Ehrenamtliche Kräfte und Bibliothekare in der Bibliotheksarbeit - Ein Problem der Wertschätzung


Abstract

IT- statt Content-Spezialisten
Bibliotheken - Eine Domäne von BibliothekarInnen?
Ehrenamtliche im Kommen
Aufgabenfelder von Ehrenamtlichen
Beispiele aus dem Ausland
Wertschätzung
... was lehrt uns das?


von Wolfgang Ratzek

IT- statt Content-Spezialisten

In der Diskussion über die Entwicklung einer irgendwie gearteten Informations- und Wissensgesellschaft stehen in der Regel Hard- und Software- sowie Netzwerk-Spezialisten im Mittelpunkt, die eher infrastrukturelle Aufgaben lösen und Probleme bewältigen. Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund, oder noch besser, welchen Wert besitzen BibliothekarInnen in dieser Entwicklungsarbeit? Aus meiner Sicht ist es ein schwerwiegender Fehler, wenn BibliothekarInnen ihr eigentliches Tätigkeitsfeld - sinnvoller Umgang mit Inhalten -- zugunsten eines IT-Fokus´ aufgeben (nach dem Motto: "Das gesamte Weltwissen, in Sekundenschnelle und per Knopfdruck, zu Ihrer Verfügung!") und damit die bibliothekarische Arbeit zu einer Informatik-Domäne reduzieren.1

Gegenstrategie erforderlich

In skandinavischen Ländern wie insbesondere Finnland, oder auch in Singapur, haben Bibliotheken eine wichtige Rolle in der Kultur-, Wirtschafts- und Bildungspolitik. Das ist in Deutschland so nicht der Fall.2 Vielmehr nimmt der Legitimationsdruck hierzulande eher zu (Stichwort: www.bib-info.de/bibliothekssterben). In der Bewältigung der sich verschärfenden Problemlagen stehen nicht nur Kostenaspekte im Mittelpunkt, sondern auch überzeugende Leistungsbeweise tragen zur Bewältigung der Probleme bei. Mit anderen Worten: Das Betreiben von Bibliotheken kostet Geld, aber was ist die Gegenleistung? 100.000 oder gar 600.000 Medien vorzuhalten, 250.000 oder 750.000 Ausleihen im Jahr vorzunehmen überzeugt nicht, auch wenn diese Zahlen "pro Einwohner" heruntergebrochen werden. Vielmehr muss der Beitrag für die Stadt oder für die Region herausgestellt werden. Was leistet eine Bibliothek zur Intergration von MigrantInnen? Was leistet eine Bibliothek zur Standortentwicklung? Was und wie leistet eine Bibliothek einen Beitrag zur qualitativen Verbesserung der Bildungssituation vor Ort? Das sind nur drei Leistungsbeweise, die stärker wirken als das "Wir haben ...!"

Die flächendeckende Gegenstrategie muss von den bibliothekarischen Verbänden und die regionale Strategie von den Bibliotheken selbst kommen, indem sie beweisen, dass es ohne sie nicht geht. Die Marketinginstrumente Lobbyarbeit und Public Relations3 werden dabei häufig nur ungenügend eingesetzt.

Bibliotheken - Eine Domäne von BibliothekarInnen?

Was hier trivial klingt, hat einen tiefer gehenden Aspekt. Auf den Punkt gebracht lautet die Frage: "Wie viele Bibliotheken brauchen wir?"4, wie der Titel des Proceeding-Bandes einer Tagung des Weiterbildungszentrums der Freien Universität Berlin lautet. In diesem Zusammenhang wurden Fragen aus der Sicht der Politik, Bibliothek und Lehre diskutiert, dabei ging es um Antworten auf die Fragen "zu welchem Preis?" sowie "in welcher Organisations- und Rechtsform?" Bibliotheken ihrer Mission nachgehen sollen.

Vor diesem Hintergrund darf auch gefragt werden: Müssen Bibliotheken von BibliothekarInnen betrieben werden? Können nicht auch andere Berufsgruppen (Informatiker, Betriebswirte)5 oder gar Ehrenamtliche bestimmte oder gar die gesamten Tätigkeiten übernehmen? Wie ist die Auslastung der MitarbeiterInnen in Bibliotheken?6 Wir wollen uns hier mit dem Verhältnis ehrenamtliche Kräfte und BibliothekarInnen befassen.

Ehrenamtliche im Kommen


ZDF-Moderatorin Marietta Slomka wirbt für bürgerschaftliches Engagement

Der 5.12.2005 war der "Tag des Ehrenamtes" (gab es schon einmal einen deutschlandweiten und koordinierten Tag der Bibliotheken oder der BibliothekarInnen?). Auf Großplakaten und im ZDF-Morgenmagazin wurde die Botschaft gestreut, dass über 23 Millionen Menschen ein Ehrenamt ausüben. In der Kinder- und Seniorenbetreuung, aber auch in der Bibliotheksarbeit sind ehrenamtliche Kräfte aktiv. Eigentlich geht es neben der Tätigkeit von BibliothekarInnen und ehrenamtlichen Kräften an sich auch um einen viel tiefer gehenden Aspekt: Um die Wertschätzung. Wir werden in diesem Beitrag einige Facetten dazu herausarbeiten.

Verschiedene Typen von ehrenamtlichen Kräften finden wir in der Bibliotheksarbeit vor. Ursula Georgy (FH Köln und KIBA-Vorsitzende) erwähnt die Ein-Euro- und Mini-Jobber. Ingrid Bußmann (Leiterin der Stadtbücherei Stuttgart) hat gute Erfahrungen mit Rentnern gemacht (s.u.). Antje Kietzmann (Leiterin der Stadtbücherei Ladenburg) arbeitet gar mit ehrenamtlichen Kräften, wo eine Fachkraft erforderlich wäre (s.u.). Claudia Lux (Generaldirektorin der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin, designierte IFLA Präsidentin) bringt mit den hauptamtlichen Kräften, die Tätigkeiten übernehmen, die sonst nicht erledigt würden (s.u.), einen weiteren Typus ein.7

An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass sich in den LIS-Verbänden zahlreiche ehrenamtliche Kräfte engagieren und für uns wertvolle Dienstleistungen erbringen. Während ihrer Rede anlässlich des Empfangs im Goethe Institut Oslo während der IFLA Konferenz 2005 betonte Claudia Lux, dass ohne das Engagement von Barbara Schleihagen (DBV) und Ulrike Lang (BI-International) die deutsche Delegation zahlenmäßig nicht so groß hätte sein können.

Ein Beispiel für ehrenamtliches Engagement


Ulrike Lang: Mit viel Spaß und Engagement im ehrenamtlichen Einsatz

Vielleicht ist das hier einmal eine gute Gelegenheit, um stellvertretend das Engagement von Ulrike Lang darzustellen und zu würdigen: Auf die Frage, warum sie diesen für unsere Profession so wichtigen Job mache, antwortete sie, charmant und bescheiden: "Tja, eine schwierige Frage. Weil ich diesen Bereich der Kontaktpflege für sehr wichtig halte und nicht das Gefühl habe, dass er von politischer Seite ernst genommen wird. Weil ich Spaß am Organisieren habe und meine, dies auch ganz gut zu können. Weil ich ein kontaktfreudiger Mensch bin und weil mir bisher niemand diese Arbeit abnehmen wollte und ich deshalb aus Pflichtgefühl die Aufgaben der vergangenen Jahre weiterführe." Auf die Frage, wie das mit der Finanzierung der Repräsentationspflichten sei, erfahren wir: "Im Rahmen des deutschen Reisekostengesetzes kann ich das über die Geschäftskosten von BII absetzen, aber z.B. Strom, PC-Anschaffung daheim, Internetkosten, Telefon usw. sind nur begrenzt anrechenbar - und häufig vergesse ich es auch." Hinzu kommen noch die Repräsentationspflichten, wie öffentliche Auftritte, Publikationen usw. Wer die Fachliteratur, Ausstellungen und Tagungen aufmerksam verfolgt, wird BI International leicht mit Ulrike Lang in Verbindung bringen. Obwohl der Vorstand aus sieben Personen besteht, ist es schwer vorstellbar, dass ein Vorstandsmitglied beispielsweise bei einer Postersession, wie das auf der IFLA-Konferenz in Oslo der Fall war, Ulrike Lang ablöst.

Gerade bei einer so wichtigen Institution wie BII darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ehrenamtliche Kräfte nicht bis in alle Ewigkeit ihr Amt ausüben. Oder anders formuliert: Was tun wir, die von BII profitieren, um die Arbeit von BII zu unterstützen, zu fördern und - das ist auch wichtig - zu erhalten? Können wir sicher sein, dass BII auch in Zukunft so gut gemanagt wird, wie das seit Jahren der Fall ist?

Meines Wissens gibt es keine hauptamtliche Geschäftsführung, hier wäre vielleicht eine hauptamtliche Stelle einzurichten, während das Beratergremium aus Verbänden wie bisher ehrenamtlich tätig sein könnte.

Aufgabenfelder von Ehrenamtlichen


Claudia Lux. Auf den sinnvollen Einsatz kommt es an!

Was sind mögliche Einsatzfelder für ein bürgerschaftliches Engagement? Susanne Krüger (HdM Stuttgart und Geschäftsführerin des IfaK) bringt das so auf den Punkt: "Ehrenamtliche für Angebote, die die Bibliothek sonst nicht leisten könnte, ja, für Kernaufgaben nein." Claudia Lux vertritt die Auffassung: "In einem begrenzten Rahmen halte ich den Einsatz von ehrenamtlichen Helfern im BID-Bereich für positiv. Dies sollte dort stattfinden, wo es keine regulären Stellen gibt." Was hier wie eine Einladung für einen verstärkten Einsatz von ehrenamtlichen Kräften klingt, hat jedoch einen Haken. Sowohl Susanne Krüger als auch Claudia Lux weisen auf den erhöhter Koordinierungsaufwand hin, den die Hauptamtlichen leisten müssten. Das werde häufig vergessen. "Daher ist die Übernahme einer Zweigstelle", so Claudia Lux, "keine gute Idee und oft schwierig zu organisieren, da man sehr viele ehrenamtliche Helfer benötigt, um feste Öffnungszeiten jeden Tag abzudecken." Besonders gute Erfahrung habe die ZLB mit ehemaligen MitarbeiterInnen gemacht, "die sich Dingen annehmen, zu denen wir auch in den nächsten Jahren nicht kommen würden, wie die Einarbeitung von Spezialsammlungen usw.". Auf jeden Fall, so Claudia Lux, müssten die ehrenamtlichen Kräfte über eine Unfall- und Haftpflichtversicherung verfügen. Auch sei möglicherweise eine Aufwandsentschädigung (bis 154 € monatlich abgabenfrei) einzukalkulieren.

Ingrid Bußmann (Leiterin der Stadtbücherei Stuttgart) formulierte im Sommer 2005 für die Arbeitsgemeinschaft der Kulturamtsleiter in Baden-Württemberg, eine AG des Städtetags: "Wir arbeiten in Stuttgart mit Ehrenamtlichen beim Vorleseprojekt (Vorlesepaten) und beim Projekt ‚Lernlotsen’, das ganz gut anläuft. Für das Vorleseprojekt haben wir den Verein ‚Leseohren e. V.’ gegründet, um die notwendige hauptamtliche Koordination über Mitgliedsbeiträge und Spenden zu rekrutieren, was auch gelungen ist, dank der Zuwendungen des Kuratoriums Kinderfreundliche Stadt, der Breuninger Stiftung und der Bosch Stiftung." Barbara Krienitz-Reinhard (Stadtteilbücherei (Stuttgart) Vaihingen) schrieb darüber an der Hochschule der Medien Stuttgart ihre Masterarbeit: "Lernlotsen an Bord! Möglichkeiten und Grenzen ehrenamtlicher Arbeit in öffentlichen Bibliotheken". Hanne Brunborg, Vorsitzende des norwegischen Bibliothekarverbandes (Bibliotekarforbundet), betont die Rolle der älteren Generation (Rentner) bei der Beschaffung von lokalhistorischen Bildern für Ausstellungen und bei der Erstellung von Dokumentationen.

Motivationsgruppen

Für Ingrid Bußmann gibt es drei Motivationsgruppen, in denen die Tätigkeit von ehrenamtlichen Kräften zusammengefasst werden kann:

  1. Freiwillige in Projekten (z.B. Lernlotsen)
  2. Freiwillige im Alltag der Bibliotheken. Ingrid Bußmann: "Ich kenne Bibliothekssysteme (in den USA, W.R.), die 1000 hauptamtliche Mitarbeiter haben und 900 Volunteers einsetzen. Allerdings werden diese 900 Mitarbeiter dann von einer Abteilung, die aus fünf hauptamtlichen Kräften besteht, betreut."
  3. Bürgerschaftliches Engagement durch Fördervereine und Freundeskreise. Zur letzten Motivationsgruppe betont Claudia Lux einen speziellen Aspekt: "Das ehrenamtliche Engagement im Freundeskreis schafft eine gute Lobby und ist sehr hilfreich, um zusätzliche Ressourcen zu beschaffen. Hier können wir auf ehrenamtliche Arbeit gar nicht verzichten."

Problemfelder

Antje Kietzmann, Leiterin der Stadtbibliothek Ladenburg, steht dem Einsatz ehrenamtlicher Kräfte kritisch gegenüber. Für sie ist Ehrenamtlichkeit ein Reizthema im bibliothekarischen Arbeitsalltag. "Meine Haltung gegenüber diesem ‚Modethema’ ist in den letzten knapp drei Jahren, seitdem ich im Arbeitsalltag stark mit diesem Thema konfrontiert bin, eindeutig zu einer negativen und ablehnenden geworden." Die Gründe: "Mit einer bibliothekarischen Stelle und 1,5 Personalstellen für Fachangestellte sind wir bei unserer Größenordung von ca. 36.000 Medien und 22 Wochenöffnungsstunden stark unterbesetzt. Aus diesem Grund ist seit ca. acht Jahren eine (wachsende) Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitern (momentan sind es elf) intensiv in das ‚Kerngeschäft’, den Thekendienst, eingebunden." Daraus ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen, von denen Antje Kietzmann fünf anführt (hier verkürzt wiedergegeben):

1. Qualitätsverlust in der Leserbetreuung, d.h. in der allgemeinen Beratung, Anmeldung, Ausleihfristen, Sonderbedingungen, aber auch beim Auskunftsdienst.

2. Profil ehrenamtlicher Kräfte. Es handelt sich häufig um ältere Personen, bei denen die Beherrschung IT-gestützter Prozesse nicht vorausgesetzt werden kann. Die körperliche Belastbarkeit, fehlende Kenntnisse der operativen Abläufe u.a. führen zu Fehlern.

3. Verlässlichkeit und Planbarkeit beruht auf reiner Freiwilligkeit. Kurzfristige Absagen von Thekendiensten sind nicht selten. Die Planbarkeit von Arbeitsvorgängen geht verloren, da das hauptamtliche Personal immer damit rechnen muss, für die Ehrenamtlichen einspringen zu müssen. Die "Pflegeintensität" der ehrenamtlichen Mitarbeiter ist hoch.

4. Wenn Ehrenamtlichkeit von der politischen Ebene unterstützt, begrüßt und gefördert wird, ist es schwierig, sich im Bereich der freiwilligen Leistungen gegen diese Form der Arbeitsunterstützung zu wehren.

5. Ehrenamtlichkeit in einer Zeit der Arbeitslosigkeit zu fördern, ist moralisch bedenklich.

Beispiele aus dem Ausland


Lars Egeland: Regelwerk als Steuerungsinstrument

In Norwegen gibt es ein Bibliotheksgesetz. Lars Egeland, Abteilungsdirektor bei der "Staatlichen Behörde für Archiv-Bibliothek-Museum" (abm-utvikling/Norwegen) betonte am 17.10.2005, dass "Norwegen sehr viel Wert auf den Schutz der ‚bibliothekarischen Profession’ legt." Der Grund dafür: "Das norwegische Bibliotheksgesetz fordert, dass alle Kommunen einen fachlich ausgebildeten Bibliothekar beschäftigen müssen. Dafür gibt es ein Regelwerk, auf dessen Einhaltung abm-utvikling achtet." Egeland stimmt mit seinen deutschen KollegInnen überein, "dass Freiwillige keine Angestellten ersetzen dürfen, weder in Bibliotheken, in kommunalen oder staatlichen Betrieben."

Von Hanne Brunborg, Vorsitzende des norwegischen "Bibliotekarforbundet" erfahren wir, dass die Zusammenarbeit zwischen Öffentlichen Bibliotheken sowie Fördervereinen und sozialen Initiativen eine lange Tradition besitzt. Kritisch sieht sie dagegen den Versuch der Kommune Bødum in 2005, die sowohl Dienstleistungen als auch die Mitarbeiteranzahl reduzieren wollte, um dann freiwillige Kräfte für das Einordnen von Medien, die Ausleihe usw. einzusetzen. Trotz zahlreicher Proteste wurden zwar einige Einschränkungen vorgenommen, aber dennoch wurde ein Pilotprojekt eingeführt. Im selben Jahr schlug die Kommune Bærum vor, Freiwillige für die Leitung von Filialbibliotheken einzusetzen. Auf Grund heftiger Proteste wurde dieser Vorschlag nicht umgesetzt.8 Nicht immer löst sich das Problem, wie Hanne Bruborg berichtete, auf folgende Art und Weise: Die freiwilligen Kräfte für die Zweigbibliothek der Osloer "Deichmanske bibliotek" in Nordvet erschienen erst gar nicht zur Arbeit.

Rigoros geht es offenbar in Finnland zu. Wie Maija Berndtson, Direktorin der Stadtbibliothek Helsinki, mitteilt, besitzt der Einsatz von freiwilligen Kräften in der Bibliotheksarbeit oder im öffentlichen Sektor keine Tradition.

James Bracken, Professor und stellvertretender Leiter der Bibliothek der Ohio State University, informierte, dass an der Ohio State University keine freiwilligen Kräfte eingesetzt werden.


Shanghaier BibliothekarInnen als Volunteers im Einsatz

Dagegen berichtet Ning Lu, Referentin für deutsche und anglo-amerikanische Medien der Shanghaier Stadtbibliothek, dass gerade die Vollzeitkräfte häufig für Sonderarbeiten eingesetzt werden. Das gilt insbesondere für das zur Stadtbibliothek gehörige Kongresszentrum mit seinem reichen Tagungsprogramm. In diesem Zusammenhang gibt es, wie leicht nachzuvollziehen ist, auch zahlreiche Überstunden, wenn es um die Vorbereitung und Durchführung von Tagungen geht

Tatiana Korobkina, Direktorin der Moskauer Turgenev-Bibliothek, macht deutlich, dass "der Einsatz von freiwilligen Kräften nur für Länder gilt, wo die Menschen es sich leisten können, kostenlos9 zu arbeiten."

Wertschätzung

Aus meiner Sicht dreht sich vieles um Wertschätzung, und zwar sowohl der Arbeit von BibliothekarInnen als auch der von ehrenamtlichen Kräften. Dabei geht es vor allem um die gegenseitige und um die eigene Wertschätzung. Das korrekturbedürftige Selbstbild dient wahrscheinlich als Input für ein schiefes Fremdbild. So muss also zuerst einmal am Selbstbild gearbeitet werden. Topoi wie "Bibliothekare sind sehr bescheiden" oder - eine typische Reaktion auf Marketingangebote - "Das haben wir alles schon versucht. Das bringt nichts" verdeutlichen das Problem. In einer Zeit, wo (Medien-)Präsenz und Pressure Groups das Geschehen bestimmen, fehlt es, um noch ein paar Begriffe aus der Unternehmenskommunikation zu verwenden, an Strategien für Stakeholder Policy, Issue Management, Agenda Setting, Guerilla Marketing. Übrigens: Fragen wir nach, warum etwas nichts gebracht hat, dann fehlt es sehr häufig an der Ursachenforschung. Ein weiteres Thema!

Unbestritten gibt es Einsatzfelder, in denen ehrenamtliche Kräfte sinnvolle, nutzbringende und ehrenvolle Arbeit leisten. Hier wären unter anderem das Engagement bei den LIS-Verbänden, bei Projekten (Lernlotsen), bei lokalhistorischen Ausstellungen und Dokumentationen zu nennen. "Aber Ehrenamtlichkeit darf", wie Antje Kiezmann sagt, "unter keinen Umständen Professionalität ersetzen. In anderen Berufsfeldern wäre dies undenkbar. Es käme auch niemand auf die Idee, eine gelernte Zahnarzthelferin durch eine ehrenamtliche Mitarbeiterin zu ersetzen. Wenn ein Ersetzen in Bibliotheken zum Thema wird, muss ein Aufschrei erfolgen, weil am diesem Punkt die Funktionsfähigkeit der Einrichtung und die Wertschätzung derselben am Boden liegen."

Deshalb: Wenn Ehrenamtlichkeit in einer Bibliothek, dann nur zusätzlich und in einem "Orchideenbereich", aber auch dann mit fachlicher Fortbildung und Qualifizierung.

... was lehrt uns das?

Der Vergleich mit der Zahnarzthelferin scheint ins Schwarze zu treffen. Offenbar besitzen Teile in Politik und Gesellschaft keine Vorstellung von der Wertigkeit bibliothekarischer Tätigkeit. Das gilt sicherlich auch für eine Reihe von KollegInnen.

Die digitale und/oder virtuelle Bibliothek existiert bereits: Der schwedisch "Bokomaten"10, eine Kleinbibliothek für zum Beispiel Bahnhöfe, oder die Sengkang Community Library in Singapur11, eine Selbstbedienungsbibliothek ohne Mitarbeiter, zeigen den Trend zur Bibliothek ohne Mitarbeiter. Auch in Deutschland schreitet die Automatisierung voran, das Fachpersonal wir zurückgefahren und - wo noch Human Ressourcen erforderlich sind - werden zunehmend ehrenamtliche Kräfte oder andere Fachleute eingesetzt werden. Fast hat es den Anschein, als würden BibliothekarInnen an ihrem eigenen Untergang arbeiten. Es ist an der Zeit hervorzuheben, dass

  1. sich die bibliothekarischen Verbände des Themas Öffentlichkeitsarbeit, im Sinne von öffentlichem Interesse für Bibliotheken wecken (Public Awareness), annehmen
  2. in Zeiten hoher Erwerbslosigkeit, dramatischen Veränderungen in der Altersstruktur und voranschreitenden Budgeteinschnitten das Ehrenamt eine Aufwertung erfahren wird
  3. sich auch die Hochschulen mit bibliothekarischen Studiengängen stärker an der Imagebildung von BibliothekarInnen beteiligen, indem sie den Bibliotheks-Bachelor überzeugend als ein Hochschulstudium und nicht als eine handwerkliche Ausbildung positionieren12
  4. der voranschreitende "Informatik-Mimikry" in Bibliotheken möglicherweise dazu führen kann, dass der eigenständige Beruf des Bibliothekars nur noch als Bindestrich-Beruf (z.B. Bibliotheks-Informatiker oder Bibliotheks-Betriebswirt) oder als Zusatzstudium/Nebenfach existiert
  5. sich die LIS-Hochschulen stärker für die kundennahe Dienstleistungsentwicklung engagieren, d.h. Angebote entwickeln, bei denen es sich lohnt, in die physische Bibliothek zu kommen.


Zum Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

Hochschule der Medien
FB Information und Kommunikation
Wolframstraße 32
D-70191 Stuttgart
E-Mail: ratzek@hdm-stuttgart.de


Anmerkungen

1. Ratzek, W. (Hrsg.): Spielball Bibliothek. Berlin 2005; Ratzek, W.: Schwarze Löcher. Im Sog der Informations- und Wissensindustrie. Wiesbaden 2005.

2. Das mag an der föderalen Struktur liegen, eher jedoch daran, dass Bibliotheken von Politikern und anderen Meinungsmachern eher dem Kultur- und weniger dem Bildungssegment zugeordnet werden.

3. Public Relations betont eher das Ergebnis, nämlich die Herstellung einer Beziehung zur Öffentlichkeit, während Öffentlichkeitsarbeit eher den Prozess betont, was dann in Formulierungen den Ausdruck findet wie: "Wir setzen Broschüren ein, wir haben eine Web-Site usw."

4. Wie viele Bibliotheken brauchen wir? Rolf Busch (Hrsg.). Bad Honnef 2004.

5. Wir kennen die Entwicklung im Rahmen des Baden-Württembergischen Universitätsgesetzes in Bezug auf die Paragraphen § 30 UG (Bibliothekswesen), § 31 UG (Rechenzentrum) und 31 UG (Informationszentrum), wo Rechenzentrum und Bibliothek zu einem Informationszentrum zusammengelegt werden und die Leitung in nicht bibliothekarische Hände gelegt werden kann, und auch wird. Näheres in Boeckh, Dorothee: Change Management. Die Novellierung des baden-württembergischen Universitätsgesetzes verändert die Bibliothekssysteme. Stuttgart 2003 [Masterarbeit im Studiengang Bibliotheks- und Medienmanagement an der HdM Stuttgart]).

6. s. Ratzek, W.: Strategien zur Sicherung des eigenen Jobs/Die Krise in der Arbeitswelt: Zwischen Arbeitsplatzabbau und -verteidigung. In: BuB 12/2004, S. 734-738.

7. Claudia Lux verweist auf die Broschüre "Freiwillige - (k)eine Chance für Bibliotheken?" (ein Positionspapier des Deutschen Bibliotheksverbandes / erarb. von einer AG im Auftrag des DBV, Ltg.: Barbara Lison. Berlin: DBV, 1999. 26 S.), in der die Rahmenbedingungen sinnvoller ehrenamtlicher Tätigkeit im BID -Bereich erläutert werden.

8. Volunteers as library employees? In: Bibliotekaren (Norwegen) 8/2005, S. 20.

9. oder gegen eine geringe Aufwandsentschädigung, W. R.

10. Ratzek, W.: 71. IFLA-Konferenz 2005 in Oslo. In: B.I.T.online 4/2005, S. 337.

11. Bertelsmann Stiftung, Bibliothek & Information Deutschland (Hrsg.): Vorbildliche Bibliotheksarbeit in Europa, Singapur und den USA. Gütersloh 2005, S. 70.

12. Hier wird die Kampagne zur Förderung des bibliothekarischen Bachelors erste Akzente setzen. S. Georgy, U.; Ratzek, W.: Launch of a Campaign for Image Building of the Bachelor´s Degree in Library and Information Science (LIS). In: Proceedings of the 2006 BOBCATSSS Symposium. Tallinn 2006.