Arbeit als Motiv utopischer Literatur - Arbeit ist die Religion unserer Zeit


Abstract

Die Vertreibung aus dem Paradies
Utopia etc.
Maschinenhelfer
Menschenartige Arbeiter
Arbeitsethos und Freizeit

von Georg Ruppelt

Die Vertreibung aus dem Paradies

Sind es recht eigentlich nicht nur zwei Antriebskräfte, welche die Entwicklung, den Fortschritt des Menschengeschlechts bestimmen, nämlich erstens der Selbsterhaltungstrieb und zweitens die Faulheit? Wenn man es etwas differenzierter haben will, könnte man die erste Triebkraft unterteilen in Aktionen des Menschen, um zu Nahrung, zu Essen und Trinken zu gelangen bzw. um durch Verteidigung zu verhindern, dass man selbst als Nahrung dient. Zu dieser Antriebskraft wären auch die Aktivitäten zur Fortpflanzung zu zählen oder jedenfalls das, was um die ursprüngliche Fortpflanzungabsicht herum geschieht, die Rede ist von der Sexualität. Die zweite große Antriebskraft der Menschen, die Faulheit, lässt sich noch einfacher strukturieren. Sie besteht im Grunde in dem ständigen Versuch der Menschen, sich vor Arbeit zu drücken bzw. notwendige Arbeit anderen aufzuhalsen.

Wenn wir diese, zugegeben gewagte, Behauptung auf die Literatur umlegen, so wird man wahrscheinlich einen hohen Prozentsatz der gesamten Literatur diesen Motivationskategorien zuordnen können, wenn wir die religiösen und transzendentalen Aspekte einmal unberücksichtigt lassen.

Wir wollen im Folgenden der zuletzt definierten Antriebskraft, also dem Motiv der Arbeit bzw. der Vermeidung von Arbeit, das auch das Motiv der Arbeitslosigkeit und der Langeweile in sich einschließt, in der utopischen Literatur bis hin zur Science Fiction des 21. Jahrhunderts nachspüren. Keinesfalls interessieren uns dabei aber soziologische oder politische Theoreme, auch wenn sie sich in der Literatur niedergeschlagen haben; man denke etwa an die unsäglich langweiligen Hervorbringungen ideologischer Erbauungs- oder Agitationsliteratur.

„Arbeit [urspr. Anstrengung, Mühsal, Plage]“, definiert der große Brockhaus aus dem Jahr 1996, ist „der bewusste und zweckgerichtete Einsatz der körperlichen und geistig-seelischen Kräfte des Menschen zur Befriedigung seiner materiellen und ideellen Bedürfnisse.“ Die Arbeit steht bereits am Anfang des größten literarischen Werkes an zentraler Stelle, nämlich in der Genesis der Bibel. Der Mensch im von Gott geschaffenen Paradies kannte noch keine Arbeit im Sinne von Mühsal und Plage. Aber der Mensch musste ja unbedingt sündigen, und das hatte er nun davon:

„Zu Adam sprach ER: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte:

So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen, und die Pflanzen des Feldes musst du essen.

Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, [...]“ (Genesis 3,17 und 3,19).

Wie nun konnte der vertriebene Mensch dieser Verdammung zu lebenslänglicher Arbeit aber entrinnen? Denn dies, soviel ist sicher, war sofort sein Begehr. Zurück ins Paradies durfte er nicht. Also sann er auf Abhilfe, und schon wenige Verse später (5,28/29) berichtet die Genesis: „Lamech war hundertzweiundachtzig Jahre alt, da zeugte er einen Sohn und nannte ihn Noach (Ruhe). Dabei sagte er: Er wird uns aufatmen lassen von unserer Arbeit und von der Mühe unserer Hände um den Ackerboden, den der Herr verflucht hat.“ Und damit sind wir genau bei der zweiten eingangs postulierten Antriebskraft des Menschen als literarischem Motiv, nämlich dem Motiv, das der Volksmund in folgenden Witz verkleidet hat: „Wie heißt es: Lass mir arbeiten oder lass mich arbeiten? Die richtige Antwort lautet: Lass andere arbeiten.“

Dieses „Lass andere arbeiten“ hat nun in der Bibel und schon gar nicht an dieser Stelle etwas mit Sklaverei zu tun, aber schwere körperliche Arbeit meint in der menschlichen Geschichte und damit auch in der Literatur durchaus, dass diese von Menschen ausgeübt wird, die am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie stehen bzw. als der menschlichen Gesellschaft gar nicht mehr angehörig betrachtet werden, wenn sie nämlich Sklaven sind. Sklaven sind es seit der Antike bis in die Neuzeit, die niedrigste oder schwerste Arbeiten verrichten; hinzu kommen (schlecht) bezahlte Arbeiter, schließlich Maschinen der verschiedensten Art; im 20. Jahrhundert dann Roboter oder von Menschen selbst erzeugte menschenähnliche Wesen, also Androiden; und in neuester Literatur geklonte, für einen bestimmten Zweck hergestellte und nur eine kurze Zeitspanne lebende Geschöpfe.

Die Sehnsucht nach dem verlorenen, dem „arbeit-losen“ Paradies aber, die Sehnsucht nach einer Menschheit im Kindheitsstatus bleibt in der Literatur zu allen Zeiten gegenwärtig. Bereits in der Antike träumt sich die Literatur ein Schlaraffenland, ein Arkadien. Friedrich Schiller sah den Traum vom verlorenen oder wiederzugewinnendem Paradies als konstituierend für die Menschheit an: „Alle Völker, die eine Geschichte haben, haben ein Paradies, einen Stand der Unschuld, ein goldnes Alter; ja jeder einzelne Mensch hat sein Paradies, sein goldnes Alter, dessen er sich, je nachdem er mehr oder weniger Poetisches in seiner Natur hat, mit mehr oder weniger Begeisterung erinnert.“1

Das Paradies, Arkadien, das Schlaraffenland – Orte an denen es anders zugeht als im täglichen Leben, in welch letzterem ja in der Regel gearbeitet werden muss, um sich zu ernähren, denn: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ (2 Thess. 3,10). Auch wenn das Märchen vom Schlaraffenland eher dem Motiv „Verkehrte Welt“ oder der Satire zuzuordnen ist, entscheidend bleibt, dass man in diesem Land wegen praktizierter Faulheit, also Nichtarbeit im höchsten Maße mit den Gütern dieser Welt belohnt wird. Hier das Schlaraffenland in Ludwig Bechsteins Märchen (Ausgabe letzter Hand 1857): „Wer dort ein gelehrter Mann sein will, muss auf einen Grobian studiert haben. Solcher Studenten gibt's auch bei uns zu Lande, haben aber keinen Dank davon und keine Ehren. Auch muss er dabei faul und gefräßig sein, das sind drei schöne Künste. Ich kenne einen, der kann alle Tage Professor werden. Wer gern arbeitet, Gutes tut und Böses lässt, dem ist jedermann dort abhold, und er wird Schlaraffenlandes verwiesen. Aber wer tölpisch ist, gar nichts kann, und dabei doch voll dummen Dünkels, der ist dort als ein Edelmann angesehen. Wer nichts kann, als schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Dem aber, welchen das allgemeine Stimmrecht als den faulsten und zu allem Guten untauglichsten erkannt, der wird König über das ganze Land, und hat ein großes Einkommen.“2

Aber wo liegt dieses Land? Es liegt auf einer Insel, die nur schwer zu erreichen ist.

Utopia etc.

Mit seiner einer ganzen literarischen Gattung den Namen gebenden Schrift Utopia führt Thomas Morus 1515 die Frage nach der gerechten Verteilung von Arbeit in die Literatur ein. Es ist eine Frage, die später in den politischen und wirtschaftlichen Theorien des Sozialismus von zentraler Bedeutung werden wird. Im Staate Utopia arbeiten alle sechs Stunden am Tag. „Ein einziges Gewerbe üben alle Männer und Frauen gemeinsam aus: den Ackerbau. [...] Von den anderen Handwerken aber lernt jeder eins, und zwar nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen; diese betreiben jedoch als die schwächeren nur leichtere Gewerbe: gewöhnlich spinnen sie Wolle und weben Leinen; den Männern werden die übrigen mühsameren Tätigkeiten überlassen. [...] Die wichtigste und fast einzige Aufgabe der Syphogranten [Familienältesten] ist, dafür zu sorgen und darüber zu wachen, dass keiner müßig herumsitzt, sondern jeder fleißig sein Gewerbe betreibt, ohne sich jedoch vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein ununterbrochen wie ein Lasttier abzumühen.“3 Für die wirklich mühsame, eintönige Arbeit aller Art werden auch in Utopia Sklaven eingesetzt, die allerdings menschlich behandelt werden.

In der Nachfolge von Daniel Defoes Robinson Crusoe entstehen eine Fülle sogenannter Robinsonaden; kaum ein Land, das nicht seinen eigenen literarischen Robinson gehabt hätte. Eine der am meisten gelesenen deutschen Robinsonaden verfasste Johann Gottfried Schnabel mit seiner „Insel Felsenburg“ (1731 – 1743). Dieser Roman wie viele andere spiegelt die zunehmende Macht, den Aufstieg des Bürgertums wieder, das im Gegensatz zum Adel in protestantischer, vor allem calvinistischer Tradition der Arbeit einen hohen, ja nach dem Glauben an Gott die höchste Stelle im Wertekanon der Zeit zuwies. Dabei geht es freilich nicht nur um körperlich mühsame Arbeit, um Plackerei, sondern um das Schaffen auch materieller Güter, die als sichtbarer Arbeitserfolg nach Calvin auch als Zeichen der Erwählung des Menschen für das himmlische Reich zu deuten sind.

In Edward Bellamys sozialistischer Utopie von 1887 Rückblick aus dem Jahr 2000, in der ein vollkommenes Gemeinwesen zu Anfang des 21. Jahrhunderts entworfen wird, unterhält der Staat, der auch der einzige Kapitalist ist, einen Arbeitsdienst für alle Menschen zwischen 21 und 45. Dieser Arbeitsdienst ist kein Zwang, wie der Fremdenführer durch den sozialistischen Staat, Dr. Leete, dem Besucher Julian West erläutert:

„Man würde die Person für unglaublich verächtlich halten, die in einem solchen Falle des Zwanges bedürfte. Nichtsdestoweniger würde, vom [Arbeits-]Dienste als von einer Zwangspflicht zu reden, ein nur schwacher Ausdruck für dessen absolute Unvermeintlichkeit sein. Unsere ganze Gesellschaftsordnung ist so völlig darauf gegründet und daraus abgeleitet, dass, wenn es denkbar wäre, dass ein Mensch sich ihr entzöge, ihm kein Mittel bleiben würde, für seinen Unterhalt zu sorgen, er würde sich aus der Welt ausgeschlossen, von seinesgleichen abgeschnitten, mit einem Worte, Selbstmord begangen haben.“ Und an einer anderen Stelle des Romans heißt es: „Dr. Leete hatte [...] auf die Sorge hingewiesen, die man trüge, jeden in den Stand zu setzen, seine natürlichen Anlagen kennen zu lernen und ihnen bei der Wahl eines Berufes zu folgen. Aber erst als ich erfahren hatte, dass das Einkommen des Arbeiters in allen Berufen gleich ist, ward es mir klar, wie sicher man darauf rechnen könne, dass er es tun und durch die Wahl des Geschirrs, welches ihm das Bequemste ist, dasjenige heraus finden werde, in welchem er am besten ziehen kann.“4

Maschinenhelfer

Schon immer haben Menschen versucht, sich durch sinnreiche Vorrichtungen, also Maschinen jeglicher Art, die Arbeit zu erleichtern. Doch erst im 19. Jahrhundert nach Erfindung der Dampfmaschine und der Nutzung der Elektrizität, kurz gesagt als Folge der Industriellen Revolution, können Maschinen dem Menschen Arbeit in großem Umfange abnehmen. Freilich schaffen Maschinen auch neue Arbeit, dadurch nämlich, dass Personal benötigt wird, um sie zu bedienen.

Aber sie werden auch eine Bedrohung für die Arbeiter insofern nämlich, als sie mit je höherem Entwicklungsgrad zunehmend auf die Bedienung durch menschliches Personal verzichten können. Sehr früh finden diese Gedanken Eingang in die Literatur. Die Maschine wird zum Feind des Menschen, denn sie nimmt ihm nicht nur die harte mühselige Arbeit ab, sondern sie kann diese Arbeit viel besser verrichten als der Mensch. Schon 1789 warnte Jean Paul vor den Gefahren, die durch Maschinen entstünden: „Schon von jeher brachte man Maschinen zu Markt, welche die Menschen außer Nahrung setzten, indem sie die Arbeiten derselben besser und schneller ausführten. Denn zum Unglück machen die Maschinen allezeit recht gute Arbeit und laufen den Menschen weit vor.“5

In Samuel Butlers Zukunftsstaat Erewhon (ein Anagramm aus Nowhere) heißt es 1872: „Besitzen wir nicht Maschinen, die alle möglichen Berechnungen rascher und richtiger ausführen, als wir es können? [...] Wo immer äußerste Genauigkeit verlangt wird, nimmt der Mensch sogleich seine Zuflucht zur Maschine, als weit zuverlässiger. Unsere Rechenmaschinen lassen nie eine Zahl fallen, noch unsere Webstühle eine Masche; die Maschine ist immer noch frisch und kregel, wenn der Mensch ermüdet; sie ist nüchtern und gefasst, wenn der Mensch sich abstumpft; sie braucht keinen Schlaf, wenn der Mensch sich hinlegen muss, um nicht umzufallen; immer auf dem Posten, immer bereit zur Arbeit, lässt ihre Munterkeit nie nach, und nie geht ihr die Geduld aus; ihre Gewalt ist das Hundertfache der unseren und geschwinder als Vogelflug; [...].6

Und weil die Maschine so gut ist, ja hundert und tausendmal effektiver als der Mensch, macht sie Hunderte und Tausende Menschen arbeitslos. Weil der Mensch aber arbeiten, seinen Lebensunterhalt verdienen will und weil er diese Arbeit, wie wir später noch sehen werden, auch zur Selbstdefinition braucht, versucht er, sich von diesen bedrohlichen Maschinen zu befreien. In Butlers utopischem Staat kommt es zum Aufstand gegen die Maschinen, und alle Maschinen werden zerstört. Diese Thematik wird geradezu ein Topos in der utopischen Literatur und in der Science Fiction. Der Mensch baut immer kompliziertere Maschinen, die ihn von der Arbeit entlasten. Doch diese Maschinen werden immer besser, entwickeln schließlich eine eigene Intelligenz und bedrohen den Menschen – der Diener des Menschen, der Sklave wird zum Herrn. Diese Sorge war, wie die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert deutlich zeigte, durchaus berechtigt. Wie viel mehr Sorgen musste man sich aber machen, wenn diese Maschinen relativ eigenständig in der Lage waren zu arbeiten, vielleicht durch Programmierung gesteuert, zunächst auf mechanischem, später auf elektronischem Wege, wobei diese elektronischen Maschinen gar noch lernfähig wurden?

Abbildung 1: Umschlagbild aus: Thea von Harbou: Metropolis. Berlin 1926

Seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bekamen die menschenähnlichen Maschinen einen neuen Namen, der sich in allen Sprachen durchsetzte: Roboter. Der Name geht zurück auf das Drama von Karel Capek aus dem Jahr 1920 R. U. R (Rossums Universal Robots.)7 Rossum ist angelehnt an das slawische rozum, was Verstand bedeutet, Robot klingt nach slawisch robota, was Zwangsarbeit, Fron heißt. In diesem Drama sind bereits die später in unzähligen Romanen und Erzählungen immer wiederkehrenden Motive zu finden. Die Roboter werden erfunden und produziert, um die Menschen von schwerer Arbeit zu befreien; sie verdrängen die Menschen schließlich von ihren Arbeitsplätzen und werden gar zu ihren Herren.

In dem Roman Metropolis von Thea von Harbou (Abb. 1), dessen Verfilmung durch Fritz Lang 1926 ein Welterfolg wurde, sind die Arbeiter den Maschinen angepasst und leiden unter den Vorrichtungen, die ursprünglich dazu dienen sollten, den Menschen das Leben zu erleichtern. Der Herrscher von Metropolis meint dazu: „Dass sich die Menschen an den Maschinen so rasch verbrauchen, [...] ist kein Beweis für die Gefräßigkeit der Maschinen, sondern für die Mangelhaftigkeit des Menschenmaterials. Menschen sind Zufallsprodukte, [...] Ein-für-alle-mal-Wesen. [...] Man ist gezwungen, sie zu verbrauchen, wie sie sind. [...] Dann [...] muss man bereits Ersatz für den Menschen geschaffen haben.“8

Und schließlich der Computer! Zu einer Zeit, als die ersten Computer entstanden, groß wie Einfamilienhäuser und mit einer Rechenleistung, die ein Minimum unserer heutigen Taschenrechner ausmachte, schrieb Kurt Vonnegut 1952 mit seinem Player Piano bereits einen kritischen Roman, der sich mit den Folgen der damals kaum absehbaren elektronischen Revolution, wie sie einige Jahrzehnte später Wahrheit werden sollte, auseinandersetzte. Trotz einer guten materiellen Situation der meisten Menschen in einem Computer-Staat kommt es in dem Roman zum Aufstand. Einer der Aufständischen beschreibt die Situation vor und nach der elektronischen Revolution:

„Früher hatte jedermann irgendeine Fertigkeit oder genügend Arbeitswillen oder etwas anderes, wofür er Geld bekam, mit dem er sich etwas kaufen konnte, was ihm Spaß machte. Jetzt herrschen überall Maschinen, und man muss schon ganz außergewöhnlich begabt sein, wenn man noch etwas anzubieten haben will. Die meisten Leute können heutzutage nur noch darauf hoffen, dass man ihnen etwas geben wird – sie arbeiten nicht mehr für ihr Geld, sondern sind zu Almosenempfängern geworden.“9

Das Thema Arbeitslosigkeit und Gewalt ist auch in der modernen Science Fiction-Literatur durchaus präsent. In einem Zukunftsstaat des 21./22. Jahrhunderts wissen die für die Entwicklung eines neuen gentechnisch veränderten Supermenschen Verantwortlichen sehr genau folgendes: „Wenn der Automatisierungsprozess weiter vorangetrieben wird, müssen wir mit einer Periode weiter ausufernder Gewalt rechnen [...]. Wenn die Arbeitslosigkeitstheorie korrekt ist, müssen wir den jungen Leuten etwas zu tun geben. Ein fünfzigjähriger alter Mensch ohne Arbeit trinkt Aufmunterer und hockt in seinem Appartement. Ein Teenager hingegen wird aufsässig.“10

In einem anderen Roman, der eine Welt des 21. Jahrhunderts beschreibt, in der durch eine kosmische Katastrophe sämtliche elektronischen und elektrischen Geräte ausgefallen sind, erinnert sich der Präsident an Unruhen, die in den Jahren nach 2007 ausbrachen und in den USA zu einer Einschränkung des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung führten:

Abbildung 2: Zeichnungen von Hans Albert Förster aus: Konrad Loele: Züllinger und seine Zucht, Leipzig 1920

Abbildung 3:Umschlagbild aus: Heinrich Hauser: Gigant Hirn. Roman aus der Welt von morgen. Berlin 1958

„Als ich fünfundzwanzig war, hatte ich meine eigenen Zukunftsvisionen. Die ganze Welt sollte eins werden, vereint durch die elektronische Datenübermittlung. Ich überlegte, wann ich Zeit zum Schlafen finden würde, weil die Finanzdeals, die ich rund um die Welt verfolgen wollte, sich in verschiedenen Zeitzonen befanden. [...] Stattdessen gab es die Turnabout-Unruhen. Angst vor dem Verlust der Privatsphäre, Rückkehr zu richtiger Währung, die Mektek-Fabrik-Revolte, die Bewegung Jobs für Menschen, die Weigerung, elektronische Daten zu akzeptieren. [...] Jetzt stell dir vor, was mit diesem Land passiert wäre, wenn ich Erfolg gehabt hätte. Seit zwanzig Jahren hätten wir eine von der Elektronik beherrschte Kultur. Die Supernova Alpha hätte uns das angetan, was sie mit dem Goldenen Ring und dem Sino-Konsortium angerichtet hat, jedes Element unserer Ökonomie wäre beim Teufel.“11

Menschenartige Arbeiter

Ähnlich rasch und spektakulär wie sich Roboter und Elektronik in zunehmendem Maße als Arbeit verrichtende Hilfsmittel und Werkzeuge etablierten, entwickelte sich auch die Biotechnik. Das Erscheinen des Romans Die Insel des Doktor Moreau von Herbert George Wells im Jahre 1896 löste einen Skandal aus; dennoch oder gerade deswegen war er außerordentlich erfolgreich. Auf einer einsamen Insel führt in Wells’ Roman der wegen Vivisektion aus England vertriebene Dr. Moreau unbarmherzige Tierexperimente durch. Ein Schiffbrüchiger erkennt bald, dass Moreau Tiere in menschenartige Wesen durch grausame Operationen, strengste sklavenhalterische Zucht und Gebote und Verbote umwandelt, die eine Travestie auf die biblischen zehn Gebote darstellen. Moreau kennt kein Mitleid, weder mit den Tieren noch mit den Menschen. Er gewinnt so eine halb-menschliche Mischrasse, die er für verschiedene Arbeiten und Hilfstätigkeiten einsetzen kann.12

1920 entwarf der deutsche Autor Konrad Loele mit seinem Roman Züllinger und seine Zucht (Abb. 2) ein Szenario für das Deutschland der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Deutschland wird in diesem Roman von einer faschistischen Herrenrasse regiert, welche die arbeitende Bevölkerung erbarmungslos knechtet. Der Chemiker Züllinger erhält den Auftrag, Kunstmenschen herzustellen und diese viel schneller als normale Menschen reifen zu lassen, da die versklavten Arbeiter immer weniger Nachwuchs bekommen. Dies geschieht unter anderem durch Organentnahme aus den Körpern von Arbeitern. Um zu vermeiden, dass diese Kunstmenschen, die offensichtlich dem Menschen körperlich überlegen und von hoher Intelligenz sind, die Herrenrasse überflügeln, werden sie regelmäßig mit „Verblödungsflüssigkeit“ gespritzt.13

Das Motiv künstlich hergestellter Sklaven oder auch menschenähnlicher Wesen, die in der Lage sind bestimmte routinemäßigen oder gefährlichen Verrichtungen effizienter preiswerter und meistens besser auszuführen als Menschen, gehört im 20. Jahrhundert zu den Standardthemenkreisen der utopischen Literatur bzw. der Science Fiction (Abb. 3). In einem der wohl nach wie vor berühmtesten und bekanntesten Romane dieser Literaturgattung, in Brave New World – Schöne neue Welt von Aldous Huxley, werden künstlich mehrfach identische „Untermenschen“ hergestellt, die in vitro, also in Flaschen, erzeugt und bereits pränatal mit Alkohol und Proteingiften behandelt werden. Sie treten als Arbeiter der untersten Stufen auf die Bühne dieser schönen neuen Welt.14

Auf eine andere Manipulation verfällt George R. R. Martin in seiner Alpträume auslösenden Erzählung Der Fleischhausmann von 1976. In ihr werden menschliche Körper, denen das Gehirn entfernt wurde, die aber mechanisch unter bestimmter Anleitung funktionieren, zu harter Arbeit eingesetzt.15

Die Entschlüsselung des menschlichen Bauplanes und der Fortschritt der Biotechnik im Herstellen von geklonten Lebewesen löste im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einen Boom von Science Fiction-Texten aus, die sich mit dieser Möglichkeit beschäftigten. Ein vorläufiger literarischer Höhepunkt dieses Themas in der Literatur dürfte der 2002 erschienene fast 700 Seiten starke Roman von David Brins, Copy, sein, der sich intensiv mit neuer Klontechnik und ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt auseinandersetzt. Menschen haben darin die Möglichkeit, „Ditos“ von sich herzustellen – Kopien in unterschiedlicher Qualität und Farbe, die jedoch nur eine maximale Lebenserwartung von 24 Stunden besitzen. Wenn sie aus dem Brennöfen, den „Kiln“, kommen, gleichen sie den Originalen nicht nur äußerlich, sondern verfügen auch über deren sämtliche Erinnerungen.

Brin erzählt eine spannende Kriminalgeschichte, deren Handlung wegen der Notwendigkeit, Identitäten zu erkennen und zuzuweisen, für den Leser nicht ganz einfach nachzuverfolgen ist. Zu den Auswirkungen dieser neuen Technik auf das Arbeitsleben heißt es in dem Roman unter anderem:

„Die Kiln-Technik wirkte sich auf so viele fundamentale Dinge der alten Lebensweise aus, dass es mir noch immer ein Rätsel ist, dass man sie nicht sofort unterdrückt hat. Die Kopiererei ruinierte nicht nur die Gewerkschaften und machte Millionen arbeitslos – beinahe hätte sie auch ein Dutzend Kriege ausgelöst [...]. Und manche Leute behaupten, es gäbe keinen Fortschritt. Und ob es Fortschritt gibt! Die Frage ist nur, ob wir damit fertig werden können.“ – „Es ist eine Sache, Duplikate zu beauftragen, ehrlicher Arbeit nach zu gehen. Gewerkschaften haben gekämpft und verloren, und heute verdienen Millionen an mehreren Orten gleichzeitig ihr Geld. Sie leisten die Arbeit, bei der sie sich auskennen, vom Hausmeisterdienst bis hin zur Wartung in Kernkraftwerken. Ein fairer Markt bietet allen beste Sachkenntnis an, zu erschwinglichen Preisen.“ – „Allein die Vorstellung von Rassismus erscheint heute bizarr. Doch jede Generation hat ihre Probleme. Als Kind erlebte ich Nahrungsmittelrationierung. Es gab Kriege und frisches Wasser. Heute leiden wir am Überfluss. Unterbeschäftigung, Violettes Geld, vom Staat subventionierter Hobbywahn und selbstmörderische Langeweile. Malerische Dörfer oder verarmte Einheimische gibt es nicht mehr. Aber das bedeutet, dass ich alle schönen Orte der Erde mit neun Milliarden anderen Touristen teilen muss, und hinzu kommen noch einmal zehn bis zwanzig Milliarden Golems.“ – „Manche halten dies für unsere Zukunft, denke ich. Man setzt zahllose Kopien ein, die alles für einen erledigen, während der organische Körper nur noch einen Zweck erfüllt: Er nimmt Erinnerungen auf und gibt sie an die neuen Duplikate weiter – ein heiliger Gefangener, wie die Ameisenkönigin, während fleißige Arbeiter das eigentliche Leben führen und genießen.“– „Die Globalisierung beendete die menschliche Vielfalt nicht, verwandelte das Ethnische aber in ein weiteres Hobby. In eine weitere Möglichkeit für Menschen, in sich selbst einen Wert zu finden, wenn nur die wirklich talentierten authentische Jobs bekommen. He, alle wissen, dass es unecht ist, ebenso wie das Violette Geld. Aber es ist besser als die Alternative: Langeweile, Armut und Realkrieg.“16

Arbeitsethos und Freizeit

Während in der Mehrzahl der bisher herangezogenen Texte der utopischen Literatur, die sich auf irgendeine Weise mit Arbeit beschäftigen, die Thematik „Wen oder was kann ich einsetzen, der oder das mir die Arbeit abnimmt?“ Gegenstand des Interesses war, spielt Arbeit als Lebensinhalt, als Sinn des Lebens in Romanen des 20. Jahrhunderts eine immer größere Rolle. Ja, der Begriff Arbeit erhält gelegentlich gar eine transzendentale Konnotation! So heißt es etwa in einem Ingenieur-Roman von 1936: „Arbeit war nicht nur Essen, Ruhm, Reichtum oder irgendeine Form von Glück. Der Drang nach Arbeit galt nicht irgend einem dieser begrenzten Zwecke allein, noch allen zusammen: Arbeit war das Leben selber. [...] Und weil das Wesen der Arbeit etwas so Heiliges war, durfte sie keinem willigen Menschen fehlen.“17

Abbildung 4: Bernhard Kellermann: Der Tunnel. Frankfurt 1995. Umschlagillustration von Florian Mitgutscher nach Entwürfen von Willi Fleckmann und Rolf Staudt

Abbildung 5: Eric Koch: Die Freizeit-Revoluzzer. München 1979. Umschlagzeichnung von C. A. M. Thole, Umschlaggestaltung Atelier Heinrichs, München

Ein fanatischer, besessener Arbeiter ist der Ingenieur Mac Allan in dem Science Fiction-Klassiker Der Tunnel von Bernhard Kellermann (Abb. 4) aus dem Jahr 1913. Mac Allan ist unermüdlich, kein Unglück, kein beruflicher oder privater Schicksalsschlag kann ihn von seiner Idee und ihrer Durchführung abbringen, einen Tunnel unter dem Atlantik zwischen Amerika und Europa zu bauen. Nach einer großen Katastrophe schreit er den Arbeitern, die sich weigern ihre Arbeit wieder aufzunehmen, sein Glaubensbekenntnis entgegen: „Ich selbst bin ein Arbeiter, Tunnelman! [...] Ein Arbeiter wie ihr. Ich hasse Feiglinge! Fort mit den Feiglingen! Die Mutigen aber sollen bleiben! Die Arbeit ist nicht ein bloßes Mittel, satt zu werden! Die Arbeit ist ein Ideal. Die Arbeit ist die Religion unserer Zeit.“18

Die Arbeit als Religion – dazu werden sich in unserer Zeit und im wirklichen Leben auch sogenannte „workaholics“ kaum bekennen. Die Tatsache aber, dass der Besitz von Arbeit ein hohes Gut ist, den Einzelnen einordnet in gesellschaftliche Systeme, wird wohl allgemein anerkannt. Es wird besonders im negativen Kontext wahrgenommen dann, wenn es zur Arbeitslosigkeit kommt: in der Regel eine Katastrophe für die Betroffenen, die häufig nicht nur ihre Existenz, sondern auch ihr soziales Ansehen und die Möglichkeit verlieren, sich ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechend zu betätigen.

Der Mangel an Arbeit, die Reduzierung von Arbeitszeiten, die Übernahme von Arbeit durch technische oder biologische Hilfsmittel führt zu einer Zunahme von Freizeit. Was macht der Mensch mit dieser freien Zeit? In dem „Roman unserer Zukunft“ von Robert Brenner: So leben wir Morgen aus dem Jahr 1972 wird in dem Kapitel „Der Mensch (zunehmend) privat“ erzählt, wie der Mensch von Morgen sich zahlreichen Hobbys widmen wird, z. B. als Amateurastronom, als experimentierender Hobbybiologe, als Hobbyelektroniker, der seinen eigenen Computer baut, als Künstler, Kunsthandwerker oder Hobbymusiker: „Es wird das großartigste Geschenk des technischen Fortschritts sein, wenn endlich einmal alle Menschen die Möglichkeit bekommen, sich mit ‚Höherem’ zu beschäftigen, als nur unausgesetzt für ihre Existenzsicherung arbeiten zu müssen. Wenn sie eine Fülle von Interessen betätigen, sich in künstlerischem Gestalten versuchen, all das entdecken können, was die Großen für sie alle und nicht nur für die Elite geschaffen haben – werden Maschinen in wachsender Zahl ihnen die Arbeit abnehmen.“19

Die Frage nach der Freizeitbeschäftigung in einer fortgeschrittenen technisierten Gesellschaft wurde Anfang der siebziger Jahre von dem kanadischen Science Fiction-Autor Eric Koch auf ganz andere Weise beantwortet. In einem der witzigsten gesellschaftskritischen Science Fiction-Romane überhaupt mit dem deutschen Titel Die Freizeit-Revoluzzer (Abb. 5) wird folgendes Szenario für die USA Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt.

Der ehemalige persönliche Assistent Hermann Görings, der alles andere ist als ein Nazi – nämlich der Assistent – leitet in den USA ein Institut, eine Denkfabrik, die unmittelbar den Präsidenten berät. Das Institut wird mit der Aufgabe betraut, Vorfälle aufzuklären, die über das normale Maß von Vandalismus hinausgehen. Die Zerstörungswut richtet sich gegen Theater und Konzerte, Freizeiteinrichtungen und -veranstaltungen. Die Denkfabrik, sie ist unter dem Namen CRUPP (Center for Research on Urban Policy and Planning) ein geachteter und gefürchteter Begriff, ermittelt bald, wer hinter den Anschlägen steckt. Es sind Arbeitslose oder Frührentner, die im sozialen Netz gut aufgefangen sind, die sich aber entsetzlich langweilen. CRUPP sieht sich allerdings außerstande eine Lösung für das Problem zu finden, denn die Leute wollen unbedingt arbeiten, und es fällt schwer, die Freizeitwerte gegen das tief eingewurzelte Arbeitsethos auszuspielen.

Die Lage wird kritischer, und überdies stehen Präsidentschaftswahlen an. In einer Rede vor dem „Dachverband der Buch- und Steuerprüfer“ führt der amtierende Präsident aus: „Unsere politischen Gegner haben begonnen, die Regierung für den Vandalismus und die Anschläge auf Freizeiteinrichtungen verantwortlich zu machen. [...] Ich muss bekennen, dass es mir schwer fällt, der Logik solcher Behauptungen zu folgen. Dass viele Menschen mehr Freizeit haben als je zuvor, spricht sicherlich für unsere Politik. Wie kann man uns die Schuld daran geben, dass manche Leute nicht zu wissen scheinen, was sie damit anfangen sollen? Ohne Zweifel gehört es zu den Vorzügen des Lebens im heutigen Amerika, dass die Beschäftigung mit den Künsten, mit Schönheit, Gelehrsamkeit und Weisheit für viele Millionen zu einem wichtigeren Ziel geworden ist als der bloße Konsum und das protzige zur Schau stellen von Reichtum. Wir sollten froh sein, dass wir uns von einer Vorstellungswelt zu entfernen beginnen, die den Wert und die Bedeutung eines Menschen nach seinem Bankkonto, seinem Stadthaus und seinem Landhaus, dem Schmuck seiner Frau und der Zahl seiner Diener beurteilt. Wir sollten froh sein, dass unsere Zivilisation ein Stadium erreicht hat, in dem sich mehr und mehr die Einsicht durchsetzt, dass die Anhäufung von materiellem Besitz schließlich mehr belastet als nützt. Weisheit und Urteilsvermögen in Angelegenheiten des guten Geschmacks sind wichtiger geworden als Reichtum. Dies ist die große Leistung unseres Landes, und meiner Regierung gebührt zumindest ein Teil des Verdienstes daran. Es ist uns leider noch nicht gelungen, jedem Bürger die Möglichkeiten des dolce vita zu eröffnen, aber wir arbeiten daran!“

Der Gouverneur von Kalifornien, der Gegenspieler des Präsidenten, antwortet ihm: „Was soll dieses Gerede von dolce vita? [...] Weiß der Präsident nicht, dass die meisten Leute nach der zweiten Woche vor Langeweile sterben würden? Wer möchte für immer im Lotusland herumlungern, Martinis schlürfen und die Sixtinische Kapelle anstarren? Lassen sie sich aufklären, Präsident Roberts. Die Menschen wollen Arbeit nicht Müßiggang. Sie wollen interessante menschenwürdige, sinnvolle Arbeit. Sie wollen nicht herumsitzen und Daumen drehen. [...] Man soll nicht versuchen, Leuten, die Frikadellen wollen, Kaviar vorzusetzen.“20

CRUPP versucht nun durch gezielte Werbekampagnen, Werte des Hinduismus und des Buddhismus unter die Leute zu bringen. Mit einem Frontalangriff auf die protestantische Arbeitsethik wirbt man für das Motto, dass meditieren besser sei als arbeiten. Doch der Erfolg bleibt aus. Auch ein aufwendig und sehr dialektisch aufgezogenes „Fest der Langenweile“ bleibt ein Misserfolg. Ebenso führt eine Anhörung vor dem Senatsausschuss für Finanzen zu keiner Lösung. Die „Nationale Vereinigung arbeitssuchender Frührentner der höheren Berufsstände“ heizt über einen privaten Sender die Stimmung an, bis schließlich der neue Präsident von CRUPP – das Institut steht mittlerweile unter dem Einfluss eines maoistischen Agenten – die Lösung parat hat: In einem Gespräch mit seinem ehemaligen deutsch-stämmigen Chef, dem genannten Ex-Göring-Assistenten, führt er aus:

„Sehen Sie, wenn ich nach meiner eigenen Erfahrung urteile, dann komme ich zu dem Schluss, dass die Amerikaner arbeiten müssen. Nicht Geld oder Status sind wirklich wichtig, sondern die Arbeit. Die Welt irrt sich über Amerika: Sie glaubt, die Amerikaner seien verrückt nach Geld. Das ist nicht wahr. Die Amerikaner sind verrückt nach Arbeit. Ich denke, das haben sie mit euch Deutschen gemeinsam. [...] Außerdem anerkennen Amerikaner nur das, wofür sie Geld bezahlt kriegen oder ...’ er hielt bedeutungsvoll inne. ‚Oder?’ ‚Oder wofür sie mit Geld bezahlen. Darum sollte man, statt sie für ihre Arbeit zu bezahlen, für ihre Arbeit bezahlen lassen! Die begehrtesten Jobs werden natürlich am meisten kosten. Je älter der Beschäftigte, desto mehr muss er für seinen Arbeitsplatz berappen, und so weiter. Wir brauchen nur eine Art umgekehrter Lohnskala auszuarbeiten, das ist alles. Es ist nichts dabei. Leute wie ich, die arbeiten müssen, wenn sie nicht durchdrehen wollen, werden sich eben die Jobs kaufen, die sie brauchen. Die anderen bleiben einfach zu Hause und widmen sich ernsthaften Spielen oder anderen Zerstreuungen. Da sie auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in Erscheinung treten, wird es für alle Arbeitswilligen genug zu tun geben.“21

Welch ein Wandel! Von der Arbeit, die man möglichst anderen Menschen oder Maschinen aufbürden möchte, um mehr Freizeit zu haben, nunmehr zur Arbeit als hohem, wenn nicht höchstem Gut! Doch zur Erinnerung: Wir haben uns hier mit Science Fiction und Satire beschäftigt. Schließen wir dennoch und deshalb sicherheitshalber diesen Essay mit dem satirischen Kurt Tucholsky, der gelegentlich auch Utopisches geschrieben hat:

„Denn für die Arbeit ist der Mensch auf der Welt, für die ernste Arbeit, die wo den ganzen Mann ausfüllt. Ob sie einen Sinn hat, ob sie schadet oder nützt, ob sie Vergnügen macht (‚Arbeet soll Vajniejen machen? Ihnen piekt er woll?’) –: das ist alles ganz gleich. Es muss eine Arbeit sein. Und man muss morgens hingehen können. Sonst hat das Leben keinen Zweck.“22


Zum Autor

Dr. Georg Ruppelt ist Direktor der

Leibniz Bibliothek
Niedersächsische Landesbibliothek
Waterloostraße 8
D-30169 Hannover
E-Mail: georg.ruppelt@gwlb.de


Anmerkungen

1. Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96). In: F. Sch.: Sämtliche Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. Bd. 5. 4., durchgeseh. Aufl. München 1967. S. 694 – 792. S. 747.

2. www.maerchenkristall.com

3. Thomas Morus: Utopia. In: Der utopische Staat. Morus: Utopia. Campanella: Sonnenstaat. Bacon: Neu-Atlantis. Übers. u. mit e. Essay „Zum Verständnis der Werke“, Bibliographie und Kommentar hrsg. von Klaus J. Heinisch. Reinbek bei Hamburg 1970. (Originaltitel: Thomas More (Morus): De optimo reipublicae statu, deque noua insula Vtopia, libellus uere aureus, nec minus salutaris quam festiuus. 1515.) S. 9 – 110, S. 54.

4. Edward Bellamy: Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887. In der Übersetzung von Georg von Gizycki. Hrsg. von Wolfgang Biesterfeld. Stuttgart 1983. (Originaltitel: Looking Backwrd: 2000 – 1887. 1888.) S. 49 u. S. 106/7.

5. Jean Paul (d. i. Jean Paul Friedrich Richter): Unterthänigste Vorstellung unser, der sämtlichen Spieler und redenden Damen in Europa entgegen und wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen. In: J. P.: Sämtliche Werke. Abtlg. II: Jugendwerke und Vermischte Schriften 2. München 1976. (Zuerst erschienen 1789.) S. 167 – 185. S. 169.

6. Samuel Butler: Erewhon. Roman. Aus d. Englischen von Fritz Güttinger. München 1981. (Originaltitel: Erewhon, or, Over the Range. 1872) S. 280.

7. Karel Capek: R. U. R. (Rossums Universal Robots). Ein Kollektivdrama in drei Akten mit einer Komödie als Vorspiel. Deutsch von Paul Kruntorad (Originaltitel: R. U. R. Uraufführung 1921). In: Modernes Tschechisches Theater. Hrsg. von Paul Kruntorad. Neuwied, Berlin 1968. S. 81 – 160.

8. Thea von Harbou: Metropolis. Roman. Hrsg. u. mit e. Nachwort versehen von Herbert W. Franke. Frankfurt u. a. 1984. (Zuerst erschienen 1926). S. 26.

9. Kurt Vonnegut jr.: Das höllische System. Utopischer Roman. Dt. Erstveröffentlichung. Dt. Übersetzung von Wulf H. Bergner. München 1964. (Originaltitel: Player Piano. 1952) S. 99/100.

10. Bruce T. Holmes: Die letzte Generation. Science Fiction Roman. Dt. Erstveröffentlichung. Dt. Übersetzung von Andreas Brandhorst. München 1988. (Originaltitel: Anvil of the Heart. 1983) S. 84 und 88.

11. Charles Sheffield: Feuerflut. Roman. Dt. Erstausgabe. Aus d. Amerikanischen von Christine Strüh. München 2001. (Originaltitel: Aftermath. 1998.) S. 445 – 447.

12. Herbert George Wells: Die Insel des Dr. Moreau. Roman. Aus d. Englischen von Felix Paul Greve. Neu durchgesehen von Christine Mrowietz. München 1996. (Originaltitel: The Island of Doctor Moreau. 1896.)

13. Konrad Loele: Züllinger und seine Zucht. Leipzig 1920. (Neudruck 1998, München: belleville Verlag.)

14. Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft. Übersetzt von Herbert E. Herlitschka. Revidierte Übersetzung 1981. 58. Aufl. Frankfurt a. M. 2000. (Originaltitel: Brave New World. 1932.)

15. George R. R. Martin: Der Fleischhausmann. Aus dem Amerikanischen übertragen von Michael Windgassen. In: Heyne Science Fiction Magazin. 2. München 1982. S. 307 – 349. (Originaltitel: Meathouse Man. 1976.)

16. David Brin: Copy. Roman. Dt. Übersetzung von Andreas Brandhorst. (Originaltitel: Kiln People. 2002.) München: 2005. S. 58, 98, 1212, 155, 249.

17. Werner Reist: Menschen und Maschinen. Roman. Zürich, Leipzig 1936. S. 112/113.

18. Bernhard Kellermann: Der Tunnel. Roman (zuerst erschienen 1913). Frankfurt a. M. 1999. S. 242.

19. Ebda. S. 81.

20. Eric Koch: Die Freizeitrevoluzzer. Science Fiction-Roman. Dt. Übersetzung Walter Brumm. München 1977. (Originaltitel: The Leisure Riots. 1973.) S. 146/147.

21. Ebda. S. 218.

22. Kurt Tucholsky: Morgens um acht. In: K. T.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Reinbek bei Hamburg 1975. Bd. 3. S. 337/8; hier S. 337.