Verch, Ulrike: Sonntags in die Bibliothek: die Wiederbelebung des Bibliothekssonntags in Deutschland


- Berlin: Logos, 2006. 148 S. (Berliner Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft; 17)
ISBN 3-8325-1182-2

Dies ist die gekürzte Fassung der von der Autorin 2004 am Institut für Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigten Dissertation "Der Bibliothekssonntag. Die Wiederbelebung der Sonntagsöffnung von Bibliotheken nach historischen und ausländischen Vorbildern in juristischer Perspektive und empirischer Analyse", unter Zuhilfenahme ihrer im Jahr 2000 zur Prüfung für den höheren Bibliotheksdienst am Fachbereich für Bibliotheks- und Informationswesen der Fachhochschule Köln vorgelegten Assessorarbeit "Sonntagsöffnung von Bibliotheken".

Die Publikation besteht aus einem kurzen Vorwort, einer informativen Einführung in den Stand der Forschung und die von der Autorin verwendeten Untersuchungsmethoden (Sammlung empirischen Materials), sechs detaillierten Kapiteln zum Thema, einer Schlussbetrachtung und einem ausführlichen Literaturverzeichnis.

Angesichts steigender Besucherzahlen in den Bibliotheken, der online 24 Stunden über das Internet verfügbaren Bibliothekskataloge, der Veränderung des Freizeitverhaltens angesichts der nicht mehr möglichen "Vollbeschäftigung" ist es - unter Berücksichtigung der ökonomischen Zwänge, denen die Bibliotheken seit über einem Jahrzehnt in besonderer Weise unterliegen - dringend geboten, über eine optimale Zugänglichkeit der Medienbestände durch angemessene Öffnungszeiten der Bibliotheken, wenn möglich und nötig auch an Sonntagen, nachzudenken.

Ulrike Verch unterzieht sich in ihrer profunden Arbeit dieser Aufgabe. Sie stellt die Ausgangsthese auf, "dass aufgrund einer verstärkten Dienstleistungsorientierung Bibliotheksöffnungszeiten im allgemeinen und die Sonntagsöffnung im besonderen an Bedeutung gewinnen, in Anlehnung an ausländische Vorbilder, aber ohne ausreichende Betrachtung historischer Grundlagen sowie der rechtlichen Problematik." (S. 12) Als Öffnungszeit versteht sie die von der jeweiligen Bibliotheksleitung öffentlich und verbindlich für die Allgemeinheit als Besuchszeit zur Inanspruchnahme der Bestände und Dienste angegebene Zeit. Den Begriff "Bibliothekssonntag" führt sie auf den Verband der Bibliotheken und BibliothekarInnen der Schweiz zurück, der anlässlich seines hundertjährigen Bestehens 1997 am 25. Mai den "1. Schweizerischen Bibliothekssonntag" veranstaltete. Dass sich der Bibliotheks-"Sonntag" auf den "traditionellen siebentägigen Wochentrakt des christlich-jüdischen Kulturkreises" (S. 127) bezieht, soll der Vollständigkeit halber erwähnt werden.

Wie bei einer Produkteinführung stellen sich bei der Öffnung von Bibliotheken am Sonntag zahlreiche Fragen, die von der Autorin umfassend beantwortet werden.

Die ersten drei Kapitel sondieren den Stand zur Öffnung der Bibliotheken an Sonntagen in Deutschland und im Ausland, ergänzt um historische Exkurse, z.B. zu den Sonntagsschulen als Wegbereiter des Bibliothekssonntags sowie zur Stellung der Bücherhallenbewegung zu den sonntäglichen Öffnungszeiten.

Das vierte Kapitel prüft die Legalität der Sonntagsöffnung von Bibliotheken in Deutschland nach dem Verfassungsrecht, nach den Sonn- und Feiertagsgesetzen der Bundesländer und nach dem Arbeitszeitgesetz.

Im fünften Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit den Mitarbeiterinteressen an der Sonntagsöffnung. Dabei handelt es sich nicht nur um den rechtlichen Rahmen für einen Personaleinsatz am Sonntag (Arbeitszeitgesetz, tarifvertragliche Vereinbarungen, beamtenrechtliche Vorschriften, Schutzvorschriften für Jugendliche und werdende Mütter), sondern auch um die Ansichten des Bibliothekspersonals zur Sonntagsöffnung (mit Befragungen an der Universitätsbibliothek Bielefeld, der Stadt- und Universitätsbibliothek Köln und der Stadtbibliothek Duisburg) und die Organisation des Mitarbeitereinsatzes am Sonntag (z.B. durch den Einsatz studentischer Hilfskräfte, privater Wachdienste, hauptamtlichen Personals und freiwilliger Mitarbeiter).

Im sechsten Kapitel führt die Autorin ihre Leser zu der entscheidenden Frage: Ist der Bibliothekssonntag bedarfsgerecht? Besucherbefragungen an nordrhein-westfälischen Hochschulbibliotheken, der Stadtbibliothek Bremen und der Kantonsbibliothek Baselland sowie die damit verbundenen Auswertungen relativieren die Euphorie doch ein wenig.

Die Autorin hat ein Thema angestoßen und durch die Publikation auch öffentlich gemacht, das einen Teil des Changemanagements darstellt, mit dem sich die Bibliotheken für die nächsten Jahrzehnte zu Partnern in Bildung, Wissenschaft und Kultur machen.

Die akribische, fundierte Arbeit ist allen Bibliotheksleitern und -mitarbeitern, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wärmstens zu empfehlen.

Für künftige Graduierungsarbeiten empfiehlt der Rezensent zwei Themen:

1. Das Ladenschlussgesetz und der Bibliothekssonntag. Es ist zu prüfen, ob die Öffnung von Bibliotheken am Sonntag nicht gar auf die einfache Formel "Bibliotheken als Lebens-Mittel und Tankstellen für Geist und Seele" gebracht werden kann und welche Folgen dies für eine Öffnung der Bibliothek an allen Tagen haben könnte.

2. Weitere Untersuchungen zur Geschichte der Öffnungszeiten, z.B. in den früheren sozialistischen Ländern (der Rezensent kann sich noch gut an die Diskussionen in Ungarn in den 1970er erinnern, in die er recht unvorbereitet involviert war) und in den Leihbibliotheken als kommerzielle Bibliotheken (so einfach, wie es mit den Öffnungszeiten der Leihbibliotheken in einer Quelle aus dem 20. Jahrhundert1 klingt, war es offensichtlich nicht, wie ein Fund aus dem 19. Jahrhundert2 zeigt).


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier

Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


1 "die Leihbüchereien sind am Sonntag auch nicht geöffnet" vgl. Witsch, Joseph Caspar: Öffnungszeiten und Ausleihzahlen. In: Die Bücherei (1942) S. 220.

2 Die Frege`sche Leihbibliothek in Güstrow gab auf einem Plakat (!) aus dem Jahr 1839 u.a. auch Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen bekannt: "Sonn= und Festtage. Vormittags von 8 bis 9 und von 11 bis 12 Uhr. Nachmittags von 3 bis 5 Uhr." (Diese Rarität ist in der Museumsbibliothek Güstrow vorhanden. Signatur R 450) - Eine Öffnung der Leihbibliothek verbot sich offensichtlich während des Gottesdienstes und der nachmittäglichen Ruhezeiten, Vgl. Schmidmaier, Dieter: Leihbibliotheken in Güstrow zur Goethezeit. In: Mecklenburgische Jahrbücher 115 (2000) S. 205.