Aus dem Ledereinband in die Datenwelt

Alter Realkatalog der Staatsbibliothek zu Berlin verwandelt sich in Online-Katalog


Wechselvolle Geschichte
Digitales Zeitalter
Vorteile für Benutzer und Bibliothekare

von Ralf Knüfer

Der Alte Realkatalog der Staatsbibliothek zu Berlin verwandelt sich in einem Pilotprojekt mit dem Gemeinsamen Bibliotheksverbund und mit Unterstützung der Agentur 3-point concepts in einen Online-Katalog.

Die Verwandlung eines physischen Katalogs in einen virtuellen ist für Bibliotheken eine große Herausforderung. Sie bringt jedoch für Bibliothekare wie Benutzer viele Vorteile. Die Bestände werden transparenter und sind gleichzeitig flexibler von außen nutzbar. Dafür müssen die Bestände nicht nur elektronisch erfasst, sondern möglichst geschickt mit einer bereits bestehenden Informationsarchitektur verknüpft werden. Wie das gelingen kann, zeigt das Beispiel des Alten Realkatalogs (ARK) der Staatsbibliothek zu Berlin. In der größten wissenschaftlichen Universalbibliothek Deutschlands weist der rund 1800 Bände umfassende Katalog nach inhaltlich-sachlichen Kriterien den Weg zu den rund drei Millionen Titeln aus den Erscheinungsjahren 1501 bis 1955. Derzeit erlebt der ARK eine Revolution. In einem mehrjährigen Pilotprojekt der Staatsbibliothek zu Berlin und des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV) wird sein gesammeltes Wissen gesichtet, elektronisch erfasst und in einen Online-Katalog verwandelt, der öffentlich zugänglich ist.

Wechselvolle Geschichte

Damit wird ein neues, spannendes Kapitel in der wechselvollen Geschichte des Katalogs aufgeschlagen, die zurückreicht bis an das Ende 18. Jahrhunderts. 1788 regte der Popularphilosoph und Herausgeber der "Berlinischen Monatsschrift" Johann Erich Biester an, die fünf Teilbestände der 1661 gegründeten Bibliothek ineinander zu sortieren und sie durch einen Realkatalog zu erschließen. Damals umfasste die Bibliothek rund 150.000 Bände. Obwohl das im Vergleich zum heutigen Volumen ein recht schmaler Bestand war, vergingen mehr als 60 Jahre, bis die Arbeit am Katalog auf Initiative des Naturwissenschaftlers Julius Schrader 1842 begann. Die Aufstellung der Bücher im Magazin sollte systematisch verfeinert und jedes Buch mit einer eigenen Signatur versehen werden. 571 Bände und fast 40 Jahre später, im Jahr 1881, war die Reinschrift des Katalogs abgeschlossen. Erstmals bestand nun ein systematischer Zugang zu den Sachgebieten, den "Realien". Ihre Anordnung spiegelte die traditionelle Abfolge der Fakultäten an den Universitäten Mitte des 19. Jahrhunderts wider.

Bis zum Zweiten Weltkrieg wuchsen Bestand und Katalog in rasantem Tempo weiter. Die rund drei Millionen Druckschriften erschlossen die Bibliothekare nun mit Hilfe von 2099 Katalogbänden und diversen Zettelkatalogen. Während des Krieges wurde der Bestand vor den Bombenangriffen in 29 Depots, die über ganz Deutschland verteilt waren, in Sicherheit gebracht. 1943 begann die Bibliothek mit der Evakuierung des Katalogs. Die Katalogbände der Naturwissenschaft und der Technik wurden nach Schloss Beesdau bei Luckau ausgelagert. Diese kehrten nach dem Krieg gut erhalten zurück. Der gesamte übrige Katalog wurde 1944 nach Hirschberg in Schlesien gebracht. Seine weitere Geschichte ist nicht ganz klar. Nach Kriegsende fand man einen Teil der Bände aus Hirschberg in einem Bahnhof in der Nähe von Dessau. 1652 Bände kehrten in das Bibliotheksgebäude "Unter den Linden" zurück, die 229 Bände der Naturwissenschaften und Technik fanden erst über den Umweg der damaligen Hessischen Bibliothek in Marburg zurück nach Berlin. 218 Bände gelten als Kriegsverlust. Immer noch wird daran gearbeitet, die Lücken zu schließen.

Heute ist der Alte Realkatalog nach wie vor das wichtigste Instrument, um den umfangreichsten historischen Druckschriftenbestand in einer deutschen Bibliothek sachlich zu erschließen. Und obwohl er eigentlich im Jahre 1955 abgeschlossen wurde, weil die Entwicklung der Wissenschaften eine modernere Klassifikation erforderte, blieb der Katalog quicklebendig. Einerseits diente der ARK als fachbibliographisches Nachweisinstrument von universaler Bedeutung. Andererseits kamen Jahr für Jahr die antiquarischen Neuerwerbungen aus dem Zeitraum von 1501 bis 1955 hinzu. Mit dem Bestand wuchs also auch der Katalog weiter. Wo die vorhandenen Seiten nicht mehr ausreichten, mussten weitere Blätter zwischengebunden werden. Infolge dessen ist die Seitennummerierung inzwischen alphanumerisch, auf Seite 310 folgt noch lange nicht Seite 311, sondern 310a, 310b und so weiter - Seite um Seite ist fein säuberlich beschriftet. Die Reinschrift bekommen die Nutzer aus konservatorischen Gründen allerdings nur selten zu sehen. In den letzten Jahren blieb ihnen meist nur der Blick in die Mikrofiche-Ausgabe.

Digitales Zeitalter

Im Juli 2005 aber begann auch für den Alten Realkatalog das digitale Zeitalter. Seither können Anwender im Internet in ihm recherchieren. Fast die Hälfte der Systematik ist bereits online abgebildet und mit dem allgemeinen Online-Katalog der Staatsbibliothek, dem StaBiKat, gekoppelt, der die Titel und ihre Signaturen anzeigt - darunter die Katalogteile Jurisprudenz, Kunst, Orientalische Sprachen und die so genannten Kriegssammlungen. Im Online-Katalog kann geblättert oder mit Suchbegriffen recherchiert werden kann. Weit über 1 Million Bücher lassen sich so bereits ermitteln.

Der Weg dorthin begann Ende der 1980er Jahre, zeitgleich mit der Erstellung der ARK-Mikrofiche-Ausgabe. In der Staatsbibliothek kamen Überlegungen auf, die Sacherschließung des ARK mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung zu leisten. Der erste Schritt führte zu einer gedruckten Grob-Systematik. Als in den 1990er Jahren der StaBiKat entstand, war bald klar, dass die herkömmlichen Sacherschließungskataloge, die Zettelkataloge für den Neubestand und die ARK-Bandkataloge für den Altbestand, online weitergeführt werden sollten.

Screenshot der Anwendung ARK-Online

Ab dem Jahr 2000 wurde nach dem Beitritt der Staatsbibliothek zum GBV auch die technische Umsetzung des ARK-Online in Angriff genommen. "Da der Katalog so groß ist, musste im Vorfeld vieles bedacht werden", erzählt Heike Krems, Referentin in der Abteilung Historische Drucke. "Wir mussten Regeln dafür aufstellen, wie die Systematik aussehen soll, welche Normierungen wir vornehmen. Solche Vereinheitlichungen haben wir sehr sanft vorgenommen, ansonsten möchten wir den ARK so abbilden, wie er auch in Bandform vorliegt. Nur soll er online noch viel leichter zu nutzen sein."

Auf Seiten der Staatsbibliothek besteht die Kernredaktion aus drei Mitarbeiterinnen. Insgesamt sind bis zu 20 Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt - die Referenten aus der Abteilung Historische Drucke sowie Bibliothekare des mittleren und gehobenen Dienstes. Sie erarbeiten die Systematik, lesen Korrektur und geben weitere Schlagworte sowie eine Basisklassifikation hinzu. Sie wenden dabei die Methode der kooperativen Sacherschließung an, für die man sich mit dem Beitritt der Staatsbibliothek zum GBV entschieden hatte. Seither werden sowohl alle Neuerwerbungen als auch die gesamten Systemstellen des ARK und die damit verbundenen Titel mit Hilfe der kooperativen Sacherschließung eingeordnet. Für den Nutzer bringt das den Vorteil, dass er mit den gleichen Kriterien im Alt- und Neubestand recherchieren kann.

Die Daten wandern dann von der Staatsbibliothek in das Zentrale Bibliothekssystem des GBV, in dem alle Titel der angeschlossenen Bibliotheken verzeichnet sind. Der besondere Clou dabei ist, dass die Titel und die Systematik beim GBV in einer Datenbank vorliegen. Aus Sicht von Heike Krems die richtige Entscheidung: "Anstatt zweier Datenbanken mit entsprechender Software für die Titel einerseits und die Systematik andererseits, haben wir von Anfang an darauf gesetzt, dass alles in einem System funktioniert." Für die Verknüpfung der Daten sorgt der GBV. Offline wird ein Verknüpfungsdurchlauf durchgeführt, bei dem die Titeldaten mit den Systemstellen verlinkt werden.


Heike Krems,
Referentin in
der Abteilung
Historische
Drucke der
Staatsbibliothek
zu Berlin.
Fotos:
Robert Jung

"Neben Staatsbibliothek und GBV ist die dritte Säule des Projekts die Agentur 3-point concepts," sagt Heike Krems. "Die Agentur machte die Abbildung der Systematik im Internet erst möglich, entwickelte die Schnittstelle mit der Titelanzeige und realisierte das Such- und Navigationssystem. 3-point concepts bereitete Testvarianten vor, die dann weiterentwickelt wurden. Technisch und gestalterisch sind wir vom Ergebnis sehr angetan. Das ging sehr schnell und hat hervorragend geklappt." Beide Seiten, Staatsbibliothek und Agentur, kennen sich gut. Seit fast zehn Jahren, seitdem die Staatsbibliothek die ersten Schritte ins Internet unternahm, arbeitet man auf Gebieten wie Webdesign, Rahmenlayout, Aktualisierung von Inhalten, Datenbankprogrammierung und Hosting zusammen. Bereits im Jahr 2000 wurde die Lesesaalsystematik erstmals online abgebildet. Damals wurde die Systematik noch mit einem einfachen, aber eleganten programmiertechnischen Kniff aus einer schlichten Textdatei ausgelesen und die Titelabfrage via http-Abfrage an den OPAC gesendet.

Heute ist das System deutlich verfeinert. Die vom GBV verknüpften Daten sind die Grundlage für die fortlaufende Aktualisierung des ARK-Online-Katalogs. Sobald die Normdatei in einem bestimmten Verzeichnis auf einem Server der Staatsbibliothek abgelegt wird, startet eine Importroutine, die über Nacht die neuen Daten automatisch in eine Datenbank einspielt. Eine MySQL-Datenbank steuert die strukturierte Abbildung der Systematik im Internet. Nutzer können nach Abschluss des Imports sofort auf die neuen Daten zugreifen. Und der ARK-Online bleibt selbst dann voll benutzbar, wenn gerade der Datenimport läuft. Die Anwendung setzt mit MYSQL und PHP ganz auf Open-Source-Produkte. Das spart Kosten und die Weiterentwicklung ist unabhängig von einem Hersteller.

Vorteile für Benutzer und Bibliothekare

Den Gang zum Katalog vermisst Heike Krems nicht. "Wir können vom Bildschirm aus direkt im Katalog arbeiten." Die Recherche sei leichter, alles gehe schneller. Wo sie sonst nur punktuell an einer bestimmten Systemstelle und ein wenig drum herum habe suchen können, gelänge es durch die strukturierte Abbildung im Internet, den Katalog bis zur untersten Ebene zu durchdringen. Sie könne sowohl hierarchisch als auch nach einem Ort, einem Menschen oder einer Sache suchen. "Das ist das eigentlich Große daran." Möglich wird das auch durch qualitativ hochwertige Suchfunktionen. Zur Verfügung stehen eine trunkierbare Volltextsuche in der Systematik, eine Phrasensuche und eine erweiterte Suche. Letztere erlaubt eine kombinierte Suche mit verschiedenen Kategorien. Sie kann eingegrenzt oder bei Bedarf wieder erweitert werden. Auf diese Weise kann das Gesuchte beständig eingekreist werden. Geübte Nutzer können dabei sogar auf kodierte Kurzbefehle zurückgreifen. Die durch eine Programmierung geschlagene Brücke zum OPAC der Staatsbibliothek ermöglicht die sofortige Ansicht der zugehörigen Titel. Den Nutzern macht diese Verknüpfung der Daten die Recherche leicht. Wo sie früher viele schwere Katalogbände aus den Regalen ziehen und von einem Katalog an den nächsten rennen mussten, kommen sie mit bequemen Mausklicks an ihr Ziel. Nach dem Ende der Recherche können sie, wenn sie es wünschen, sofort eine Bestellung auslösen. "Wir sind gespannt darauf", sagt Krems, "wie das den Benutzerkreis des Alten Realkatalogs verändern und erweitern wird."

Ein Folgeprojekt ist an der Staatsbibliothek bereits aus den guten Erfahrungen mit der Online-Version der ARK-Systematik geboren worden. Seit Januar 2007 steht die Systematik der Allgemeinen Lesesäle des Hauses "Unter den Linden" und des Hauses "Potsdamer Str." online zur Verfügung, die gemeinsam mit der Agentur 3-point concepts nach dem gleichen Prinzip wie das ARK-Projekt umgesetzt wurde. Demnächst werden auch die Referenzbestände des Musik-, Handschriften-, Karten- und Osteuropalesesaals über Online-Systematiken erschlossen. Nach Fertigstellung des Lesesaalneubaus, der bis 2008 als strahlender Lichtkubus an der Stelle des im Krieg zerstörten Kuppellesesaales im Innenhof des Hauses "Unter den Linden" entsteht, können Besucher des neuen "Herzstücks" der Bibliothek dann bereits vor ihrem Besuch in dem knapp 300.000 Bände umfassenden Freihandbestand recherchieren.


Links

ARK-Online: http://ark.staatsbibliothek-berlin.de

Lesesaalsystematik: http://lesesaal.staatsbibliothek-berlin.de

Hinweis auf die Info-Seiten für weitere Informationen zum Projekt: http://ark.staatsbibliothek-berlin.de/info/

Ansprechpartnerin: Heike Krems, Referentin in der Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek: heike.krems@sbb.spk-berlin.de


Zum Autor

Ralf Knüfer

3-point concepts gmbh
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E-Mail: rknuefer@3-point.de
http://www.3-point.de