Die Einführung der ISBN in Usbekistan und ihre Auswirkungen


"ISBN-Reste" aus Sowjetzeit
Der Stein kommt ins Rollen
Usbekischer Wissenschaftler verweigert sich
Bescheidenes Verlagswesen
Pflichtexemplar gewöhnungsbedürftig

von Rovshan Sagdullaev und Dietmar Kummer

Zum Jahresende 2006 erschien im usbekischen Verlag Alokachi, Toshkent, das erste usbekische Buch mit der ersten usbekischen ISBN. Das von Sodiqjon Sobirovich Qosimov verfasste Lehrwerk zum Thema Informationstechnologien entstand im Rahmen eines Entwicklungsprojekts der Vereinten Nationen und der Usbekischen Regierung unter Mitwirkung der Universität für Informationstechnologien in Taschkent. Thema des Buchs sind Integration der Informationstechnologien in die Telekommunikationsnetzwerke und Internettechnologien. Auf der Titelblattrückseite ist die erste usbekische ISBN vermerkt: ISBN 978-9943-326-00-2.

Das Impressum gibt Auskunft, dass der Verlag Alokachi an der Universität für Informationstechnologien von Taschkent angesiedelt, das Buch für diese Universität bestimmt ist und die staatliche Genehmigung für den Druck des 306 Seiten starken Buches am 06.11.2006 erteilt wurde. Gedruckt wurde es in der Druckerei Seal Mag in Taschkent in einer Auflage von 1000 Exemplaren.

"ISBN-Reste" aus Sowjetzeit

Mit dem Ende der Sowjetunion ging für die Verlage in Usbekistan die Möglichkeit verloren, aus dem Pool in Moskau ISBN zu beziehen. Obwohl es von der internationalen ISBN-Agentur erlaubt, bzw. aus Spargründen sogar erforderlich war, die aus der Sowjetzeit verbliebenen "Reste an ISBN" zu verbrauchen, haben usbekische Verlage diese restlichen ISBN nur noch sporadisch vergeben, da das dem Prinzip der staatlichen Souveränität Usbekistans widersprach.

Über eine weitere Beteiligung am ISBN-System war sich die usbekische Regierung unschlüssig. So erschienen die meisten usbekischen Verlagspublikationen ohne ISBN und blieben damit der Welt unbekannt.

In den letzten 30 Jahren hat sich die Internationale-Standard-Buch-Nummer weltweit zur eindeutigen Kennzeichnung von Büchern und anderen selbstständigen Veröffentlichungen durchgesetzt. Seit 01.01.07 ist die ISBN-13 eingeführt, d.h. es werden die Ziffern 978 oder 979 (Verlagsprodukte) der bisherigen ISBN-10 vorgestellt und die Prüfziffer (letzte Ziffer) neu berechnet. Die damit verbundene Passfähigkeit der europäischen und amerikanischen Warenwirtschaftssysteme bildet die Basis sowohl für den nationalen als auch den internationalen Austausch von Verlagsprodukten und der Daten über sie. Die ISBN erleichtert die Erfassung der bibliographischen Angaben und damit auch die Vermarktung eines Buches. Ohne sie gibt es weder einen modernen nationalen noch einen internationalen Buchhandel. Praktisch kann die ISBN sowohl in jeder einzelnen Buchhandlung und Bibliothek als auch weltweit zum Ver- und Entschlüsseln von Daten über Verlagsprodukte verlässlich eingesetzt werden.

Der Stein kommt ins Rollen

Da die europäischen Zollbehörden bei der kommerziellen Medieneinfuhr strikt die Existenz der ISBN überprüfen, konnten die usbekischen Bücher nur auf diplomatischen Wegen zur Frankfurter Buchmesse gelangen oder sie fehlten z.B. 2002, als Usbekistan als Ausstellungsland benannt war aber nicht ausstellen konnte.

Während die zentralasiatischen Nachbarn Usbekistans eigene ISBN-Agenturen eröffneten, zögerte Usbekistan, seine nationale Buchproduktion international registrieren zu lassen und die damit verbundenen Auflagen zu erfüllen. Doch auch in Usbekistan reifte die Überzeugung von der Notwendigkeit einer usbekischen ISBN.

Prof. Dietmar Kummer hatte während seiner Gastprofessur am Institut Kultury Taschkent 2004 und 2005 darauf hingewiesen, dass es im nationalen wie auch internationalen Interesse erforderlich ist, dass die usbekische Buchproduktion eine ISBN erhält. Im Juni 2005 vermittelte die Leiterin der Informations- und Bibliotheksabteilung des Goethe-Instituts Taschkent, Frau Gabriele Sander, für Prof. Kummer einen Besuch im nationalen Bucharchiv, der Buchkammer Usbekistans. Im Gespräch mit dem Buchkammerleiter Herrn Issomiddinov wurden die Argumente für die Einführung der ISBN in Usbekistan übereinstimmend erörtert. Dabei ergriff der Buchkammerleiter die Gelegenheit, seine Gäste für sein Vorhaben zu gewinnen, den Leiter der Internationalen ISBN-Agentur (Berlin) Dr. Hartmut Walravens zu einer Konferenz nach Usbekistan einzuladen. Er hatte Dr. Walravens vor drei Jahren bei einer kirgisischen Bibliothekskonferenz kennen gelernt und wurde durch dessen Vortrag überzeugt, dass die ISBN auch für Usbekistan wichtig ist. Das Goethe-Institut Taschkent nahm Kontakt mit Dr. Walravens auf, leistete logistische und finanzielle Hilfe und ein Anstoßseminar für die Verleger Usbekistans wurde in die Wege geleitet.

Usbekischer Wissenschaftler verweigert sich

Doch der unmittelbare Anlass zum Beitritt Usbekistans in die internationale ISBN-Gemeinschaft war die nachdrückliche Forderung eines hochkarätigen usbekischen Wissenschaftlers nach einer vom russischen Landeskennzeichen "5" unabhängigen usbekischen ISBN für seine Veröffentlichung. Aus diesem Anlass wurde durch das Informationsministerium Usbekistans kurzfristig der Antrag auf Beitritt zur internationalen ISBN-Agentur gestellt. Usbekistan bekam eine eigene an der Buchkammer angesiedelte ISBN-Agentur und das Länderkennzeichen 9943.

So kam Dr. Walravens in das bereits der ISBN beigetretene Usbekistan zur Schulung der usbekischen Verleger und Buchkammermitarbeiter für die praktische Anwendung der ISBN.

Obwohl Usbekistan mit seinen 25 Millionen Einwohnern das am dichtesten bewohnte zentralasiatische Land ist und ein entwickeltes Bildungs- und Bibliothekswesen besitzt, weist es derzeit keine umfangreiche Buchproduktion auf. Rund 2000 Titel mit einer Auflage von ca. 28 Mio. Einheiten erscheinen pro Jahr, überwiegend Schulbücher.

Bescheidenes Verlagswesen

Im Verlagswesen Usbekistans steht die Einführung der freien Marktwirtschaft noch aus. Es gibt derzeit in Usbekistan 37 staatliche Verlage, zwölf Verlags-GmbHs mit überwiegend staatlichem Aktienbesitz und elf private Verlage, die als "pro-staatliche Verlage" bezeichnet werden, weil sie von den kapitallosen, früheren Parteiverlagschefs "privatisiert" wurden, es unter ihnen keine Konkurrenz gibt und sie hauptsächlich von staatlichen Aufträgen leben.

Möchte ein Autor sein Werk veröffentlichen, muss er alle Produktionskosten plus Verlagsdienstleistung sowie den darauf folgenden Vertrieb selbst tragen. Für Usbekistan muss das Papier aus dem Ausland importiert werden und ist ökonomisch limitiert.

Die Preise der Bücher, hauptsächlich der Schulbücher von staatlichen Verlagen, liegen unter den eigentlichen Produktionskosten. Die für die Subvention erforderlichen Mittel sind begrenzt, deshalb gibt es in den Verlagen auf Jahre ausgebuchte Wartelisten der zur Veröffentlichung angemeldeten Autoren. Die Einführung der ISBN setzt einen funktionierenden Buchmarkt voraus, aber noch fehlen Buchgroßhandel und Buchhandlungen weitgehend. Die Einbindung der Verlage in das ISBN-System ist also nur ein erster Schritt auf diesem Wege.

In Usbekistan produzieren heute ca. 1055 private Druckereien in der Regel außerhalb des Verlagswesens, über deren Produkte es keinen Überblick gibt. Auf dieser Basis entstehen auch unerwünschte Veröffentlichungen religiöser Extremisten. Von der Vergabe von ISBN erhofft man sich einen möglichst vollständigen Überblick über das usbekische Buchwesen.

Arabisch, kyrillisch, lateinisch...

Außerdem bestehen für das Verlagswesen schwierige Bedingungen durch das Schriftproblem. In den 20er Jahren wurde, wie in anderen Turksprachen auch, für das Usbekische die arabische Schrift durch die lateinische abgelöst. Im Jahr 1940 verfügte Stalin die Einführung der kyrillischen Schrift für das Usbekische, die nach der Unabhängigkeit Usbekistans wieder abgeschafft wurde. Seit mehr als zehn Jahren wird in Usbekistan nun wieder die lateinische Schrift für das Usbekische verwendet, aber das erste usbekische Buch mit der ersten usbekischen ISBN wurde mit kyrillischen Schriftzeichen gedruckt und wird deshalb für Studienanfänger nur schwer lesbar sein.

Pflichtexemplar gewöhnungsbedürftig

Momentan gibt es bei der Einführung der ISBN in Usbekistan positive Wirkungen vor allem für die Buchkammer, die neu ausgestattet wurde und deren Stellenwert in der Verwaltung Usbekistans sich erhöhte. Durch die Vergabe der ISBN werden einzelne Verlage an die Abgabe eines Pflichtexemplars erinnert, die schon lange vorgeschrieben war, an die sich aber keiner hielt. Durch das Wiederbeleben des Pflichtexemplars wird auch die Erstellung einer usbekischen Nationalbibliographie wieder möglich.

Die Finanzierung der usbekischen ISBN-Agentur soll durch die Verlage erfolgen, indem diese pro vergebene ISBN ca. 10 US-Dollar entrichten. Diese Festlegung ist für die der Marktwirtschaft fernen Verlage zur Zeit noch gewöhnungsbedürftig.

Im weitesten Sinne hat man die ISBN in ein auf die ISBN noch nicht vorbereitetes System integriert. Aber dieses Beispiel zeigt, dass jeder Teilnehmer des usbekischen Verlagswesens über gewisse Freiheiten verfügt und Dinge bewegen kann. In der usbekischen Presse sind Stimmen zu hören, dass durch die Einführung der ISBN usbekische Bücher und damit usbekisches Wissen und Können in der Welt bekannt werden und für den Buchmarkt neue Perspektiven entstehen.

Hoffentlich werden diese Möglichkeiten ergriffen und der Sinn für eine nachfrageorientierte Produktion von Büchern mit allen ihren wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen geweckt.


Zu den Autoren

Rovshan Sagdullaev

Leiter des Bereichs Information und Bibliothek des Goethe-Instituts Taschkent
E-Mail: bibl.info@taschkent.goethe.org

Prof. Dietmar Kummer

Emeritus HTWK Leipzig, Gastprofessor 2004 und 2005 am Institut Kultury Taschkent
Stuttgarter Allee 18
D-04209 Leipzig
E-Mail: Rudoskar@primacom.net