Aufbruch als Ziel - BID und "Bibliothek 2007".
Zum Abschluss der sechsjährigen Amtszeit Georg Ruppelts als Sprecher von Bibliothek & Information Deutschland


Hrsg.: Bibliothek & Information Deutschland e. V. Red.: Helmut Rösner
- Hildesheim: Olms, 2006
ISBN 13: 978-3-487-13225-9; ISBN 10: 3-487-13225-7

Das Werk ist kaum als Gesamtheit zu beschreiben und zu werten. Denn es umfasst mehrere Teile, die in Inhalt und Ausrichtung recht unterschiedlich sind. Jeder Teil für sich hat seine eigene Bedeutung und Wichtigkeit. Dies lässt vermuten, dass auch unterschiedliche Adressaten und Interessengruppen angesprochen werden sollten.

Die Eingangstexte sind Georg Ruppelt direkt gewidmet: Barbara Lison als nachfolgende Sprecherin von BID Deutschland erinnert an die Entwicklung und Entscheidungsfindung zum und im bibliothekarischen Dachverband und hebt die Höhepunkte der Ära Ruppelt hervor: den IFLA-Kongress in Berlin und das Projekt "Bibliothek 2007". Diese Ergebnisse würdigt auch der Ministerpräsident von Niedersachen, Christian Wulff, in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Georg Ruppelt.

Wirklich neu, originell und spannend in dem Band sind die Interviews mit den ehemaligen Sprechern von BDB und BID. Elmar Mittler, dem Idee, Gründung und Etablierung der BDB zu verdanken sind, unterstreicht das zentrale Anliegen seines Engagements, den unterschiedlichen Verbänden durch zentrale Organisation und Verantwortung nach außen Profil und Gehör zu verschaffen. Beeindruckt hat mich die ausführliche und überzeugende Antwort Elmar Mittlers auf die Frage nach den Konsequenzen des Mauerfalls. Dass die Integration der ostdeutschen Bibliotheken in die Infrastrukturstruktur und die Verbände relativ rasch vonstatten ging, schreibt er vor allem der Professionalität ihres Personals sowie den materiellen Hilfen seitens der Bundesregierung zu, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Bereich von Bildung und Wissenschaft weniger präsent ist. Für wirklich effiziente Verbandsarbeit habe es der BDB aber strukturell an Personal und Ressourcen und ihren Mitgliedern auch an ernsthaftem Willen zur Integration gefehlt. Um die Belange und Interessen der wissenschaftlichen Bibliotheken verfolgen zu können, habe er selbst dann die Gründung von DINI (Deutsche Initiative für Netzwerkinformation) betrieben. Ein Verdienst der BDB aber sei, dass die Bibliotheken ihr verstaubtes Image überwunden hätten. Ob dieser Optimismus schon gerechtfertigt ist, erscheint mir noch zweifelhaft, wenn ich mir vor Augen halte, wie oft selbst in diesem Band noch Bibliotheken automatisch und fast ausschließlich mit schönen gedruckten Büchern assoziiert werden. Wie wichtig starke und effiziente Verbands- und Lobbyarbeit heute aber ist, zeigt Mittlers Hinweis auf die Ziele und Aktivitäten großer Verleger, welche die Arbeit der Bibliotheken enorm beeinflussen wenn nicht behindern könnten.

Mittlers Nachfolgerin im Sprecheramt, Birgit Dankert, teilt die Skepsis bezüglich echter Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der alten Bibliotheksverbände und weist zugleich auf eine neue Schwäche hin: die mangelnde Präsenz deutscher Bibliotheken in den europäischen und internationalen Fachverbänden und den entsprechenden politischen Foren. Für entwicklungs- und verbesserungsbedürftig hält sie auch die bibliothekarische Ausbildung, die mehr "patchwork" als System sei.

Georg Ruppelt selbst kann für seine Amtszeit zwei Ereignisse verbuchen, die tatsächlich öffentlichkeits- und medienwirksam geworden sind: der IFLA-Kongress 2003 in Berlin und das Projekt "Bibliothek 2007". Auch Georg Ruppelt hat die Rivalitäten und Konfrontationen zwischen den Bibliotheksverbänden noch gespürt, er thematisiert sie aber nicht mehr. Die Aussagen und Urteile dieser ersten Sprecher/in werden zusammenfassend in dem Bericht von Helmut Rösner bestätigt, der den Entwicklungsprozess von BDB und BID in deren Geschäftsstelle verfolgt hat. Er bekräftigt, dass die Bibliotheken von politischen Gremien und Akteuren (Enquete-Kommission des Bundestages, Bertelsmann-Stiftung) wahrgenommen werden und dass sie sich Gehör verschaffen wie in der Diskussion um das Urheberrecht. Er bescheinigt der BID Struktur und Gewicht, sieht aber zwischen "Bibliothek" und "Information" eine neue Kluft im Verband. Barbara Schleihagen referiert konzentriert über die internationalen Aktivitäten. Aus ihrer Darstellung, insbesondere auch wieder über den IFLA-Kongress, wird sehr deutlich, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare beachtliche Leistungen und Wirkungen erzielen können, wenn ein Rahmen besteht oder ein Ziel gesetzt ist. Die BID organisatorisch und materiell zu stärken wäre nicht nur notwendig, sondern sicher auch lohnenswert.

Den zweiten Teil des Bandes bilden ausnahmslos Drittpublikationen. Es handelt sich um eine Artikelreihe zu dem Thema: "Bibliothek 2007 - Wegmarken für eine zukunftsfähige Bibliothek", die sukzessive in der Zeitschrift "Buch und Bibliothek" veröffentlicht und noch einmal komplett auf dem Server des Berufsverbandes BID aufgelegt worden ist. Expertinnen und Experten aus allen bibliothekarischen Sparten schildern anhand praktischer Beispiele und Erfahrungen, wie eine Bibliothek zukunftsfähig werden kann und woran sich das zeigt. Behandelt werden vor allem aktuelle und zukünftige Aufgaben einer Bibliothek, die Bedeutung von Vernetzung und Kooperation sowie Fragen des Managements und Aspekte aus dem Erneuerungsprozess. Die Aufsätze sind den Fachkolleginnen und Fachkollegen sicher bekannt und brauchen deshalb nicht referiert werden, obwohl eine fokussierte Lektüre vielleicht doch manche Aspekte neu sehen lassen kann. Einer interessierten oder zu interessierenden Öffentlichkeit wird mit diesem Komplex sicher eine überzeugende Leistungsschau geboten, die Vertrauen schaffen und zeigen kann, dass Bibliotheken klare Ziele haben und Ressourcen zweckgerecht zu verwenden wissen. Weiterhin gehört zu diesem Teil auch eine Dokumentation der mit dem nationalen Bibliothekspreis bisher ausgezeichneten Bibliotheken.

Der dritte Teil mit dem Titel "Bibliothekspolitik - Kulturpolitik - Bildungspolitik" umfasst wieder neue, thematisch breiter gefasste Beiträge von Vertreterinnen und Vertretern politischer, wissenschaftlicher und kultureller Organisationen zur Rolle und Bedeutung von Bibliotheken.

Mit Gitta Connemann und Siegmund Ehrmann äußern sich zwei Mitglieder der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Als Vorsitzende dieser Kommission resümiert Gitta Connemann die Expertenanhörung mit dem zentralen Postulat, dass Bibliotheken nicht länger als freiwillige Leistung gelten dürften. Siegmund Ehrmann stellt die Arbeit der Kommission etwas ausführlicher und im Zusammenhang dar. Doch auch seine Schlussfolgerungen sind eher verhalten: Man habe viele gute Absichten und ebenso viele Fragen gehört, das Entscheidende stünde noch aus: dass Verantwortlichkeiten zugeordnet und übernommen würden. Für die Deutsche Forschungsgemeinschaft beschreibt Ralf Goebel die vier Kernbereiche, in denen auf nationaler Ebene Informationsversorgung gefördert werde: Überregionale Literaturversorgung, Kulturelle Überlieferung, Elektronisches Publizieren und Informationsmanagement. Jürgen Schlegel, der Generalsekretär der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, analysiert ein dem Altkanzler Helmut Schmidt zugeschriebenes Zitat: "Bibliotheken sind die geistigen Tankstellen der Nation" und erläutert, warum und wie dies auch in der heutigen Wissensgesellschaft noch gilt. Rolf Pitsch, Geschäftsführender Direktor des Borromäus-Vereins und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Lesen, unterstreicht die Bedeutung und Notwendigkeit der Leseförderung und beschreibt die Rolle und den Ort der Bibliotheken in dem mittlerweile zu diesem Zweck entstandenen Netzwerk von Institutionen und Unternehmen. Ekkehard Nuissl und Gisela Ticheloven (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung) skizzieren Bedeutung und Aufgabe der Bibliotheken in der Weiterbildung. Claudia Lux beschreibt die "Rolle von Bibliothek und Information in der Wissensgesellschaft aus der Sicht des Internationalen Bibliotheksverbandes IFLA". Mit ihrem Urteil, Bibliotheken würden auf internationaler Ebene gehört und respektiert, die BID allerdings scheine ihren Ort dort erst noch finden zu müssen, bestätigt und bekräftigt sie die Bewertung, die Birgit Dankert in ihrem Rückblick gegeben hatte.

Der letzte Beitrag von Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) zur kulturpolitischen Mission von Georg Ruppelt ist eine sehr persönliche Hommage an den Geehrten und gibt dieser Festgabe damit einen würdigen und passenden Abschluss.

Die Beiträge dieses Bandes sind, abgesehen von den Sekundärveröffentlichungen, für die Fachöffentlichkeit nicht wirklich neu, aber es sind Statements und Bekenntnisse an prominenter Stelle und in einem politisch relevanten Zusammenhang, der sich aus der Zusammensetzung der Autorinnen und Autoren notwendig ergibt.


Anschrift der Rezensentin

Dr. Ulrike Eich

Hochschulbibliothek der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
Templergraben 61
D-52062 Aachen
E-Mail: eich@bth.rwth-aachen.de