Gasteditorial
"Ein Freudentag für die Kulturnation"

Zugegeben, jeder politische Festredner hätte das Bibliothekswesen Hoch leben lassen. Er hätte auch bewundernde, kritische und anregende Worte an die Öffentlichkeit gefunden. Was ist das besondere an der Festrede von Bundespräsident Horst Köhler anlässlich des Festaktes zur Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek am 24. Oktober 2007 in Weimar, dass wir als Bibliotheksvertreter uns schon die Überschrift seiner Rede zueigen machen? Seine Rede ist außergewöhnlich realistisch. Für eine Festrede anlässlich der Wiedereröffnung einer der schönsten Bibliotheken der Welt mit bedeutenden historischen Beständen, nimmt der Bundespräsident, als höchster Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland, sehr detailliert Stellung zur Bedeutung von Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in unserer Gesellschaft und insbesondere in Deutschland. Seine Schlussfolgerung: "Bibliotheken gehören in Deutschland auf die politische Tagesordnung" ist somit zugleich Auftrag an Politik, Verwaltung und die Bibliotheken selbst.

"Zuerst die gute Nachricht: Es gibt noch Bibliotheken in Deutschland. Und dann die noch bessere Nachricht: Es gibt fantastische Bibliotheken in Deutschland", so beginnt der kritische Exkurs des Bundespräsidenten durch die vielfältigen Aufgabenstellungen der Bibliothekslandschaft und ihre Nöte bei der politischen Unterstützung und Akzeptanz. Von sinkenden Etats, der Zeitschriftenkrise, zu dünnen Personaldecken und nicht erfüllten Mindeststandards bis zu Bibliothekssterben zählt er die Versäumnisse auf und stellt dem die Notwendigkeit des Erhalts und der Fortentwicklung aller Bibliothekstypen als Bildungsorte und als Orte des kulturellen Gedächtnisses entgegen: "Die deutschen Bibliotheken - und zwar alle, von der hochspezialisierten Forschungsbibliothek bis zur kleinen Stadtteilbibliothek - sind ein unverzichtbares Fundament in unserer Wissens- und Informationsgesellschaft? Trotz des wichtigen Beitrags der Bibliotheken für die Bildung und das selbstständige Lernen, fehlt in Deutschland - im Gegensatz zu den erfolgreichen PISA-Ländern - die strategische Verankerung der Bibliotheken als Teil unserer Bildungsinfrastruktur".

Solch klare Worte, solch klare Forderung müssen gehört werden, dürfen nicht verschenkt werden. Die Bibliotheken sind nun gefordert, die Rede in die Öffentlichkeit zu tragen und mit entsprechenden Konzepten, die Realisierung einzufordern. Das Hören hat begonnen: Bereits am gleichen Tag verkündete die Regierungspartei in Thüringen, das "auf den Wegbringen" eines Bibliotheksgesetzes. Und auch auf anderen Landesebenen hat die Diskussion eines Bibliotheksgesetzes eine neue Qualität erfahren. Bund, Länder und Kommunen müssen bei der bildungspolitischen Zielsetzung das Bibliothekswesen integrieren und durch Bibliotheksgesetze die Aufgaben und die Finanzierung von Bibliotheken verbindlich ausgestalten. Keine deutsche Erfindung, sondern eine ernst gemeinte Realisierung von Best Practics aus den erfolgreichen PISA-Ländern. Kaum wagt man es noch, dass Wort PISA anzuführen, weil fast schon ein Alibiwort. Dennoch kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass der PISA Schock sich nun in TV-Quizsendungen mit hohen Einschaltquoten erschöpfen soll. Es ist an der Zeit, den PISA-Schock durch verbindliches Tun der Länder und Kommunen zu überwinden. Die Worte des Bundespräsidenten geben eine klare Handlungsanweisung vor und fordern eine staatliche Verbindlichkeit in die Ausstattung von Bibliotheken als ihre Bildungs- und Kultureinrichtungen zu bringen. Bibliotheksgesetze der Länder sind ein rechtlich verbindlicher Weg, um Bibliotheken zur Pflichtaufgabe und Bildungseinrichtung des Staates zu erklären.

Der Bundespräsident bezeichnete seine Worte als "Schwarzbrot aus dem Alltag unserer öffentlichen Bibliotheken". Wir müssen nun dieses Schwarzbrot in Gesetze gießen und dabei achtsam sein, dass dabei Weißbrot entsteht. Nicht jedes Gesetz erfüllt den erhofften Zweck. So reicht es bei weitem nicht aus, wenn zwar Bibliotheksbetrieb und Aufgaben beschrieben werden, aber dabei die ausreichende Finanzierung ausgespart wird. Sich auf letztgenanntes festzulegen, fürchtet die öffentliche Hand wie der Teufel das Weihwasser. Das ist der wahre Grund, warum Initiativen in den Bundesländern bisher scheiterten. Deshalb wirkt der Deutsche Bibliotheksverband, der sich die Initiierung eines Bibliotheksgesetzes in Deutschland auf die Agenda geschrieben hat, in der BID-Arbeitsgruppe "Bibliotheksgesetz" mit. Vielleicht mögen die politischen Entscheidungsträger aber auch mit den Abschlussworten des Bundespräsidenten aus "Der Name der Rose" zu überzeugen sein: "Ein Land ohne Bibliotheken, wäre wie ein Garten ohne Pflanzen, eine Wiese ohne Blumen ?".

Gabriele Beger


Prof. Dr. Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Hamburg; Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V.