Frau Prof. Dr. Claudia Lux im Gespräch mit Wolfgang Ratzek:
"... und ich werde sicher alle in Anspruch nehmen, denn es ist viel zu tun"
Seit Gründung der IFLA 1927 steht mit Ihnen zum dritten Mal ein deutsches Mitglied an der Spitze der Weltorganisation mit fast 2000 Mitgliedern in etwa 150 Ländern. Im Namen der B.I.T.online Redaktion wünschen wir Ihnen viel Erfolg, viel Kraft und viel Unterstützung bei Ihren Vorhaben.
Vielen Dank!
Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?
Als erste Amtshandlung wird von mir erwartet, dass ich eine programmatische Rede halte, die die Ziele meiner Präsidentschaft umreißt. Das Thema "Bibliotheken auf die Tagesordnung" kennen Sie ja schon. Dann werde ich am letzten Tag der Konferenz in Durban, am Sonnabend, die Sitzung des neu gewählten IFLA-Vorstands zum ersten Mal leiten, in der dessen Mitglieder in verschiedene Aufgaben und Ämter gewählt werden. Mit diesem internationalen Team werde ich dann dem Weltverband der Bibliotheken vorstehen.
Werden Sie die IFLA-Präsidentschaft aus deutscher Sicht alleine schultern müssen?
Nein. Neben dem internationalen ehrenamtlichen Team im IFLA-Vorstand sowie dem Personal des Headquarters, auf dem die meiste Arbeit lastet, haben sich einige Personen aus Deutschland bei mir gemeldet, um meine Präsidentschaft zu unterstützen. Da ist zunächst mal das IFLA-Nationalkommittee mit seinem sehr aktiven Sekretariat in Gestalt von Frau Klauser, die die internationale Arbeit des Kompetenznetzwerks für Bibliotheken leitet. Außerdem haben Sie, Herr Professor Ratzek, und andere mich bei der Vorbereitung, Übersetzung und Dokumentation meines Präsidentschaftsthemas in Seoul unterstützt und mir das für Durban ebenso angeboten. Hier müssen unbedingt auch die ehrenamtlichen Übersetzerinnen und Übersetzer erwähnt werden, durch die immer mehr deutschsprachige Texte auf den IFLA-Seiten angeboten werden, was für meine Präsidentschaft auch eine wichtige Rolle spielt. Besondere Unterstützung finde ich auch bei BII und vor allen Dingen beim Goethe-Institut, die ganz entscheidend das erste Presidential Meeting im Januar 2007 schon unterstützt haben. Viele Kolleginnen und Kollegen waren ebenfalls bereit, bei diesem Meeting als Referenten mitzuwirken. Und natürlich in meiner eigenen Bibliothek, die sehr viel Rücksicht auf diese zusätzliche Belastung nehmen und auch bereitwillig die vielen Gäste betreuen, die die ZLB und mich besuchen wollen. Ich muss sagen, dass ich selbst ganz erstaunt bin über das allseits positive Echo und wie viele sich angeboten haben, mir zu helfen. Ich bin sehr dankbar für diese allseitige Unterstützung meiner IFLA-Präsidentschaft hier in Deutschland und ich werde sicher alle in Anspruch nehmen, denn es ist viel zu tun.
Sie haben einmal gesagt, dass die Begriffe "Bibliothek, Bildung und Bürgergesellschaft mehr miteinander gemein haben als nur ihre Anfangsbuchstaben". Können Sie das kurz erläutern?
Ich kann Ihnen hier keinen Vortrag halten und möchte doch kurz auf das Wesentliche eingehen. Die enge Verbindung von Bibliothek und Bildung ist in unserem großartigen Beruf allseits anerkannt und spätestens mit "Bibliothek2007" auch aktuell ausführlich begründet. Bürgergesellschaft bedeutet Mündigkeit des Bürgers und diese resultiert in erster Linie aus freiem Zugang zur Information und der Bildung, sich alle notwendigen Informationen für eine Mitgestaltung der Gesellschaft zu erwerben. Bibliotheken bieten die Chance, dass hier niemand ausgeschlossen wird.
Sie haben auch einmal gesagt "Politik hört zu" und das sei, wenn es um Bibliotheken gehe, bereits als Erfolg zu werten. Reicht das aus, wenn Sie beispielsweise an PISA oder Bibliothekssterben.de denken?
Nein, es reicht nicht aus. Zuhören bedeutet auch noch nicht verstehen, sondern nur die Bereitschaft zu Verstehen. Hier müssen wir immer wieder unser Anliegen wiederholen, an jeder Stelle, auf jeder Ebene. Wenn man aber danach geht, wie uns die Enquêtekommission "Kultur in Deutschland" zugehört hat, dann werden die Ergebnisse sicher in Zukunft als Erfolg gewertet werden können.
Als ehemalige Direktorin der Senatsbibliothek (Berlin) konnten Sie viele Erfahrungen im Umgang mit Politikern sammeln? Wie konnten Sie diese Erfahrungen in Ihren vielfältigen Aufgabenbereichen nutzen?
Diese Erfahrungen konnte ich sehr gut nutzen, denn sie vermittelten mir, in welchen engen Spielräumen Politik gestaltet wird und wie man diese Spielräume nutzen kann. Eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, heißt: Lange abwarten können und genau zum richtigen Zeitpunkt aktiv werden.
In diesem Zusammenhang: Haben Sie schon etwas von der Berliner Landesregierung gehört?
Wie soll ich Ihre Frage verstehen? Natürlich habe ich schon vor meiner Kandidatur zur IFLA-Präsidentschaft die Genehmigung des zuständigen Senators eingeholt und dort offene Unterstützung gefunden. Nach der Wahl kamen dann die Glückwünsche und ein großes Porträt als Kopf des Monats in einem elektronischen Newsletter.
Wenn Sie erlauben würde ich auch gern ein paar persönliche Fragen stellen: Wie schaffen Sie es, Beruf und Familie zu organisieren?
So wie jeder sich gut organisiert, der Familie hat. Sie wohl auch.
Was tun Sie, um mal abzuschalten?
Wir lieben Stadtspaziergänge durch Berlin und ich lese (fast) jeden Abend ein paar Seiten aus einem Buch.
Wann beginnen Sie normalerweise Ihren Arbeitstag?
Wenn ich nicht um sechs zum Flughafen fahren muss, dann beginnt der Arbeitstag meist noch zu Hause zwischen sieben und halb acht mit dem Lesen der ersten Mails. Im Durchschnitt bin ich ab neun im Dienst.
Wann endet Ihr Arbeitstag in der Regel?
Sehr unterschiedlich, aber öfters sitze ich nach einer Pause ab 21.00 Uhr noch mal am PC zu Hause, um einige Mails zu beantworten oder an einem Vortrag zu arbeiten. Aber je nach Saison gibt es natürlich auch gesellschaftliche Verpflichtungen, zu denen ich abends gehen muss. Das mag umstritten sein, aber eigentlich möchte ich das nicht als Arbeit bezeichnen.
Wie kommt eine Soziologin mit einer Promotion in Sinologie zum Bibliothekswesen?
Ich brauchte Geld und sah die überaus interessante Ausschreibung für ein Referendariat in der Staatsbibliothek in Berlin hängen.
Welche Rolle spielen Ihre MitarbeiterInnen bei der Bewältigung Ihrer zahlreichen Aufgaben?
Die wichtigste. Ohne sie könnte ich die IFLA-Arbeit nicht übernehmen, denn sie sorgen dafür, dass die ZLB ihre Aufgaben erfüllt und ein gutes Image in der Stadt Berlin behält, sich darauf nicht ausruht, sondern sich stetig weiter entwickelt. Das ist ganz entscheidend, denn sonst könnte ich mich in der Welt nirgendwo blicken lassen.
Sie kommen in der Welt herum. Welches Bibliothekssystem hat Sie besonders beeindruckt? Und warum?
Spontan und immer noch: Singapur. Die Ästhetik der Bibliotheken, die Konzepte und die Methode, Dinge zu entwickeln, zu besprechen, auszuprobieren und dann gemeinsam umzusetzen, die Rotation der mittleren Führungsebene und, und - da ist ganz viel, was beeindruckt.
Als Honorarprofessorin an der Humboldt Universität Berlin und Generaldirektorin der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin vertreten Sie nun beide Seiten: Praxis und Lehre. Worauf können sich Ihre Studierenden freuen?
Vor allem freue ich mich auf die Studierenden, denn ich profitiere vermutlich mehr von ihnen als sie von mir. Sie zwingen einen, sich öfters mal zu fragen, warum etwas in der Praxis so und nicht anders gemacht wird. Da fällt die Antwort manchmal nicht leicht und das finde ich sehr anregend. Außerdem erwarten sie, dass man immer ganz aktuell bleibt, das ist dann wieder für die Praxis sehr gut und hilft mir natürlich auch für meine Arbeit in der IFLA.
Zum Schluss noch eine Frage: Was wollen Sie zum Ende Ihrer Amtszeit als IFLA-Präsidentin erreicht haben?
Ich möchte, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare weltweit sicherer für ihre Forderungen nach guten Bibliotheken eintreten können, dass ein Werkzeugkasten mit Methoden und Beispielen für gute Lobbyarbeit entstanden ist, aus der sich jeder bedienen kann, und dass noch mehr Politiker verstehen und unterstützen, wofür der Weltverband der Bibliotheken, die IFLA, eintritt.
Vielen Dank für das Interview!