Editorial
Aufruhr in Baden - der Handschriftenstreit

Wie schon Mitte des 19. Jahrhunderts, als Bürger und Abgeordnete Badens außerparlamentarisch und revolutionär auf die Straße gingen, um für mehr Demokratie und die Pressefreiheit zu kämpfen, so sorgte auch jetzt der bekannt gewordene Plan der Landesregierung zum Verkauf einzigartiger Handschriften für Aufruhr in Baden und darüber hinaus in Deutschland,, ja sogar weltweit! Was war geschehen?

Das Haus Baden, d.h. die Nachfahren des 1918 abgedankten Großherzogs Friedrich II. waren wieder einmal hochverschuldet und wollten, wie bereits 11 Jahre zuvor, als sie Kunstschätze und Inventar ihres Neuen Schlosses in Baden-Baden durch Sotheby’s versteigerten, um endgültig saniert zu sein, ihre jetzt erneut anstehende Insolvenz, die Ihrem Stammsitz Schloss Salem drohte, durch den Verkauf weiteren Eigentums abwenden. Dabei hatten sie aber nicht ihre Ländereien, Wälder oder Weinberge im Auge, sondern Zimelien, die sie im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hatten und die sich in der Obhut der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe befinden und auf die sie Eigentumsansprüche erheben. Nach wie vor, so ergab die Mehrheit der Rechtsgutachten dazu, ist diese Eigentumsfrage bislang ungeklärt.

Die Höfischen Buchsammlungen, sie reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück, haben sich durch Sammelleidenschaft, Heirat und Erbschaft bis ins 17. Jahrhundert zu einer ansehnlichen Hofbibliothek entwickelt, die 1803 noch einen enormen Zuwachs erhielt als die Klöster und geistlichen Fürstentümer aufgelöst wurden. 1872 schließlich wurde die Großherzogliche Hofbibliothek verstaatlicht und als Großherzogliche Hof- und Landesbibliothek dem Innenministerium unterstellt, allerdings ohne dass die Eigentumsfrage beim Übergang vom Großherzog auf das Großherzogtum geklärt wurde. Auch 1918, mit dem Ende der Monarchie und Einrichtung der Badischen Landesbibliothek (BLB) wurde diese Frage nicht, wie in anderen Ländern, eindeutig gelöst, so dass das Haus Baden heute Eigentumsansprüche an diese Sammlung in der Obhut der BLB erhebt, mit einem geschätzten Wert von 250-300 Mio Euro.

Der letzte Großherzog Friedrich II. hatte in seinem Testament die Sammlung seiner Frau vererbt, mit der Auflage, dass diese nach deren Tod (gest.1952) in die ‚Zähringer Stiftung’ übergehen solle, um sie als Ganzes zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bis heute ist trotz zahlreicher Rechtsgutachten ungeklärt, ob die Stiftung aus formalen Gründen überhaupt zustande gekommen ist und ob diese nicht schon deswegen hinfällig sei, weil durch den Thronverzicht des letzten Großherzogs 1918 das ‚Patrimonialeigentum’ auf den Rechtsnachfolger Republik Baden übergegangen ist. Dieser Auffassung trat das Haus Baden mit ihren Eigentumsansprüchen immer entgegen und wollte nun durch den Verkauf von Teilen dieser Sammlung Mittel frei bekommen, um sich zu entschulden und ihren Stammsitz Schloss Salem damit zu sanieren.

Dazu handelte das Land Baden-Württemberg, wie kürzlich erst bekannt wurde, mit dem Haus Baden einen Vergleich aus, nach dem ein Teil der beanspruchten Handschriftensammlung der BLB im Wert von ca. 70 Mio Euro verkauft werden sollte und damit gleichzeitig alle Eigentumsansprüche des Fürstenhauses abgegolten seien. Der Ministerpräsident wollte damit einen vermutlich langen und teueren Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang vermeiden und Rechtssicherheit für den Rest der Sammlung erreichen und mit dem Erlös das Kulturdenkmal Schloss Salem sanieren. Aber er hatte nicht mit dem vehementen und geschlossenen Proteststurm, quasi einem Aufruhr, gerechnet, den dieser Deal auslöste: Wissenschaftler, Bibliothekare, Handschriftenexperten, Literaten und Professoren aus aller Welt, Bibliotheken und ihre Verbände sowie andere Institutionen wie z.B. die DFG, die gesamte Medienvielfalt und nicht zuletzt die Bevölkerung (mit Leserstimmen und Unterschriftenaktionen) protestierten heftigst gegen dieses Vorhaben, Kulturschätze zur Finanzmasse des Staates zu machen, was der BLB letztendlich des Kernes ihrer historischen Sammlungen beraubt hätte, eines einzigartigen wissenschaftlich und künstlerisch wertvollen Bestandes, in dem sich sogar Stücke befinden, die verdächtig sind, in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen zu werden. Dies führte nun rasch zum Umdenken des Ministerpräsidenten, der an der Abmachungen festhalten wollte, um den Restbestand für das Land zu sichern, aber nun ein anderes Finanzierungsmodell entwickelte.

Nach diesem sog. 3-Säulen-Modell sollten von den 70 Mio Euro zum dauerhaften Erhalt des Schlosses Salem akut benötigte 30 Mio Euro auf dreierlei Art zu je 10 Mio Euro aufgebracht werden:

  • eine Säule bestünde aus Sponsoren aus der Wirtschaft und Spenden von Privatpersonen
  • eine zweite aus einem Beitrag des Landes, nicht aus Haushaltsmitteln oder Schuldenaufnahme, sondern ein von der Landesstiftung bereitgestellter Betrag
  • die dritte Säule schließlich bestünde aus einem Solidaritätsbeitrag der Kultureinrichtungen

Auch dieses Säulenmodell, das nun nicht mehr die Finanzierung aus dem Handschriftenverkauf vorsah, rief bald Widerstand hervor: Bei den Sponsoren, die einzelne Objekte der Handschriftenabteilung durch Kauf als Eigentum erwerben sollen, um diese dann als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen, entsteht doch das gleiche Problem wie beim Haus Baden, denn das fremde Eigentum unterliegt bei Insolvenz dem Zugriff der Gläubiger – und wie viel Banken, Versicherungen und Firmen kamen schon in Insolvenz! – Bei der Landestiftung handelt es sich um eine gemeinnützige GmbH des Landes, die durch Projekte die Zukunftsfähigkeit des Landes Baden-Württemberg sichern sollen. Die Stiftung hat jährlich ca. 100 Mio Euro an Projektmitteln zu Verfügung, wovon nach Meinung des Aufsichtsratsvorsitzenden und Ministerpräsidenten 10 Mio Euro in die zweite Säule fließen soll. Dazu müssten etliche Projekte gestreckt werden, was bereits den Protest der betroffenen Projektträger hervorrief. – Bei dem geforderten Solidarbeitrag der Kultureinrichtungen folgte sogleich ein Aufschrei der Bibliotheken, da sie bei Abgabe eines Teils ihres Anschaffungsetats den Stand der Aktualität für Forschung und Lehre nicht mehr gewährleisten könnten, zudem hat die BLB über Jahrzehnte bereits erhebliche Vorleistungen getätigt durch Katalogisierung, Erschließung und Verfilmung dieses Bestandes sowie ihn vermehrt und ergänzt durch eingeworbene Drittmittel von Sponsoren und durch Spendern.

Aber trotz all dieser Bedenken scheint das 3-Säulen-Model in Gang zu kommen: erste Sponsoren mit Millionenbeträgen haben sich bereits gemeldet. Im Januar will der Ministerpräsident mit einer Spendengala den Spendenfluss in Gang setzen. Die Landesstiftung hat den gewünschten Betrag bereits gebilligt. Und erste Museen haben auf die Hälfte ihres Anschaffungsetats verzichtet.

Ende gut, alles gut? Ja und nein! Der Handschriftenverkauf scheint vorerst abgewendet und wenn alles gut geht, der historische Bestand als Ganzes für die Öffentliche Hand und die BLB gesichert. Aber neue Wolken im Kulturgüterstreit zogen auf, als in jüngster Zeit bekannt wurde, dass einige Kunstwerke (immerhin im Wert von 10 Mio Euro), die im Rahmen des Vergleichs dem Haus Baden abgekauft werden sollten, dem Land schon längst gehörten. Der ‚Aufruhr’ entfachte sich neu mit der Forderung, den geplanten Vergleich ganz aufzugeben, während die Oppositionsparteien im Landtag dringendst einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss fordern. Die in Not geratene Landesregierung setzte flugs eine interministerielle Arbeitsgruppe ein, um zu klären, wem eigentlich was gehört! Der Streit ist damit also noch nicht ausgestanden und die Gefahr längst nicht abgewendet, zumal sich solche Ungeklärtheiten bezüglich der Eigentumsverhältnisse von Kulturgütern auch in anderen Bundesländern zeigen, z.B. in Sachsen, wo die Wettiner die Rückgabe von Kulturgütern vom Freistaat fordern! So ist es auch nicht zu spät, dass sich diese Zeitschrift den Protesten der Bibliotheken und ihrer Verbände, des Deutschen Kulturrates und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie vieler weiterer Institutionen gegen den Zugriff auf ihre historischen Bestände anschließt. Wir werden zudem ein waches Auge auf die weitere Entwicklung haben und gegebenenfalls darüber berichten und dagegen protestieren.!

Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur