Netzwerk Bibliothek. 95. Deutscher Bibliothekartag in Dresden


Hrsg. Von Daniela Lülfing, bearb. von Hannelore Benkert und Stefan Siebert
- Frankfurt am Main: Klostermann, 2007 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie; Sonderband 92)
ISBN 978-3-465-03524-4. ISSN 1514-6364

Der Band ist in gewisser Weise eine Sekundärpublikation zu der Dokumentation dieses Bibliothekartages im Webangebot des VDB. Für die Druckfassung sind ausgewählte Vorträge und Präsentationen ausgearbeitet worden. Ziel und Absicht der Herausgeber ist eine Art Bilanz oder Leistungsschau des deutschen Bibliothekswesens, die vor allem auch Interessierte außerhalb des Berufsstandes ansprechen soll. Die Beiträge sind inhaltlich und formal von hoher Qualität und informieren umfassend und konzentriert über wichtige Entwicklungen, Produkte und Dienste der deutschen Bibliotheken.

Diese Klarheit in der Aussage und in der Zielsetzung lässt der Band in seiner Gesamtheit und in seinem Erscheinungsbild leider vermissen. Es ist den Beiträgen nicht angemessen und ein Zeugnis missverstandener Tradition, wenn der Band unverändert an den "Vortragsbänden" festhält, mit mehrfach gestuften Hierarchien in unterschiedlicher Schriftgröße. Die heute relevanten Aussagen und Beschreibungen sind so eigentlich nicht mehr transportierbar. Auch die Themenblöcke der Veranstaltung sind offenbar unverändert übernommen, mit der Folge, dass einzelnen Komplexen nur noch ein einzelner Beitrag zugeordnet ist, das breit gefasste Thema "Verlage, Suchmaschinen und Bibliotheken" bleibt unverständlich, weil die beiden subsumierten Beiträge sich ganz konkret mit dem elektronischen Publizieren befassen. Letztendlich ist wohl doch nur eine willkürliche Auswahl zustande gekommen, die Berichte aus dem europäischen Ausland haben mit der deutschen Entwicklung nichts zu tun, zumal sie sehr landesspezifische Themen behandeln (Ausbildung in Norwegen und Polen, aus Lettland den Aufbau eines landeseinheitlichen Informationssystems seit der Unabhängigkeit).

Die deutschen Beiträge sind thematisch breit gestreut und sprechen unterschiedliche Interessengruppen an. Einige Beiträge sind eine Art Überblickdarstellung, die den status quo bestimmter Entwicklungen historisch und strukturell erklären und beschreiben. Claudia Lux skizziert die engagierten Bestrebungen des Bibliotheksverbandes, den Bibliotheken in der Politik mehr Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen, konkret geht es um die Information und Beratung der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages, die aufgrund der föderalen Verfassung nur öffentliche Bibliotheken als Kultureinrichtungen behandeln kann. In Deutschland einzigartig und wichtig ist die Mitfinanzierung wissenschaftlicher Institutionen und Vorhaben durch die DFG. Ralf Goebel .beschreibt Zielsetzungen und Projekte zur Digitalisierung und wirbt dabei für neue, spartenübergreifende Ansätze von Bibliotheken, Archiven und Museen. Für seinen Informationsgehalt besonders hervorheben möchte ich den Beitrag von Reinhard Altenhöner zur Kooperation der Verbundsysteme. Neben den aktuellen Vorhaben, die Barbara Block in ihrem Vortrag zur kooperativen Neukatalogisierung noch präzisiert, referiert er vor allem die Entwicklung und Diskussion der deutschen Bibliotheksverbünde seit den 1980er Jahren und macht viele Zwänge und Gepflogenheiten, die heute noch (nach-)wirken, verständlich. Auch Heidrun Wiesenmöller und Lars Jendral behandeln mit Beispielen zur Entwicklung von Regionalbibliografien und landeskundlichen Informationssystemen Spezifika deutscher Bibliotheksdienste. Inhaltlich gehört dazu auch der Beitrag von Helmut Frühauf über das Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, der weit entfernt in der Rubrik "Bibliothekssysteme" gelistet ist. Auch das zweischichtige Bibliothekssystem als Spezifikum einer traditionellen deutschen Universität fehlt natürlich nicht: Berndt Dugall berichtet über seine Erfahrungen an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt/Main, wo die notwendige Kooperation zwischen Zentral- und Fachbereichsbibliotheken über Zielvereinbarungen zu steuern versucht wird.

Der Themenblock "Bibliotheken und Ideologie" umfasst drei materialreiche historische Arbeiten zur deutschen und deutsch-deutschen Bibliotheksgeschichte. Die Beiträge in den Themenbereichen "Management und betriebliche Steuerung" sowie "Barrierefreiheit" gehen von den Rahmenbedingungen und gesetzlichen Grundlagen deutscher Bibliotheken aus. Michael Golsch beschreibt, wie die SLUB Dresden nach der Inbetriebnahme des Neubaus die über die Planungs- und Bauphase angesammelten Vorhaben und Arbeiten mittels Projektmanagement ordnet und damit bewältigen kann. Andreas Degkwitz skizziert noch einmal das Cottbuser Modell der integrierten Informations- und Medienversorgung, das als Prototyp für Verwaltungs- und Serviceoptimierung in einer kleineren Hochschule gelten kann. Ein interessantes Beispiel für Qualitäts- und Leistungssteigerung erläutert Alwin Müller-Jerina aus Nordrhein-Westfalen, wo sieben größere Stadtbibliotheken einen Verbund zur gemeinschaftlichen Zertifizierung nach ISO 9001:2000 gegründet haben. Jürgen Weber beschreibt, wie und warum im Zusammenwirken von Verantwortlichen und Interessenverbänden der Neubau der Anna-Amalia-Bibliothek behindertengerecht gestaltet werden konnte. Eine letzte deutsche Besonderheit findet sich in dem Beitrag von Achim Oßwald zum Master-Abschluss für den höheren Bibliotheksdienst (solange es diesen denn noch gibt!), der im Prinzip das hergebrachte Bibliotheksreferendariat ersetzen kann und sollte, einstweilen aber noch erhebliche Vorbehalte in den Bibliotheken zu überwinden hat.

Die verbleibenden Beiträge befassen sich mit Webangeboten und elektronischen Ressourcen, sie sind damit ohne regionalen Bezug, aufgrund ihrer Aktualität und der meist umfassenden Aufarbeitung und fundierten Analyse aber von besonderer Wichtigkeit. Irmhild Schäfer beschreibt und bewertet die heute praktizierten Verfahren der Digitalisierung von Druckwerken, Hildegard Schäffler beschreibt und klassifiziert die unterschiedlichen Modelle zur Beschaffung, Finanzierung und Nutzung elektronischer Ressourcen. Johannes Fournier und Frank Scholze erörtern Konzepte des elektronischen Publizierens im wissenschaftlichen Bereich, Anette Klein und Monika Haberer gehen der Frage nach, ob und inwiefern ELearning-Angebote zwischen Bibliotheken gemeinsam zu erstellen oder nachnutzbar sein können. Jakob Voss widmet sich der spannenden Frage, ob und wie die neuen, kooperativ erstellten Netzangebote wie Wikipedia oder auch neue Kommunikationsformen in die gewachsene Informationsinfrastruktur zu integrieren sind.

Der Band ist also nicht so sehr als Tagungsband sondern vielmehr zur gezielten und vertieften Information zu Kernfragen wissenschaftlicher Bibliotheken zu nutzen. Bleibt zu wünschen, dass er möglichst bald und intensiv in den zentralen Nachweissystemen erschlossen wird, damit die Beiträge die ihnen angemessene Aufmerksamkeit finden.


Anschrift der Rezensentin

Dr. Ulrike Eich

Templergraben 61
D-52062 Aachen
E-Mail: eich@bth.rwth-aachen.de