"Gute Fahrt ins Ungewisse!"

Bericht vom 9. Sun Summit Bibliotheken in Frankfurt a. Main


Scott McNealy, Vorstand und Co-Gründer von Sun Microsystems

Firmenausstellung

Blick in den Vortragssaal

von Angelika Beyreuther

230 Fachleute aus Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen diskutierten am 13./14. November beim 9. Sun Summit Bibliotheken in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main über "Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität - Reform, Umbruch und Modernisierung der digitalen Objekte". Trotz der gewichtigen Anzahl von über 20 Präsentationen zu Themenkomplexen wie Digitale Langzeitarchivierung, Personalisierte Informationsversorgung, Digital Repositories, Neue Technologien in Bibliotheken, gab es, moderiert von Sun-Vertriebsleiter Forschung und Lehre Eckhard Schaumann, nach jedem Beitrag die Möglichkeit der Diskussion. Die begleitende Firmenausstellung, gut integriert und präsentiert, bot weitere Informationsmöglichkeiten und auch die Pausen und die Abendveranstaltung boten reichlich Gelegenheit zum Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Die Reden werden in Kürze auf www.sun.de/ful bzw. auch http://de.sun.com/sunnews/events/presentations/2007/index.html abrufbar sein.

Highlight war der Auftritt von Scott McNealy, Vorstand und Co-Gründer von Sun Microsystems. Im Gepäck hatte er "News from Sun for the German library segment", seine Agenda war klar: "Open is the way to go", die Unternehmensphilosophie von Sun Microsystems. Sun-Produkte zielen auf maximale Offenheit und Standardisierung und das Unternehmen zählt auf Kunden, die auf offene Systeme bauen. "If you share, you create a large community." Und das lohne sich auch unter kaufmännischen Gesichtspunkten. "I love the Java community process", in den letzten 12 Jahren habe es durch den offenen Entwicklungsprozess an dieser systemunabhängigen Programmiersprache 250 Java-Specifications gegeben, die Sun dann wiederum lizenzieren konnte. Noch größer werde die Internetgemeinschaft und damit "network traffic" durch mehr Inhalt im Netz. "We want you to digitize everything!", forderte er deshalb ganz locker. Das zieht mehr Kunden nach sich und erfordert neue Hardware, neue Dienstleistungen, Innovationen - Geschäft. Unbestritten sind Bibliotheken in hohem Maß von neuen Technologien betroffen. Scott holte sein Mobiltelefon aus der Jacke. "A very interesting library portal!" - Das Handy als Bibliotheksportal? Warum nicht!

Als neues internationales Diskussionsforum zu den Themen der digitalen Langzeitsicherung und -archivierung empfahl der agile Sun-Chef die von seinen Leuten Anfang des Jahres im kalifornischen Stanford ins Leben gerufene "Preservation and Archiving Special Interest Group" (PASIG), die im halbjährlichen Wechsel in Europa und den USA tagen wird und gerade ihr zweites Meeting in Paris mit 170 Teilnehmern aus 40 Institutionen für den 14./15. November angesetzt hatte.

Ein weiterer amerikanische Redner, Michael A. Keller, Director of Academic Information Resources der Stanford University, galoppierte rasant durch die Zukunftswelten von Librarys und Cybrarys. Seine Reisebibliothek bestehe aus 150 Büchern und wiege nur noch - das genaue Gewicht? Er redete wirklich schnell! Er schwenkte den schmalen, glänzenden Sony eBook-Reader in der Luft. Wer im Publikum besitze so ein Gerät? Niemand? Jedenfalls kam eine Botschaft seines Vortrags an: Die da drüben sind uns irgendwie voraus. Stanford gehörte zu den allerersten Bibliotheken, die den Vertrag mit Google zur Digitalisierung ihres gesamten (ausgeschrieben: gesamten!) Bestandes unterschrieben haben. Bibliotheken ganz ohne reale Bücher sind für Michael Keller kein ungewöhnlicher Gedanke. Die "bookless library" wird es dort in rund drei Jahren geben, basierend auch auf dem Rohmaterial, das sukzessive aus den Digitalisierungszentren von Google zurückkommt, ausgerüstet mit besseren Suchfunktionen, besserem Indexing, Hyperlinking of Citations - eben "far beyond the OPAC".

Natürlich hatten auch Redner aus Deutschland zu den Themen sehr viel zu sagen. Die Webseite sei deshalb wirklich empfohlen. Ute Schwens, Direktorin der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. Main, gab eingangs am Beispiel der Deutschen Nationalbibliothek eine Übersicht über die neuen Aufgaben und Prozesse. Erfreulicherweise habe die deutsche Politik reagiert und Mittel zur Verfügung gestellt, um Personal, Infrastruktur und Speicherplatz im Bereich der Langzeitarchivierung auszubauen.

Der zweite Redner aus dem gastgebenden Haus, Tobias Steinke, informierte über Migrationsszenarien im Projekt "kopal" und die dabei notwendige internationale Zusammenarbeit. Durch permanente Beobachtung der technischen Entwicklungen und Risikoanalysen sollen die für die Langzeitverfügbarkeit notwendigen Migrationsempfehlungen erarbeitet und damit die regelmäßigen Dateiformatkonvertierungen sichergestellt werden. Spannende Denkanstöße, schon weit in der Zukunft angekommen, kamen auch von Matthias Razum, Abteilungsleiter ePublishing and eScience im FIZ Karlsruhe, der über "Fedora als Repository für E-Science-Szenarien" sprach, also neue Plattformen für netzbasierte kooperative Forschung und Zusammenarbeit im Wissenschaftsbereich (sh. auch S. ...).

Den einrichtungsübergreifenden Dienst Shibboleth für den Zugriff auf geschützte Web-Ressourcen stellte Franck Borel von der UB Freiburg vor und Frank Scholze, UB Stuttgart, zeigte die Entwicklung von OPUS als Baustein nationaler und internationaler Open Access Netzwerke. Um international notwendige "Interoperabilität zwischen Archivierungssystemen" ging es im Vortrag von Michael Steven Seadle, Universitätsprofessor und Leiter des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin. Ein wichtiges Thema für die Langzeitarchivierung, denn niemand glaubt, dass heutige Systeme in 100 Jahren noch existieren oder gar funktionieren. Jakob Voß, der junge Entwickler in der Verbundzentrale des GBV aus Göttingen, plädierte mit Unbekümmertheit und Frische für die Möglichkeiten des Internets, für das Prinzip Serviceorientierter Architektur, für Mashups und für das Öffnen der Bibkliotekskataloge. "Da draußen im Internet ist nicht alles furchtbar und schrecklich!" Bibliothekare müssten sich die Zeit nehmen, diese unbekannten Welten zu erkunden. Die Nutzer tun es ja auch. Dabei wünschte er eine "gute Fahrt ins Ungewisse!". Ein ermunterndes Schlusswort.