Google an die Macht!

Ein etwas anderer Streifzug durch die digitale Informationswirtschaft auf der
58. Frankfurter Buchmesse mit parallel veranstalteter 28. Online Tagung der DGI

von Vera Münch

7272 Aussteller beteiligten sich an der 58. Frankfurter Buchmesse. Gut 300.000 Menschen füllten das Messegelände - und trotzdem traf man ständig auf ein- und dasselbe Unternehmen und sogar auf den selben Mann: Auf Google und Jens Redmer, Direktor Google Book Search, Europa, Mittlerer Osten und Afrika. Gerade einmal acht Jahre alt, rollt Google mit 3000 Angestellten die Weltmärkte für Informationsvermittlung und Werbung auf. Und alle helfen mit.

Es fing schon zu Hause an: Auf dem Träger der Eintrittskarte zur Buchmesse 2006 prangte Werbung für Google's Buchsuchmaschine Book Search. Beim Pressebriefing in Frankfurt am Main galt dann der allererste Hinweis des Veranstalters einer Pressekonferenz zum neuen Google Literacy Project (mehr dazu am Ende des Beitrages). "We specialize in advertising", etwa: "Unser Kerngeschäft sind Anzeigen" beschrieb Book Search Direktor Redmer bei einem Vortrag im Innovationsforum das Google-Geschäftsmodell. Zur Podiumsdiskussion "eBooks auf dem Weg ins nächste Jahrzehnt", veranstaltet von Springer Science + Business Media, war Google natürlich auch eingeladen. Der angekündigte Jim Gerber, Direktor Content Partnerships, kam nicht. Redmer vertrat ihn - und seine Meinung zur Zukunft des Buches: "Kein Medium tötet ein anderes".

Um den "Rohstoff digitale Information" und "Was dient dem Forschungsstandort Deutschland?" ging es im Forum Innovation bei einer Veranstaltung, zu der die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Technische Informationsbibliothek (TIB) Hannover geladen hatten - vor allem, um die neuen DFG-Nationallizenzen vorzustellen und mit Hochschulen, Verlagen, Bibliotheken und Anwendern über den Zugang zu elektronischer Fachinformation zu diskutieren. Die DFG hat Paketlizenzen für Content bis 2002 gekauft und stellt die Inhalte Bibliotheken zur Verfügung. Im Rahmen der Diskussion begründete Derk Haank, CEO von Springer, unter anderem, warum der Wissenschaftsverlag seine Bücher über Google Book Search suchbar macht: "Je mehr unseren Content finden, umso besser." Ein überzeugender Grund. Auch Elsevier stellt deshalb die Metadaten zu seinem Buchprogramm in die Suchmaschine ein und kleinere Verlage können da erst recht nicht nachstehen. Ausgelöst haben den Boom Universitätsbibliotheken und -verlage, die ihre elektronischen Kataloge und viele Volltexte für die Fachaufsatz-Suchmaschine Google Scholar und danach die Bücher für Google Book Search öffneten. Scharen weiterer Bibliotheken folgten. Manche Universitäten lassen Google heute sogar direkt auf ihre zentralen (Webservice) Wissensspeicher - die Repositories - zugreifen.

Physisch in Halle 8 mit einem der größten Stände der Buchmesse vertreten, war Google auf der 58. Frankfurter Buchmesse virtuell auf unzähligen Ständen und hinter -zig Bildschirmen anzutreffen - und beschäftigten auch die 28. DGI Online Tagung, die erstmals parallel zur Buchmesse veranstaltet wurde. Auf diesem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Informationswirtschaft und Informationspraxis e.V. (DGI) wurde die Suchmaschine von mehreren Vortragenden als Messlatte für Benutzungsfreundlichkeit und Vorgabe für die Zukunftsstrategien der Verlage dargestellt. An Google kommt niemand mehr vorbei.

Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran

Nicht nur in diesem Punkt spiegelte die 58. Frankfurter Buchmesse den Digitalisierungsprozess der Informationsbranche wider. Auch im Ausstellungsspektrum war er unübersehbar. Wie selbstverständlich sind CD-ROMs, DVDs, Hörbücher, Sprach-, Aus- und Weiterbildungskurse, multimediale Enzyklopädien, Online-Datenbanken und eBooks ins Sortiment von Verlagen und Buchhandels-Dienstleistern hineingewachsen; werden auf den Messeständen Seit’ an Seit’ mit dem gedruckten Buch präsentiert. Sechs Prozent des Buchmarktes, so Buchmesse-Direktor Jürgen Boos, gehören bereits dem Hörbuch. Insgesamt stellten die elektronischen Medien ein Drittel des Angebotes der Buchmesse 2006, darunter so spannende Produkte wie das vollständig digitale wissenschaftliche Fachbuch, das man online im Bibliotheksnetz mit einem Standard-Browser lesen und in dessen Tabellen man interaktiv rechnen oder mit Strukturbildern experimentieren kann (www.knovel.com).

Springerlink.com mit 12.000 eBooks

Springer widmete seinen neuen eBooks die prominenteste Ecke des Messestandes direkt am Haupteingang der Halle 4.2. "Springer ist bei dieser zweiten weltweiten Welle von eBooks zum ersten Mal dabei - dafür aber jetzt ganz groß eingestiegen", so Renate Bayaz aus der Springer Presseabteilung. Das Programm startet mit 12.000 voll digital verfügbaren Büchern. Jährlich sollen weitere rund 3000 englischsprachige und etwa 700 deutsche Titel hinzukommen. Die Bücher werden in Form thematischer Buchpakete angeboten, jedoch nicht im Lizenz-Abonnement, wie man das bisher kannte, sondern nach einem sogenannten "Ownership-Modell". Dabei erwirbt der Käufer den Content für immer. Der Zugriff auf den einmal bezahlten Inhalt bleibt dauerhaft erhalten. Das Angebot gilt nur für Bibliotheken, nicht für Endnutzer. Die eBooks sind in die eingeführte Plattform Springerlink.com integriert. Über diesen Zugang bietet Springer seit Jahren seine Fachzeitschriften mit sehr gutem Erfolg elektronisch an.

Auch die anderen Wissenschaftsverlage arbeiten an der Integration ihrer elektronischen Angebote, um sie unter einer einheitlichen Oberfläche zugänglich zu machen. Sie sind aber noch nicht so weit. Elsevier rechnete damit, eine voll integrierte Lösung auf der Fachmesse Online Information Ende November in London vorstellen zu können, war auf dem Messestand zu erfahren. Der Thieme-Verlag, der mit seiner E-Book-Library bemerkenswert gute elektronische Zugriffslösungen auf die Inhalte seiner medizinischen Fachbücher im bestehenden Programm hat, kalkuliert noch drei bis vier Monate, bis die Fachzeitschriftenplattform thieme-connect.de auch den Weg zu den elektronischen Büchern frei macht. Die Verlage entwickeln also auch ihre direkten elektronischen Vertriebsschienen mit hoher Priorität weiter.

Beste Stimmung in Halle 4.2

In der der traditionellen "Electronic" Halle des Frankfurter Messegeländes, der Halle 4.2. mit dem Ausstellungsprogramm der Fach- und Wissenschaftsverlage sowie Anbietern von Informationsmanagement und -produkten, herrschte beste Stimmung. Springer Science + Business Media, WoltersKluwer, Elsevier und de Gruyter präsentierten ihr Produktportfolio dort neben kleinen Fach- und Universitätsverlagen, Fachdatenbank-Anbietern wie GBI-Genios und FIZ Karlsruhe, Anbietern von Bibliotheksmanagementsoftware wie Ex Libris, Initiativen und Entwicklungsprojekten zu Electronic Publishing und zur Langzeitarchivierung sowie Agenturen. Der Bibliotheksdienstleister Swets Information Services feierte auf der Messe seinen 105. Geburtstag. Das Unternehmen verbindet 60.000 Verlage mit 65.000 Bibliotheken, Informationszentren, Einkäufern und Anwendern auf der ganzen Welt. Die Dienstleistungen sind voll elektronisch durchorganisiert.

Die Atmosphäre in der Ausstellungshalle erinnerte stark an die Euphorie der beginnenden 90er Jahre, als die Frankfurter Buchmesse eben dort die elektronischen Medien erstmals ins Rampenlicht stellte. Damals setzten alle auf die neuen Technologien und brachen mit großer Begeisterung ins elektronische Informationszeitalter auf. Mit der Erkenntnis, welche gewaltigen Aufgabe der Transformationsprozess von gedruckt zu digital im globalen Umfeld des Internets darstellt, welche Investitionen notwendig sind, welche Herausforderungen die rasant fortschreitenden technologischen Entwicklungen mit sich bringen und wie viel Aufklärungs- und Schulungsbedarf die unbekannten Netztechnologien auf Seiten der Anwender erforderten, ebbte die Begeisterung deutlich ab. Buchmesse und digitale Informationswirtschaft gingen wieder getrennte Wege; die großen Verlage nahmen ihre elektronischen Produkte aus dem Buchmesse-Ausstellungsprogramm oder widmeten ihnen nur noch eine kleine, unscheinbare Ecken. In der Informationsbranche setzte ein Konzentrationsprozess ein, der viele Pioniere verschwinden lies. Zahlreiche landeten unter dem Dach der Thomson Corporation; heute nach eigenen Angaben "the world’s leading information resource", die führende Informationsquelle der Welt. Zur Jahrtausendwende brachte dann der Niedergang der völlig überspannten New Economy einen zusätzlichen Nackenschlag: alles, was digital war, wurde in einen Topf geworfen.

DGI bringt Theorie und Praxis zusammen

Die Durststrecke scheint überstanden. Die digitalen Medien haben ihren Platz im Verlagsprogramm gefunden. Normalität kehrt ins Wirtschaftsleben zurück - und auf der Buchmesse 2006 kam nun wieder zusammen, was zusammen gehört: Die traditionelle Verlagsbranche und die digitale Informationswirtschaft.

Aktiv um dieses Zusammenwachsen bemüht hatte sich im Vorfeld der Messe die Fachgesellschaft DGI. Sie vereinbarte mit der Frankfurter Buchmesse eine Kooperation, veranstaltete ihre traditionelle Online Tagung parallel zur Messe und riet ihren Firmenmitgliedern, auf der Buchmesse auszustellen. Die Präsidentin der DGI, Professor Dr. Gabriele Beger, erläuterte die Motivation: "Durch die Kooperation bringen wir Theorie und Praxis zusammen. Während sich in der Halle 4.2. die Anbieter mit neuen Produkten und Lösungen präsentieren, werden zeitgleich im Congress Center Theorie und Praxis vorgetragen, diskutiert und neue Anforderungen an die Anbieter formuliert."

Aussteller aus der Informationswirtschaft positiv überrascht

Vorausgegangen waren lange Beratungen mit einem Ausstellerbeirat, bei denen deutliche Skepsis geäußert wurde, ob denn das eigene Angebot nicht im Buchmesse-Trubel untergehen würde und ob nicht die hohen Preise zur Buchmesse potentiell Interessierte von einem Kongressbesuch abhalten würden. Beides erwies sich als unzutreffend. Rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten den DGI Fachkongress und hatten freien Eintritt zur Messe. Fast alle Unternehmen der traditionellen Fachinformationsbranche stellten aus - und gaben sich am Ende durchwegs zufrieden. "Wir waren positiv überrascht. Die Halle 4.2 war ein grandioser Erfolg", fasste Rüdiger Mack, Leiter Presse- und Kommunikation bei FIZ Karlsruhe, die Eindrücke zusammen. Mack sieht "gutes Potential für die Neukundenakquisition". Es hätte gute neue Kundenkontakte, aber auch sehr gute Business-to-Business-Kontakte gegeben. "Nicht nur die Rechercheprofis, die sonst auf Messen zu uns an den Stand kommen, sondern Buchmesse-Publikum und Aussteller haben uns besucht", so Mack.

Auch Buchmesse-Direktor Jürgen Boos zog am letzten Messetag eine durchwegs positive Bilanz: "Für die Verlagsbranche war die Frankfurter Buchmesse eine lebhafte und von Optimismus geprägte Arbeitsmesse. Die Stimmung in den Messehallen war hervorragend. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels charakterisierte sie mit den Worten "gelassen, solide, arbeitsreich und voller intellektueller Reize". Die Ergebnisse der Ausstellerbefragung bestätigen laut Buchmesse "einen großen wirtschaftlichen Erfolg". Danach hat sich die Zahl der Geschäftsanbahnungen äußerst positiv entwickelt. Die Einbindung der Online Tagung der DGI hätte sowohl für die Tagung als auch für die Frankfurter Buchmesse einen Mehrwert geschaffen und würde im nächsten Jahr fortgeführt.

Google, Blogs, Wikis: Große Herausforderungen für Verlage

Vielleicht lag es an dieser durchwegs positiven Stimmung, dass die immer deutlicher sichtbare Übermacht von Google bei der Regelung des Zugangs zur Information vom sonst so kritischen Buchmesse-Publikum und der Literaturjournaille kaum wahrgenommen und so gut wie gar nicht kommentiert wurde. Auch von den Ausstellern und von Seiten der Information Professionals hörte man wenig zu diesem Thema. Nur Erhard F. Heinold, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Heinold, Spiller & Partner sprach auf der DGI Online Tagung einige der Fragen an, auf die es noch keine Antworten gibt, die aber schon jetzt den Weltinformationsmarkt aufmischen. In seinem Vortrag "Google, Blogs, Wikis - Welche neuen Herausforderungen gibt es für Publisher durch Web 2.0" brachte er auf den Punkt, um was es wirklich geht: "Wer wird in Zukunft mächtiger sein: Der, der den Inhalt bereitstellt oder der, der den Zugang bereitstellt?"

Nach Heinolds Darstellung ergeben sich aus dem Web 2.0, dem interaktiven "Mitmach-Web", für Verlage zwei bedrohliche Entwicklungen: "User Generated Content" - die Informationen, die Webbenutzer in Webtagebücher (Blogs) und interaktive Enzyklopädien (Wikipedia u.ä.) einstellen. Dieser von den Anwendern hergestellte Inhalt ersetzt bzw. entwertet seiner Meinung nach Verlagsinhalte "wenn Blogs aktueller als Nachrichten und Wikis umfangreicher als Lexika sind - dann stellt sich die Frage, welche Inhalte Verlage zukünftig noch verkaufen können". Die zweite Gefahr beträfe die Werbeeinnahmen. Web 2.0 Anwendungen böten immer zielgenauere Zugänge für Werbekunden und nähmen den Verlagen Werbeumsätze weg.

MySpace und YouTube: Millionen Adressen. Milliarden wert

Die zielgenaue Ansprache von Menschen, zu deren Interessen das Produkt eines Unternehmens passt, ist seit Jahrzehnten ein großes Geschäft. Die Adressen werden für teures Geld gehandelt. In der "alten Welt" konnten solche Interessentenprofile nur durch aufwendige Marktforschung ermittelt und in mühevoller Datenerfassung protokolliert und erstellt werden. Das hat sich gewaltig geändert. Leichten Herzens geben die Internetbenutzer heute selbst ihre persönlichen Daten und Interessen in Community-Plattformen ein, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie beschreiben sich selbst in dem Glauben, dies diene dazu, mit ihresgleichen übers Web Interessen zu teilen und Informationen auszutauschen. Was ja zunächst auch einmal so stimmt. Aber irgend jemand sitzt an den Schaltern der Computer, auf denen die Daten gespeichert sind.

Wie sehr sich das lohnen kann, haben vor wenigen Wochen die Erfinder und Betreiber von MySpace und YouTube einem internationalen Publikum vorgeführt. Sie vergoldeten "ihre" Community-Datenbestände: MySpace - eine der weltgrößten Internet-Communities mit Schwerpunkt Musik - wurde nach Aussage von Heinold für 580 Millionen US Dollar an Rupert Murdochs News Corporation verkauft. 60 Millionen Nutzer sind bei MySpace mit ausführlichen Profilen registriert; das heißt, sie können werbetechnisch über das Internet per Mausklick angesprochen werden. Im Anzeigengeschäft sind die Zielgruppendaten vermutlich locker das Doppelte ihres Kaufpreises wert. Heinold vermutete denn auch, Murdoch hätte den Anzeigenraum in MySpace bestimmt schon an Google angeboten. "Nach Schätzungen wird Google Deutschland 2006 so viel Werbeumsatz erzielen wie der Verlagskonzern Gruner & Jahr", so Heinold. Das war allerdings noch bevor die Nachricht über den Ticker kam, dass Google selbst YouTube gekauft hat, eine Community, die sich auf die Verbreitung privater Videoclips spezialisiert hat. 70 Millionen - vermutlich vornehmlich junge Menschen - benutzen sie. Zwei junge Männer haben durch den Verkauf der Daten ihrer Community-Partner über Nacht ausgesorgt. Um aus den Nutzerdaten und dem Surf-Verhalten zielgenau Interessensgruppen heraus zu filtern, bedarf es noch nicht einmal eines besonders guten Algorithmus'. Der Datenschutz ist mausetot. Aber das ist noch einmal ein ganz anderes Thema.

Die Bücher der Welt unter einer Oberfläche

Das Hauptprodukt, für das Google auf der Buchmesse warb, war natürlich die Buchsuchmaschine Google Book Search, vorgestellt in der Beta Version. "Promote your books on Google" - Werben Sie für Ihre Bücher auf Google, oder, freier formuliert: Lassen Sie doch Google für Ihre Bücher Werbung machen. Ein Angebot, dass die internationale Verlagsbranche, Hochschulbibliotheken, Literaturverkäufer und -vermittler wie schon erwähnt extrem reizt, denn einen weitreichenderen Vertriebsweg als die beliebte Suchmaschine mit Milliarden Nutzern aus der ganzen Welt gibt es nicht. Deshalb stellen sie die Metadaten zu ihren Büchern Google zur Verfügung und schalten den Zugriff auf den Inhalt so frei, das von den gefundenen relevanten Buchstellen Volltextauszüge online angezeigt werden können. Das heißt, ein Stichwort führt den Informationssuchenden exakt zu der Stelle im Buch(kapitel), in der das Wort steht und zeigt eine oder mehrere Seiten des Kontexts. Wie viele Bücher schon so für den Zugriff bereitstehen, ist nicht bekannt. Es müssen jedoch riesige Mengen sein, wie Testrecherchen zeigen. Google bietet den Verlagen direkt zum gefundenen Eintrag Werbefläche mit aktiven Links an - und auf der DGI Konferenz war zu hören, dass auch ein Bezahlsystem für Google in Entwicklung ist. Für welche Produkte genau, war nicht zu erfahren.

(Screenshot Book Search Ergebnis - Screen 1 Buchmesse)

The Literacy Project: Ein Mäntelchen um alle Google-Spezialsuchmaschinen

Ja, und dann war da noch die Pressekonferenz, zur der das UNESCO Institute for Lifelong Learning (UIL), die Frankfurter Buchmesse (im Rahmen ihrer neuen LitCam Alphabetisierungskampagne) und Google gemeinsam eingeladen hatten, um "The Literacy Project" zu starten. Zur Unterstützung des Starts waren zur Pressekonferenz auch Chris Meade und Neil McClelland gekommen, beide Direktoren englischer nationaler Leseförderungsinitiativen. Meade ist Direktor of National Booktrust, McClelland, Director of National Literacy Trust in Großbritannien.

Nach den Darstellungen auf der Pressekonferenz und in der Pressemeldung ist "The Literacy Project" ein Projekt zur Grundbildung und Alphabetisierung. Es wendet sich an Lehrer, Organisationen, die sich mit Grundbildung und Alphabetisierung beschäftigen und an alle, die sich für das Lesen und die Bildung einsetzen. "The Literacy Project" will - so die Presseinformation - Internetnutzern die Möglichkeit bieten, Quellen und Materialien zu diesem Thema weltweit abzurufen und weiterzugeben - von E-Learning-Videos über Bücher zum Thema Alphabetisierung, Groups zum Thema Lesen und wissenschaftliche Artikel bis zu relevanten Blogs. Mit der Google-Maps-Funktion können Besucher weltweit nach Alphabetisierungsprojekten suchen.

Aufmerksam gelesen? Ja? Genau! Das Projekt ist ein Portal, von Google kostenlos bereitgestellt mit einer deutschen und einer englischen Oberfläche. Die UNESCO - die "United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization" - hat Google dafür die Daten aller ihrer weltweit betriebenen Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt und ruft die Bildungsträger auf, ihre Bildungsinhalte selbst in das Portal einzustellen. Neben diesen umfassenden Informationen über die Bildungseinrichtungen sind auch schon die ersten Videos über Bildungsprojekte (auch deutsche) auf der Plattform zu finden.

All in one: Book Search, Scholar, Video, Maps, Blogs und Groups

Um die Tragweite dieser auf dem ersten Blick guten Idee und Tat zu verstehen, muss man sich das Portal einfach nur ansehen: "Materialien für Lehrer, Alphabetisierungsverbände und alle, die sich für Lesen und Bildung interessieren, bereitgestellt in Zusammenarbeit von LitCam, Google und dem UNESCO Institut für Lebenslanges Lernen", steht da zur Begrüßung und darunter die Aufforderung: "Finden Sie Bücher, Artikel und Videos zum Thema Lesen, oder starten Sie ihre eigene Lern- und Lesegruppe!" Google stellt in dem Portal alle Werkzeuge bereit, die man für dafür braucht: Buchsuche, Scholar, Video, Maps, Blogger und Groups.

Vorsicht, Hotelfalle!
Zu Messe-Zeiten gelten in Hotels andere Storno-Regelungen als normal. Welche, das steht irgendwo in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs), oft als Anhang auf der X-ten Seite der Homepage. Was das in der Praxis bedeutet, darauf kommt man nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Eine teure Erfahrung, die mehrere Besucher der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr machen mussten: Ihre - unter normalen Umständen sehr langfristige - Zimmerstornierung wurde zwar angenommen und bestätigt, allerdings mit dem Vermerk, dass man sich vorbehalte, "Stornogebühren in Rechnung zu stellen, falls das Zimmer im freien Verkauf für die betreffenden Tage nicht zu vermieten ist." Dass Stornogebühren allerdings zu Buchmesse-Zeiten bedeutet, dass man nach der Messe den vollen Zimmerpreis bezahlen muss, wenn das Hotel nicht ausgebucht ist, darauf wird nicht verwiesen. Es steht ja, wie schon erwähnt, irgendwo in den AGBs.

Gut, probieren wir das Angebot einmal aus: Wie wäre es denn zum Beispiel mit dem Kurzaufsatz "Ionische Flüssigkeiten für die Synthese funktioneller Nanopartikel und anderer anorganischer Nanostrukturen", veröffentlicht in Wiley InterScience von Markus Antonietti, Daibin Kuang, Bernd Smarsly und Yong Zhou? Ist doch bestes Material zur Alphabetisierung, oder? Noch ein Buchbeispiel gefällig? Da wäre "Business-process- und Workflow-management: Prozessverbesserung durch Prozess-Management" von Cornelia Richter von Hagen und Wolffried Stucky, verlegt von B. G. Teubner. Und auch der Titel "Strategisches Direktmarketing in der Gebrauchsgüterindustrie unter Einfluss des Database Marketing" klingt als Basisliteratur für die Grundbildung in der Wirtschaft des Informationszeitalters sehr gut. Marc Oschmann hat es geschrieben, DUV hat es verlegt. Oschmann zitiert darin die Direkt-Marketing-Definition des Wissenschaftlers D. Bird: "Direct Marketing is any activity which creates and exploits a direct relationship between you and your prospect or customer as an individual."

Es geht beim Literacy Project wie gesagt um Grundbildung und Alphabetisierung. Themen, zu denen sich im neuen Portal sicherlich auch viel Material finden lässt. Aber eben nicht ausschließlich. Google schaltet in "The Literacy Project" alle seine Spezialsuchmaschinen mit den dahinter liegenden Quellen zusammen: Die Buchsuchmaschine Google Book Search, die Suchmaschine für wissenschaftliche Aufsätze Google Scholar, Google Maps, um die eingetragenen Bildungseinrichtungen zu finden, Video, um eine Plattform für Filme (zu Bildungsthemen) zu bieten und natürlich Blogs und Groups, damit die Nutzer eine Welt-Bildungscommunity aufbauen können. Vor diesem Hintergrund gewinnt Redmer’s Beschreibung des Google Geschäftsmodells "We specialize in advertising" noch einmal eine besondere Note. Über die MySpace und YouTube Geschäfte kann man in diesem Zusammenhang ruhig auch noch einmal etwas nachdenken. Google sichert sich Schritt für Schritt eine unbeschreibliche Machtposition beim Zugriff auf das Wissen der Welt. Technisch ist eine solche Konzentration höchst bedenklich: Aus den Datenspuren kann man zum Beispiel leicht herauslesen, in welchem Land welches Wissen am meisten gesucht und abgefragt wird, analysiert bis auf eine hochfeine Ebene. Die Reihenfolge der Anzeige gefundener Treffer - das so genannte Ranking - wird vom Suchmaschinenbetreiber durch Algorithmen gesteuert. Google gibt über seine Algorithmen wenig Auskunft. Eine Nachfrage auf der Pressekonferenz wurde mit der Antwort beschieden: "Wir arbeiten ständig an der Verbesserung unserer Ranking-Algorithmen."

Schwule Literatur für die Grundbildung

Doch zurück zum Literacy Project Portal und der dort bereitgestellten Blogger-Seite: "Teilen Sie Ihre Erfahrungen mit der Welt, indem Sie ein Blog erstellen - Schreiben Sie kurze Artikel und Geschichten, damit andere sie lesen können", werden die Besucher aufgefordert. Es gibt auch Tipps, wie das geht und worüber man schreiben könnte: "Erstellen Sie ein schulinternes Blog, um Alphabetisierungsprojekte und Ideen zu diskutieren." "Bloggen Sie über Ihre Lieblingsbücher." "Beginnen Sie ein gemeinschaftliches Blog, um Ideen mit anderen Alphabetisierungsorganisationen oder Schulen in anderen Teilen dieser Welt auszutauschen."

Klingt einladend. "Das Literacy Project" hat denn auch bereits jetzt eine aktive Bloggercommunity. 30.376 mit dem Wort Literatur übereinstimmende "Posts" waren am 20. Okober 2006 eingetragen. Über dem Tagebuch standen ein paar thematische Links, die zum Beispiel zum Online-Literaturcafe der Frankfurter Buchmesse führten, zu "Literatur und Seitenwahn", einem Link zum Schreibforum "Blogigo", ein Link zu einer ausländischen Seite in vermutlich indonesischer oder vergleichbarer asiatischer Sprache und deshalb für Asiatisch-Analphabeten nicht lesbar, und zu guter Letzt ein Link zu "Schwuler Literatur", der Homepage und dem Blog einer Homosexuelleninitiative. Rechts oben in der Ecke prangt dort eine Anzeige für den MS - Männerschwarm Verlag. Sie ist aktiv verlinkt und führt den bildungshungrigen Buchsucher zu Gaybooks, dem Webshop der Schwulen Buchläden. Dort gibt es Fachliteratur zu allen spezifischen Fragen.

Offene Foren sind eben grenzenlos. Auch wenn sie der Grundbildung und Alphabetisierung der Welt gewidmet sind. Es wird spannend zu beobachten, wie es mit "The Literacy Project" weiter geht.


Zur Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

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