schon seit langer Zeit intensiv, mit Erfolg und mit guten Vorschlägen bearbeitet. Die aufsuchende Bibliotheksarbeit wird man hier wieder intensiver aus dem Schatz der Erfahrungen früherer Jahre herausheben können. Eine Zusammenarbeit mit möglicherweise in Zukunft riesigen Alten- und Pflegeheimen darf durchaus in Überlegungen zu dieser Thematik einbezogen werden. Doch es geht dabei nicht nur um die Betreuung im Sinne der Sozialarbeit oder der christlichen Nächstenliebe, sondern auch durchaus um Angebote von Bibliotheken für die Fortbildung auch im fortgeschrittenen Alter.

Die gesellschaftliche Entwicklung scheint außerdem auf ein Anwachsen der Altersbedürftigkeit hinauszulaufen, das heißt, dass Menschen, die sich heute, weil noch gut abgesichert, ihre Bücher oder Medien in der Regel kaufen, dies bald nicht mehr zu tun in der Lage sein werden. Aber es geht nicht um "alte Menschen", sagen wir um über 60jährige allein. Tatsache ist doch, dass immer mehr Menschen wegen Mangel an Arbeit und trotz politischer Forderungen nach längeren Lebensarbeitszeiten immer weniger arbeiten - Frührentner sind schon lange keine Ausnahme mehr, sondern in einigen Kommunen die Regel. Auf diese Gruppen bibliothekarisch zu reagieren, dürfte die Arbeit der kommenden zwei Generationen unserer Kollegen bestimmen. Auch scheint mir die Idee von der Bibliothek als sozialer Ausgleichsfaktor im Kultur- und Bildungsbereich durchaus nicht mehr überholt zu sein, sondern an Strahlkraft eher zu gewinnen.

Fortbildung in Sachen Medienkompetenz wird in Zukunft eine Aufgabe für Bibliotheken, die nicht nur im Bereich der Schule und Vorschule selbstverständlich sein sollte, sondern auch etwa in Medienzentren, die in oder bei Betrieben angesiedelt sind. Diese würden Menschen, wenn sie auch für ehemalige Mitarbeiter geöffnet sind, jeden Alters erreichen. Es ist die Frage, ob die Tradition der "Betriebsbibliothek" nicht einmal unter diesen Aspekten wieder betrachtet werden könnte.

Nicht angesprochen wurden hier die Aufgaben für Bibliotheken, die bisher breitflächig noch der Lösung bedürfen, die aber nicht unmittelbar mit dem demografischen Wandel zu tun haben. Gemeint ist damit ein Serviceangebot, das im Optimalfall (wie an der UB Karlsruhe) 24 Stunden an 7 Tagen zur Verfügung steht oder in manchen Gebieten statt von 10 bis 16 Uhr, von 17 bis 24 Uhr.

Die meisten Bibliothekare in allen Sparten des Bibliothekswesens sind gewiss davon überzeugt, dass ihre Arbeit den jetzigen und zukünftigen Generationen in einer Weise nachhaltig dient, wie man das nur von wenigen Berufen behaupten kann. Sie wissen aber auch, dass sie diese Überzeugung durch interne Arbeit wie entsprechende Informationen nach außen vermitteln müssen - und dass sie sich den Aufgaben von morgen bereits heute stellen müssen.


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Georg Ruppelt




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Anmerkungen

1. Klaus Lompe und Heinrich Weis: Arbeits-Stadt-Region 2030 Südostniedersachsen. Ein Forschungsprojekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs "Stadt 2030" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Braunschweig: Technische Universität. Institut für Sozialwissenschaften, 2003. S. 114.

2. Wie leben wir morgen? Braunschweiger Zeitung Spezial. Nr. 3 (2006).

3. Winy Maas: Brabant Bibliothek. In: Rob Bruijnzeels und Nicoline van Tiggelen: Bibliotheken 2040. Die Zukunft neu entwerfen. Aus dem Niederländischen von Ute Klaassen. Bad Honnef: Bock + Herchen, 2001. S. 16-27. Hier S. 19.