Bibliotheken, Bücher und andere Medien in der Zeit des Kalten Krieges
Das Ende des Zweiten Weltkrieges als wichtigste Zäsur im 20. Jahrhundert oder die von Historikern immer wieder als zeitliche Grenze für eine "Geschichtswürdigkeit" (diesen Ausdruck verwendet Peter Vodosek in seiner Einführung S. 7) genannte Zahl 50 haben dazu geführt, dass auch das Interesse der Buch- und Bibliothekshistoriker an zeitgeschichtlichen Themen stark angestiegen ist.
Der Einfluss des Kalten Krieges auf die Bibliotheken und die Medien blieb bei den zahlreichen nationalen und internationalen Veranstaltungen im Wesentlichen unberücksichtigt. Ausgenommen davon ist der 1998 veranstaltete internationale Kongress zu dem Thema "Books, libraries, reading and publishing in the Cold War"1. Leider waren im Programm nur drei deutsche Referenten vorgesehen, nur ein Vortrag wurde in den Tagungsband aufgenommen. Der Geschäftsausschuss des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte beschloss daher, dieses Thema auf Deutschland einzugrenzen und eine Tagung unter dem Titel "Bibliotheken, Bücher und andere Medien in der Zeit des Kalten Krieges" vom 6. bis 8. Mai 2002 durchzuführen.
Der vorliegende Tagungsband umfasst zwei Einführungen sowie elf Beiträge zu folgenden Themen:
Peter Vodosek zieht in seinem Forschungsbericht "Der Kalte Krieg: ein Forschungsthema für die Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte" eine erste Bilanz und formuliert als bescheidenes Ziel der Wolfenbütteler Tagung, ein wenig Licht in das Dunkel der "schwarzen Kanäle" zu bringen (S. 10). Wolfgang Schmitz weist in seiner Einführung "Medien im Kalten Krieg" auf die verschiedenen nationalen und internationalen Aspekte der Mediengeschichte in Deutschland zwischen 1945 und 1990 hin.
Es folgen einige kurze Bemerkungen zu den Beiträgen über das Bibliotheks- und Archivwesen.
Friedhilde Krause berichtet über die Auswirkungen des Kalten Krieges auf die Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek zu Berlin, der späteren Deutschen Staatsbibliothek, unter dem Direktorat von Rudolf Hoecker von 1945-1950, die letztlich auch zur Entlassung Hoeckers führten. Sie ergänzt und präzisiert mit diesem kurzen Beitrag ihre fundierte Studie zu Hoecker2.
Alexandra Habermann beschäftigt sich sehr eingehend mit den Biographien der "Wanderer zwischen zwei Welten - Über die innere Zerrissenheit der Menschen im Kalten Krieg". Sie beschreibt die Lebenswege von neun Bibliothekaren, die im Kalten Krieg von West nach Ost (Horst Kunze, Kurt Brückmann, Erich Schröter) oder Ost nach West (Wieland Schmidt, Albert Predeek, Karl Kujath, Walter Barton, Caspar Witsch, Alfred Eberlein) wanderten.
Die Berichte von Claudia-Leonore Täschner und Karlheinz Blaschke sind sehr persönlich gehalten und zeigen die alltäglichen Probleme von Bibliothekaren und Archivaren in der DDR. Täschner fasst ihre persönlichen Erfahrungen bei der Nutzung und Präsentation von Literatur mit Nutzungsbeschränkungen in den Bibliotheken und Archiven der DDR zusammen und nennt Beispiele für Nutzung und Verweigerung von Literatur und Archivgut. Blaschke berichtet über die Stellung des Archivwesens in der DDR (insbesondere "die Unterwerfung des DDR-Archivwesens unter das ideologische System", S. 206) aus der Sicht eines Archivars, der nach 17 Jahren 1968 den staatlichen Archivdienst verließ und in den Dienst der evangelischen Kirche überging. Leider fehlt ein Verzeichnis mit den Kurzbiographien der Autoren. Das hätte auch Aufklärung über einige Unstimmigkeiten gebracht: Wolfgang Schmitz führt am Ende seiner Einführung 14 Familiennamen von Autoren auf, von denen aber nur 11 als Autoren im Tagungsband mit ihren Beiträgen vorkommen (es fehlen Peters, Menudier und Nickel); leider bringt auch der Tagungsbericht von Werner Arnold keine Aufklärung3, der nur auf neun Beiträge eingeht.
Für die Zusammenfassung nimmt der Rezensent eine Anleihe bei dem Journalisten Reiner Oschmann, der am Ende seines Beitrages "Medien im Kalten Krieg: Ost und West im Clinch - und ein DDR-Korrespondent mittendrin" schreibt: "Interesse füreinander statt demonstrativem Desinteresse aneinander - vorurteils- und vorwurfsfreies Erzählen von Lebensgeschichten aus beiden Hälften der glücklicherweise überwundenen deutsch-deutschen Teilungsbereiche sind vielleicht eine erfolgversprechende Aussicht, die innere Spaltung weniger gravierend werden zu lassen, als sie heute … immer noch zu besichtigen ist." (S. 152). Diesem Grundsatz sind die Veranstalter und die Teilnehmer gefolgt. Ergebnis ist die Beleuchtung eines wichtigen Abschnitts in der deutsch-deutschen Geschichte nach 1945, eine Fortsetzung der Bemühungen zur Nachkriegsgeschichte des deutschen Bibliothekswesens4 bei Erweiterung auf die Buch- und Mediengeschichte.
Wenn Zeitzeugen auch bei den nächsten Tagungen zur Geschichte der DDR und der (alten) Bundesrepublik, zu der der Rezensent den Arbeitskreis für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte ermuntern möchte, berichten sollen, dann drängt die Zeit, denn die biologische Uhr tickt unaufhörlich.
Anschrift des Rezensenten
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de
1. Books, libraries, reading and publishing in the Cold War: Proceedings of an international conference 11-12 June 1998. In: Libraries & culture 36 (2001), no 1.
2. Krause, Friedhilde: "Auch Hoecker geht spazieren!" Hannover, 1997. 214 S.
3. Arnold, Werner: Bibliotheken, Bücher und andere Medien in der Zeit des Kalten Krieges. In: Bibliothek 26 (2002) 3, S. 300-3001.
4. u.a. Die Entwicklung des Bibliothekswesens in Deutschland 1945-1965 / Hrsg. Peter Vodosek; Joachim-Felix Leonhard. Wiesbaden, 1993. 500 S.